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8.

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Der Nachthimmel war sternenklar, der Mond zeigte sich als schmale Sichel – eine Nacht für Diebe und Schnapphähne, denn das Licht begünstigte sie. Sie sahen genug, konnten selbst aber nicht erkannt werden. Ihre Gesichter waren auch auf eine Entfernung von drei, vier Yards nur undeutliche, helle Flecke.

Smoky ließ es sich nicht nehmen, die Vor- und Achterleine des Bootes loszuwerfen und nach unten zu geben. Er beugte sich über das Schanzkleid und sah zu, wie das Boot abgestoßen wurde und die Männer die Riemen ausbrachten.

Hasard winkte zu ihm hinauf, und er winkte zurück.

Smoky fluchte verhalten. „Verdammt, die spielen den Dons jetzt zum Tanz auf, und wir hängen hier herum und müssen zuschauen.“

Er spähte voraus zur „Barcelona“. Sie war nur als großer schwarzer Schatten zu erkennen. Wie die „Santa Barbara“ trieb sie mit gegengebraßten Rahen nicht ganz quer zur See. Der Wind versetzte die beiden Galeonen leewärts, ohne daß sie Fahrt voraus liefen.

„Siehst du unser Boot noch, Dan?“ rief er zum Großmars hoch.

„Klar. Sie pullen ’nen ganz ruhigen Rundschlag wie alte Großväter auf der Themse. Die haben vielleicht die Ruhe weg.“

„Und was ist mit der ‚Barcelona‘?“

„Da tut sich nichts, soweit ich erkennen kann.“

„Paß ja scharf auf, oder ich zieh dir die Haut vom Hintern.“

„Ha!“ sagte das Bürschchen. „Du mir, was, wie? Dich frühstücke ich doch im Vorbeigehen ...“

Indessen rückte der schwarze Schatten der Galeone für die Männer im Boot näher und näher. Hasard saß mit Ben Brighton auf der Achterducht. Als Backbordschlagmann pullte der riesige Ferris Tucker, der den schweren, klotzigen Riemen wie einen dünnen Holzspan handhabte. Neben ihm pullte Blacky.

Einen Mann hatte Ferris Tucker für die Entermannschaft ausgewählt, der von besonderem Kaliber war: Matt Davies, Der hatte zwar keine rechte Hand, dafür aber eine bis zum Ellenbogen festgeschnürte Ledermanschette, deren unteres Ende einen metallenen Ring mit einem spitzgeschliffenen Haken aufwies. Matt Davies war als Kämpfer eine Klasse für sich. Im Nahkampf zog er den Gegner mittels des Hakens zu sich heran und ließ ihn ins offene Messer rennen, das er in der Linken bereithielt. Oder er fetzte einem Angreifer mal so eben den Haken durchs Gesicht.

Als die Dons unter Capitan de Pordenone Hasards Mannschaft niedergerungen hatten, war ihm die Ledermanschette abgenommen worden. Er hatte sie im Unterdeck wiedergefunden – zum Glück, denn ohne dieses Ding fühlte sich Matt nur als halber Mensch. Aber mit diesem Haken am Armstumpf hatte er Macht und blieb bei den üblichen Schlägereien zumeist unbehelligt. Jeder halbwegs normale Mann schlug einen weiten Bogen um ihn, sobald er das blitzende Ding erkannte.

Selbst zum Pullen war das Ding zu gebrauchen. Der Haken war so weit gerundet, daß er um den Schaft des Riemens herumgriff. Rechts würde Matt nie Blasen an den Fingern haben, hatte Smoky einmal fast neidisch festgestellt.

Die Ledermanschette war ein unerschöpfliches Thema schon an Bord der „Marygold“ gewesen, denn Matt Davies gehörte zum Stamm der Besatzung. Die Tüftler unter den Decksmannen rieten Matt, es doch nicht nur bei dem Haken zu belassen. Man müsse ihn auswechseln können – mit Hämmern, kleinen Äxten, Messern und so.

