Читать книгу Die Unsichtbaren - Roy Jacobsen - Страница 10

8

Оглавление

Sie haben oft darüber diskutiert: In welchem Zimmer sollen wir schlafen? In dem, das nach Norden schaut, ist es schweinekalt und unerträglich, wenn im Winter der Nordostwind weht, im Sommer aber kühl und angenehm. Und dann ist es so gut wie lautlos, da der Regen in der Regel von Südwesten kommt und einen Höllenlärm macht, sei es nun Sommer oder Winter. Wenn die Sommer ganz besonders feucht sind und sie weder auf dem Boden noch auf Reutern Heu trocknen können, sagt Hans Barrøy: »Na, Mutter, ich glaub jetzt, wir ziehn nach Norden, hier kann man’s doch nich aushalten.«

Wenn im Winter die Eiskristalle auf der Bettdecke glitzern, sagt er das Gegenteil, jetzt ziehen wir nach Süden: »Hier friern wir uns doch tot.«

Sie nehmen die Daunendecken mit von Norden nach Süden und umgekehrt, lassen sich von den Jahreszeiten treiben, denn sie haben in jedem dieser Sparrenräume, die sie Säle nennen, Nordsaal und Südsaal, ein großes Bett stehen. Ingrid schläft in der Kammer, die dazwischen liegt und nach Westen blickt und mitten in der Nacht Sonne hat, in der Jahreszeit, von der sie in den drei anderen träumen, und Barbro in dem, das nach Osten liegt, woher das gute Wetter kommt.

Der alte Martin schläft unten in einer Kammer hinter dem Wohnzimmer. Manchmal hat er die Tür offen stehen, und er hat einen eigenen Ofen, in dem er energisch einheizt, da er so leicht friert, und deshalb ist es auch in den Jahreszeiten im Wohnzimmer warm, in denen man in diesem Landesteil die Wohnzimmer zu gar nichts benutzt, was bedeutet, dass sie manchmal an einem ganz normalen Sonntag im Oktober oder März dort zu Mittag essen. Dann legt Maria eine weiße Decke auf den Tisch.

Diese Decke hat kleine Borten aus winzigen Blumen, roten und gelben, und grüne Lianen, die sie miteinander verbinden, Marias Mutter hat sie gestickt, vor allem aber ist die Decke weiß.

Und Maria will am liebsten im Südsaal schlafen, auch wenn es bei gutem Wetter im Sommer dort zu warm ist, und zu laut bei schlechtem Wetter, im Sommer wie im Winter, denn von diesem Fenster aus hat sie einen Blick über Barrøy und die kleinen Inseln im Süden, und an klaren Tagen kann sie bis nach Hause nach Buøy schauen, wo sie aufgewachsen ist, ihre Vergleichsgrundlage. Der Südsaal ist außerdem ein wenig größer als der Nordsaal, deshalb kann sie ihre Truhe vor der Wand stehen haben, und es gibt außerdem noch Platz für die beiden Nachtkommoden, die der Vater ihnen zur Hochzeit geschenkt hat, den alten Dreck, wie er sie nannte, zudem stammten sie von ihrer Mutter, die viel zu jung an einer Epidemie gestorben ist, von der die Bevölkerung hier so gewaltig dezimiert wurde, dass nur die Stärksten überlebten.

Wollen wir nicht bald sesshaft werden wie anständige Leute, fragt sie, und nicht herumstreunen wie die Zigeuner?

Und nachdem das Schwein Grützkopf ins Haus gekommen ist – es haust in einer Torfhütte, die für den Moment leer steht –, findet Hans, er müsse ein wenig Initiative an den Tag legen, und deshalb nimmt er, als die Eiderentenhäuser – die E-Häuser – repariert und die Kartoffeln gesetzt sind und die Tage für kurze Frist länger, milder und weiter werden und sie eigentlich Torf stechen müssten, Bohrer und Hammer und Dynamit und geht zum Felsvorsprung in der Nordwestbucht, wo geteerte Pfähle lotrecht in den Meeresboden getrieben und im Abstand von jeweils einem halben Meter mit dem Fels verbolzt sind, so dass bei gutem Wetter größere Boote anlegen können, zum Beispiel das Frachtboot der Handelsniederlassung oder das von Hans’ Bruder Erling, der jedes Jahr um Neujahr vorbeikommt, um Hans und dessen Leinensysteme aufzulesen, wenn es zu den Lofoten geht. Dort steht auch ein Schuppen, den sie den Lofotschuppen nennen, er ist das ganze Jahr abgeschlossen, denn dort wird die wertvolle Lofotausrüstung aufbewahrt.

Wenn auf dieser Insel wirklich etwas fehlt, dann ist das ein richtiger Kai. Und deshalb steht jetzt der alte Martin, der seit über achtzig Jahren kailos hier lebt, auf dem Hofplatz und schaut gen Norden und fragt sich, ob sein Sohn sich endlich an das Unumgängliche machen wird; sie sammeln seit einem Menschenalter Treibholz, an Material mangelt es nicht.

Aber Hans Barrøy hat andere Pläne. Er bohrt zehn tiefe Löcher in die Felswand, lädt, legt die Lunte und jagt gut drei Kubikmeter Stein in die Luft. Die, die zu groß sind, schlägt er mit dem Hammer in Stücke.

