Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 12
8.
ОглавлениеPhilip Hasard Killigrew hatte einen Verdacht, und danach bestimmte er seine Taktik, die sehr einfach war und darin bestand, einen Mann ständig zu beobachten.
Dieser Mann war Gordon Brown.
Gordon Brown pflegte in der Kombüse zu schlafen, wenn er nachts keine Wache ging. Also legte sich Hasard auf dem Kombüsendach dicht an der Luke auf die Lauer. Nach der Schinderei der letzten Nacht schliefen die Männer der Freiwache wie die Toten. Hasard war in der Dunkelheit unbemerkt auf das Kombüsendach gestiegen und hatte sich flach hingelegt.
Eins war ihm ziemlich klar: Bereits in dieser Nacht konnte wieder etwas passieren. Der Versuch, das Schiff absaufen zu lassen, war fehlgeschlagen. Also war zu erwarten, daß er wiederholt würde. Vielleicht würde man bei einem erneuten Versuch nicht das Schiff anbohren, aber man konnte zum Beispiel Feuer anlegen oder ein bißchen mit Pulver spielen. Allerdings waren Pulver- und Waffenkammer abgeschlossen, wovon Hasard sich überzeugt hatte. Aber wer die Nerven hatte, ein Loch in die Planken zu bohren, der fand auch Mittel und Wege, die Pulverkammer zu knacken.
Mit Gordon Brown war etwas nicht in Ordnung. Ob er jedoch allein diese Schandtaten ausführte, das bezweifelte der Seewolf. Ein solches Kaliber war der Mann nicht. Vielleicht mußte er aufpassen, während der andere zu Werk ging. Das war durchaus denkbar. Nur das Motiv war ein Rätsel. War jemand so wahnsinnig, das Schiff und damit unter Umständen sich selbst zu vernichten? Fast sah es so aus. Nur hatte diese Überlegung den Haken, daß Hasard Gordon Brown zwar jede Gemeinheit zutraute, aber nicht den Mut zur Selbstvernichtung. Hasards Gedanken drehten sich im Kreis. Sie beschäftigten ihn und hielten ihn wach.
Unter ihm schnarchte Gordon Brown, und Hasard fragte sich, ob er sich mit seinen Überlegungen nicht auf dem Holzweg befand. Aber sein Instinkt sprach dagegen.
Die Gestalt huschte wie ein flüchtiger Schatten über die Kuhl, verschmolz mit dem Vormast, löste sich wieder und glitt zur Kombüse. Sie bewegte sich völlig lautlos und geschmeidig.
Hasard preßte sich flach auf das Kombüsendach und wartete voller Grimm, was sich weiter tat.
Die Kombüsentür knarrte, schwang auf und wurde wieder leise geschlossen.
Gordon Brown hatte Besuch erhalten. Als die Gestalt zur Kombüsentür gehuscht war, hatte Hasard sie erkannt. Es war der Taubstumme.
Aber er war weder taub noch stumm.
„Wach auf, Gordon“, flüsterte der Mann. Er sprach Englisch, aber mit einem fremden Akzent. „Wach auf, Amigo.“
Amigo?
In Hasards Kopf klickte es. Verdammt, der Kerl war ein Spanier – ein Spanier an Bord eines englischen Schiffes, das von Francis Drake geführt wurde! Mein lieber Mann, dachte Hasard, das ist ja heiter.
Gordon Browns Schnarchen war inzwischen abgebrochen. Hasard hörte, wie er gähnte und sich die Brust kratzte. Dann schien er wütend zu werden.
„Mann, bist du wahnsinnig?“ zischte er.
Ein leises Lachen ertönte.
„Hast du Angst, Amigo?“
„Ich hab die Schnauze voll, du armer Irrer. Erst erstichst du John Johns, weil er uns bei den verdammten Wasserfässern erwischte, dann muß ich dir bei dem Bugspriet helfen – das ging ja noch –, aber wozu ich dir den Holzbohrer klauen sollte, das habe ich leider zu spät kapiert. Mann, wir wären beinahe abgesoffen.“
„Die Golddublonen hast du gern eingesteckt, nicht wahr, Amigo?“ sagte der Spanier sanft.