Jedenfalls sorgte Matt Davies’ fehlende Rechte für Gesprächsstoff, wobei natürlich auch sein Umgang mit dem weiblichen Geschlecht in allen Details erörtert wurde.

Aber zur Zeit ging es um den Umgang mit der „Barcelona“, die zwar auch weiblich, aber immer noch mit achtzehn Kerlen bemannt war. Den Haken würden bestimmt einige unliebsam kennenlernen.

Hasard und Ben Brighton beobachteten gespannt die schwarze Galeone. Sie sahen es gleichzeitig. Eine Fackel wanderte vom Achterkastell mittschiffs und verhielt auf der Steuerbordseite in Höhe des Großmastes. Sie erkannten, daß dort eine Jakobsleiter außenbords hing.

„Na denn“, flüsterte Hasard, „sie haben uns gesichtet. Halte auf die Jakobsleiter zu, Ben.“ Und zu seinen Rudergasten sagte er: „Noch etwa fünfzig Yards, Männer, dann geht der Tanz los. Vergeßt nicht, daß wir sofort das Achterkastell stürmen. Und wenn ich bitten darf: lautlos!“

Die Männer grinsten ihn an, während sich ihre Oberkörper vorbeugten, die Riemen ins Wasser hieben, durchzogen im langen Schlag und wieder aufrichteten. Ihre Waffen hatten sie unter den Duchten liegen, bis auf jene, die sie im Gürtel stecken hatten.

Der Mann mit der Fackel schrie etwas.

„Er will wissen, warum nur zehn zurückkehren“, sagte Ben Brighton leise.

„Weil zwei helfen, das Leck abzudichten“, sagte Hasard bissig. „Der soll doch nicht so dämlich fragen.“

Ben Brighton rief die Antwort zu der Galeone hoch, die jetzt wie ein klotziges Ungetüm vor ihnen aufragte.

Der Mann beugte sich weit mit der Fackel über das Schanzkleid.

„Du fällst gleich außenbords!“ rief Ben Brighton auf spanisch. Er steuerte die Jakobsleiter im spitzen Winkel an und flüsterte den Männern im Boot zu: „Nehmt die Riemen ein.“ Dann brüllte er auf spanisch: „Auf Riemen!“

Der Mann mit der Fackel war etwas zurückgetreten. Nur noch Kopf und Schultern ragten über das Schanzkleid. In der Rechten hielt er die Fackel, in die der Wind stieß und die Flamme leewärts bog.

„Der kokelt noch den verdammten Kasten an“, murmelte Ben Brighton und ratterte einen spanischen Fluch hinterher.

Der Arm mit der Fackel zuckte zurück und blieb hoch über dem Schanzkleid stehen.

Das Boot schurrte an die Bordwand. Matt Davies vorn im Bug erhob sich von der Ducht und schlug seinen Haken in die hölzerne Bordwand.

Hasard hangelte nach der Jakobsleiter, zeigte seinen Männern das blitzende Wolfsgebiß und enterte wie eine Katze hoch. Hinter ihm folgte Ben Brighton, dann Ferris Tucker, dann Blacky und die anderen Männer, zuletzt Matt Davies, der schlicht eine Vorleine um die Jakobsleiter schlang und das Boot mehr schlecht als recht festlegte.

Hasard stieg über das Schanzkleid und dem Mann mit der Fackel auf die Füße.

„Pardon“, sagte er, nahm ihm die Fackel aus der Hand und hieb sie ihm über den Schädel. Funken sprühten auf, Pechtropfen zerplatzen auf dem Kopf des Spaniers, seine Haare fingen Feuer, er brüllte und sprang mit einem irren Schrei über das Schanzkleid.

Wollte er sich abkühlen?

