Читать книгу Seewölfe Paket 13 - Roy Palmer, Fred McMason - Страница 28

3.

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Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte die Hände auf die Schmuckbalustrade des Achterkastells gestützt und ließ seine eisblauen Augen prüfend über die Decks der „Isabella VIII.“ wandern.

Doch dort ging alles seinen gewohnten Gang, seit die Galeone die Insel Rhodos hinter sich gelassen und den türkischen Seeräuber Selim sowie Lord Henry und seine Bande abgeschüttelt hatte.

Der ranke Rahsegler mit einer Größe von etwa zweihundertfünfzig Tonnen, der einst vom besten Schiffsbauer Englands erbaut worden war, hatte – von Rhodos ausgehend – östlichen Kurs eingeschlagen und pflügte mit achterlichem Wind die Wellen vor der türkischen Südküste.

An Backbord spiegelte sich die Morgensonne im Wasser des Golfes von Antalya. Irgendwo dort hinter der Kimm mußte sich das sogenannte „Rauhe Kilikien“ befinden, dessen felsiges Gebirge, der Taurus, sich an der Küste entlang in Richtung Osten hinzog.

Die Luft an diesem frühen Morgen in der Mitte des Monats Dezember 1591 war kühl und roch salzig. Aber bald würde die Sonne höher am Himmel stehen und auch jetzt, im Winter, eine angenehme milde Temperatur verbreiten.

Das Leben an Bord der „Isabella“ pulsierte. Jedes Mitglied der Crew füllte seinen Platz aus und wußte, wo eine zupackende Hand vonnöten war.

Die Mehrzahl der Männer befand sich auf den Decks. Darunter Ferris Tukker, der rothaarige Schiffszimmermann, Batuti, der schwarze Mann aus Gambia, sowie Smoky, Blacky, Gary Andrews, Matt Davies, Al Conroy, Jeff Bowie und Sam Roskill. Auch die Zwillinge, der Profos und Old O’Flynn hielten sich auf der Kuhl auf. Der Kutscher hantierte in seiner Kombüse, und die übrigen Seewölfe wie Stenmark, Dan O’Flynn, Bob Grey, Luke Morgan, Will Thorne und Big Old Shane waren unter Deck beschäftigt. Bill, der Moses, der zu einem kräftigen jungen Mann herangewachsen war, hatte seinen Platz im Ausguck eingenommen.

Während sich Philip und Hasard, die elfjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs über das Backbordschanzkleid gehängt hatten, um einen vorüberziehenden Fischschwarm zu beobachten, hielt Old Donegal Daniel O’Flynn, der rauhbeinige Alte mit dem Holzbein und dem verwitterten Gesicht, die Hand über die Augen und spähte zur Sonne hinauf, die sich mit einem schwefelgelben Schleier umgeben hatte.

Bald folgten die Zwillinge seinem Blick.

„Was gibt es dort oben zu sehen?“ fragte Hasard junior.

„Was schon“, brummte der Alte. „Die Sonne natürlich!“

„Die Sonne?“ fragte Hasard verblüfft. „Aber das ist doch nichts Neues, die kann man doch fast jeden Tag sehen.“

„Eben“, knurrte Old O’Flynn. „Es muß ja auch nicht immer etwas Neues sein. Ein Sonnenaufgang ist immer wieder sehenswert.“

Die Zwillinge blickten sich fragend an.

Dann warf Philip junior ein: „Aber – da hat es doch schon viel schönere Sonnenaufgänge gegeben. Heute sieht die alte Tante aus, als habe sie sich einen schwefelgelben Mantel umgehängt.“

„Schwefelgelb – das ist es ja!“ stellte der Alte fest und nahm die Hand herunter. „Es sieht ganz danach aus, als habe der Teufel bei Tagesanbruch vergessen, seine Schwefellampe auszulöschen. Und wenn seine Lampe auch noch bei Tag brennt, dann hat das nichts Gutes zu bedeuten.“

„Hat der Teufel wirklich eine Lampe?“ fragte Hasard mit ungläubigem Gesicht.