„Scheiß auf die Golddublonen. Wenn ich absaufe, habe ich nichts mehr davon. Als ich dich an Bord brachte, hattest du gesagt, du wolltest weiter nichts, als Drake abservieren. Das sei dein Auftrag. Und was tust du? Leerst Wasserfässer, säbelst am Bugspriet rum und bohrst den Kasten an.“
„Und wie war das mit der Ratte?“ fragte der Spanier scharf. „Hier bestimme ich. Laß die Finger von solchen Spielereien. Sie schaden uns nur. Ja, ich wollte das Schiff absaufen lassen, nachdem mein erster Plan, Drake beim Enterkampf zu erschießen, nicht geklappt hatte. Leider war dieser Killigrew schneller. Er ist ein sehr gefährlicher Mann.“
„Bring ihn doch auch noch um“, sagte Gordon Brown gehässig. „Einen größeren Gefallen kannst du mir gar nicht tun.“
„Vielleicht“, sagte der Spanier dunkel. „Aber erst ist Drake dran. Sobald er sich auf das nächste spanische Schiff stürzt, erhält er eine Kugel, die bereits für ihn gegossen ist. Im Durcheinander wird niemand bemerken, wer der Schütze ist. Dazu mußt du mir aber den Rücken freihalten, Amigo. Wenn Drake tot ist, haben wir es geschafft. Niemand wird mehr kämpfen wollen, und dann werden meine Landsleute die ‚Marygold‘ entern.“
„Und mir die Kehle durchschneiden, wie?“
„Du stehst unter meinem Schutz. Mein König wird dir ein Landgut schenken. Du wirst leben wie ein Grande, die Senoritas werden dir zu Füßen liegen und dir jeden Wunsch von den Augen ablesen ...“
Na, na, dachte Hasard, jetzt trägst du aber ziemlich dick auf, mein Freund, zu dick, als daß es wahr sein könnte. Aber Gordon Browns Mißtrauen schien wie Schnee in der Sonne wegzuschmelzen. Hasard hörte, wie er keuchte.
„Senoritas, sagtest du?“
„Senoritas“, bestätigte der Spanier, „so viele du willst und eine hübscher und rassiger als die andere. Sie werden vor dir tanzen und die Hüften schwenken ...“
„Nackt?“ fragte der schmierige Gordon Brown hechelnd.
„Verschleiert“, erwiderte der Spanier, „aber ein Schleier nach dem anderen wird fallen.“
„Ah!“ Es klang widerlich, und Gordon Brown schmatzte noch dazu wie ein Ferkel an den Zitzen der Muttersau.
Hasard hatte genug gehört. Er überlegte, ob er das aufschlußreiche Gespräch brutal unterbrechen und die beiden Kumpane weichklopfen oder damit noch warten solle. Er entschloß sich, abzuwarten. Zumindest bis zur nächsten Gefechtsberührung waren Schiff, Besatzung und der Kapitän nicht gefährdet. Der Spanier hatte wohl eingesehen, daß seine Sabotageunternehmungen sinnlose Kraftakte waren. Zumindest hatten sie ihn seinem eigentlichen Ziel, Drake zu ermorden, nicht nähergebracht.
Hasard verließ leise wie eine Katze das Kombüsendach und schlüpfte ins Vordeck. Er schlief in dieser Nacht fest und ruhig.
Es war tatsächlich so, wie es Hasard vermutet hatte. Die Tage vergingen, ohne daß noch etwas passierte. Hasard verfluchte seine Untätigkeit und fragte sich immer wieder, ob er nicht doch schon die Bombe platzen lassen sollte. War es überhaupt richtig, daß er dem Kapitän nichts von dem erlauschten Gespräch sagte? Schließlich war er der Schiffsführer – und das Gesetz. Aber der Seewolf hatte seinen eigenen Kopf. Das Gespräch war ein klarer Beweis für das Komplott. Aber der Spanier und Gordon Brown konnten es ableugnen. Der Spanier hatte noch dazu den Vorteil, „taubstumm“ zu sein. Und der Kapitän hielt ihn für einen guten Mann.
Nein, Hasard wartete auf seine Chance, und sie kam nach sechs Tagen, nachdem er das Gespräch belauscht hatte.
Die „Marygold“ kreuzte südwestlich der Azoren auf jener Route, auf der die spanischen Schatzschiffe aus der Neuen Welt zurück nach Spanien segelten. Häufig liefen sie die Azoren an, um dort Frischwasser und Proviant zu übernehmen, bevor sie nach Cadiz weitersegelten. Immerhin waren sie etwa zwei Monate unterwegs, und die Azoren oder die Kanarischen Inseln waren dann die ersten festen Stützpunkte nach langer Fahrt. Immerhin auch erfuhren die Spanienfahrer dort, ob sich Seeräuber in der Gegend herumtrieben, vor allem, auf welchen Positionen sie vermutet wurden.
