Читать книгу Seewölfe Paket 13 - Roy Palmer, Fred McMason - Страница 23
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ОглавлениеSelim saß auf der Estrade in Lagios’ und Iris’ Haus und wartete. Er würde hören, wenn Jella und die anderen Frauen mit den Fremden das Dorf betraten. Dann brauchte er seinen Männern, die sich überall in den übrigen Gebäuden verschanzt hatten, nur ein Zeichen zu geben, und sie würden diese Narren zusammenschießen.
Die drei Frauen, die mit den sieben anderen von Jella und Ali von den Schiffen geholten Frauen nach Pigadia heraufgekommen waren, hatte er außerhalb des Ortes postiert, damit sie als zusätzliche Lockvögel mit Weinkrügen bereitstanden. Die Männer der Galeone sollten die Augen aufreißen, der Wein und der Anblick der weiblichen Formen sollte sie trunken stimmen und ihren Verstand soweit verblenden, daß sie bereitwillig in die Falle gingen.
Dobran erblickte genau zu diesem Zeitpunkt von Bord der „Grinta“ aus, daß sich Boote der Schebecke und der Ghanja näherten – Boote, die aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schienen.
Männer saßen auf den Duchten der Boote, jedenfalls sah es in der nur zögernd verblassenden Dunkelheit so aus.
Die Schebecke und die Ghanja hatten die Anker gelichtet und schickten sich an, zu wenden und mit dem Ebbstrom die Bucht zu verlassen, doch es war vorauszusehen, daß die Boote sie noch vorher erreichen würden.
„Zurück!“ schrie Dobran ihren vermeintlichen Insassen von der Back der „Grinta“ aus zu. „Zurück, oder wir schießen!“
Die Boote glitten mit unverändertem Kurs auf die Piratenschiffe zu. Dobran dachte an die jungen Männer des Dorfes Pigadia, die angeblich zum Fischen ausgelaufen und dann vom Sturm überrascht worden waren. Jetzt schienen sie zurückgekehrt zu sein und wußten offenbar schon über das, was sich im Ort ereignet hatte, Bescheid. Hatten die Frauen und Kinder, denen die Flucht gelungen war, es ihnen gesagt?
Wie waren die Boote jedoch in die Bucht gelangt, ohne vom Ausguck der Schebecke und der Ghanja bemerkt zu werden? Gab es etwa noch eine zweite, geheime Zufahrt?
„Zurück!“ rief Dobran noch einmal, aber wieder erhielt er weder eine Antwort, noch trafen die gedrungenen Gestalten auf den Duchten irgendwelche Anstalten, den Befehl zu befolgen.
„Sie wollen entern!“ schrie einer der Piraten auf der Kuhl der Schebecke.
„Vielleicht haben sie Pulver, mit dem sie uns in die Luft jagen!“ rief ein anderer.
Dobran tat genau das, was er nicht hätte tun sollen. Er griff nach einer Muskete und legte auf die Boote an.
„Eröffnet das Feuer!“ befahl er den anderen.
Musketen- und Arkebusenläufe schoben sich reihenweise über das Schanzkleid der „Grinta“, und auch drüben auf der Ghanja bereitete man sich in aller Eile auf die augenscheinlich bevorstehende Auseinandersetzung vor.
Dobran drückte als erster ab. Sein Schuß peitschte auf, eine weißliche Qualmwolke puffte hoch. Er traf eine der „Gestalten“, und jetzt feuerten auch die anderen. Ein Stakkato von Schüssen entlud sich in die Boote. Auf den Duchten sanken die von Lagios’ Freunden präparierten Attrappen zusammen. Einige fielen mit dumpfem Klatschen ins Wasser.
Plötzlich erkannte Dobran, daß sie getäuscht worden waren.
„Beim Scheitan!“ stieß er zornig hervor. „Das sind ja gar keine Männer! Wir sind einem faulen Trick aufgesessen!“
Das erste Boot stieß mit dem Bug gegen die Bordwand der „Grinta“ und legte sich längsseits.
„Wir müssen Selim benachrichtigen, was geschehen ist“, sagte einer der Piraten.
„Keine Zeit!“ rief Dobran. „Wir laufen sofort aus und segeln zu der anderen Bucht! Hoffen wir, daß unsere Schüsse dort nicht gehört worden sind, sonst sind die Männer der Galeone gewarnt!“
Er ahnte nicht, daß sich seine Befürchtungen bereits bewahrheitet hatten. In der Ankerbucht der „Isabella“ ließ Ben Brighton, aufgeschreckt durch die knallenden Gewehrschüsse, Klarschiff zum Gefecht rüsten. Die Stückpforten der „Isabella“ wurden in aller Eile hochgezogen, die Siebzehnpfünder ausgerannt. Vorsorglich ließ Ben den Anker lichten, um beweglich zu sein.