„Natürlich, du Stint“, klärte ihn Old O’Flynn auf. „Wie sollte er denn sonst da unten in der Hölle, wo nie ein Sonnenstrahl hinscheint, etwas sehen? Wenn er abends die verdammten Seelen zählt, da würde er doch – äh – glatt durcheinandergeraten, wenn er kein gutes Licht hätte.“

Das war eine einleuchtende Erklärung, wie die Zwillinge feststellten. Außerdem hörte sich alles, was Old O’Flynn erzählte, so wunderschön gruselig an. Im Geist sahen sie bereits des Teufels Großmutter vor einer stinkenden Schwefellampe sitzen und die Socken des Teufels stopfen.

Ihre Augen hingen immer wieder gebannt an den Lippen des Alten, wenn er über solch geheimnisvolle Dinge wie Wassermänner, Windsbräute, Geisterschiffe und Schwefellampen sprach. Manchmal dachten sie sogar noch nachts in ihren Kojen daran, wenn draußen der Wind in der Takelage sang. Meist hörte es sich an wie das Heulen und Wimmern verdammter Seelen.

Doch plötzlich wurde die Aufmerksamkeit der beiden Elfjährigen durch etwas ganz anderes gefesselt, so daß sie rasch in die Wirklichkeit des Alltags zurückkehrten.

Nachdem noch vor wenigen Augenblicken ein riesiger Schwarm Bonitos an der „Isabella“ vorbeigezogen war, hob sich nun plötzlich eine ganze Schar silbriger Leiber aus dem Wasser, segelte etliche Yards weit über die Fluten und tauchte wieder in das nasse Element zurück.

Es waren fliegende Fische.

Obwohl es nicht das erste Mal war, daß die „Isabella“ diesen Tieren begegnete, waren die Zwillinge doch immer wieder fasziniert von der perfekten Kombination von Schwimmen und Segeln, die diese Meeresbewohner so meisterhaft beherrschten.

„Toll, was?“ fragte Philip.

Hasard nickte eifrig.

„Das müßte man auch mal können“, meinte er. „Pfeilschnell schwimmen und sich bei Gefahr einfach aus dem Wasser heben und ein Stück fliegen, dann wieder eintauchen und wieder fliegen …“ Mit den Armen vollführte er die entsprechenden Schwimm- und Flugbewegungen.

„Hör auf, hier in der Gegend herumzufuchteln, du Stint“, brummte Old O’Flynn, „sonst glaubst du am Ende selber noch, du seist ein Fisch. Übrigens, da gibt es noch viel aufregendere Tiere im Meer.“

„Welche denn?“ fragten die Zwillinge wie aus einem Mund.

Der alte O’Flynn kratzte sich am Hinterkopf, legte seine zerfurchte Stirn in Falten und begann: „Das war – das war zu einer Zeit, da ihr beiden noch in Abrahams Schoß ruhtet. Da hat mich beim Schwimmen ein Riesenkalmar angegriffen. Das Biest hatte mindestens tausend Fangarme und Augen, so groß wie Ankerklüsen. So was hat selbst der Teufel noch nicht gesehen. Die Arme hätten ausgereicht, das ganze Schiff zu umklammern und auf Grund zu ziehen!“

Die Zwillinge staunten. „Und was hast du mit diesem Kalmar getan? Wie bist du ihm entwischt?“

„Ha – das war ganz einfach.“ Old O’Flynn grinste. „Ich bin blitzschnell die Jakobsleiter hochgeflitzt, bevor mich das Vieh eingeholt hatte.“

„Und er hat dem Schiff nichts getan? Ich meine, weil er doch so riesengroß gewesen ist?“ fragte Hasard junior aufgeregt.

„Natürlich nicht“, erwiderte Old O’Flynn. „Ich habe ihm von Bord aus eine Zwanzigpfünder-Kugel vor den Bug gesetzt, da hättet ihr mal sehen sollen, wie schnell das Biest verschwunden war, als hätte es ein Wassermann an den Armen gepackt und nach unten gezogen.“

Die beiden Elfjährigen konnten ihre Bewunderung nicht verbergen. Manchmal spürten sie direkt einen kalten Schauer auf dem Rücken, wenn Old O’Flynn von seinen schaurigen Erlebnissen erzählte. Auch wenn sie trotz ihres geringen Alters bereits wußten, daß Old Donegal O’Flynn für sein Leben gern Seemannsgarn spann, konnten sie dennoch nicht genug davon hören. Was spielte es da schon für eine Rolle, wenn die Tiere, die er gesehen hatte, im Laufe der Zeit unvorstellbare Größen erreichten!

„Welche Tiere sind eigentlich gefährlicher – die Kalmare oder die Haie?“ fragte Philip.