Daß wieder ein Wolf die See abstreunte, um Beute zu reißen, konnte man auf den Azoren nur vermuten, falls man das Einlaufen einer bestimmten spanischen Galeone erwartete, aber Tag und Tag verging, ohne daß sie eintraf. Daß sich diese Galeone allerdings auf der Fahrt nach Plymouth befand, konnte noch nicht bekannt sein.
Sonst war die „Marygold“ noch niemandem begegnet. Sie hatte um sich die freie See und stand nun in ihrem Jagdgebiet, bereit, die von Westen heransegelnde Beute vor den Azoren oder den Kanarischen Inseln abzufangen.
Das kalte Herbstwetter des heimatlichen Hafens war längst vergessen. Die Männer arbeiteten mit nacktem Oberkörper an Deck, waren braungebrannt und vermißten nichts – es sei denn mehr Trinkwasser oder die weichen Arme einer Frau.
Wieder war es Donegal Daniel O’Flynn, der im Ausguck bewies, was für scharfe Augen er hatte.
Es war genau in der Mittagszeit, als sein Ruf vom Hauptmars hinunter über das Deck schallte.
„Segel ho! Genau voraus!“
Die „Marygold“ segelte genau Westkurs, der Wind stand gleichmäßig von Norden. Ein glitzernder Schimmer lag über der See, der sich in der Unendlichkeit der Dünung verlor. Aber hinter dieser Dünung wirkte die Kimm bei der klaren Sicht dieses Sonnentages wie eine scharfe Kante gegen den Himmel.
Die Mastspitze, die zunächst sichtbar wurde, stand wie eine feine, fast durchsichtige Nadel an der Kimm.
Die Stimme des Kapitäns knallte wie ein Peitschenhieb über das Deck.
„Klarschiff zum Gefecht! Neuer Kurs Nordwest! Lassen Sie die Segel anbrassen, Bootsmann, wir gehen höher an den Wind!“
„Aye, aye, Sir“, sagte Ben Brighton.
Alles, hundertmal geübt, lief wie am Schnürchen. Barry Burnaby, der Stückmeister, verteilte die Waffen, die Kanonen wurden schußklar gemacht, Pützen mit Seewasser bereitgestellt, das Kombüsenfeuer gelöscht.
Carberry tobte in seiner gewohnten Art über das Mitteldeck, drohte jedem, der nicht spurte, fürchterliche Strafen an, die darin gipfelten, Affenärschen die Haut abzuziehen und an die Kombüse zu nageln, und schrie sich die Kehle heiser.
Und prompt geriet er sich mit Mac Pellew in die Haare, der zurückschrie, er solle sich die Häute der Affenärsche gefälligst selbst auf den Hintern nageln, aber nicht an die Kombüse. Er hätte keine Lust, in einer Kombüse zu kochen, die mit solchen Häuten benagelt sei, verdammt.
Und dann brüllten sich die beiden zum Gaudium der Mannschaft wie die Gossenjungen an, hielten sich gegenseitig die Fäuste unter die Nasen, mit denen sie sowieso schon fast zusammenstießen, weil sie beide ihre Köpfe vorgestreckt hatten, und belegten sich mit Schimpfnamen und Flüchen, die selbst den Abgebrühtesten unter ihnen zu einem wohligen Erschauern verhalf.
Das heizte so richtig die Kampfstimmung an.
Francis Drake stand mit steinerner Miene auf dem Achterdeck und starrte angelegentlich in die Segel. Er würde den Teufel tun, die beiden Kampfhähne zur Räson zu bringen. Sie waren genau die richtige Medizin, die Männer fürs Gefecht anzustacheln. Er kannte seine Leute.
Hasard hörte amüsiert zu und lernte eine Menge. Gleichzeitig beobachtete er den Spanier, der den Taubstummen spielte, unbeteiligt über die See starrte und seine Gefechtsstation an der achteren Kanone auf der Backbordseite hatte.
Sieh an, dachte er. Denn auch Gordon Brown hatte dort seine Gefechtsstation. Der ahnungslose Burnaby hatte die beiden Kumpane genau an die Stelle eingeteilt, von wo aus sie am besten das erhöhte Achterdeck erreichen konnten. Denn hinter ihnen führte ein Niedergang zum Achterkastell hoch.
Gordon Brown war sichtlich nervös. Er fummelte an einem Fleischermesser herum, das er in einer Gürtelscheide trug, blickte sich ständig um, als werde er verfolgt, und hatte Schweißperlen auf seiner Stirn.
Der Spanier, nun ja, er war ja „taubstumm“, bewies, daß er die besseren Nerven hatte. Aber die mußte ein solcher Mann, der von der spanischen Krone den Auftrag erhalten hatte, Francis Drake zu ermorden, wohl auch haben.
