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An den folgenden Tagen gehen sie über die Strände im Süden, Hans Barrøy mit einer Heugabel, Martin mit einem Bootshaken und die anderen jede mit einem Rechen. Sie durchsuchen die Tanghaufen, die der Sturm an Land geworfen hat, gewaltige braune Würste auf Feldern und Mauern, miteinander verschlungen wie klebrige, glitschige Seile, reißen sie auseinander und finden Holzstücke und Leinentrommeln und Schöpfkellen und eine zweifelhafte Teedose mit einem Skorpion auf dem Deckel und eine Wanduhr ohne Uhrwerk und ein aufgequollenes Buch ohne Buchstaben, Gegenstände, die sie hochheben und einander mit erstaunten Ausrufen zeigen, ehe sie sie nach oben tragen und in die Karre legen, vor der das krummnackige Pferd angespannt ist, das dasteht und kaut und sich dann ins Gras legt, weil es einfach nicht mehr stehen mag, es liegt wie eine Kuh in seiner eigenen Deichsel.

Das Pferd.

Es ist kein junges Pferd. Das war es auch nicht, als es auf die Insel gekommen ist. Es kam mit dem Boot, dem größten Schiff, das Ingrid je gesehen hat, und wurde mit Seilen und einem Kran an Land gehievt und auf dem Felsvorsprung beim Bootschuppen abgesetzt. Sein Blick war wild und wahnsinnig, es verdrehte die Augen und trat um sich und wieherte und biss. Sie mussten es einfach losschneiden und laufen lassen, bis es zur Besinnung gekommen war. Es sollte doch ein friedliches Pferd sein, das war es jedenfalls gewesen, als es still auf einer Weide bei der Handelsniederlassung stand und eigentlich seine Pflicht getan hatte. Deshalb konnte Hans es so billig kaufen. Für fast nichts.

Aber es war lustig, dem neuen Inselbewohner zuzusehen. Das Pferd lief wie besessen quer über die Insel, machte jählings kehrt, als es im Osten auf Meer stieß, und stürzte davon, bis es auf noch mehr Meer stieß, und drehte abermals und lief nach Norden und warf den Kopf in den Nacken und war geil, der alte Klepper, bis ihm wieder eine Wand aus Meer begegnete, und so machte es weiter, bis es so viele Ecken und Winkel seines neuen Heims besucht hatte, dass es einsehen musste, dass es auf einer Insel war und diese nie wieder verlassen würde, das galt auch für das Pferd.

Aber es war kein liebes Pferd.

Es stand im Stall zwischen den anderen Tieren, aber es brauchte seine eigene Krippe und eine Trennwand zwischen sich und den Kühen, denn es biss und trat, und nur Hans wurde mit ihm fertig, anfangs durch Schläge und Tritte. Aber irgendwann kamen sie zu einer Art Arrangement, das darauf hinauslief, dass das Pferd zumeist machte, was es wollte, und das war schon in Ordnung, so lange es Heulasten und Torf und die Mähmaschine zog, die sie nur auf den vier ebensten Wiesen einsetzen konnten, und es konnte auch einen einfachen Pflug ziehen, den Hans beim Kauf dazubekommen hatte, es konnte den Kartoffelacker größer machen und erleichterte ihnen die Arbeit darauf, ja, so lange konnte Hans ein Auge zudrücken, wenn das Pferd sich hinlegte und viel schlief und unberechenbare Kopfbewegungen machte, so dass Hans’ Tochter nicht darauf reiten konnte, nicht einmal, wenn Hans den Zaum hielt. Aber es hatte keinen Namen.

Alles Wilde auf einer Insel hat einen Namen.

Hornklee, Rosenwurz, Storchschnabel, Butterblume, Knabenkraut, Mädesüß, Engelwurz, Glockenblume, Fingerhut, Steinbrech, Kamille und Sauerampfer. Silbermöwe, Alk, Kormoran, Trottellumme, Papageientaucher, Reiher, Schnepfe, Brachvogel, Steinschmätzer und Bachstelze. Wühlmaus und Seeigel, Wechselzahnmuscheln, Gletschertöpfe und Nordwindhöcker, Krähenbeere, Heidekraut, Rhabarber, Brennnesseln und Singschwäne, die zwei Jahreszeiten mit traurigen Trompetenstößen begrüßen ... Und alles Zahme hat zwei Namen, Kühe, Kälber, Katzen und sogar das Schwein, das sie erst seit einem halben Jahr haben, aber nicht das Pferd, und das ist gleich doppelt seltsam, da es einerseits ein Haustier ist und andererseits ganz anders als alle anderen seiner Art, aber so ist es eben mit diesem Tier, es hat mit gar nichts Ähnlichkeit.