Mit sorgenvoller Miene blickte er zum Ufer. Hasard hatte ihm die Anweisung gegeben, nur dann mit Verstärkung an Land zu gehen, wenn er ein bestimmtes, vorher vereinbartes Zeichen mit seinem Radschloß-Drehling gab. Aus der Art, wie die Schüsse gefallen waren, ließ sich jedoch nicht schließen, daß er, der Seewolf, es gewesen war, der gefeuert hatte.
„Was mag da bloß los sein?“ fragte Ben Smoky, der zu ihm getreten war.
„Vielleicht haben Hasard und die anderen die Jagd auf das Inselwild eröffnet“, sagte Smoky.
„Nein, das glaube ich nicht. Die Schüsse fielen nicht im Inneren der Insel, sondern beim Südufer.“ Ben deutete in die entsprechende Richtung.
„Teufel noch mal“, sagte Smoky. „Wir kriegen noch Verdruß. Dicken Verdruß, schätze ich.“ Er wußte nicht, wie recht er behalten sollte.
Der Südostwind trug die Laute der Musketen- und Arkebusenschüsse nach Pigadia hinauf. Selim fuhr von der Estrade hoch und lief in die Gasse hinaus. Auch seine Männer waren alarmiert und steckten die Köpfe zu den Fenstern und Türen hinaus.
„Wer hat geschossen?“ fragten sie. „Was hat das zu bedeuten?“
„Es ist etwas schiefgegangen“, sagte Selim und winkte Osman, Ali und Firuz zu sich, die zu ihm eilten. „Dobran muß angegriffen worden sein. Los, mir nach!“
Er lief zum östlichen Ausgang des Dorfes, die anderen folgten ihm. Immer mehr Gestalten lösten sich aus den Türen der Häuser, und verwundert drehten sich auch die Wachen um, die vor dem Haus mit den gefangenen Frauen und Mädchen standen, als könnten sie von hier aus erkennen, was in der Bucht vorging.
Für Lagios und seinen Trupp von Männern waren die Schüsse ein Zeichen, nunmehr von Westen her in das Dorf einzudringen. Sie waren den Häusern sehr nahe, hatten sich zwischen niedrigem Gestrüpp auf die Bäuche gelegt und robbten auf die Eingänge der Gassen zu, die ihnen wie schmale, zahnlose Münder entgegengähnten.
Hasard und seine zehn Begleiter näherten sich unterdessen von Süden her. Sie wußten jetzt, daß das Dorf von türkischen Seeräubern besetzt worden war und man unschuldige Menschen gefangengesetzt hatte. Das Krachen der Schüsse mußte den Seewolf das Schlimmste befürchten lassen.
Er ließ die Maske der Arglosigkeit fallen, die er vorläufig noch hatte wahren wollen, fallen und hastete auf dem schmalen Pfad an den Frauen vorbei, die jetzt aufgeregt durcheinandersprachen. Er langte bei Jella an, griff nach ihrem Arm und riß sie mit sich fort. Mit wenigen Schritten war er um die letzte Biegung herum, die ihn noch von Pigadia trennte, lief auf das erste Haus zu und holte den Drehling, den er am Lederriemen trug, von seiner Schulter.
Drei Frauen stellten sich ihm in den Weg. Jella versuchte, sich ihm zu entwinden und begann zu schreien. Er zerrte sie an sich vorbei, stieß sie in die offene Tür des Hauses und packte sofort auch die drei anderen, die nicht recht zu begreifen schienen, was gespielt wurde.
Eine nach der anderen schob er durch die Tür, dann fuhr er zu den anderen herum, griff sich die nächste und beförderte auch sie in das Innere des Hauses.
„Blacky, Luke, Gary“, sagte er. „Ihr paßt auf sie auf. Los, beeilt euch.“ Er faßte die nächste Frau, die an ihm vorbeischlüpfen wollte, drehte sie an den Hüften herum und schickte sie Jella und deren schimpfenden Freundinnen zu. „Sperrt sie alle in dieses Haus, und gebt acht, daß sie nicht schreien und ausreißen. Stopft ihnen von mir aus den Mund zu.“
Er lief weiter, ohne auf seine Männer zu warten. Seine Söhne folgten ihm wieselflink und überholten selbst Ferris Tucker, Big Old Shane und den Profos, die sich schon sehr schnell voranbewegten.
