Читать книгу Eine Blau-Weisse Autobiografie "5:04" – Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben - Rolf Rojek - Страница 12
1975 – Meine erste eigene Bude.
ОглавлениеWelcher Mann träumt nicht davon, ein Zimmer in seinem Vereinslokal zu haben? Ja, genau dort war meine erste eigene Bude. Ich wohnte über dem Vereinslokal von Beckhausen 05, „Der Sportplatz “, ganze 400 Meter von meinem Elternhaus entfernt. Eigentlich hatte ich gar nicht vor, mir eine eigene Wohnung zu nehmen. Aber da ich sowieso immer einer der letzten Gäste in unserem Vereinslokal war, glaubte eh jeder, dass ich in der Kneipe wohnte.
Meine Wirtin Gudrun war 24 Jahre jung und seit sechs Jahren mit Wolfgang verheiratet, die beiden hatten einen dreijährigen Sohn namens Thomas. Ich hatte von Anfang an sehr guten und engen Kontakt zu Gudrun. Nicht mehr, nicht weniger. Sie war meine Wirtin. Unabhängig davon stand ich eher auf Mädels mit langen blonden Haaren, ohne Brille und ohne Sommersprossen. Gudrun hatte zwar keine Brille, aber sie hatte kleine Sommersprossen und sie war nun einmal nicht blond. Auch wenn ich zugeben muss, dass die Sommersprossen niedlich aussahen, spielte das keine Rolle, denn Gudrun war meine Wirtin. Aber wir fanden uns sympathisch, verstanden uns ausgezeichnet und vertrauten uns immer und überall.
Neben der Gaststätte befand sich die Pächterwohnung im Erdgeschoss. Zu dieser Wohnung gehörte noch ein weiterer Raum, der jedoch nie benutzt wurde. Er befand sich nämlich in der dritten Etage unter dem Dach. Das Zimmer war vielleicht 15 qm groß und hatte nur ein Waschbecken, sonst nichts. Daneben war der Dachboden, in dem die sieben Mietparteien ihre Wäsche trockneten.
Als ich eines Morgens, nach einer durchzechten Nacht im Vereinslokal, gefragt wurde, wann ich nach Hause gegangen wäre, antwortete meine Wirtin Gudrun: »Wie immer. Rolli war der Letzte. Er kann hier wirklich bald einziehen.« Alle lachten und ich sagte: »Genau, und morgens komme ich dann immer zum Frühstücken zu euch nach unten« und wir alle hatten unseren Spaß. Es konnte ja auch niemand damit rechnen, dass aus dem Spaß schon am anderen Tag Ernst wird.
Und so kam der andere Tag. Wie immer haben wir uns vor den Heimspielen im Vereinslokal getroffen. Meine Wirtin Gudrun fragte mich plötzlich ernsthaft, ob ich das Zimmer haben möchte. Für 50 DM könnte ich die Bude haben, Nebenkosten wie Strom und Heizung sind inklusive, allerdings hat das Zimmer keine Toilette. Daraufhin habe ich mir die Bude einmal etwas genauer angeschaut und bekam doch irgendwie Zweifel. Seit Jahren hat hier keiner mehr gewohnt, das war nicht zu übersehen. Das Zimmer musste entrümpelt, die alten Tapeten entfernt und die Wände neu tapeziert werden. Die Tür und das Fenster brauchten einen Anstrich und der Teppich musste entsorgt werden. Solche Arbeiten habe ich nie machen müssen. Aber trotzdem sagte ich nach kurzem Zögern zu, schließlich musste ich die ersten zwei Monatsmieten nicht bezahlen. Das Geld diente als Renovierungszuschuss. Jetzt musste ich meinen Eltern nur noch beichten, dass ich mir „mal so nebenbei“ eine eigene Bude besorgt habe und ausziehen werde. Ich überlegte, was ich ihnen sagen könnte.
»Ich bin doch nur knapp 400 Meter von euch weg. Zum Essen und Kacken komme ich wahrscheinlich eh jeden Tag vorbei und die schmutzige Wäsche bringe ich dann auch gleich mit. So gesehen ist das ja eigentlich kein Auszug aus dem Elternhaus.« Genau so wollte ich meinen Eltern den Auszug erklären. Die Frage: »Ach Papa, du weißt ja, dass ich immer so wenig Zeit habe. Kannst du mir die Bude mal schnell renovieren?« wollte ich so ganz nebenbei stellen. Das wird er bestimmt machen, dachte ich. Dachte ich …
Meine Mutter sagte gar nichts zum Auszug und mein Vater zeigte mir den Vogel. »Mach deinen Mist doch allein, wenn du selbstständig sein willst«, meinte er. Aber mein Vater wäre nicht mein Vater, wenn er mir nicht die Bude renoviert hätte. Während ich mit meinen Freunden und mit meiner großen Fahne beim Schalker Auswärtsspiel alles gegeben habe, durfte mein Vater allein die Bude entrümpeln und renovieren. In der darauffolgenden Woche ist meine Mutter mit mir nach Buer gefahren und wir haben ein richtiges Jugendzimmer gekauft. Ja, meine Mutter war beim Kauf dabei. Immerhin hat sie die Hälfte des Geldes dazugegeben.
