Читать книгу Eine Blau-Weisse Autobiografie "5:04" – Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben - Rolf Rojek - Страница 21

1990 – Die Fan-Kneipe „Auf Schalke“.

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Wenn ich früher für eine Veranstaltung oder eine Busfahrt Getränke holen musste, ging ich immer zum Bierverleger meines Vertrauens, Wilfried Hövelmann. Bei Wilfried erhielt ich die Ware auf Kommission, und das zu einem verdammt guten Preis. Außerdem konnte ich jederzeit auf einen Kaffee und ein Pläuschchen zu ihm ins Büro kommen. Wir quatschten über alles, worüber Männer eben gerne quatschen – obwohl sie meist keine Ahnung davon haben. Daher war es auch verständlich, dass Fußball, und besonders der FC Schalke 04, eines unserer Lieblingsthemen war.

Irgendwann muss ich Wilfried in einem Gespräch erzählt haben, dass ich eine Kneipe in Gelsenkirchen suchte, in der ich mich mit Fans und Fan-Clubs treffen und Veranstaltungen abhalten könnte. Denn bisher habe ich mich an fast jedem Wochenende mit irgendwelchen Fan-Clubs in Gelsenkirchen in deren Vereinskneipen getroffen, um dort die Versammlung abzuhalten. Natürlich wollten mir die Fan-Clubs immer das Bier bezahlen, aber meist wollte ich das gar nicht und habe mein Bier und meine Bratwurst selbst bezahlt. Von meinen Gästen aushalten lassen? Auf keinen Fall! Und so kam es, dass ich am Monatsende fast immer einen stattlichen Bewirtungsbetrag vorzeigen konnte.

Als ich eines Tages wieder einmal bei Wilfried einen Kaffee schnorrte, sagte er beiläufig zu mir »Ach ja Rolf, kannst du nächste Woche zu einer Besichtigung vorbeikommen? Ich habe hier in Gelsenkirchen eine tolle Kneipe für dich. Und das Schöne: die Kneipe ist groß und liegt direkt im Stadtteil Schalke. Da kannst du dich, so oft du willst, mit deinen Fan-Clubs treffen und austoben.« Das hört sich doch ganz gut an, dachte ich. Wenn ich mit dem Pächterehepaar klarkomme, wäre das optimal. Wir machten also guter Hoffnung einen Termin für die Besichtigung aus.

Zu dieser Zeit wohnte ich noch in Saerbeck, einem kleinen Dorf im schönen Münsterland, etwa 104 km vom Parkstadion entfernt. Da ich immer viele Termine auf Schalke und mit Fan-Clubs hatte, fuhr ich die Strecke Saerbeck-Gelsenkirchen-Saerbeck mehrmals pro Woche. Eine gute Terminplanung war also sehr wichtig. Auch wenn ich es sonst zumindest immer versucht habe, pünktlich bei meinen Terminen zu erscheinen, bin ich nicht zur Besichtigung der Kneipe erschienen. Ich hatte mich auf Schalke festgequatscht und ganz ehrlich, so ernst habe ich den Termin nun auch nicht genommen. Und das Pächterehepaar musste wahrscheinlich eh vor Ort sein und in der Kneipe arbeiten …

Als mich Wilfried anrief und fragte, wo ich bleibe, entschuldigte ich mich und sagte ihm, dass ich auf Schalke festsitze. »Schade, alle sind da und wir warten auf dich« war seine Antwort. Moment mal, »Alle?«, fragte ich. »Wer sind alle?« Wilfried klärte mich auf. Die derzeitige Wirtin, der Hausbesitzer, die Vertreter der Krombacher Brauerei und der Vorsitzende des Sparclubs waren zu dem Termin gekommen, um mich kennenzulernen und mit mir zu sprechen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, entschuldigte mich und machte einen neuen Termin aus. Eigentlich, so dachte ich, schaue ich mir nur eben die Räumlichkeiten an, quatsche mit der Wirtin und bespreche die Einzelheiten für die Versammlungen. Fertig. Wie auch immer, der neue Termin war ein paar Tage später.

Ich war fast pünktlich, fast. Denn ich bin ein großer Fan von Pünktlichkeit, aber leider nur bei anderen. Mit einer halben Stunde Verspätung stand ich also vor der angegebenen Adresse. Mein erster Gedanke: Oh Gott, wo bin ich denn hier gelandet? Die Kneipe war in einem Eckhaus. „Gaststätte Jägerhof“ stand auf meinem Zettel, Uechtingstraße 98 (Ecke Wilhelminenstraße). Ich schaute noch einmal auf den Zettel, dann auf die Hausnummer an dem Eckhaus. Ja, das war die besagte Kneipe. Ich war also an der richtigen Adresse.

Eine kurze Erklärung von mir: In der Gegend wohnten die Ärmsten der Armen und die Polizei kam nur hierher, wenn sie gerufen wurde, und zwar mit einem Mannschaftswagen. Und das war nicht selten der Fall …

Mein erster Eindruck war also ein klares Nein. Hierher soll ich meine Gäste einladen? Auf keinen Fall! Mit dem klaren Nein im Kopf betrat ich die Kneipe und war direkt über die Größe des Gastraums überrascht. Mit der dunklen Holzverkleidung wirkte der Raum zwar etwas bedrückend und die spärlichen Tiergeweihe an den Wänden änderten das auch nicht. Aber so wurden viele Kneipen in den 70ern gebaut und eingerichtet. Und immerhin war ich ja im „Jägerhof“. In der Mitte des Schankraumes stand ein großer Billardtisch, der fest am Boden verschraubt war. An der langen Theke hatten gut und gerne 30 Personen Platz, um ihr Bier zu trinken. Zudem rundeten sechs Tische das Mobiliar in der Gaststätte ab. An einem dieser Tische saß Wilfried mit fünf weiteren Personen, die sofort ihre angeregte Unterhaltung abbrachen, als ich den Raum betrat. Ich ging auf sie zu, begrüßte alle freundlich und machte gleich einen lustigen Spruch.