Hasard beging nicht den Fehler, einen Gegner zu unterschätzen. Dieser Mann mußte über kämpferische Qualitäten verfügen – und seine Rücksichtslosigkeit hatte er bereits unter Beweis gestellt.
„Könnt ihr mal eure verdammten Schnauzen dort unten halten!“ schrie das Bürschchen wutentbrannt vom Mars herunter. „Ich hab dem Kapitän was zu melden!“
Den beiden Kampfhähnen blieb der Mund offenstehen, sie starrten nach oben. Alle starrten nach oben.
Das Bürschchen feixte und schrie: „Ein Spanier, Sir! Das Kreuz erkenne ich ganz deutlich. Drei Masten hat er. Außerdem hat er ebenfalls angeluvt. Wie ich das sehe, Sir, werden sich unsere Kurse kreuzen.“
„Danke, Dan!“ rief der Kapitän nach oben und lächelte. „Sofort melden, wenn er den Kurs ändert.“
„Aye, aye, Sir.“
Die Rahen knarrten ächzend, Wellen klatschten gegen die Bordwand, Gischt sprühte in feinen Schleiern über das Vorschiff. Carberry zischte dem Koch einen letzten Fluch ins Gesicht, der nicht unbeantwortet blieb, dann trat wieder Stille ein, wie sie sich vor jedem Gefecht einzustellen pflegte, und in der sich die Männer darauf vorbereiteten, dem Gevatter Tod zwischen die grinsenden Zähne zu springen.
Hasard schlenderte über das schräggeneigte Deck und setzte sich auf eine Stufe des Niedergangs zum Achterkastell.
Gordon Brown fuhr herum, musterte ihn wütend und biß sich auf die Lippen.
Hasard lächelte nur und verschränkte die Arme über der Brust. Er saß völlig entspannt auf der Stufe und tat so, als sei dieser Tag voll des Frohsinns und der Freude.
Der Spanier drehte sich um und blickte den sitzenden, lächelnden Mann an. Er hatte sich völlig in der Gewalt, wandte sich, ohne eine Miene zu verziehen, wieder um und starrte weiter über das Schanzkleid auf die See.
Gordon Brown trat von einem Fuß auf den anderen.
„Du hast noch Schulden bei mir“, sagte Hasard laut und deutlich und sehr freundlich. „Vergiß sie nicht, Gordon Brown.“
Alle Männer – einschließlich Francis Drake – schauten überrascht zu dem sitzenden Mann.
Nur zwei Männer begriffen, was er jetzt sagte. Er sagte zu Gordon Brown: „Ich werde wie ein Schießhund aufpassen, daß du deine Schulden bezahlst.“
Dann stand Hasard wieder auf, blickte kurz zum Kapitän hoch und schlenderte auf die Steuerbordseite hinüber. Das Aufblitzen in den grauen Augen des Kapitäns hatte er bemerkt. Und ebenso sah er das Erkennen in der Miene des Schiffszimmermanns, der an der Nagelbank des Großmastes lehnte. Unmerklich nickte er ihm zu, und Ferris Tucker nickte zurück.
„Burnaby“, sagte der Kapitän vom Achterkastell herunter, „heute sind Sie wieder dran. Ich möchte, daß Sie dem Don mit der Serpentine den Fockmast wegschießen. Daraufhin wird er zumindest in den Wind gehen. Liegt er im Wind, sind wir bereits bei ihm längsseits und entern. Carberry, sorgen Sie dafür, daß die Entermannschaft bereit ist. Brighton, lassen Sie die Segel aufgeien, sobald der Don in den Wind geht. Ist alles klar, Gentlemen?“
„Aye, aye, Sir“, erklang es im Chor zurück.
„Gott sei mit euch“, sagte der Kapitän. „Und tut eure Pflicht.“
Burnaby eilte nach vorn auf die Back und hantierte an der Backbordserpentine. Die Entermannschaft verteilte sich auf der Backbordseite entlang des Schanzkleides und ging in Dekkung. Ben Brighton pflanzte sich zwischen Großmast und Fockmast auf.
Die beiden Schiffe segelten auf sich kreuzenden Kursen aufeinander zu, der Spanier über Steuerbordbug, die „Marygold“ über Backbord.
„Peilung steht!“ rief das Bürschchen vom Mars herunter. Das bedeutete, daß die beiden Schiffe auf Rammkurs lagen. Der Kapitän nickte und befahl dem Rudergänger, um knapp einen Strich unmerklich abzufallen.
„Peilung wandert aus!“ rief das Bürschchen.
