Читать книгу Seewölfe Paket 13 - Roy Palmer, Fred McMason - Страница 9

5.

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Schlagartig wurde es still. Die Blicke der Seewölfe wandten sich den Felsen zu. Die weiteren Worte blieben ihnen im Halse stecken, denn an der Felswand prangte ein merkwürdiges Gebilde.

Hasard und Gary Andrews waren die ersten, die davorstanden. Der Seewolf streckte die Hand aus und zeigte auf das befremdlich wirkende Bild.

Ein großer Kreis war von einem unbekannten Künstler in den Fels geschlagen worden, und in diesem Kreis war eine Figur zu sehen, die auf die fassungslosen Männer schokkierend wirkte. Diese Figur war abstoßend und anziehend zugleich, und das Bildnis ergab scheinbar keinen Sinn.

Es stellte einen menschlichen Körper dar, aber auf den Schultern befand sich der Kopf eines Stieres mit Hörnern. Das Stierfell bedeckte einen Teil des Rückens und ging in einen langen Kuhschwanz über. Die Gestalt stand geduckt da, als wolle sie die Betrachter mit dem fürchterlichen Schädel aufspießen oder rammen.

Die meisten sahen fast angewidert auf das Bildnis, bis auf den Kutscher, der es andächtig anblickte.

„So was Blödes“, sagte Matt Davies. „Wo hat die Welt denn schon einen Kerl mit einem Ochsenschädel gesehen? Oder einen Ochsenkopf mit einem Menschenkörper. Der Bildhauer war wohl volltrunken.“

„Vielleicht hat er sich den Schädel nur aufgesetzt, um damit andere zu erschrecken wie die Medizinmänner“, meinte Gary Andrews.

Der Kutscher wandte sich kopfschüttelnd um und zeigte sich indigniert.

„Wenn man euch so hört“, sagte er, „dann muß man sich in Grund und Boden schämen. Volltrunkener Bildhauer, Ochsenschädel. Ihr Kulturbanausen zieht immer alles ins Lächerliche. Dieses Werk hier stellt Asterios dar, den man auch Minotaurus nennt. Das geht auf eine uralte Mythologie zurück, und gerade deshalb ist diese Insel so interessant und voller Geheimnisse. Hier trifft man bei jedem Schritt auf Relikte, die schon ein paar tausend Jahre alt sind.“

„Du kennst die Geschichte der Insel, Kutscher?“ fragte der Seewolf gespannt. „Hast du das alles aus Doc Freemonts Büchern?“

„Ich kenne den größten Teil der Legende“, schränkte der Kutscher ein, „aber er ist sehr interessant. Ihr müßt das Bild mit anderen Augen sehen und es nicht als scheußlich empfinden.“

„Erzähl schon!“ rief der Profos. „Aber tisch uns bloß keine Ammenmärchen auf!“

„Ich kann nur das sagen, was ich darüber gelesen habe. Ob das stimmt oder nicht, ist eine andere Sache. Die alten Legenden berichten es jedenfalls so.“

Auch Hasard ermunterte den Kutscher zum Erzählen, und erst da bequemte sich der schmalbrüstige Mann dazu.

„Die Insel Kreta ist von Legenden umwoben wie von einem Gespinst“, sagte er. „Es heißt, Kreta sei einst unter dem König Minos eine große Seemacht gewesen. Es galt früher aber auch als zurückgebliebenes Land, in dem dorische Landbesitzer ihre Pächter piesackten. Die Insel war außerdem ein Schlupfwinkel für Piraten. Auch Söldner wurden hier ausgebildet, die sich aufs Bogenschießen verstanden.“

„Und wer war der König Minos?“ fragte Ferris Tucker.

„Der Sage nach der Sohn des Göttervaters Zeus und der Europa. König Minos erhielt von dem göttlichen Schmied Hephaistos einen eisernen Roboter, der Talos hieß, und der die Aufgabe hatte, alle Fremden von der Insel fernzuhalten. Das tat er auch, indem er mit riesigen Steinen nach ihnen warf.“

„Und was hat das mit dem Stier zu tun?“ fragte Hasard.