Hasard hätte die Zwillinge lieber bei den Frauen zurückgelassen, aber er fürchtete, daß sie mit ihnen nicht fertig wurden. Jella und ihre zehn Begleiterinnen waren ausgekochte, mit allen Wassern gewaschene Huren, die man nicht unterschätzen durfte.
So brachte Hasard seine Söhne nun doch in Gefahr. Gemeinsam stürmten sie die Gasse von Pigadia, die sich vor ihnen öffnete. Hinter ihnen waren Ferris, Shane und Ed, dann folgen die beiden O’Flynns. Der Alte bewegte sich mit einer Schnelligkeit und Gewandtheit voran, über die ein Fremder hell erstaunt gewesen wäre.
Aber ein O’Flynn hielt sich nun mal nicht zurück, wenn es darum ging, sich ins Getümmel zu stürzen, auch dann nicht, wenn er eigentlich durch sein Holzbein hätte behindert sein müssen.
Die Wächter des Frauengefängnisses vernahmen die Schritte, die sich durch die Gasse näherten, und fuhren zu Hasard und den Zwillingen herum.
„Stehenbleiben!“ schrie der eine.
„Werft die Waffen weg!“ schrie Philip junior, ebenfalls auf türkisch.
Die Posten dachten nicht daran, dieser Aufforderung zu gehorchen. Sie brachten ihre Musketen in Anschlag auf die Heranstürmenden.
„Hinlegen!“ schrie Hasard.
Er sprang zur Seite, duckte sich und überrollte sich auf dem Pflaster. Die Zwillinge folgten seinem Beispiel, wieder sehr flink und fast katzengleich.
Ferris, Shane, Carberry und die O’Flynns gingen ebenfalls in Dekkung, gerade noch rechtzeitig genug, um sich vor den jetzt heranpfeifenden Schüssen der Piraten in Sicherheit zu bringen.
Hasard lag auf dem Bauch, hob den Radschloß Drehling und feuerte auf die Gegner. Er zielte auf ihre Beine, traf sie aber voll, als sie hinter dem Türrahmen Schutz suchten.
Selim, Osman, Ali, Firuz und die anderen Piraten, die inzwischen schon auf dem zur Bucht führenden Pfad waren, wirbelten im Krachen der Schüsse wieder herum und kehrten zum Dorf zurück.
Der Seewolf kroch bis zu den Toten, stieß die Tür des als Gefängnis dienenden Hauses auf und rief auf spanisch: „Habt keine Angst, wir sind hier, um euch zu befreien!“
Die jungen Frauen und Mädchen schrien entsetzt auf. Die meisten von ihnen waren nur noch notdürftig bekleidet, weil Jella und die Türkinnen ihnen ihre Tracht abgenommen hatten. Ihrer Kavais beraubt, fühlten sie sich noch schutzloser als zuvor. Sie klammerten sich in Todesangst aneinander, weil sie keins von Hasards Worten verstanden und glaubten, es wären Selims Piraten gewesen, die sich im Streit darum, wer als erster über die Mädchen herfallen durfte, gegenseitig beschossen hatten.
Philip und Hasard junior schlossen zu ihrem Vater auf.
„Dad, laß uns versuchen, auf türkisch mit ihnen zu reden“, sagte Philip junior. „Vielleicht ist eine unter ihnen, die wenigstens ein paar Worte kann.“
„Achtung!“ schrie Big Old Shane.
Hasard und seine Söhne ließen sich wieder fallen. Von einem der Fenster aus zuckte ein Mündungsblitz zu ihnen herüber. Die Kugel sirrte heran und bohrte sich neben dem Türrahmen in den weißen Verputz des Hauses. Wieder kreischten die Mädchen in panischem Entsetzen.
Carberrys Feuerwaffe, ein Tromblon, flog hoch und spuckte Feuer und Eisen aus. Von dem Fenster her ertönte ein gellender Schrei. Die Gestalt eines Mannes wurde sichtbar. Er richtete sich auf, ließ die leergefeuerte Waffe los, die er in den Händen hielt, und brach in dem Raum, in dem er sich verschanzt hatte, zusammen. Die leere Muskete landete mit schepperndem Laut auf dem Pflaster der Gasse.