Jetzt zielte der Bug der „Marygold“ auf das Achterschiff des Spaniers, der noch etwa vierhundert Yards entfernt war und seine Stückpforten geöffnet hatte. Verbissen hielt der Spanier seinen Kurs durch.
Zweifelsohne riskierte der Kapitän eine ganze Menge, denn er durchbrach die eiserne Regel, ein Gefecht nur aus der Luvposition heraus zu beginnen. Er war – wenn auch nur knapp einen Strich – abgefallen, gab also Höhe auf und geriet mehr und mehr in den Leebereich des Gegners. Aber seine Segel standen voller, und die „Marygold“ segelte schneller als der Spanier, was bedeutete, daß sie manövrierfähiger war.
Bei dem Spanier blitzten vorn auf der Back zwei rote Flammenzungen auf, Schußdonner rollte grollend über die See, Pulverschwaden stiegen hoch.
Der Spanier hatte das Gefecht eröffnet.
Zwei kleine Wassersäulen stiegen Backbord voraus aus der See und fielen sofort wieder zusammen. Saubere Schießkunst war das keineswegs, allenfalls eine Demonstration.
Die „Marygold“ fiel auf Befehl des Kapitäns noch weiter ab, und als sie dann langsam hochluvte, feuerte Burnaby seine Serpentine bei einer Entfernung von etwa achtzig Yards ab.
Wütendes Musketenfeuer setzte auf die Spanier ein.
Gebannt starrten die Männer der „Marygold“ hinüber zu dem Spanier. Fiel der verdammte Fockmast, oder hatte Burnaby vorbeigeschossen?
Er fiel.
Es sah aus, als vollführe er eine elegante Verbeugung. Er knickte in sich ein, neigte sich immer weiter nach vorn und krachte dann splitternd aufs Vorkastell. Als er auf die Steuerbordseite herüberrutschte, wischte er drei Männer außenbords.
Der Wind, der jetzt nur noch auf den Segeln des Großmastes und dem achteren Lateinersegel stand, schob den Spanier – wie es der Kapitän gesagt hatte – herum und in den Wind.
Das war der Moment, in dem die „Marygold“ bereits in den Wind gegangen war und mit ihrer auslaufenden Fahrt an der Steuerbordseite des Spaniers vorbeischor. Ihre Segel waren aufgegeit, ihre Rahen längsschiffs gebraßt.
Die Männer des Enterkommandos warfen Enterhaken hinüber, die beiden Schiffsleiber prallten Bord an Bord gegeneinander, Schreie, Flüche, Schüsse ertönten.
„Vorwärts!“ brüllte der Kapitän. „Vorwärts, Männer der „Marygold“! Gebt’s den Dons! Auf sie!“
Der grimmige Carberry setzte wie ein reißender Wolf mit einem Riesensatz auf den Spanier über. Zwischen den Zähnen hatte er ein Messer, in der linken Faust eine Pistole, in der rechten einen krummen Türkensäbel. Mac Pellew, der dürre Koch, folgte ihm mit verzerrtem Gesicht. Er schwang einen Morgenstern – eine fürchterliche Nahkampfwaffe. Wie Katzen kletterten die Männer der „Marygold“ über das Schanzkleid des Spaniers und stürzten sich wild brüllend in das Getümmel. Stahl blitzte, Klingen wurden gekreuzt, Schüsse flammten auf.
Hasard war unbemerkt aufs Achterkastell der „Marygold“ geentert und blieb abwartend in der Deckung des Besanmastes stehen. Der Kapitän, einen Degen in der Faust, befand sich vier Schritte von ihm entfernt an der Backbordreling und drehte ihm den Rücken zu.
Pulverqualm wälzte sich hoch und quoll über das Achterdeck. Und in ihm tauchte urplötzlich der „Taubstumme“ auf. Seine Augen waren wie feurige Kohlen.
Hasard stieß sich ab und fuhr wie ein Blitz zwischen die beiden Männer. Mit der Linken stieß er den Kapitän um, dann glitt er einen Schritt nach rechts, Bruchteile von Sekunden später zuckte sein Fuß hoch und prellte dem Spanier die Pistole, die er bereits auf den Kapitän angeschlagen hatte, aus der Hand. Der Schuß löste sich krachend, die Kugel strich an Hasards Kopf vorbei und stieg in den Himmel. Die Pistole polterte über die Decksplanken.
Der Spanier stieß einen Wutschrei aus und warf sich auf den Seewolf. Jetzt kämpfte er um sein Leben.
Hasard duckte sich, unterlief ihn, packte ihn um die Taille, stemmte ihn hoch, legte ihn in der Luft quer und warf ihn über die Heckreling außenbords.