Der Kutscher mußte ein wenig in seiner Erinnerung kramen und überlegte, aber er fand sich schnell zurecht, denn nach den Erzählungen hatte ihn die Insel stark interessiert, und so hatte er auch kaum etwas vergessen.

„Der Stier? Um den bat König Minos den Meeresgott Poseidon und versprach auch, den Stier dem Meeresgott zu opfern. Doch der König behielt den Stier und opferte an seiner Stelle einen anderen. Daraufhin nahm Poseidon Rache und zwang die Frau des Königs, Pasiphae hieß sie, glaube ich, sich in den Stier zu verlieben.“

Irgendwo aus den Reihen klang Gelächter auf, und es hörte sich wie Gemekker an.

Der Kutscher bedachte die Lacher mit einem eisigen Blick, und der bewirkte, daß das Gelächter augenblicklich verstummte.

„Weiter“, sagte Hasard. „Laß dich durch den Unverstand einiger Holzköpfe nicht stören.“

„Nun, die Königin verliebte sich und überredete den attischen Flüchtling Dädalus, eine Verabredung mit dem Stier zu treffen. Dädalus verwandelte sie daraufhin in eine Kuh. Der Meeresgott Poseidon veranlaßte dann den Stier, so wild zu werden, daß König Minos sich an Herakles wenden mußte, um ihn von diesem wilden Tier zu befreien.“

Der Kutscher sah sich wieder um, aber niemand grinste. Natürlich klang die Geschichte höchst unwahrscheinlich, so dachten die meisten, aber sie waren jetzt auch auf das Ende der Erzählung gespannt und ermunterten den Kutscher, weiterzuerzählen.

„Pasiphae, die Frau des Königs, gebar dann ein Wesen mit einem Menschenkörper und einem Stierkopf. Das ist Asterios, auch Minotaurus genannt, den ihr hier abgebildet seht. Minos verbannte ihn voller Empörung in das Labyrinth, das Dädalus gebaut hatte, und aus dem der Minotaurus nicht entweichen konnte. Eigentlich ist das die ganze Geschichte, soweit sie das Bild hier betrifft. Später dann führte Minos Krieg gegen die Griechen, weil die einen seiner Söhne getötet hatten. Beim Friedensschluß stellte er die Bedingung, daß ihm jedes Jahr sieben Jungfrauen und sieben Jünglinge übergeben würden, die er dem Minotaurus opfern wollte.“

„Und das hat er getan?“ fragte Big Old Shane gespannt.

„Anfangs ja, dann erschien Theseus, der mit Hilfe von Minos Tochter Ariadne den Minotaurus tötete. Mehr weiß ich nicht darüber, aber von dieser Insel aus hat auch Ikarus seinen berühmten Flug unternommen. Jetzt seht ihr das vielleicht ein bißchen anders“, sagte der Kutscher.

„Mann, Kutscher, du hast ja die Weisheit mit Löffeln gefressen!“ rief Matt Davies staunend. „Meinst du, an der Geschichte sei auch ein Körnchen Wahrheit dran?“

„Das weiß ich nicht. Früher gab es oft solche Wunderdinge, und ein kleiner Teil wird schon stimmen.“

Die Männer drängten sich jetzt um das Bildnis und betrachteten es tatsächlich mit anderen Augen, seit sie die Geschichte kannten.

Bei einigen erwachte auch die Neugier, und sie wollten mehr über die seltsamen Geschichten wissen. So war der Kutscher wieder einmal der Mittelpunkt, und als sie nicht mehr über ihn lachten, erzählte er auch alles, was er wußte.

Inzwischen waren die ersten Fässer an Bord gebracht worden. Die anderen Seewölfe erschienen ebenfalls und sahen sich das Bild an. Dazu gab der Kutscher für die, die es noch nicht wußten, noch einmal kurze Erklärungen.