„Die Haie natürlich“, entgegnete der Alte. „Sie sind gefräßige Räuber und jagen unermüdlich hinter ihrer Beute her. So richtige Schnapphähne sind das, die den Bauch nie voll genug kriegen.“

Jetzt wurde Hasard junior spitzfindig wie so manches Mal, wenn er unter Beweis stellen wollte, daß Kinder den Erwachsenen durchaus ebenbürtig sein können.

„Unermüdlich?“ sinnierte er. „Sag mal, müssen Haie denn nie schlafen?“

„Hä?“ fragte der alte O’Flynn und sah den Jungen entgeistert an. „Haie und schlafen?“ Er kratzte sich verlegen die Bartstoppeln. „Hm, ich habe jedenfalls noch keinen schlafenden Hai gesehen. Diejenigen, die mir bis jetzt begegnet sind, waren alle putzmunter und jederzeit bereit, ihre scharfen Zähne einzusetzen.“

Da gerade der Profos in Richtung Back an ihnen vorbeimarschierte, beschloß Old O’Flynn aus der Not eine Tugend zu machen.

„Weißt du, ob Haie schlafen, Ed?“ fragte er wie beiläufig den bulligen Profos mit dem zernarbten Gesicht und dem gewaltigen Rammkinn.

„Was? Wie?“ fragte Edwin Carberry und blieb wie angewurzelt stehen. „Willst du mich vielleicht auf den Arm nehmen, du holzbeiniger Wassermann? Haie und schlafen? Ihr habt wohl nichts anderes zu tun am frühen Morgen, wie? Schaut wohl ins Wasser, um die Haie rechtzeitig zum Frühstück aufzuwecken!“

„Ich hätte mir ja gleich denken können, daß du Holzkopf keine geistigen Interessen hast“, erklärte der Alte. „Wir allerdings“, und dabei deutete er auf sich und die Zwillinge, „interessieren uns nicht nur dafür, wieviel Rum in eine Muck paßt, sondern wir – ha, wir möchten auch gern wissen, ob Haie schlafen.“

Der Profos, hinter dessen rauher Schale sich ein weicher Kern verbarg, blickte Old O’Flynn zweifelnd an.

„Es hätte wohl niemand was dagegen, wenn die Biester ihr ganzes Leben verpennen würden“, stellte er fest. „Ho, man könnte ihnen ja passende Kojen auf den Meeresgrund stellen, sogar mit einem prächtigen Nachttopf darunter!“ Edwin Carberry lachte dröhnend, was wiederum Sir John, den Bordpapagei, veranlaßte, aufgeregt auf der Vormarsrah, seinem Lieblingsplatz, hin und her zu laufen.

„Macht die Schotten dicht, ihr Bilgenratten!“ krächzte der bunte Vogel und schlug dabei mit den Flügeln. „Wascht euch die Füße, ihr Heringe!“

Das brachte ihm einen beinahe liebevollen Blick von seinem Herrn und Meister, Edwin Carberry, ein, der immer wieder verblüfft darüber war, wie rasch der Papagei gerade seine weniger vornehmen Sprüche behielt.

„Sei still, du Nebelkrähe!“ rief Carberry nach oben und wandte sich erneut dem alten O’Flynn und den Zwillingen zu. Sein Gesicht ließ deutlich erkennen, daß er bezüglich seiner Meinung über die Schlafbedürfnisse der Haie hin und her gerissen wurde.

Die Erlösung nahte in der Person des Kutschers, der mit einem riesigen, dampfenden Topf auf der Kuhl erschien. Er war ein dunkelblonder, etwas schmalbrüstiger Mann, der früher bei Doc Freemont in Plymouth als Kutscher gearbeitet hatte. Seinen richtigen Namen kannte niemand. Doch jeder an Bord der „Isabella“ wußte, daß der Kutscher ein kluger Kopf war. Das bezog sich nicht nur auf seine „Reparaturkünste“ bei Krankheiten und Verwundungen. Er hatte während seiner Dienstzeit bei Doc Freemont viel gelernt und sehr oft einen Blick in schlaue Bücher geworfen.

Edwin Carberry, nun selbst neugierig geworden, wandte sich sofort an ihn.