Dort stand der riesige Ferris Tucker, hob in aller Ruhe eine Muskete, zielte und feuerte. Mit zerschmettertem Kopf versank der Spanier in den Fluten.
Hasard wirbelte herum – genau im richtigen Augenblick.
Gordon Brown flog wie ein Geschoß an ihm vorbei, um sich auf den Kapitän zu stürzen, der sich gerade benommen aufgerichtet hatte.
In der erhobenen Rechten Gordon Browns blitzte das Schlachtermesser.
Hasards Hände fuhren hoch, krallten sich um das Handgelenk Gordon Browns, rissen es nach unten und drehten es um.
Gordon Brown schrie auf. Das fürchterliche Messer klirrte an Deck. Wahnsinn flackerte in den Augen des schmierigen Mannes.
„Du Hund!“ keuchte er. „Du verdammter Hund! Ich mach dich fertig!“
„Nur zu“, sagte der Seewolf und feuerte ihm die Rechte unter das Kinn.
Gordon Brown hob sich auf die Fußspitzen, er drehte eine Spirale, torkelte zu Ferris Tucker hinüber und empfing dort einen Faustschlag auf die Schädeldecke, der wie ein Hammer wirkte. Gordon Brown brach ächzend in die Knie und war bereits bewußtlos, als er auf die Planken kippte.
„Das war also das Schwein“, sagte Ferris Tucker.
„Er und der ‚Taubstumme‘, der gar nicht taubstumm war“, sagte Hasard und wandte sich zu Francis Drake um. „Verzeihung, Sir, daß ich Sie umgestoßen habe.“ Er grinste den Kapitän an. „Aber als Schießhund darf man nicht zimperlich sein.“
Der Kapitän, sonst immer eisern beherrscht, hatte einige Mühe, seine Fassung zurückzugewinnen. Er fragte nichts. Seine Sorge galt dem Schiff, dem Kampf.
„Vorwärts!“ sagte er knapp, schwang sich über die Reling und sprang auf das spanische Schiff hinüber.
„Los, Ferris! Paß auf ihn auf“, sagte Hasard. „Ich muß diesen Mistkerl hier fesseln.“
Ferris Tucker nickte und setzte mit einem riesigen Satz dem Kapitän nach, der sich bereits auf dem Achterkastell des Spaniers mit einem Don duellierte und die Klingen kreuzte.
Hasard schleppte den bewußtlosen Gordon Brown zum Besanmast, hievte ihn dort hoch und band ihn fest. Dann hob er das Fleischermesser auf, betrachtete es kopfschüttelnd und stieß es über dem Kopf von Gordon Brown in das Holz des Besanmastes. Neben ihm tauchte plötzlich das Bürschchen auf und drückte ihm einen Kurzsäbel in die Hand.
„Ich hab alles gesehen“, sagte Donegal Daniel O’Flynn. „Du hast es mal wieder allein geschafft. Aber ich hätte dir geholfen, wenn etwas schiefgegangen wäre. Entern wir jetzt den Don?“
„Wir beide?“
„Wir beide“, sagte das Bürschchen und umklammerte das Entermesser.
„Vorwärts“, sagte Hasard, setzte über die Reling und sprang auf das feindliche Achterdeck.
„Arwenack!“ schrie Donegal Daniel O’Flynn mit gellender Stimme und stürzte hinter dem Seewolf her.
Der riesige Mann und der Junge aus Falmouth räumten zusammen mit dem Schiffszimmermann das Achterdeck des Spaniers auf. Für den Kapitän blieb kaum etwas zu tun – allenfalls das, die Übergabe des spanischen Captains entgegenzunehmen, der die Waffen streckte, als er nur noch allein auf dem Achterdeck kämpfte.
Die Galeone hieß „Santa Barbara“ und hatte Gewürze und chinesische Seidenstoffe geladen. Sie hatte Amerika umsegelt, die Kanarischen Inseln umgangen und wollte die Azoren anlaufen.
Die Männer der „Marygold“ hatten wie Wölfe gewütet. Es gab nur einen Gefangenen, den Captain. Der andere Captain erhielt Gesellschaft.
Francis Drake befahl seiner Mannschaft, sich auf dem Mitteldeck der „Marygold“ zu versammeln. Er winkte Hasard zu, mir ihm aufs Achterdeck zu kommen.
Erstaunt sahen die Männer den an den Besanmast gefesselten Gordon Brown, über dessen Kopf ein Fleischermesser im Holz steckte. Gordon Brown war wieder bei Besinnung und blickte sich mit irren Augen um. Er lallte etwas Unverständliches und schüttelte den Kopf mit den schmierigen Haaren.
