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8:30 pm, Thurloe Square

Blaulicht blinkte vom Thurloe Square her durch die Fenster ins Untergeschoss. Kreiste über dem Bett und dem leblosen Körper darauf – wie ein Geist, der Ali­son unaufhörlich zuflüsterte: Tot. Tot. Tot. Bitte nicht!, dachte sie. Wo blieb denn nur Ken? Er war jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit verschwunden, um zu telefonieren. Wahrscheinlich war sein wichtiger Anruf nur vorgetäuscht, und er sprach in Wahrheit wegen diesem Desaster hier längst mit seinen Kollegen vom Scotland Yard. Alison sah sich bereits in Handschellen in einen Polizeiwagen steigen. Wenn Dad ihr jetzt aus dem Himmel zusah, würde sein Herz vor Schmerz ein zweites Mal versagen. Sie, die Tochter eines hohen Tiers beim Scotland Yard, hatte nicht nur ihren Traum, Polizistin zu werden, aufgeben müssen, weil sie gnadenlos durch die Fitnessprüfung gerasselt war. Sie verwandelte sogar ein harmloses Krimispiel in ein Desaster. »Warum endet eigentlich alles, was ich anfasse, in einer Katastrophe?«

Roy nahm ihre Hand. »Wenn, dann ist es wohl am ehesten meine Schuld. Wäre ich nicht auf die alberne Idee gekommen, noch eins drauf zu setzen, hättet ihr mich längst gefunden gehabt, als Mildred aufgetaucht ist.«

Mildreds Hund saß wie ein Häufchen Elend vor dem mobilen EKG-Gerät und folgte mit seiner Nase der wilden Achterbahnkurve, die der kleine grüne Punkt auf das Display zeichnete. Allein dieser Anblick zerbrach Alison das Herz. Und überhaupt: Musste dieses EKG-Dings nicht piepen? Oder irgendeine andere Art von Geräusch von sich geben? Die Kurven auf dem Bildschirm schienen genauso kraftlos wie Mildreds Körper, trotz der unzähligen Kabel und Schläuche. Und dazwischen kratzte sich die dauerheisere Stimme ihres Chauffeurs hindurch. »Hat sie einen Herzinfarkt?«

Das Wort Herzinfarkt weckte düstere Erinnerungen bei Alison. Was, wenn es Mildred jetzt so erging wie ihrem Vater? Plötzlicher Herzstillstand. Ohne Vorwarnung. Wumm! Tot. Ob es doch in der Familie lag? Hätte sie das dann nicht ahnen müssen? Sie fühlte sich schuldig. Auch wenn alle sagen würden, das hier sei ein tragischer Unfall gewesen. Alison hatte ein Motiv: Sie ertrug diese Frau einfach nicht.

Kommentarlos zog die Notärztin Mildreds Augenlider hoch, um die Pupillen zu beleuchten. Endlich kehrte auch Ken aus dem Flur zurück ins Untergeschoss und legte seine Hand auf Alisons Schulter.

»Unkraut vergeht nicht.« Ken zog Alison an sich, drückte sanft zu und flüsterte: »Die Kids waren begeistert! Sie nehmen die Circle Line ab South Kensington und fahren ab Westminster bis Canada Water.«

»Aber die Party. Sie haben sich doch so gefreut.«

»Die Party holen wir nach. Jetzt hoffen sie alle erst einmal, dass du gut aus der Sache herauskommst.«

Roy hüstelte übertrieben.

»Und Mildred natürlich auch«, ergänzte Ken.

Das hoffte sie ebenfalls. Genau das war ja der springende Punkt. »Aber Ken, sie bewegt sich nicht.«

Er streichelte ihre Schulter. »Ich habe schon viele Leichen gesehen. Glaub mir, das hier ist definitiv keine.«

Na ja, dachte Alison, als die Notärztin das Stethoskop zusammen mit ihren restlichen Utensilien wieder im Notfallkoffer verstaute, tot sah sie wirklich nicht aus. Alison war immer wieder aufs Neue fasziniert, wie hervorragend es den plastischen Chirurgen der Dr MediSpa Clinic in Knightsbridge gelang, zu kaschieren, dass Mildred mit spürbarem Tempo auf die 80 zuging.

Der Welpe winselte und sprang in einem Satz zu Mildred aufs Bett.

»Sie kommt zu sich«, kommentierte die Notärztin die deutlich stärker werdende Auf und Ab-Bewegung von Mildreds Brustkorb. »Taylor …«, japste sie. »So helft ihm doch. Der arme Mister Taylor. Polizei!«

Alison nahm Mildreds Hand. »Keine Sorge, Mildred, Roy geht es gut. Es war alles nur ein Spaß.«

Die Ärztin räusperte sich vorwurfsvoll. »Wie geschmacklos!« Sie fühlte Mildreds Puls. »Diese Dame hat durch diesen Spaß einen schweren Schock erlitten.« Danach wendete sie sich wieder Mildred zu und sprach überdeutlich laut. »Ich würde Sie zur Sicherheit gerne ins St Thomas’ Hospital bringen, Mrs Granville.«

Alison bedankte sich beim Universum. Mildred musste ja nicht gleich ins Jenseits verschwinden. Mit einem Krankenhaus jenseits der Themse war sie vollkommen zufrieden.