„He, du Töpfeschwenker“, sagte er mit einem schmeichlerischen Unterton in der Stimme, „stell mal deine volle Badewanne ab und streng deinen Kopf ein bißchen an. Wir wollen nämlich feststellen, ob du auch so schlau bist wie wir.“

„Ach nein“, sagte der Kutscher grinsend, „du und Donegal – ihr seid schlau? Wo sitzt denn die Schläue in euren Köpfen? Vielleicht über den Augen? Oder im Hinterkopf? Wo habt ihr denn noch ein freies Kämmerchen?“

Der Profos runzelte die Stirn. „Dir wird das Lästern gleich vergehen, alter Freund. Und wenn du auf unsere Frage keine richtige Antwort weißt, dann zieh ich dir persönlich die Haut in Streifen von deinem karierten Affenarsch. So, und nun sag uns mal, ob Haie schlafen, und wie sie das tun!“

Triumphierend blickte Ed Carberry den Kutscher an, in der Überzeugung, daß auch er keine Antwort darauf wüßte. Aber er sollte sich getäuscht haben. Der Kutscher hatte damals an der Mangrovenküste der Baja de Marajo, an der südamerikanischen Ostküste, schon eine einleuchtende Erklärung über den „magischen Fisch“ gefunden, der Batuti einen gewaltigen Schlag versetzt hatte. Niemand außer dem Kutscher und dem Seewolf hatte damals gewußt, daß es sich um einen Zitteraal gehandelt hatte.

„Natürlich schlafen Haie“, sagte der Kutscher mit aller Selbstverständlichkeit. „Haie haben keine Schwimmblase, deshalb sind sie schwerer als Wasser und sinken ab, wenn sie sich nicht bewegen. Darum schlafen sie, wie viele andere Fische auch, indem sie im Wasser stehenbleiben und dabei langsam die Flossen bewegen. Jedes Geschöpf braucht doch schließlich Ruhe und Schlaf, das merkt ihr doch an euch, ihr Neunmalklugen.“

„Hm, natürlich merken wir das“, meinte Edwin Carberry. „Aber wir sinken dabei nicht unter unsere Kojen, du Stint, und die Flossen bewegen wir beim Schlafen auch nicht. Nur damit das klar ist!“

Der Kutscher wandte sich wieder seinem riesigen Topf zu, während der Profos, befriedigt von der einfachen Antwort, seinen Weg zur Back fortsetzte.

Old O’Flynn schenkte den Zwillingen noch ein gönnerhaftes Grinsen.

„Na also, ihr beiden“, erklärte er. „Ich hab’s euch doch gleich gesagt. Jetzt habt ihr es auch noch mal vom Kutscher gehört.“

Er stampfte mit dem Holzbein auf die Decksplanken und marschierte über die Kuhl, die sprachlosen Zwillinge allein am Schanzkleid zurücklassend.

„Das – das ist doch die Höhe!“ stellte Philip junior fest. „Er will es uns gleich gesagt haben, dabei hat er es so wenig gewußt wie wir!“

Er wurde durch Bill, den Moses, unterbrochen, dessen Stimme aus dem Großmars herabtönte.

„Ein Boot! Backbord voraus!“

Wenig später wiederholte er seine Meldung und setzte hinzu: „Ein einzelner Mann befindet sich an Bord.“

„Ein Mann, mutterseelenallein hier auf dem Meer“, wunderte sich der Seewolf, „was soll nun das wieder bedeuten?“

Auch Ben Brighton, sein Stellvertreter und Erster Offizier hatte ein fragendes Gesicht.

„Na, sehr weit sind wir nicht von der Küste entfernt“, sagte er dann.

„Trotzdem“, gab Hasard zurück. „Ein einzelner Mann fährt nicht allein mit einem winzigen Boot so weit heraus, um Fische zu fangen.“ Er hatte bereits das Spektiv an die Augen gesetzt.

Als die „Isabella“ ein Stück näher an das Boot herangesegelt war, sagte er: „Der Bursche sieht ziemlich zerlumpt und auch erschöpft aus. Er schafft es kaum noch, die Riemen zu bewegen. Vielleicht ist er irgendwo geflohen.“

Ben Brighton zuckte mit den Schultern.