So hatte ich schnell meine erste eigene Bude. Aber es gab ja noch das Problem mit der fehlenden Toilette. Solange das Vereinslokal geöffnet hatte, konnte ich dort das stille Örtchen aufzusuchen. Aber die Kneipe hatte ja leider nicht immer geöffnet. An Ruhetagen habe ich also die Toilette bei meinen Eltern aufgesucht, der Weg dorthin war ja nicht weit. Als lustiger Junggeselle ging die Party bei mir aber häufig weiter, auch wenn die Wirtin Feierabend machte.
Ich gebe zu, wenn mit 21 Jahren die Sinne von mehreren Bierchen umnebelt sind und in deinem Zimmer ein paar betrunkene junge Leute feiern, machst du Sachen, über die du im Alter nur den Kopf schütteln kannst. Egal ob Jungs oder Mädels, alle haben das Waschbecken auf dem Dachboden als Ersatztoilette genutzt. Natürlich bekamen die Nachbarn schnell mit, was bei mir abging. Zwei bis dreimal in der Woche stieg die Party mit viel Lärm, Musik und Mädels, die Schritte auf dem Dachboden waren überall zu hören. Schon in der ersten Woche meiner eigenen Bude hat sich die Hälfte der Mieter beschwert, in der zweiten Woche die restlichen Mieter. Irgendwie verständlich, denn hätte ich damals von jedem Übernachtungsgast 10 DM genommen, hätte ich ohne Probleme die Miete für ein ganzes Jahr im Voraus bezahlen können. Wenn meine Freunde in der richtigen Bierlaune waren, haben sie teilweise mit vier oder fünf Leuten bei mir geschlafen. Meistens waren es zwar nur ein paar Stunden, aber das lag eher daran, dass wir bis zum Morgengrauen feierten.
Aber es waren nicht nur gute Freunde, die bei mir in der Bude gefeiert und geschlafen haben. Ich hatte viele Mädels zu Besuch. Warum und wieso kann ich heute eigentlich gar nicht beantworten, das müsste man eher Gudrun fragen, da sie alles besser beobachten konnte. Aber ich fühlte mich in keiner Weise als Aufreißer. Ich hatte keine feste Freundin, ich war Zeitsoldat, ich war Schalker und mein Lebensstil war bedenkenswert. Wann sollte ich da noch Zeit für eine Beziehung finden? Wenn die Jungs in unserem Vereinslokal knobelten, am Flipperautomat spielten oder am Billardtisch die Kugel einlochten, habe ich mich immer um die Mädels gekümmert. Ein Scherz hier, ein Kompliment da und manchmal habe ich mich auch selbst auf die Schippe genommen. So schnell wird man zum Hahn im Korb. Doch ich habe den Mädels auch häufig mit Tränen in den Augen erzählt, wie schwer mein Junggesellenleben war. Der Dienst bei der Bundeswehr ist hart und anstrengend, sodass ich in meiner schönen kleinen Bude nicht mehr zum Aufräumen oder Abwaschen komme.
»Willst du mal meine schöne Schalke Bude sehen?«, fragte ich dann meist und fast alle Mädels wollten meine Bude sehen. Sie kamen mit nach oben, haben das dreckige Geschirr abgewaschen und das Zimmer geputzt. Danach haben wir es uns gemütlich gemacht und zusammen etwas getrunken. Als wir später wieder ins Vereinslokal kamen, waren die Mädels meist stolz, einem armen Schalker geholfen zu haben. Und ich? Ich habe den Mädels nichts dafür bezahlt, oder besser: ich habe kein Geld geben müssen.
Meine Gudrun ist noch heute meine Zeugin der wilden Zeit als Junggeselle. Auch wenn sie die vielen Mädels nicht gezählt hat, hat sie alles mitbekommen. Das haben Wirtinnen (aber auch Wirte) wohl so an sich.
»Es muss nicht immer alles Sinn machen. Oft reicht es schon, wenn es Spaß macht.«