Wie vom Blitz getroffen riss Mildred ihre Augen auf. »St Thomas? Wollen Sie mich auch noch umbringen?«

»Roy ist nicht tot«, warf Alison beruhigend ein.

»Wer spricht da?«

»Ich bin es, Mildred. Alison.«

»Alison?«, sprach sie, wie in einem dichten Nebel gefangen. »Die Alison, die nicht da ist, wenn ich komme?«

Unfassbar! Diese Frau schaffte es sogar halbtot, Ali­son ein schlechtes Gewissen zu bereiten. Die Notärztin sah Mildred ernst an und hob dabei beschwichtigend die Hand.

»Versuchen Sie, sich nicht aufzuregen, Mrs Granville.«

»Wie soll das funktionieren, in einem Haus, in dem zum Spaß gemordet wird?«

»Du meinst …«

Gerade noch bevor Alison etwas sagen konnte, das sie später bereuen würde, fiel Ken ihr ins Wort. »Ist es denn sehr ernst, Frau Doktor?«

»Im Moment macht sie einen stabilen Eindruck. Aber das kann sich jederzeit ändern. Ihr Herz gefällt mir nicht.«

Kein Wunder, dachte Alison. Sie hat ja auch keins.

»Sie gefallen mir auch nicht«, konterte Mildred, was die Ärztin professionell ignorierte.

»Ich denke lediglich, dass es eine vernünftige Entscheidung wäre, Sie noch ein, zwei Nächte genauer zu beobachten.«

»Wissen Sie überhaupt, wer ich bin?«

Alison rollte innerlich mit den Augen. Jetzt ging diese Masche wieder los.

»Wo ich auftauche, werde ich immer beobachtet.«

Das würde Alison sofort unterschreiben. Halleluja!

Mit verzerrter Miene beäugte Mildred den Transportstuhl, den zwei junge Sanitäter in das Zimmer hinein rollten. »Falls Sie hoffen, mit meiner privaten Versicherung das National Health System sanieren zu können, muss ich Sie leider enttäuschen. Wir fahren zurück nach Sandbanks!«

Alison überkreuzte ihre Finger hinter dem Rücken. Der Chauffeur schien jedoch wenig begeistert. »Aber Madam, Sie wissen doch: der Regen, die Umleitungen, die schwache Blase von Alfie.«

»Ja, bin ich denn nur von Dilettanten umgeben?« Mildred fasste sich an die Brust.

»Nicht aufregen, Mrs Granville, bitte!«

»Frau Doktor hat völlig recht«, mahnte der Chauffeur. »Bleiben wir am besten wie geplant hier bei Ihrer Nichte. Gleich morgen früh werde ich Sie dann zurück nach Sandbanks fahren.«

»Gleich morgen früh kommen wir wieder her! Ende der Diskussion.«

Das EKG-Gerät schrie auf. Wie ein Flummi schoss Alfie erst in die Luft und landete schließlich mit eingeklemmtem Schwanz neben dem Bett. Die Ärztin fühlte Mildreds Puls.

»Bitte bleiben Sie ruhig!«

»Ja wie denn, in diesem Irrenhaus?«

Ken versuchte, zu beschwichtigen. »Der Regen wird langsam schwächer. Ich bin sicher, Sir, das Unwetter wird sich bald aufgelöst haben.«

»Also gut, dann fahren wir.« Der Chauffeur eilte nach draußen. Wenige Minuten später befand sich auch Mildred auf dem Weg zum Wagen. Die Notärztin nutzte die Ruhe für ein paar letzte mahnende Worte an Alison.

»Sorgen Sie dafür, dass Ihre Tante einen Herzspezialisten aufsucht, wenn sie morgen wieder aus Sandbanks zurück ist. Und vermeiden Sie jegliche Aufregung. Wenn es sich um eine Herzinsuffizienz handelt und diese nicht umgehend medikamentös behandelt wird, kann jede Form von Stress oder Schock binnen Minuten tödlich enden.«

Das Klackern von Mildreds Gehstock hallte von der Straße her durch das Fenster ins Untergeschoss hinein. Ein Wagen fuhr neben ihr den Thurloe Square entlang und verwandelte mit seinem Scheinwerferlicht Mildreds Konturen in den Schatten eines Nosferatus. Von wegen, das Unwetter löste sich auf, es braute sich gerade erst zusammen.

Der Tod bucht Zimmer 502

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