„Es könnte sich um eine Falle handeln“, brummte er dann. „Es wäre nicht das erste Mal, daß man versucht, sich mit faulen Tricks an uns heranzupirschen.“

„Da hast du schon recht, Ben“, gab Hasard zurück. „Doch in diesem Fall glaube ich weniger daran. Es ist weder die Küste noch ein fremdes Schiff in Sicht. Wer sollte uns also gesehen haben? Wenn man davon ausgeht, daß der Mann von der Küste bis hierher getrieben wurde, dann muß er seit Stunden unterwegs sein. Am besten, wir holen ihn an Bord, dann werden wir schon erfahren, was ihn zu dieser Bootspartie veranlaßt hat. Er allein kann uns sicherlich nicht gefährlich werden.“

Ben Brighton nickte.

Da der Mann im Boot einen völlig erschöpften Eindruck erweckte, ließ Hasard sofort die Segel aufgeien und ein Beiboot abfieren, um ihn an Bord der „Isabella“ zu holen.

Längst hatte Sobocan von seinem Boot aus die ranke Galeone entdeckt, die hinter der Kimm aufgetaucht war und dann direkt auf ihn zuhielt. Er wußte, daß er einer Begegnung nicht entgehen konnte, gleich, um welche Art von Schiff es sich da handelte.

Natürlich hatte er sich Von einer tonnenschweren Last befreit gefühlt, als er erkannt hatte, daß es sich bei diesem Schiff nicht um die „El Jawhara“ handelte, die unter dem Kommando Barabins irgendwo vor den Küsten der Türkei unterwegs war.

Sobocan hatte das Boot zunächst in südliche Richtung gepullt, um die Derwische im ungewissen darüber zu lassen, ob er seine Flucht, sobald er außer Sichtweite war, in westlicher oder östlicher Richtung fortsetzen würde. Es gab nur diese beiden Möglichkeiten, wenn er nicht das ganze Mittelmeer überqueren wollte.

Zunächst hatte ihn nur ein Wunsch beherrscht und wie ein Besessener in die Riemen greifen lassen, der Wunsch nämlich, die Felsenmoschee der Derwische möglichst rasch und möglichst weit hinter sich zu lassen. Aber er hatte seine Kraftreserven wohl doch etwas überschätzt.

Die Auspeitschung an Bord der „El Jawhara“, die Gefangenschaft und danach die Flucht aus der alten Seldschuken-Festung hatten ihn viel Kraft gekostet. Schon seit einiger Zeit waren seine Arme vom vielen Pullen kraftloser geworden. Die Muskeln schmerzten und die blutigen Striemen auf seinem Rücken brannten höllisch. Er schaffte kaum noch, die Riemen in gleichmäßigem Rhythmus zu bewegen. Außerdem hatte er seit vielen Stunden nichts gegessen und auch keinen Tropfen Wasser mehr getrunken.

Sobocan fühlte sich erschöpft und zerschlagen. Mit müden Bewegungen zog er die Riemen ein und legte sie über die Duchten. Dann starrte er mit brennenden Augen dem schlanken Rahsegler entgegen, der mit geblähten Segeln heranrauschte.

Seine Gefühle waren gemischt, denn er wußte nicht, wen er vor sich hatte. Er würde dem Kapitän dieses Schiffes Rede und Antwort stehen müssen – sofern man ihm überhaupt Beachtung schenkte. Daß er außer dem Dolch im Gürtel unbewaffnet war, hatte in seiner Situation keine Bedeutung, und so blieb ihm nur die Hoffnung, nicht noch übleren Schnapphähnen in die Hände zu fallen, als das im Falle Barabins und seiner Kerle der Fall gewesen wäre.

Bald beobachtete Sobocan, wie auf der Galeone die Segel aufgegeit wurden und das Schiff an Fahrt verlor. Danach wurde ein Boot ins Wasser gelassen. Drei Männer enterten über die Jakobsleiter herab und bestiegen das Boot. Zwei davon legten sich sofort kräftig in die Riemen.

Das Boot hielt direkt auf ihn zu, und Sobocan begann mit kraftlosen Armen zu winken. Dann griff er erneut zu den Riemen und begann zu pullen. Er wollte sich nicht untätig aus dem Meer fischen lassen, sondern ebenfalls seinen Teil dazu beitragen, auch wenn es ihn den letzten Rest seiner Kraft kosten würde.

Nach kurzer Zeit ging das Beiboot der Galeone längsseits und Sobocan blickte den Fremden mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Die drei Männer musterten ihn jedoch keineswegs feindselig, sondern bedachten ihn mit einem wohlwollenden Grinsen.

