Читать книгу Was du niemals tun solltest, wenn du unsichtbar bist - Ross Welford - Страница 29

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Als ich die Tür öffne, schnappen wir beide erst mal nach Luft.

»Wow!«, sagt er. »Du hast gar nicht gesagt, dass ich mich verkleiden soll. Was hast du vor?«

»Was hast du vor?«, frage ich.

Ich sehe sicher seltsam aus mit der Glitzerperücke und der Clownsmaske – aber Boyd? Der macht den Eindruck, als wäre er auf dem Weg nach Florida: riesige Shorts, ein Hawaiihemd, auf dem sich Haie tummeln, Sonnenbrille (vollkommen unnötig) und eine viel zu kleine Baseballkappe auf den Locken. Eine Strandtasche hat er auch dabei, auf dem Handtuch liegen mehrere Tuben Sonnencreme.

Wir starren uns ziemlich lange an.

Wenn mich das, was sich unter meiner Kleidung versteckt, nicht so völlig fertigmachen würde, würde mir vielleicht etwas Schlaues einfallen, wie: »Sorry, aber jemand, der wegen seines schlechten Geschmacks in Disneyland rausgeflogen ist, kann mich wohl kaum in Modefragen beraten.« Tut es aber nicht.

Stattdessen sage ich: »Es geht um Spenden. Ich muss einen ganzen Tag so rumlaufen, um Geld zu sammeln für, ähm …«

Schnell, Esther. Lass dir was einfallen. Er wartet.

»… für die Sache mit dem Leuchtturm.«

Ausgerechnet! In meinem Kopf brüllt eine Stimme: Warum hast du das gesagt, Holzkopf? Jetzt denkt der doch, du machst dir was aus seiner dummen Leuchtturmmacke. Du Trottel! Warum sagst du nicht Welthungerhilfe oder Krebsforschung oder Klimawandel? Oder irgendwas anderes?

Und ich kann nur mit einer zweiten Stimme im Kopf antworten: Ich weiß. Tut mir leid. Ich kann nicht mehr klar denken. Hab den Kopf mit anderen Dingen voll, falls dir das noch nicht aufgefallen ist.

Boyd quatscht schon die ganze Zeit.

»… fabelhaft! Vielen Dank! Geld für Kostüme? Großartige Idee! Einen ganzen Tag? Wie nett. Egal, ich hab deine Nachricht bekommen. Hätte mich eher melden sollen. Willst wohl gerade weg. Wann kommste zurück? Ich kann warten oder … später selber abschließen?«

Nein. Ganz sicher nicht. Ich erzähle ihm das von Lady.

»Ich hab sie noch hinten im Garten gesehen. Dachte, sie wollte pinkeln.« Stimmt nicht ganz. Ich vermute, dass Lady sich so vor meiner Unsichtbarkeit erschreckt hat, dass sie einfach losgerannt ist.

In der Ecke ist ein Loch im Zaun, durch das sich ein Hund quetschen könnte, kein Zweifel. Das hat Lady als Welpe auch schon mal gemacht, und wir wollten das Loch immer flicken, sind aber nie dazu gekommen, weil sie auch nie wieder ausgebüxt ist. Doch jetzt … ist keine Lady mehr im Garten.

Deshalb rufe ich nun am Strand nach ihr, in meinem lächerlichen Clownskostüm und mit Elliot Boyd an meiner Seite.

Am Whitley Strand gehe ich am liebsten mit Lady spazieren, wir sind dort ein paarmal die Woche. Dann werfe ich ihren Ball in die Wellen, und sie hüpft hinein, holt ihn raus und schüttelt sich danach, wobei sie auch mich nass spritzt, aber das macht mir nichts aus.

Ich schwitze unter der Maske. Als Boyd vorläuft, hebe ich sie ein wenig an, damit die frische Seeluft mein Gesicht kühlt. Dann rufe ich zum fünfzigsten Mal:

»Lady!«

Ich bemühe mich, ganz normal und fröhlich zu klingen. Habt ihr schon mal einen Hund verloren? Man darf sich auf keinen Fall ärgerlich anhören, wenn man nach ihm ruft, ganz egal, ob man sauer ist oder nicht. Welcher Hund würde schon zu einem wütenden Besitzer zurückkehren?

Es sind Massen von Hunden da, aber keine Lady.

Bald haben wir das Ende des Strands erreicht und sind am Damm, der das Land mit der Insel verbindet, deren Leuchtturm weiß und riesig in die Höhe ragt.

»Komm schon! Willst du mit hoch?«, ruft Boyd.

Auf den Leuchtturm zu klettern ist so ziemlich das Letzte, auf das ich gerade Lust habe.

»Komm schon«, sagt er noch einmal. »Ich will dir was zeigen, wo du doch jetzt dazugehörst. Dauert nicht lange. Und von oben kannst du die ganze Bucht sehen, da findest du bestimmt deinen Hund.«

Auf der Leuchtturminsel sind wir ziemlich allein. In den Schulferien wird es voller, aber jetzt ist das Café geschlossen, nur das kleine Museum mit dem Souvenirladen hat auf, dort kauft man die Karten für den Aufstieg.

Ein paar Stufen führen zum Eingang und auf einen Weg um den Leuchtturm herum. Dort gehen wir entlang. Boyd drückt mit den Fingern eine rostige Tür zwischen zwei Mülleimern auf und bittet mich rein.

