Читать книгу Der Tod bucht Zimmer 502 - Ronald Ryley - Страница 10
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Оглавление8:00 pm, Savoy Hotel, Zimmer 502
Oliver Montagu warf seinen Koffer aufs Bett. Es tat gut, wieder im Savoy zu sein. Nirgends in ganz London fühlte er sich sicherer – trotz allem, was an diesem Ort, was in diesem Zimmer geschehen war. Er linste in Richtung der Karte des Savoy In-Room-Dinings. Sein Magen heulte auf vor Hunger, wie er es immer tat, wenn ihn die Vergangenheit jagte. Zeit heilte vielleicht alle Wunden. Aber nicht, wenn die Erinnerung sich an seine Hüften klammerte und ihn täglich im Spiegel anschrie. Er musste endlich lernen, sich zurückzuhalten. Und seit dieser gruselige Stalker aufgehört hatte, ihm auf Schritt und Tritt durch London zu folgen, gelang ihm das auch wieder. Also weg mit der Karte. Stattdessen nahm er seine Sachen und begann, sie in den Schrank zu räumen. Das Chandelier Charity Concert war ein Segen. Schon lange war er nicht mehr derart inspiriert gewesen. Allein die Möglichkeit, seine Vision des spektakulären Kronleuchters umzusetzen, war doch ein offensichtliches Angebot dieses Hauses gewesen, Frieden zu schließen. Außerdem hatte er noch eine wichtige Sache zu erledigen. Es war mehr als Glück, dass ausgerechnet dieses Charity-Konzert all jene, die sich über all die Jahre aus dem Weg gegangen waren, endlich wieder zusammenbrachte.
Bei dieser Gelegenheit fiel ihm der Zettel wieder ein. Er musste die Nummer dringend in seinem Handy speichern. Schließlich kannte er sich nur zu gut, und eine erneute Recherche würde viel zu viel Aufsehen erregen. Die Sache musste ein Geheimnis bleiben. Er nahm sein Notizbuch. Der Zettel war verschwunden. Nicht doch! Er war sich absolut sicher, die Haftnotiz mit der Nummer kurz vor seiner Abreise letzte Woche an den Buchdeckel geklebt zu haben. Es war genau hier an dieser Stelle gewesen. Es hatte schnell gehen müssen, also hatte er das Buch einfach mit dem Klebezettel in den Koffer geworfen und seither nicht mehr angerührt. Vielleicht hatte er sich im Laufe der Zeit gelöst? Er kippte den Inhalt des Koffers auf seinem Bett aus, wühlte sich durch Hemden, Shirts, Hosen, Gürtel und Schals, aber nirgendwo war ein Zettel zu finden. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Das konnte doch nicht sein! Wieso hießen diese Dinger Haftnotiz, wenn sie nie haften blieben? Es klopfte.
»Mr Montagu?«
Oliver wunderte sich. Er erwartete keinen Besuch. Und das Savoy war für seine Diskretion bekannt. Normalerweise schafften es keine Fans bis an die Türen ihrer Idole. Erst recht nicht, wenn das Hotel wegen anstehender Feierlichkeiten mit derart vielen Celebritys belegt war. Das Savoy war eine eigene Welt. Hier war man unter sich.
Es klopfte erneut.
»Zimmerservice, Mr Montagu.«
Zimmerservice? Er hielt sich seinen Bauch. War es jetzt schon so weit, dass sein Magen eigenständig für Nachschub sorgte? Oliver schüttelte den Kopf. Nein, verrückt war er nicht. Das hier war entweder eine Verwechslung, oder die Person an der Tür gehörte gar nicht zum Zimmerservice. Längst ausgestanden geglaubte Ängste kamen wieder hoch. Oliver rührte sich nicht und konzentrierte sich auf seinen Atem. Es gab keinen Grund zur Panik. Wenn es wirklich der Zimmerservice war, hatte der ohnehin einen Schlüssel und das Anklopfen erfolgte aus reiner Höflichkeit. Er musste also das Risiko nicht eingehen, einem ungebetenen Gast zu öffnen. »Treten Sie ein.«
Das Türschloss klackte. »Überraschung!« Der Butler vom Personal-Butler-Service schob einen Servierwagen mit einem gigantischen, überaus kunstvollen Blumengesteck herein.
»Alek!«, rief Oliver. Er warf alle Regeln über Board und nahm ihn in den Arm, auch wenn Alek sich eher sträubte. Jeden Schritt seiner Karriere im Savoy hatte Oliver während seiner unzähligen Besuche mitverfolgt – vom Tellerwäscher bis zum Butlerservice. Dass Oliver heimlich mit ihm auf dem Zimmer dafür geübt hatte, war ihr Geheimnis geblieben. Was hatte er mitgefiebert, als die Butler-Prüfung ins Haus stand. Und wie stolz Oliver gewesen war, als Alek mit dem besten Ergebnis des Jahres bestanden hatte. Es klang verrückt, aber über all die Jahre hinweg war er für ihn fast so etwas wie der Sohn geworden, den er sich immer gewünscht hatte. »Schön, dich zu sehen.«
»Schön, Sie wieder bei uns zu haben!«
Ein Lächeln von Alek, und das Herz ging auf. Kein Wunder, dass die Frauen bei ihm Schlange standen. Wer wünschte sich nicht einen Mann, der tadellos aussah, sich wie ein Gentleman benahm und einen Haushalt besser managen konnte als jede professionelle Haushaltshilfe? Aber der Wagen … Oliver seufzte. »Es tut mir leid, Alek. Aber ich fürchte, das ist ein Missverständnis.«
»Bei uns gibt es keine Missverständnisse.« Alek deutete mit seinen behandschuhten Händen auf das kunstvolle Blumengesteck. »Schließlich sind das hier nicht irgendwelche Blumen.« Er zog eine Rose heraus und reichte sie Oliver.