Es handelte sich um einen bulligen Typ, dessen Gesicht mit vielen Narben übersät war und dessen Kinn einem Amboß glich. Er war der Bootsführer. Die beiden anderen, die das Boot gepullt hatten, glichen sich wie Tag und Nacht. Der eine war groß, schlank, blond und hatte helle Augen. Der andere war schwarz von Kopf bis Fuß – ein wahrer Herkules von einem Neger. Er hatte ein knochiges Gesicht, kurzes Kraushaar und eine kleine, gerade Nase.

Noch wußte Sobocan zu diesem Zeitpunkt nicht, daß es sich um Ed Carberry, den Profos der „Isabella“, um Stenmark, den Schweden, und um Batuti, einen Neger aus dem Stamme der Mandingo, handelte.

Aber Namen waren ihm im Moment erst in zweiter Linie wichtig. Ihn interessierte vielmehr, an welche Leute er geraten war, und noch nachträglich lief ihm ein Schauer über den zerschundenen Rücken, wenn er daran dachte, daß auch die „El Jawhara“ über der Kimm hätte auftauchen können.

Der Mann mit dem Narbengesicht und dem gewaltigen Rammkinn rief ihm etwas zu. Aber Sobocan verstand seine Sprache nicht. Verständnislos zuckte er mit den Schultern und vollführte einige hilflose Gesten.

Da versuchte Edwin Carberry sein Glück mit der spanischen Sprache.

Jetzt reagierte Sobocan. Er sprach neben seiner türkischen Muttersprache auch einigermaßen Arabisch, Griechisch und Spanisch. Er begriff zwar nicht alles, aber er konnte sich gut verständigen. So antwortete er auch jetzt in spanischer Sprache und fühlte sich erleichtert, als er verstanden wurde.

„Steig rüber in unseren Kahn, Amigo!“ rief der Narbige mit rauher Stimme. „Wir bringen dich an Bord der ‚Isabella‘, und wenn wir dich ein wenig aufgepäppelt haben, werden wir sehen, inwieweit wir dir eine Hilfe sein können.“

„Gracias, muchos gracias“, murmelte Sobocan, und dabei überfiel ihn ein Gefühl der Erleichterung. Irgend etwas in seinem Inneren sagte ihm, daß er es hier nicht mit Schnapphähnen und Schlagetots zu tun hatte. Er befolgte die Aufforderung Edwin Carberrys und wechselte in das Boot der Seewölfe über. Sein Fluchtfahrzeug wurde in Schlepp genommen.

Kurze Zeit später hatte sich Sobocan mit der Hilfe Carberrys die Jakobsleiter auf der Leeseite der „Isabella“ hochgehangelt und betrat die Kuhl. Seine Augen tasteten etwas scheu über die Decks und streiften jeden einzelnen Mann und auch die beiden Jungen, die einen Halbkreis um ihn zu bilden begannen.

Nun gut, einige sahen recht verwegen aus, aber irgendwie waren die Blicke dieser harten Männer freundlich und strahlten auch eine gewisse Hilfsbereitschaft aus. Das galt auch für die eisblauen Augen des mehr als sechs Fuß großen, schwarzhaarigen Mannes, der über den Backbordniedergang vom Achterdeck zur Kuhl abenterte.

Sobocans Atem ging rasch, seine Knie waren kraftlos geworden. Die Strapazen des gestrigen Tages und der vergangenen Nacht waren eben doch nicht spurlos an ihm vorübergegangen.

„Er spricht ein wenig spanisch“, sagte Ed Carberry zu Hasard gewandt. „Ich glaube, wir können auf die Zwillinge als Dolmetscher verzichten. Sollten wir nicht weiterkommen, können sie ihre türkischen Sprachkenntnisse immer noch aus der Mottenkiste kramen.“

„Willkommen an Bord der ‚Isabella‘“, sagte der Seewolf und bediente sich ebenfalls der spanischen Sprache.

