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Es ist wieder Frühling geworden und der Himmel steht hoch über den Inseln, die Winde sind kalt und verworren und tragen auch ab und zu einen kurzen Schwall von Wärme herbei. Die Austernfischer sind zurückgekehrt und stolzieren in ihrem Federkleid umher wie schwarz-weiße Hühner und nicken mit den Köpfen und stecken die langen roten Schnäbel in den Sand und bohren und bohren und gackern und können nicht anders, der Austernfischer ist ein idiotischer Vogel, kommt aber mit dem Frühling.

Mitten auf dem Fjord flaut plötzlich der Wind ab.

Hans Barrøy muss das Segel raffen und sich an die Ruder setzen. Da legt sich auch Maria in die Riemen, setzt sich hinter ihn und stößt ihn mit den Knöcheln in den Rücken, bis er ruft, dass es weh tut und dass das Weib – verflucht noch mal nicht rudern kann. Barbro und Ingrid lachen, sie sitzen in ihren blauen und gelben Kleidern dicht nebeneinander auf einem Schafsfell, mit einem kleinen Koffer und der untätigen Ruderpinne zwischen sich.

»Du ruderst nich richtig.«

»Tu ich wohl«, sagt Maria und lässt das eine Ruderblatt fallen, so dass das Boot eine jähe Drehung macht. Barbro lacht wieder, obwohl sie weiß, was geschehen wird, dasselbe wie beim letzten Mal, sie wollen sie loswerden.

Sie machen das Boot wieder bei der Handelsstation fest und gehen an Land, erst Hans mit dem Koffer, dann Barbro und Ingrid, Hand in Hand, und Maria als eine Art Abschluss, auch sie ist heute festlich gekleidet, um den Ernst zu verstärken, die Entschlossenheit, beim letzten Mal ging es so schief, und niemand von ihnen sagt ein Wort.

Beim Laden gibt es einen neuen Halt, und Kandiszucker, schließlich geht es hinauf zum Pfarrhof, wo sie von der Pastorenfrau, Karen Louise Malmberget, empfangen werden, die erst vor drei Jahren noch Husvik hieß und seltsam jung wirkt neben dem Pastor Johannes Malmberget, der zwei Mal Witwer war, bevor Louise in sein Haus und Leben trat. Sie ist kinderlos, er ist es nicht, er hat fünf Söhne, die alle irgendwo in einer Stadt ein Priesterseminar besuchen, als wären sie ein für alle Mal fortgereist und hätten seitdem vergessen, wo sie eigentlich herkamen.

Karen Louise trägt ein helles Kleid mit einer weißen Schürze, und obwohl sie sich im Inneren des Hauses aufhält, hat sie Strümpfe und Schuhe an den Füßen. Sie begrüßt Barbro – reicht ihr die Hand –, heißt sie willkommen und ist umgänglich und lebhaft, als hätte sie sich gefreut, führt alle in der guten Stube und den Zimmern umher und zeigt ihnen die Möbel und die Nähmaschine und das Bügeleisen und erklärt, wo Barbro schlafen wird, in einem hellen und freundlichen Zimmer im ersten Stock, mit Tapeten an den Wänden und einer Kommode mit einer kleinen Blumenvase und einem Nachttopf mit blauem Stempel am Boden, aus Porzellan.

Sie erläutert, was Barbro machen soll.

Und das ist nicht viel, fast scheint es, als suche die Pastorenfrau Gesellschaft im Haus, vielleicht sogar eine Freundin, sie sind ungefähr im gleichen Alter. In der weiß gestrichenen Küche hält sie ein Kochbuch in den Händen, groß wie eine Bibel, und fragt, ob Barbro lesen kann?

Darauf gibt ihr niemand eine Antwort.

Karen Louise entschuldigt sich und sagt, dass das dumm von ihr war, sie blättert vor zum Kapitel über Marmelade und redet darüber, was Barbro kochen soll, zeigt aus dem Fenster auf eine Armee aus großen und kleinen Beerensträuchern, die nebeneinander aufmarschiert sind und sich in sechs schnurgeraden Reihen bis hinunter zu einem weißen Lattenzaun am Ende des frühlingsbraunen Gartens ziehen, schwarze und rote Johannisbeeren, Stachelbeeren, und an der Felskuppe Himbeeren, von denen Barbro zu berichten weiß, dass es sie auch auf Barrøy gibt, sie haben auch rote Johannisbeeren, und sie weiß, wie viel Zucker hinzugefügt werden muss ...

Da muss Hans Barrøy sich setzen.

Er lässt sich auf einen Stuhl fallen, der sich ohne rechten Sinn zwischen zwei Zimmern befindet, als stünde er dort nur zur Zierde, jedenfalls denkt Hans Barrøy, dass wohl noch niemand darauf gesessen haben kann. Und er kommt nicht wieder hoch. Stattdessen beugt er sich vor und legt das Gesicht in die Hände und stützt die Ellbogen auf den Knien ab, so als suche er etwas auf dem tiefsten Grund eines Gedankens, etwas, das er nicht finden kann, als ihn plötzlich das Gefühl überkommt, dass die anderen stehen geblieben sind und ihn ansehen.