Er geht nach Hause, um Pferd und Wagen zu holen, und bittet Maria, mitzukommen, erklärt ihr unterwegs, dass er lieber »Sprengstein« für die Grundmauern hat, die glatten Steine vom Strand sind nur Unsinn, der »Sprengstein« dagegen, der hat raue Oberflächen, die sich ineinander verbeißen, und danach bewegen sie sich nicht um einen Millimeter. Sie sagt: »Grundmauer?«

Ja, die Lösung für das Problem von Schlaf und Windrichtung ist natürlich, das Haus nach Süden zu verlängern, es ist anderthalbstöckig, wie geschaffen für eine Verlängerung, ein drei, vier Meter langer Anbau wird vor Sonne und Regen schützen, und dann können sie das ganze Jahr lang im Südsaal schlafen.

Er macht sich mit Spaten und Füllhacke ans Werk und reißt einen guten Fuß Torf ab, stößt auf Felsboden und fährt Steine nach Hause und hat schon am nächsten Tag mit der Mauer angefangen, jetzt mit Hilfe von Martin und Barbro. Barbro mag schwere Arbeit, sie packt einen riesigen Stein vom Wagen und trägt ihn fünf Schritte zur Mauer und fragt den Bruder, wo er liegen soll, und lässt den Stein nicht los, bis ihr Bruder ihr die genaue Stelle angewiesen hat.

Aber er zögert, aus Spaß, deshalb wird sie rot im Gesicht und fängt an zu schreien und muss den Stein loslassen. Dann heben sie ihn zusammen hoch und legen ihn an die Stelle, wo er liegen soll. Er fragt sie, wie es denn geht.

»Jau«, sagt Barbro und holt den nächsten Stein.

Martin schüttelt den Kopf über diesen Unfug und möchte wissen, ob die Frau nicht auch mit mauern soll.

Hans aber stellt sich taub, obwohl er sich diese Frage ja auch schon gestellt hat. Doch Maria hat offenbar das Unausweichliche begriffen, wenn das Haus verlängert wird, dann verschwindet der Grund, warum sie im Südsaal schlafen will, ihre Aussicht auf ihre Kindheit dort im offenen Meer. Aber sie bringt es nicht über sich, etwas zu sagen, ehe der Mann den Grundstock gelegt und angefangen hat, das Rüstwerk zu errichten, was ist mit der Aussicht, fragt sie, er ist seit fast einer Woche an der Arbeit.

Und nun bietet sich ihr ein Anblick, wie sie ihn noch nie gesehen hat, denn er setzt sich auf die Mauer und sieht aus, als sei er kurz vor dem Zusammenbruch, als Mann und als Mensch. Martin verzieht sich angeekelt und sagt, zum Henker. Maria bringt es auch nicht über sich, einen Mann zu trösten, deshalb dreht auch sie erst einmal eine Runde über den Hofplatz, nur Barbro kann sich neben den Bruder setzen und fragen, warum er denn flennt, so wie er sie immer gefragt hat, als sie noch Kinder waren. Er winkt wütend ab, wischt sich den Schweiß ab und macht sich wieder mit Spaten und Füllhacke an die Arbeit, reißt die Torfschicht auch innerhalb der Mauer herunter und fährt sie hinunter in den Busengarten, wo damit vielleicht kleine Unebenheiten ausgeglichen werden können.

»Und was jetzt?«, fragt Maria beim Abendessen.

»Was glaubste denn?«, sagt Hans.

Am nächsten Morgen fährt er ins Dorf und hat bei seiner Rückkehr das Boot bis an den Rand mit Zementsäcken beladen, die er auf Pump gekauft hat. Er macht sich daran, Sand zu fahren, und fängt an zu gießen, eine neue Wand innerhalb der bereits fertigen Mauer, danach gießt er auf dem Felsgrund auch eine Art Boden, er wird uneben, aber dicht. Auf den Grundstock nagelt er dann die Verschalung und gießt die Mauer noch einen Fuß höher, soweit der Zement reicht. Als die Verschalungen entfernt werden, sieht es aus, als hätten sie das Haus mit einem grauen Steinkasten verlängert, fünf mal drei Meter, und einen guten Meter hoch.

Es ist eine Zisterne.

Hans Barrøy nagelt einige lange Bretter aneinander, Kante an Kante, und montiert sie als Rinnen unter beiden Dachvorsprüngen, legt zwei Abflüsse schräg nach unten, wo sie sich über der Zisterne treffen und einen Trichter bilden. Er sucht sich einige Bretter und fängt an, einen Deckel zu zimmern. Der sieht aus wie ein Fußboden und ist ebenso solide, sie können darauf sitzen und gehen. In den Deckel wird eine Luke eingelassen, die so angebracht wird, dass sie den Eimern, die hinuntergelassen und hochgezogen werden sollen, nicht ins Gehege kommt.

Der alte Martin lacht beeindruckt.

Da das Wetter an dem Abend, als sie damit fertig sind, auch am Stalldach Abflussrinnen anzubringen, gut genug ist, sitzen sie beim Abendessen auf dem Zisternendeckel. Einen feuchten Juni später ist die Zisterne voll. Das Wasser ist sauber wie Wasser, anders als die Moorbrühe, die die Tiere von jetzt an allein trinken müssen. Nach der nächsten Lofotsaison will Hans dann noch eine Handpumpe besorgen und in der Küche anbringen. Nicht die Pumpe ist die Herausforderung, sondern das Kupferrohr, das unter dem ganzen Haus hindurchgezogen werden muss und wahrscheinlich im Winter gefrieren wird. Das Ideale wäre, die Zisterne nach Norden zu legen, Wand an Wand mit der Küche. Im Nordsaal schlafen sie, wenn es im Süden zu warm ist und der Regen zu viel Krach macht. Wenn es im Norden zu kalt wird, wandern sie mit ihren Bettdecken in den Süden. Es ist ein gutes Leben.

Die Unsichtbaren

Подняться наверх