Oliver schloss die Augen und sog den Duft ein. »Nein«, sagte er. »Das sind die Blumen.«
»Mein Kollege Phil Dubois von der Rezeption lässt herzlichste Grüße ausrichten und bittet nochmals um Verzeihung. Nach dem kleinen Zwischenfall gerade eben ist es dem Savoy ein Herzensanliegen, sich bei Ihnen für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.« Alek beugte sich und schob die weiße Decke über dem Servierwagen so gekonnt beiseite, dass Oliver Montagu der restliche Inhalt verborgen blieb. Er nahm ein Tablett aus dem Wagen, auf dem Olivers heiliger Schal sorgfältig zusammengelegt ruhte. »Mit den besten Grüßen von den Damen und Herren unserer Reinigung. Es ist uns immer wieder eine große Ehre, wenn Sie uns eines Ihrer Kunstwerke anvertrauen, Sir.« Aleks Handschuhe schwebten über den Stoff. »Dieses Material, dieses Muster, Sie sind ein Genie, Mr Montagu.«
Oliver fühlte sich geschmeichelt. Auch wenn er wusste, dass die Freundlichkeit und Ehrerbietung zur Grundausstattung des Savoy gehörten, die Leute hier im Haus schafften es immer wieder, dass er ihnen glaubte.
»Wo darf ich die Blumen platzieren?«
»Pah, Blumen? Dieses Gesteck ist ein Kunstwerk!« Oliver deutete auf den Beistelltisch in der Nähe des Kamins. Er nahm den Schal vom Tablett und führte ihn an sein Gesicht. Der Duft warf ihn in der Zeit zurück. Allein dafür lohnte es sich, immer wieder ins Savoy zu kommen. Keine Reinigung der Welt verstand die Seele dieses Stoffes so ausgezeichnet. Es war, als würden die Fasern dieses Schals jedes Mal von Neuem mit Leben erfüllt. Als wäre es erst gestern gewesen, dass … Er schloss seine Augen und schmiegte sein Gesicht an den Stoff. Er konnte nicht anders, als den Schal umgehend anzulegen. Wie es seine typische Art war, schwang er einen Knoten in jedes Ende des Schals und wickelte ihn sich anschließend um den Hals.
»Mr Montagu!« Alek verschränkte seine Hände hinter dem Rücken und verneigte sich. »Was für ein Anblick.«
»Tausend Dank.«
»Darf ich Ihnen noch diese kleine Köstlichkeit aus unserer Küche reichen?« Alek zauberte ein weiteres Minitablett mit einem rosafarbenen Törtchen in Herzform aus dem Servierwagen hervor. »Eine exquisite und einmalige Delikatesse auf Kosten des Hauses, die Phil Dubois höchstpersönlich für Sie ausgewählt hat.« Alek beugte sich leicht vor und flüsterte zwinkernd: »Zuckerfrei.« Er stellte das Törtchen ebenfalls auf den Beistelltisch. »Phil verspricht, dass Sie diese meisterhafte Komposition der Haute Cuisine augenblicklich in den Himmel katapultieren wird.«
»Wie aufmerksam.« Allein der Anblick sorgte für reichhaltigen Speichelfluss in seinem Mund.
Alek verbeugte sich. »Jetzt wünsche ich Ihnen von Herzen den großartigsten Aufenthalt, den Sie jemals im Savoy erlebt haben.« Er schob den Servierwagen wieder hinaus. In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Und wenn Sie irgendeinen Wunsch haben, rufen Sie mich! Schön, dass Sie nach Hause gekommen sind, Sir.«
Ja, dachte Oliver, nachdem Alek wieder verschwunden war, ins Savoy zu gehen, war tatsächlich, wie nach Hause kommen. Man freute sich, und zugleich hasste man es. Oliver nahm eine der Rosen aus dem kunstvollen Gesteck und tauchte seine Nase tief in die Blüte ein. Der Duft beflügelte ihn. »Sophie Rochas«, flüsterte er. Er hielt die Blüte an das Bild über dem Kamin. Die Rose in seiner Hand erblühte mit derselben Grazie wie die Rosen in der Hecke hinter der Dame auf dem Porträt. Jetzt war er sicher. Dieses Mal würde es anders sein. Dieses Mal würde er endlich mit allem abschließen und seinen Frieden finden können.
Eine Melodie riss ihn aus seinen Gedanken. Täuschte er sich, oder befand sich jemand in seinem Zimmer? Er drehte sich um. Der Gesang war wieder verstummt. Hatte er etwa nur geträumt? »Alek?«, rief er in Richtung Tür. Niemand antwortete. Der Butler hatte die Suite verlassen. Oliver Montagu kämpfte gegen das Zittern in seinen Händen. Vielleicht hatte jemand in der Nachbarsuite die Musikanlage kurzzeitig zu laut aufgedreht. Er war im Savoy. Hier war er sicher. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Besser. Er setzte sich auf das Sofa und beruhigte sich mit dem kleinen Törtchen, das Phil ihm spendiert hatte. Eine Mischung aus Erdbeere, Rum und feinster Creme explodierte an seinem Gaumen, als er plötzlich hinter sich eine Stimme hörte.
»Ich bin wieder da.«