Der Kapitän trat an die Zierbalustrade, deutete mit ausgestrecktem Arm auf den gefesselten Mann und sagte: „Seht ihn euch an, Männer der ‚Marygold‘. Er hat das Schändlichste versucht, was ein englischer Seemann tun kann. Er hat versucht, mich, den Kapitän dieses Schiffes, zu ermorden.“
Ein dumpfes Murren stieg aus den Kehlen der Männer.
„Ein Mann hat diesen Mordversuch verhindert“, fuhr der Kapitän fort, „jener, den ihr den Seewolf nennt. Ich hatte ihm den Auftrag erteilt, den mysteriösen Dingen, die an Bord der ‚Marygold‘ passiert waren, nachzugehen. Wie es scheint, hat er diesen Auftrag erfüllt. Bitte, Mister Killigrew, äußern Sie sich dazu.“
Hasard trat an die Balustrade und blickte zu den Männern hinunter, die ihn mit offenen Mündern anstarrten.
Ruhig erklärte er: „Es ist, wie der Kapitän sagt. Aber es ist nicht alles. Vor sechs Tagen belauschte ich nachts ein Gespräch, das Gordon Brown und ein anderer Mann in der Kombüse führten. Dieser andere Mann war jener, der von euch der ‚Taubstumme‘ genannt wurde. Er war weder taub noch stumm, sondern sehr gesprächig. Er nannte Gordon Brown ‚Amigo‘ ...“
Der Kapitän fuhr herum. „Ein Spanier?“
„Jawohl, Sir, ein Spanier. Er hatte von der spanischen Krone den Auftrag, Sie zu ermorden. Gordon Brown wurde von ihm mit Golddublonen bestochen.“
„Das ist ja ungeheuerlich“, murmelte der Kapitän.
„Er hatte den Plan“, fuhr Hasard fort, „diesen Mord während eines Enterkampfes zu begehen – so wie er es heute versucht hat. Bei unserer ersten Prise war ihm das mißlungen, weil ein eigentlicher Kampf nicht stattfand. Daraufhin beschloß der Spanier, auf andere Weise vorzugehen. Zuerst entleerte er die vier Wasserfässer in der Vorpiek – zusammen mit Gordon Brown. Dabei wurden sie von John Johns überrascht. Der Spanier erstach ihn. Die Sache mit der Ratte geht allerdings allein auf das Konto Gordon Browns. Als nächstes kerbten sie den Bugspriet an. Das Leck wiederum war das Werk des Spaniers. Gordon Brown war dabei insofern Helfershelfer, als er aus der Werkzeugkiste von Ferris Tucker den Holzbohrer entwendete. Der Versuch, das Schiff zu versenken, schlug fehl, wie ihr alle wißt. Wahrscheinlich begriff der Spanier zu diesem Zeitpunkt, daß er auf diese Weise nicht weiterkam. Die Gefahr einer Entdeckung war zu groß. Er kehrte zu seinem ursprünglichen Plan zurück. Tatsächlich passierte ja auch von diesem Zeitpunkt ab nichts mehr. Aber heute war der Tag, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Ich brauchte weiter nichts zu tun, als Gordon Brown und den Spanier zu beobachten. Ihr Anschlag auf den Kapitän ist mißlungen.“
Eine fast atemlose Stille folgte. Die Blicke, die an Hasard gehangen hatten, wanderten zu dem gefesselten Mann und wurden mörderisch.
„Ich – ich bin unschuldig!“ schrie Gordon Brown. „Der Spanier hat mich dazu gezwungen. Er wollte mich ermorden, wenn ich ihm nicht gehorchte!“
Hasard glitt zu ihm und griff ihm von oben ins Hemd. Er zog einen Lederbeutel hervor, riß ihn vom Hals des schreienden Mannes, öffnete ihn und fischte eine goldene Münze heraus. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er sie hoch.
„Der Judaslohn“, sagte er ruhig. „Er wurde keineswegs gezwungen, sondern bestochen.“
„Mein Geld!“ schrie Gordon Brown. „Gib mir mein Geld, du verdammter Hund! Es gehört mir, mir, mir ...“
Hasard warf ihm den Beutel ins Gesicht und wandte sich angewidert ab.