Er raste in den nach oben gekehrten Haken von Matt Davies, der ihn gewissermaßen aufhielt. Der Haken verfing sich in Höhe der Kehle und riß von dort aus die Brust und die Bauchdecke des Spaniers fingerbreit auf. Aus dem Kopfsturz des armen Kerls wurde eine Rolle rückwärts. Matt Davies ruckte ein bißchen, der Körper des Spaniers löste sich überschlagend von dem Haken und klatschte auf die Vorderducht des Bootes unter der Jakobsleiter.

Matt starrte nach unten und schüttelte den Kopf. Dieser Don hätte ihn fast mit in die Tiefe gerissen. Aber eines stand fest: Es waren nur noch siebzehn Dons. Dieser Don dort unten verblutete, und nichts, gar nichts würde seinen Tod noch aufhalten können.

Aber sein Brüllen, bevor er mit brennenden Haaren über das Schanzkleid gestürzt war, hatte die Männer der „Barcelona“ aus dem Schlaf hochgescheucht, bis auf den zweiten Wachgänger.

Und dessen Ansturm fing Ferris Tucker auf, der als dritter enterte. Er hob ihn einfach hoch und warf ihn außenbords. Da waren Hasard und Ben Brighton bereits auf dem Achterdeck.

Aus dem Vorkastell brachen Männer hervor und warfen sich Ferris Tucker und der nachfolgenden Entermannschaft entgegen. Ein wütender Kampf Mann gegen Mann entbrannte. Der riesige Schiffszimmermann klatschte einen Spanier mit der Handspake gegen den Fockmast, überrannte den nächsten und stürmte Hasard und Ben Brighton aufs Achterdeck nach.

Genau zu diesem Zeitpunkt erreicht Matt Davies im Sprung die Kuhl, zog sich einen Spanier mit dem Haken heran und setzte ihn außer. Gefecht. Den zusammensackenden Mann schob er von sich, hieb nach rechts und riß einem Don den Hals auf, sprang vor und brach zwischen zwei anderen Spanien durch zum Achterdeck.

Jetzt hatten sie das Achterdeck zu viert besetzt.

Hasard lauerte neben dem Niedergang zur Kammer des Capitans. Zehn, fünfzehn Sekunden verstrichen. Und dann schoß ein schmales, kleines Männchen mit einem blitzenden Degen wie ein Kobold aus dem Niedergang und stürzte sich verwegen in Richtung des Kuhldecks.

Hasard fing das Männchen gerade noch mit einem Fußhaken ab. Das Männchen prallte auf die Decksplanken, schlitterte bis zur Vorkante des Achterdecks, schnellte hoch, wirbelte herum und griff wie eine züngelnde Natter an.

Hasard blieb fast die Luft weg. Dieses Männchen führte eine Klinge, die selbst dem Fechtmeister aus Italien das Schwitzen beigebracht hätte.

Der riesige Ferris Tucker, eingedenk der Lehre Hasards, sich vor so einem Piekser in acht zu nehmen, hielt sich den rasenden Zwerg mit ausgestreckter Handspake vom Leibe. Degen gegen Handspake, zwei ungleiche Waffen, zwei ungleiche Kämpfer. Der eine verfluchte die Waffe des anderen. Der Große brüllte auf den Kleinen hinunter, und der Kleine giftete zu dem Großen hoch. Dabei säbelte er Ferris Tucker einen fast armlangen Span aus der Spake, und der wurde nun erst richtig wütend.

Hasard ging dazwischen, sonst hätte sich der Schiffszimmermann glattweg in den Degen gestürzt

„Oiga!“ rief er das Männchen an. „Hallo!“

Das Männchen ruckte herum, und schon klirrten die Klingen aufeinander, kreiselten, spielten, zuckten vor, finteten – tödliche Blitze, denen das Auge kaum zu folgen vermochte, und doch mußte das Auge des einen Fechters mit fast unheimlicher Präzision die Schwächen des Gegners erkannt haben.

Denn Hasards Klinge glitt plötzlich über die Klinge des Männchen hinweg, vorbei am schützenden Korb hoch zu einer Terz, die seine Degenspitze genau vor die Kehle des Männchens brachte.