Wir stehen in einem kellerartigen Gewölbe am Fuß des Turms. Ein paar Besucher schauen sich das große Modell eines Rettungsboots und einige Fotografien an den Wänden an. Unsere Schritte hallen. Eine Frau dreht sich um und hebt die Augenbrauen, dann stupst sie ihren Freund an, der sich ebenfalls umschaut. Unsere Kostümierung ist sicher mehr als einen Blick wert, aber das war’s auch schon.

»Komm weiter, Ess.« Boyd grinst. Er ist ziemlich aufgeregt. »Ich hab das noch keinem gezeigt.«

Eine enge Treppe schmiegt sich an runde Wände; wir halten uns am rostigen Geländer fest und steigen hinauf zum Leuchtfeuer.

Nach 328 Stufen (das sagt Boyd – ich habe sie nicht gezählt) keuche ich wie ein Rennpferd. Boyd aus unerfindlichen Gründen nicht, obwohl er doch zusätzliches Gewicht mit sich rumträgt. Vielleicht liegt es an der Begeisterung.

Das runde Lampenhaus ist wie ein riesiger Wintergarten umgeben von hohen Fenstern. Stellt euch ein Gebilde aus Glas in der Mitte vor, mehr als einen Meter hoch, das wie ein umgedrehter Becher aussieht. Die Öffnung des Bechers befindet sich etwa einen Meter über dem Boden und das Glasgebilde ist aus konzentrischen Kreisen zusammengesetzt. Das ist das Leuchtfeuer.

»Schau.« Boyd zeigt mit glühenden Wangen auf die Lampe. »Das sind Fresnel-Linsen. Das Licht im Innern wird reflektiert und vervielfältigt, deshalb leuchtet es meilenweit hinaus auf See, ohne große Mengen an Energie zu benötigen. Doch hier leuchtet nichts. Schon seit Jahren nicht mehr.«

Jetzt mal ehrlich, nicht total uninteressant, aber eigentlich bin ich nur höflich.

Dann führt er mich zu einer kleinen Klappe im Boden.

»Geh mal zur Treppe, Ess. Kommt wer?« Er hebt die Klappe an. »Schau mal, was ich hier hab.«

Gehorsam schlurfe ich zu ihm und sehe hinunter. Ein sorgfältig zusammengerolltes Elektrokabel, mehrere Meter, und daran angeschlossen eine Glühlampe, etwa so groß wie eine Zwei-Liter-Flasche Cola.

»Vor einem Monat hochgebracht«, sagt Boyd und platzt fast vor Stolz. »Die hellste Birne, die man kaufen kann, 1000 Watt. Wenn’s so weit ist, kommt sie da rein.« Er zeigt auf die Becheröffnung. »Und dann zieh ich das Kabel durch das Fenster bis zum Boden, schließe es an und lege den Schalter um und … Light the Light.« Er summt wieder den Song.

Ich starre ihn durch meine Maske an.

Er ist vollkommen verrückt. Wer denkt sich denn so was aus? Und warum?

»Verstehe«, sage ich matt.

Die Begeisterung auf seinem Gesicht verschwindet. »Du hältst mich für verrückt?«

»Ähm … nein. Der Plan ist nur sehr … ehrgeizig.«

»Du erzählst doch keinem was? Muss streng geheim bleiben. Wie bei einem »Flashmob«, du weißt schon, Ankündigung kurz vorher und dann krawumm! Das Licht geht an. Ein Flashmob mit einem richtigen Flash.«

Boyd schließt vorsichtig die Klappe.

Meine mangelnde Begeisterung hat ihn verletzt.

»Hast du keine Angst?«, frage ich.

Er sieht mich verwirrt an. »Angst? Wovor denn? Was mach ich denn? Wem schadet das? Vielleicht kriegt man mich wegen unerlaubten Betretens dran, ist aber keine richtige Straftat. Ich mache nichts kaputt, und wenn ich den Strom mit dem Geld bezahle, das du mit dem blödsinnigen Kostüm auftreibst, können sie mich nicht mal wegen Diebstahls anklagen.«

Er grinst und ich muss auch lächeln.

»Bist du sicher?«

»Klar. Mein Dad ist Anwalt.«

Boyd hat seinen Vater noch nie erwähnt. Seine Mutter auch nicht. Kaum ist der Satz raus, macht er ein Gesicht, als würde er ihn gern zurücknehmen. Er spricht schnell weiter, aber ich unterbreche ihn.

»Anwalt. Das ist ja cool. Auf welchem Gebiet?«

Doch Boyd antwortet mir nicht. Er steht auf, und bei seinen nächsten Worten ist der Londoner Akzent kaum noch zu hören, als würde er in einem Gerichtssaal vor einem Richter stehen.

»Nun gut. Das bürgerliche Recht – im Gegensatz zum Strafrecht – definiert ›verbotenes Betreten‹ als bloßes ›Vergehen‹, eine unerlaubte Handlung, die aber nicht strafrechtlich verfolgt wird und daher …«

»Okay, okay, ich glaub dir ja.«

»Und du schwörst, dass du nichts verrätst?«

»Was denn? Dass dein Vater Anwalt ist? Ist das etwa ein Geheimnis?«

»Nein, Dummerchen. Meinen Plan mit dem Licht. Da muss Stillschweigen herrschen, bis die Zeit reif ist.«

»Ich schwöre.«

»Ach, und ähm … in London nennen mich meine Freunde Boydy.«

»Echt?«

»Ja, also … wenn du … ähm … magst …«

Das Ende des Satzes hängt zwischen uns in der warmen Luft.

Boydy. Mein Freund?

Bin ich wirklich schon so verzweifelt?

Was du niemals tun solltest, wenn du unsichtbar bist

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