„Von Herakles habe ich schon mal gehört“, sagte Dan O’Flynn. „Aber das mit dem Stier wußte ich nicht. Ist das nicht der Gott, der sich auch Herkules nennt?“

„Ein Halbgott“, verbesserte der Kutscher, „ein Sohn des Zeus und der Alkmene, dem von Eurystheus zwölf schwierige Aufgaben auferlegt wurden. Eine davon war die Zähmung des kretischen Stieres.“

„Und das hat der geschafft?“ fragte Bob Grey staunend.

„Der Sage nach ja. Er hat noch viel schwierigere Probleme gelöst. Zum Beispiel die Tötung der neunköpfigen Hydra, Tötung eines Löwen, Einfangen eines wilden Ebers, das Fangen einer windschnellen Hirschkuh, die Vertreibung der menschenfressenden Vögel. Auch den Höllenhund Zerberus hat er aus der Unterwelt heraufgebracht.“

Eine Weile herrschte Schweigen, denn den Männern imponierte des Kutschers enormes Wissen. Nur als Carberry den Mund auftat, wurde das Gesicht des Kutschers grämlich, und er kriegte fast Zahnschmerzen.

„Da seht ihr Rübenschweine einmal was ein einzelner Kerl leistet“, sagte Ed. „Der holt einen Hund aus der Hölle, und ihr Kanalratten bringt zu zweit nicht einmal ein Segel nach oben. Der schlägt einem neunköpfigen Eber den Schädel ab und fängt einen windschnellen Löwen. An dem könnt ihr euch ein Beispiel nehmen, ihr triefäugigen Kakerlaken. So einen Kerl hier an Bord, und wir wären die unumschränkten Herrscher aller Meere.“

„Ein Glück nur, daß du kein Historiker bist“, sagte der Kutscher erleichtert. „Dann käme ja keiner mehr mit der Geschichte klar.“

Dan konnte sich einen Seitenhieb ebenfalls nicht verkneifen.

„Du hast noch etwas vergessen, Kutscher“, meinte er, „nämlich eine Sache, die Ed immer für sich in Anspruch nimmt, die aber auf Herkules zurückgeht.“

„Und das wäre?“

„Der hat mal einem zwanzigbeinigen Gorilla die Haut in Streifen von seinem Affenarsch gezogen, und Ed hat das bisher noch nicht mal bei Arwenack geschafft.“

Carberrys mächtige Pranke schoß schon vor, um Dan beim Genick zu pakken, aber Dan O’Flynn tauchte noch rechtzeitig weg und grinste den Profos herausfordernd an.

Wieder brandete Gelächter auf, als Hasard sich umdrehte.

„Vergeßt die Fässer nicht“, sagte er. „Deshalb sind wir ja wohl hauptsächlich hier.“

Dann wandte er sich an den Kutscher.

„Wir steigen dort hinauf“, sagte er. „Dan, Ferris, Ed, ihr könnt euch da ebenfalls umsehen, wenn ihr wollt.“

Das ließen sich die Männer nicht zweimal sagen.

Links von dem Felsen, wo sich das Bildnis des Minotaurus befand, konnte man gut klettern. Als Orientierungspunkt wählte der Seewolf einen großen Stein, mehr einen länglich geformten Felsblock, der so auf der Kante lag, daß er bei einer leichten Berührung abstürzen konnte. Der Felsblock befand sich merkwürdigerweise genau über dem Felsenbild, und Hasard hatte das Gefühl, als liege er nicht nur zufällig dort.

Als sie oben waren, fiel es auch Dan O’Flynn auf. Er bückte sich, um den Stein genauer zu betrachten. Er lag nur an einem einzigen Punkt auf und ähnelte einer Wippe, die sich nach zwei Seiten bewegen ließ.

Zunächst aber sahen sie sich um.

Hinter den Felsen ging es in welliges, hügeliges Land. Um einen See gruppiert standen Pinien, ein weiter Hain wilder Olivenbäume breitete sich aus. Etwas weiter links waren tatsächlich Säulen zu sehen, Relikte aus einer fernen Vergangenheit, und zwischen ihnen befand sich, aus Steinen nachgebildet, ein mächtiges Stierhorn.