„Danke, Señor“, gab Sobocan zurück, und in sein Gesicht quälte sich ein müdes Lächeln. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mich aus dem Wasser gefischt haben, wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre. Entschuldigen Sie, daß ich mich noch nicht vorgestellt habe: Mein Name ist Sobocan …“

„Und dieser Mann hier“, unterbrach Edwin Carberry mit einer stolzen Geste, „ist Philip Hasard Killigrew. Er wird Sir Hasard genannt, denn Lissy I., Königin von England, hat ihn zum Ritter geschlagen. Auf den Weltmeeren nennt man ihn den Seewolf.“ Der Profos schluckte, dann fügte er eifrig hinzu: „Und uns die Seewölfe.“

„El Lobo del Mar – der Seewolf!“ stieß Sobocan mit einem bewundernden Blick auf Hasard hervor. „Bei Allah“, fuhr er fort, „ich habe schon viel von Ihnen gehört. Vor allem die Spanier, die zur Besatzung der ‚El Jawhara‘ gehören, wußten einiges über Sie und Ihre Männer zu berichten. Und ich muß gestehen, daß ich Sie immer bewundert habe. Nicht nur wegen Ihrer Erfolge für die englische Krone, sondern auch wegen der Fairneß und Menschlichkeit, die man Ihnen nachsagt, Señor.“

Sobocan fühlte sich plötzlich von vielen Sorgen befreit. Wenn er sich tatsächlich an Bord des Schiffes jenes beinahe legendären Seewolfs befand, dann hatte er auch Barabin nicht mehr zu fürchten. Und noch weniger Ibrahim Salih und seine tanzenden Kumpane.

Hasard ging nicht näher auf die Worte Sobocans ein. Ihn interessierte weit mehr, wen er sich da an Bord geholt hatte. Deshalb fragte er auch ohne Umschweife: „Nun, Sobocan, was hat dich bewogen, allein in einer winzigen Nußschale aufs Meer hinauszupullen? Daß du Schwierigkeiten hattest, sieht man dir an.“

„Und ob ich Schwierigkeiten hatte, Señor, ich bin in der vergangenen Nacht Ibrahim Salih, dem Scheich eines Ordens der Mewlewija-Derwische mit knapper Not entgangen. Er wollte mich auspeitschen und hinrichten lassen, und zwar im ersten Morgengrauen. Doch im letzten Augenblick ist es mir gelungen, mich aus dem Verlies der Felsenmoschee zu befreien und zu fliehen.“

Sobocan erzählte seine Geschichte. Er verschwieg auch nicht, daß er von Barabin und seinen Schnapphähnen an Bord der „El Jawhara“ gepreßt worden war, daß er sich in Slobodanka, die Tochter des Piratenkapitäns, verliebt hatte, und daß er aus diesem Grund und zum anderen auch wegen seiner Zurückhaltung bei dem hinterhältigen Überfall auf das venezianische Handelsschiff und dessen Versenkung von den Derwischen umgebracht werden sollte – im Auftrage Barabins. Er berichtete auch von dem Tanz der Derwische in der alten Festung aus der Zeit der Seldschuken und von den ungerechtfertigten Anklagen, die man gegen ihn erhoben hatte.

Der Seewolf und seine Crew hörten ihm schweigend zu. Erst als er eine kurze Verschnaufpause einlegte, unterbrach ihn Philip Hasard Killigrew.

„Du siehst ziemlich mitgenommen aus“, sagte er. „Es wird besser sein, wenn du dich zunächst etwas ausruhst. Nachdem du gegessen hast und der Kutscher, unser Feldscher, deine Wunden verarztet hat, können wir uns weiter unterhalten.“

„Oh, danke, Señor.“ Sobocan lächelte. „Ich bin nicht zimperlich und schaffe es schon noch, meinen Bericht zu vollenden. Danach werde ich Ihr freundliches Angebot gern annehmen.“

Hastig trank er einige Schlucke aus der Muck mit Wasser, die ihm der Kutscher gereicht hatte. Dann straffte sich sein Körper, und er fuhr fort, von der fetten Beute zu berichten, die Barabin in der Felsenmoschee der Derwische versteckt hatte. Ebenso schilderte er, auf welche brutale Weise Barabin das venezianische Schiff samt seiner Besatzung vernichtet hatte.

Einen Augenblick herrschte Totenstille an Bord der „Isabella“. Nur das Knarren und Ächzen des stehenden und laufenden Gutes drang an die Ohren der Männer.

„Wie könnten wir dir eine Hilfe sein?“ unterbrach der Seewolf das Schweigen. Sein Blick ruhte prüfend auf Sobocan.