Die Zwillinge krochen zu den Mädchen von Pigadia in den Raum, und Philip sprach auf sie ein.
Endlich meldete sich eine von ihnen und sagte: „Ja, ich habe ich verstanden, Junge. Ihr seid zu unserer Rettung hier. Ich übersetze es sofort meinen Freundinnen, damit sie sich beruhigen. Aber wo sind unsere Leute geblieben – Melania, Iris, die Frauen, die Kinder und unsere Männer?“
Philip junior konnte nur mit den Schultern zucken. „Ich weiß es nicht. Keine Ahnung.“
„Wir kriegen auch das noch heraus“, sagte sein Bruder. „Keine Sorge, wir haben die Situation hier völlig im Griff.“
Das war zwar eine sehr optimistische Beschreibung der Lage, mehr noch, eine Übertreibung, aber die Selbstsicherheit, mit der die Zwillinge auf die Mädchen einsprachen, tat ihre Wirkung. Niemand schrie mehr, hier und da atmete jemand auf.
Hasard, Shane, Ferris, Ed und die O’Flynns hielten aufmerksam nach weiteren Heckenschützen Ausschau, doch es zeigte sich keiner mehr. Sie erhoben sich und gingen zu den Leichen der alten Männer, die nach wie vor in der Gasse lagen.
„Dieser Selim hat wie ein Teufel gewütet“, sagte der Seewolf. „Die Bewohner des Dorfes werden es mit dem Blut der Piraten vergelten wollen, aber wir müssen verhindern, daß es hier ein Gemetzel gibt.“
Er fuhr plötzlich auf dem Stiefelabsatz herum, doch es war schon zu spät: Von hinten hatten sich Lagios und dessen starker Trupp von vierzig Männern genähert. Lautlos hatten sie sich, jeden Schleichgang ausnutzend, in den Ort gepirscht. Jetzt richteten sie ihre wenigen Flinten auf die Seewölfe und hoben in der Annahme, die Mörder und Plünderer vor sich zu haben, ihre Knüppel und Messer.
„Das sind sie“, sagte Lagios. „Auf sie! Schlagen wir sie nieder. Einige von uns werden sterben, aber sie können uns nicht alle töten.“
Hasard konnte zumindest aus dem Tonfall, mit dem er sprach, heraushören, was ihnen jetzt bevorstand. Er ließ seinen Drehling sinken und hob beide Hände. „Wir sind Freunde, begreift ihr das nicht?“
„Das ist eine Finte, um uns zu täuschen!“ rief Lagios. „Geht nicht darauf ein!“
Entschlossen rückte er mit seinen Männern auf die Seewölfe zu.
„Sir“, sagte Ferris Tucker. „Wir können uns doch nicht einfach abknallen und erstechen lassen. Wir müssen uns wehren.“
„Warte noch einen Moment“, sagte Hasard. Er hatte gesehen, daß hinter der offenen Tür des Frauengefängnisses eine schwache Bewegung war.
„He“, raunte Dan O’Flynn ihnen zu. „Der eine Mann hier lebt noch. Ich glaube, er will aufstehen.“
Auch Lagios und die anderen Männer von Pigadia hatten es bemerkt.
„Antos!“ rief Lagios. „Komm hierher – zu mir!“
Antos war wieder bei Bewußtsein. Er hörte die Stimmen, die über ihm waren, sie dröhnten in seinen Ohren wie vorher, als er in der Gasse zusammengesunken war und das Gelächter Poseidons vernommen zu haben glaubte.
Er verspürte auch die Schmerzen in seinem Gesicht, aber er wußte nicht, daß der Krummsäbel eines Piraten ihn getroffen hatte. Er dachte nur: Die Götter sprechen zu mir, ich bin tot. Ich bin schon immer tot gewesen. Der Styx ist überquert, Hades und Poseidon warten auf ihrem Thron, um mich den Meinen vorzuführen.
Schwerfällig erhob er sich und wankte an den Häuserfassaden entlang, jedoch nicht in Lagios’ Richtung, sondern an den Seewölfen vorbei zu Melanias Haus. Er orientierte sich an dem Geruch der verglimmenden Holzscheite, die in Melanias Ofen schwelten, und an dem Duft des noch frischen Gebäcks, das sie ihm angeboten und das er kaum angerührt hatte.
Er betrat Melanias Haus durch die offenstehende Tür. „Melania?“ fragte er leise. „Bist du auch hier – im Reich der Toten?“
Er konnte nichts erkennen, denn er hatte sein Augenlicht verloren.