„Profoß!“ sagte der Kapitän knapp und hart. „Walten Sie Ihres Amtes. Als oberster Gerichtsherr an Bord der ‚Marygold‘ erkläre ich Gordon Brown der ihm zur Last gelegten Verbrechen für schuldig und befehle, ihn zu Tode zu bringen. Er soll an der Rah hängen.“
„Nein!“ schrie Gordon Brown. „Nein! Gnade! Ich bin unschuldig! Der Spanier hat mich verführt – ah ...“
„Du Stinktier!“ fuhr ihn der Profoß an. „Du hundsgemeines dreckiges Stinktier! Jetzt stirb wenigstens wie ein Mann!“
Er band den brüllenden Gordon Brown los und stieß ihn zum Mitteldeck hinunter. Kräftige Fäuste packten zu.
Sie fierten die Großrah weg, legten dem tobenden Mann eine Schlinge um den Hals, befestigten sie an der Nock und hievten die Rah hoch.
Das Brüllen brach abrupt ab.
Gordon Brown hatte seine Schulden bezahlt. Eine halbe Stunde später wurde er der See übergeben.
Wasserfässer wurden an Bord der „Marygold“ gehievt. Ferris Tucker stieg mit einigen Männern auf die „Santa Barbara“ über, beseitigte die ärgsten Schäden und begann den vorderen Mast zu reparieren.
Hasard wollte aufs Mitteldeck hinunterspringen und wurde von Francis Drake zurückgehalten.
„Einen Moment, Mister Killigrew“, sagte er. „Da ist noch einiges zu besprechen.“
„Sir?“
Die grauen Augen blickten ihn durchdringend an. „Sie hätten mir bereits vor sechs Tagen melden müssen, was Sie gehört hatten.“
Hasard nickte.
„Mag sein, Sir. Aber war das belauschte Gespräch ein Beweis? Zwei Aussagen hätten gegen meine Aussage gestanden – in dem einen Fall allerdings die Aussage eines ‚Taubstummen‘. Diesen Mann hielten Sie für völlig unbescholten, wie Sie sich erinnern werden. Nein, ich wollte den ganz klaren Beweis. Darum wartete ich ab.“
„Und wenn es schiefgegangen wäre?“
Hasard lächelte seinen Kapitän mit jenem Charme an, den manche für frech hielten.
„Sir, diese ‚Wenns‘ existieren in meinem Wortschatz nicht.“
„Typisch“, sagte der Kapitän. „Sie sind ein frecher Kerl, Hasard. Sind Ihre Brüder auch so frech?“
„Nicht ganz“, erwiderte der Seewolf.
Völlig unvermittelt sagte der Kapitän: „Mister Killigrew, Sie werden die „Santa Barbara“ nach Plymouth segeln.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Hasard fast automatisch, und dann erst begriff er im vollen Umfang, welchen Auftrag ihm der Kapitän erteilt hatte, und was das bedeutete. Er war nicht mehr der Mann im Vordeck, er hatte sich das Achterdeck erobert und würde ein Schiff als Kapitän führen.
„Na?“ sagte der Kapitän und jenes versteckte Lächeln erschien in seinen Augen.
„Danke, Sir“, sagte Hasard etwas lahm.
„Jetzt bleibt Ihnen wohl die Spucke weg, wie?“
„Jawohl, Sir, absolut.“
„Endlich mal hab ich das letzte Wort“, sagte der Kapitän, und jetzt lächelten sich die beiden Männer an.
„Haben Sie besondere Wünsche, wen Sie mit an Bord nehmen wollen, Hasard? Ich werde Ihnen fünfzehn Männer unterstellen. Reicht Ihnen das?“
„Das reicht, Sir. Ja, wenn ich Wünsche äußern darf — ich möchte Ferris Tukker und Ben Brighton, den Bootsmann mitnehmen. Außerdem Donegal Daniel O’Flynn, Blacky, Smoky und den Kutscher.“
Der Kapitän wiegte den Kopf.
„Tucker und Brighton gebe ich Ihnen ungern. Aber vielleicht haben Sie recht, wenn Sie zwei erfahrene, zuverlässige Männer wünschen. Gut. Ich bin einverstanden. Suchen Sie auch die anderen Männer nach Ihrer Wahl aus. Sobald die ‚Santa Barbara‘ wieder seeklar ist, trennen wir uns. Melden Sie sich in Plymouth bei Kapitän John Thomas, der alles Weitere regeln wird. Dann sollten wir uns wohl noch eine Seekarte ansehen, damit Sie wissen, wo wir jetzt stehen. Hat Sir John Sie auch in der Navigation unterwiesen?“
„Jawohl, Sir. Seine Ausbildung war perfekt.“
„Erstaunlich“, murmelte der Kapitän.
Hasard folgte ihm in die Kapitänskammer.
Am Spätabend segelte die „Santa Barbara“ unter Führung Philip Hasard Killigrews, des Seewolfes, nordwärts. Das große Abenteuer begann ...
ENDE