„Ich wäre schon zufrieden, Señor“, erwiderte der junge Bursche, „wenn Sie mich irgendwo weiter östlich in Küstennähe absetzen könnten. Ich komme dann schon zurecht und schaffe es, mich zu meinem Heimatdorf durchzuschlagen.“

Sobocan sah ehrlich aus, wie der Seewolf feststellte, und er war durchaus geneigt, dem Bericht des jungen Mannes zu glauben, obwohl ihn die schlimmen Erfahrungen, die er in der Karibik mit Pablo, dem Handlanger des habgierigen Don Bosco, gesammelt hatte, ein ganzes Stück vorsichtiger hatten werden lassen.

„Um was handelt es sich bei der Beute, die Barabin den Venezianern abgejagt hat?“ fragte der Seewolf.

„Es war eine volle Schiffsladung“, antwortete Sobocan. „Darunter viele Kisten, Fässer, Truhen und Pakete, die in Segeltuch eingenäht waren. Alles wurde in der Festung der Derwische versteckt. Es waren außer Münzen, Gold- und Silberbarren auch Stoffballen, Gewürze, Werkzeuge und Waffen dabei. Das habe ich selbst gesehen.“

„Nun gut“, sagte Hasard und blickte seine Männer herausfordernd an. „Schließlich sind wir im Auftrag Ihrer Majestät, der Königin von England, unterwegs. Wir sollten uns des Kaperbriefes, den wir erhalten haben, auch würdig erweisen. Was meint ihr, Männer?“

Es gab sofort lautstarke Zustimmung.

„Das nenne ich einen vernünftigen Plan“, stellte Old Donegal Daniel O’Flynn fest. „Nachdem wir heute bereits einiges über die Schlafgewohnheiten der Haie gelernt haben, sollten wir ruhig auch mal wieder was für die alte Lissy tun. Zeigen wir diesem Bilgengespenst namens Barabin doch mal, was wir auf Lager haben. Er wird froh sein, wenn er uns seine gesammelten Schätze überreichen darf.“

„Donegal hat recht“, ließ sich Edwin Carberry vernehmen und rieb sich die mächtigen Pranken. „Den rechtmäßigen Eigentümern kann das Zeug sowieso nicht mehr zurückgegeben werden, weil sie nicht mehr am Leben sind. Da ist es in unseren Händen besser aufgehoben als bei diesem Schnapphahn und seinen Derwischen. Ho. auf was warten wir eigentlich noch? Ziehen wir diesem Kerl doch fein säuberlich die Haut in Streifen von seinem karierten Affenarsch!“

Als Sobocan begriffen hatte, um was es ging, schaltete er sich wieder ein.

„Señor“, sagte er, „ich bin gern gebreit, Ihnen bei diesem Vorhaben behilflich zu sein. Auf diese Weise könnte ich einen kleinen Teil meiner Schuld bei Ihnen abtragen. Bevor Sie mich irgendwo an der Küste absetzen, könnte ich Sie zu der Felsenmoschee der Derwische bringen. Ich weiß, wo die Beute versteckt ist. Außerdem ist Barabin auf See, und mit den Derwischen dürften es Ihre Männer wohl aufnehmen, wenn die Kerle auch in der Überzahl sind.“

„Du würdest uns tatsächlich dabei helfen?“ fragte der Seewolf.

„Natürlich, Señor. Ich würde Barabin und diesem Ibrahim Salih die Niederlage gönnen. Die beiden haben schon genug Unheil angerichtet, an ihren Händen klebt sehr viel Blut. Außerdem, Señor …“

„Außerdem?“ fragte der Seewolf.

„Nun – ich – ich würde auch gern Slobodanka, das Mädchen, das ich liebe, noch einmal sprechen.“

„Nun, wir werden sehen.“ Hasard lächelte. „Wir nehmen dein Angebot an. Aber zunächst mußt du wieder Kräfte sammeln, der Kutscher wird dich versorgen. Auch Slobodanka wirst du besser gefallen, wenn du wieder der alte bist“, setzte er hinzu.

Während der Kutscher den jungen Türken in seine Obhut übernahm, diskutierten die übrigen Seewölfe eifrig ihr Vorhaben.

„Endlich ist mal wieder etwas los“, erklärte Luke Morgan, ein drahtiger Bursche mit einer Messernarbe über der Stirn. „Der Tag hat ja langweilig genug begonnen.“

Noch ahnten die Seewölfe nicht, daß sich ihrem Vorhaben gewaltige Hindernisse in den Weg stellen würden. Noch unterschätzten sie die tödlichen Gefahren, die von Barabin, dem Seeräuber, und den Derwischen ausgingen.

Seewölfe Paket 13

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