Er blickt auf und sagt etwas, er möchte wissen, wo der Pastor ist?

Er ist im Norden der Insel, sagt die Pastorenfrau, wegen einer Angelegenheit bei ...

Sie reden ein wenig über diese Leute, die Johannes Malmberget besucht und die Hans kennt, wie es sich zeigt.

Als die Hausbesichtigung fortgesetzt wird und er auf dem zwecklosen Stuhl zurückbleibt, findet er endlich, wonach er sucht, und erhebt sich und läuft ihnen in ein weiteres Zimmer nach und nimmt die Hand der Schwester und schleift sie hinaus auf den Vorhof, begleitet von wilden Protesten, denn Barbro will in dem schönen Haus bleiben. Die anderen folgen und stehen an der breiten Steintreppe und sehen ihn fragend an, Maria ruft etwas, ihr Gesicht ist schmerzvoll verzogen.

»Ich will hierbleiben«, heult Barbro.

»Du wirs’ nirgendwo bleim«, sagt ihr Bruder und zerrt sie zum Tor und hinaus auf die Straße, wo er stehen bleibt und um Atem ringt, bis Maria und Ingrid sie einholen. Maria mit dem Koffer, sie fragt, was los ist, mit demselben schmerzverzerrten Ausdruck, der am ehesten Trauer gleicht.

»Nichts«, sagt Hans.

Schweigend gehen sie am Laden vorbei, der Einkauf bleibt heute aus, laufen zur Handelsstation hinunter und klettern an Bord. Hans Barrøy bemerkt, dass der Wind auf Südwest gedreht hat und kräftiger bläst. Er setzt das Segel und treibt das Boot mit einem scharfen Manöver hinaus. Dann kommt auch der Regen. Je weiter sie zur Fjordmündung kommen, desto stärker und dichter wird er. Barbro und Ingrid verbergen sich unter dem Schafsfell. Dort hört er sie jedenfalls lachen, und diesmal macht er keine Anstalten, sich vor jemandes Blick zu verstecken, wozu sollte das gut sein, nicht einmal vor den Blicken Marias, die abgewandt vom Regen dasitzt, während das Wasser durch ihre lange braunen Locken trieft, die immer schwärzer und schwärzer werden und flatterndem Seetang ähneln. Und er kann nicht ihr Lächeln entdecken, das sie beide für gewöhnlich rettet.

Bis tief in die Nacht hinein regnet es in Strömen, ein stürmischer Wind hat sich dazugesellt. Widerstrebend dreht er auf West und Nord und wird kälter und schwächer. Es klart auf, und der Regen peitscht nicht länger gegen die Fenster, als Maria die Augen aufschlägt und das leere Bett neben sich bemerkt. Sie streckt die Hand aus und spürt, dass es auch kalt ist.

Sie steht auf und läuft zu Barbro und Ingrid hinein, bittet sie, sich anzukleiden und ihr hinunter in die Küche zu folgen, wo niemand Feuer gemacht hat. Ingrid fragt, was los ist. Maria hat keine Antwort. Sie entzünden ein Feuer und essen zusammen mit Martin, der auch nichts sagt, danach gehen sie hinunter zum Bootshaus, das Boot fehlt, und beginnen, Netze zu flicken, bei geöffneten Türen, damit sie die ganze Zeit gen Norden blicken können, auf Handelsstation und Kirche und Dorf, sie arbeiten schweigend und abwartend und sorgfältig, bis sie endlich das schräge Segel entdecken, das hinauf und hinab wie ein Sägeblatt durch die brausende See schneidet, es ist das Boot, das schließlich zurückstampft, als es Abend geworden ist.

Hans Barrøy lässt das Segel fallen, das Boot trifft auf die Tragrollen und kommt zur Ruhe. Er steigt über die Ruderbänke, beugt sich in die Vorpiek hinunter und greift nach etwas Zappelndem und trägt ein kleines Schwein an Land, das sogleich im weißen Muschelsand umherläuft und quiekt. Es kostete zwölf Kronen, hat nur ein Ohr und auf der Stirn einen schwarzen Fleck, der dem Einschlag einer Kugel ähnelt. Sie können es nennen, wie sie wollen. In einer braunen Tüte hat er Kandiszucker, er reicht sie Barbro, dann geht er ins Bootshaus, holt Simmgarn und fertigt einen Strick für das Schwein, er knüpft eine Schlinge ans Ende und reicht es Ingrid, die dasteht und das Schwein betrachtet, es frisst schon Gras.

»Das machste nich noch mal«, sagt Maria, wendet sich von ihm und dem Schwein ab und geht hinauf zu den Häusern, um das Essen zu bereiten, während auf dem Gesicht ihres Mannes ein Lächeln erscheint, das Ingrid noch nie gesehen hat. Sie spürt, dass die Mutter wütend ist, den Rest des Abends und den ganzen Tag danach. Doch dann geschieht etwas Unsichtbares und die merkwürdige Stimmung ist verschwunden. Das Schwein wird Grützkopf genannt.

Die Unsichtbaren

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