Jetzt ist die Karre voll und Hans bohrt ihm die Stiefelspitze zwischen die Rippen und bringt es auf die Beine, er schnalzt mit der Zunge und geht neben ihm her durch die Gärten zum Bootshaus im Norden, wo er ihm ein wenig trockenes Heu in einem Leinensack gibt, den er an der Tür festbindet, damit das Tier ihn nicht an sich reißen und damit lostrotten kann.

Sie laden alles ab, was der Sturm mitgebracht hat, und sortieren es, vor allem Holz, das zersägt und gestapelt wird, aber es gibt auch achtundzwanzig Glaskugeln, um die Martin sich kümmern will, fünf Seezeichen mit und ohne Schwimmtonne, eine mit dreißig Faden Leine im Schlepp, die Hans aufrollt und an einen Haken im Bootshaus hängt. Vier ganze Leinenklammern mit Leinen, fünf Fischkästen, die auf Bootshaus und Lofotschuppen verteilt werden, drei Leinentrommeln, der einen fehlt nur eine Latte, und Martin wird sie reparieren, Holzstangen für ein halbes Trockengestell, eine Luke, die sie nur zu zweit heben können, sechs Seestiefel, alle für das linke Bein, und nur einen, den man nicht mehr benutzen kann, weil jemand die Ferse abgeschnitten hat, aber vielleicht ist sie ja auch abgebissen worden.

Und eine Karnevalsmaske.

Hans hält sie sich vor das Gesicht und will Ingrid damit Angst machen, reißt sie aber wieder weg, denn sie stinkt und muss in heißem Wasser gewaschen werden.

Es ist eine Teufelsmaske, mit roten Blitzen als Augenbrauen und schwarzem Schnurrbart und leeren Augen und hohen weißen Wangenknochen mit roten Wirbeln, die sie gefährlich und gutmütig zugleich aussehen lässt. Ein dummdreistes und glotzendes Gesicht. Es wird sich noch herausstellen, wie schön sie ist, wenn sie von Algen und Schleim und Sandwürmern befreit wird – mit einer eigenen Glut in den Farben, wie geplatzter Lack, eine ganz besondere Tiefe –, und sie wird an die Wand der guten Stube gehängt, wo sie für ein Menschenalter hängen bleibt, bis sie von einem fremden Gast entdeckt wird und er eine hohe Geldsumme dafür bietet. Er sagt, sie sei natürlich nicht so viel wert, wie er bietet, aber dass die Maske hier hänge, ein Fremdkörper in einem schlichten Haus auf einer einsamen Insel, das mache sie besonders interessant, es müsse ein Zeichen sein, meint der Gast, ohne das genauer zu erklären.

Aber dieses Gerede erweckt die Skepsis der Inselbewohner, sie verkaufen die Maske nicht, sie wollen sie weiter an der Wand hängen haben, jetzt wissen sie auch, dass es eine französische Maske ist, es kostet sie nichts, sie zu behalten, sie glauben an Gott, nicht an Zeichen.

Nach dem Sturm finden sie auch fünf geteerte Pfähle, alle mit Bohrlöchern, und viele der Bolzen sind unversehrt, und keiner ist überwuchert. Deshalb nehmen sie an, dass die Pfähle alle vom selben Kai stammen. Irgendwer hat in diesem Sturm einen ganzen Kai verloren, einen ziemlich neuen Kai. Und dieser Jemand kann nicht weit weg wohnen, vielleicht sind es sogar Bekannte auf einer Insel im Süden, deshalb ziehen Hans und Martin die Pfähle an Land und legen sie zusammen zu den anderen, die sie dafür gesammelt haben, was eines Tages ihr eigener Kai werden soll, aber auf einen Haufen für sich. Sie sagen einander außerdem, dass so kostbares Treibholz von der Regel ausgenommen werden muss, dass alles, was die Stürme bringen, dem Finder gehört, das ist fast, wie ein Boot zu finden, mit Nummer und Namen, und es gehört dem Besitzer, bis auf Weiteres. Aber sie haben jetzt viel Baumaterial, und wenn die neuen Pfähle auch nicht sofort verwendet werden können, ist der Gedanke noch näher gekommen, der Gedanke, dass es nicht mehr möglich ist, hier ohne Kai zu wohnen.

Die Unsichtbaren

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