„Das ist eine der alten, längst untergegangenen Städte“, sagte der Kutscher andächtig. „Aber da gibt es leider nicht mehr viel zu sehen. Das meiste dürfte unter Sand und Schutt begraben sein.“

Der Blick ging weiter auf See, dorthin, wo die Felsen ihn erneut begrenzten. Wollten sie einen besseren Ausblick genießen, mußten sie noch höher steigen.

Carberry stellte seinen rechten Fuß auf den Felsklotz. Es sah so aus, als würde sich der Stein bewegen lassen. Aber der Seewolf warnte ihn sofort.

„Vorsichtig, Ed! Wenn der Block in Bewegung gerät, fällt er mitten zwischen unsere Leute. Ein kleiner Stoß genügt.“

„Der fällt nicht“, behauptete Ed. „Das Unterteil des Felsens ist tief in den Boden gewachsen. Den kriegen zwanzig Männer nicht von der Stelle.“

„Ein merkwürdiger Stein“, sagte auch Ferris Tucker und ließ sich auf die Knie nieder. „Unten ist er so glatt, als habe man ihn künstlich abgeschliffen. Vielleicht wollte der unbekannte Bildhauer hier eine weitere Statue schaffen.“

„Ein Stierhorn etwa“, meinte der Kutscher. „Das könnten jedenfalls die Anfänge gewesen sein.“

„So dicht am Abgrund?“ fragte Hasard skeptisch. „Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich.“

„Die Natur hat ihn jedenfalls nicht geschaffen“, behauptete Ferris Tukker hartnäckig. „Nicht in dieser Form! Ich sage euch, daß hier ein Zusammenhang besteht, und zwar zwischen dem Bild unter uns und diesem Stein.“

Jetzt war die allgemeine Neugier geweckt. Die Köpfe streckten sich dem Boden entgegen und betrachteten die Fortsetzung des Felsblocks, die wie glatt-geschliffen in den Untergrund weiterführte. Ganz fein gemahlener Sand war in der rillenförmigen Vertiefung zu erkennen.

Ferris Tucker schob den holzigen Strauch etwas zur Seite, der den Stein von einer Seite umgab, aber die Zweige schnellten sofort wieder zurück und schlugen ihm ins Gesicht.

Der Profos war es, der das Geheimnis schließlich durch einen entschlossenen Kraftakt löste.

Er drückte seitlich gegen den Felsen, aber so, daß er bei aller Kraft nicht hinunterstürzen konnte.

Der Stein bewegte sich. Unter ihm war ein Knarren zu hören, wie wenn Stein auf Stein rieb.

„He, ihr da unten!“ brüllte Ed. „Geht mal zur Seite, damit wirklich nichts passiert.“

„Oho, der Profos spielt den Herakles“, sagte Matt Davies. „Paßt auf, der wirft jetzt mit Felsen aufs Meer hinaus.“

Vorsichtshalber entfernten sie sich so weit, daß der Felsen keinen Schaden anrichten konnte, denn von unten sah die Lage doch bedrohlicher aus als von oben.

Carberry griff noch einmal zu, und er war überrascht, daß der Felsen, wenn man ihn von einer Seite schob, sich mühelos bewegen ließ und um eine unsichtbare Achse drehte.

Jetzt hatte er seinen Schwerpunkt so verlagert, daß seine eine Hälfte weit über dem Abgrund hing.

Hasard sah den Profos an, Carberry blickte verdutzt zurück, während Ferris Tucker und Dan sprachlos dastanden.

„Wozu soll das wohl gut sein?“ fragte der Kutscher. Sie sollten es gleich erfahren.

Von unten drang ein überraschter Aufschrei herauf.

„Der Minotaurus hat sich gedreht!“

Fassungslos blickten die Seewölfe auf den Stiermenschen, der jetzt sein Geheimnis preisgab.

Das Bildnis hatte sich halb zur Seite geschoben. Dahinter befand sich eine kleine dunkle Höhle im Felsgestein.

Seewölfe Paket 13

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