Natürlich flachsten wir sofort ein bisschen über unseren S04 und Wilfried eröffnete die Diskussionsrunde mit den Worten, dass ich hier mit meinen Fan-Clubs ungestört über die Niederlagen unseres Clubs diskutieren könnte. Ich nahm den Ball gekonnt auf und gab zurück, dass bei diesem giftgrünen Anstrich sicherlich keine ruhigen Diskussionen zustande kommen könnten. Alle lachten. »Kein Problem, dann streiche doch einfach alles in blau-weiß an«, meinte Wilfried. Und wieder lachten alle und ich dachte direkt, was für eine coole Wirtin, jetzt braucht sie nur noch das Geld für den Anstrich rausrücken.

Mit wurden alle Räume der Gaststätte gezeigt, darunter eine verdammt kleine Küche und ein mickriger Personalraum sowie ein riesiger Saal und natürlich die Toiletten. Für mich war das keine Gaststätte, wie ich sie mir wünschen würde. Aber mit ein paar Schalke-Bildern und Fan-Artikeln an den Wänden kann man aus dem Laden schon etwas machen. Und da ich mich hier nur mit den Fan-Clubs treffen will und anschließend wieder nach Hause fahre, sollte das passen.

Um mich zu vergewissern, fragte ich die Wirtin direkt. »Ich kann hier wirklich Schalke-Bilder aufhängen und auch der Außenanstrich wird geändert?« Der Vertreter der Krombacher Brauerei fiel ins Wort und sagte, dass es sogar eine Bezuschussung geben würde, wenn wir das Logo von Schalke oder dem Schalker Fan-Club Verband anbringen wollten. Alle nickten und ich fand dieses viele Entgegenkommen schon sehr komisch. Daher fragte ich nach, wie denn wohl die anderen Gäste reagieren, wenn der „Jägerhof“ plötzlich zu einer Fußballkneipe wird. »Werden die Stammgäste diese Veränderung akzeptieren?«, fragte ich. Und jetzt lachten alle noch mehr. »Rolf, das ist doch deine Sache. Als Pächter kannst du machen, was du willst!«, gab Wilfried zu erklären.

Pächter? Ich bin fast umgefallen, ich suchte doch nur eine Kneipe, in der ich mich mit meinen Fan-Clubs zurückziehen konnte, um meine Besprechungen abzuhalten. Ich wollte doch keine Kneipe pachten! Das teilte ich allen sofort mit und merkte dabei mit jedem Wort, wie sehr sie enttäuscht waren. Und dann redeten sie auf mich ein, was für einen Fehler ich machen würde. Die Unabhängigkeit bei Versammlungen, die eigenen Fan-Club Partys und natürlich die guten Verdienstmöglichkeiten. Es wäre so viel möglich, wenn ich ja sagen würde. Als ich dann den Pachtpreis erfahren habe, war ich doch ein wenig überrascht, wie günstig die Pacht für eine so große Kneipe war. Ich bat also um ein paar Tage Bedenkzeit und fuhr nachdenklich nach Hause ins Münsterland.

Im Auto gingen mir 1904 Gedanken durch den Kopf und eine Idee jagte die andere. In einer großen Kneipe, da könnte ich einiges machen: Fan-Partys und Diskussionsrunden mit Schalke-Promis am Spieltag, Treffen zwischen Schalke-Vorstand und Fan-Clubs und noch viel mehr. Und wenn der „Jägerhof“ den richtigen blau-weißen Anstrich bekommt, das könnte eigentlich doch etwas für uns sein. Zu Hause angekommen merkte Gudrun sofort, dass mich etwas beschäftigte. Natürlich wollte sie wissen, was los war und auch, wie das Gespräch in der Kneipe verlief. Ich redete nicht lange um den heißen Brei herum und ließ die Katze sofort aus dem Sack. »Was hältst du davon, wenn wir wieder eine eigene Fan-Kneipe aufmachen?«, fragte ich sie. Nein, Gudrun hat mich weder geschlagen noch rausgeschmissen. Immerhin war sie selbst früher Vereinswirtin, sogar meine. Daher kannte sie die harte Arbeit im Gaststättengewerbe nur zu gut. Was soll ich sagen? Ich war so begeistert von der Idee, eine eigene Fan-Kneipe zu haben – und wenn ich begeistert bin, kann ich jeden davon überzeugen: Gudrun sagte ja, der Vorstand und der Beirat des Schalker Fan-Club Verbandes sagten ja und auch die Brauerei sagte ja. Und schon hatte der Schalker Fan-Club Verband seine eigene Fan-Kneipe mit dem Namen „Auf Schalke“.

Ach ja, der giftgrüne Anstrich wurde bereits eine Woche später von einem Graffiti-Künstler übermalt, und zwar in einen blau-weißen Tempel …

»Man geht leichtfertig in die Fan-Kneipe und kommt leicht fertig wieder raus.«

Eine Blau-Weisse Autobiografie

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