Hasard stieß nicht zu. Das Männchen stand wie erstarrt, fast weiß im Gesicht.

„Er soll die Waffe fallen lassen“, sagte Hasard.

Ben Brighton schrie das Männchen an. Der Degen klirrte zu Boden.

„Na also“, sagte Hasard und senkte den Degen. „Er soll seinen Leuten befehlen, den Kampf aufzugeben. Wenn nicht – na, du weißt schon, Ben.“

Der Bootsmann schoß ein Stakkato spanischer Brocken auf das Männchen ab.

Das Männchen reckte die Brust heraus und schüttelte den Kopf. Hasard begriff, ließ den Degen fallen, zog eine Pistole, sprang auf das Männchen zu, stieß es an den Niedergang zur Kuhl und hielt ihm den Pistolenlauf an die Schläfe.

„Termino!“ brüllte er. „Schluß, ihr verdammten Idioten, oder ich schieße euren Capitan auf der Stelle nieder! Ben, sag das den Dons, aber schnell, wenn ich bitten darf!“

Ben Brighton legte los.

Die Kämpfenden ließen taumelnd voneinander ab und starrten zum Achterdeck hoch.

„Nach Waffen durchsuchen und fesseln!“ befahl Hasard seinen Männern. Gleichzeitig zählte er sie und atmete auf. Keiner lag an Deck, und keiner war schwer angeschlagen. Dafür wälzten sich drei Spanier stöhnend auf den Planken, zwei lagen ganz still.

Hasard zählte die Spanier. Mit dem Capitan waren es noch sechzehn. Zwei fehlten. Er blickte sich um.

„Einer blieb an meinem Haken hängen“, sagte Matt Davies und betrachtete seine Ledermanschette. Sie war ziemlich blutig.

„Einen hab ich außenbords gefeuert“, sagte Ferris Tucker.

Spaken, Belegnägel, Messer fielen an Deck. Für Philipp II. von Spanien zu segeln und die Schätze ausgeplünderter Länder nach Sevilla, dem großen Umschlagplatz aller dieser Güter zu bringen, war die eine Sache – für ihn zu sterben, eine andere, die nicht unbedingt zwingend erschien. Man lebte nur einmal, und außerdem hatte der Capitan – jenes kleine Männchen dort am Niedergang zur Kuhl – kapituliert und die Waffen gestreckt. Zudem sah dieser große, schwarzhaarige Teufel mit seinem wilden Gesicht ganz so aus, als sei er jeden Moment bereit, dem Capitan ein Loch in den Kopf zu schießen.

Murrend, aber widerstandslos ließen sie sich fesseln.

„Wohin mit den Dons?“ rief Blacky zum Achterdeck hoch.

„Ins Vordeck zunächst“, befahl Hasard, „und scharf aufpassen. Durchsucht das Vordeck nach Waffen.“

„Aye, aye.“

Hasard steckte die Pistole in den Gürtel und ließ das Männchen los.

Der kleine Capitan starrte zu ihm hoch. Hasard trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Ja, klein war dieser Juan Descola, aber seine Züge verrieten Kälte und Grausamkeit. Ein wie gelackt aussehendes, gezwirbeltes Bärtchen klebte über seinem messerscharfen Mund, und zwischen Kinn und Unterlippe sproß ein Haarbüschel in der Form einer Olive. Dunkle, gemeine, eng zusammenstehende Augen musterten Hasard abschätzend.

Es war ein böses Gesicht und Hasard so sympathisch wie ein angefaulter Zahn.

Und plötzlich nahm der Seewolf noch etwas anderes wahr, das er beim Entern der Galeone zwar irgendwie registriert hatte, dessen er sich aber jetzt erst voll bewußt wurde.

Etwas Unerklärliches lag über dem ganzen Schiff, ein merkwürdiger Geruch von Schweiß und Angst, von Schmutz und Abfall.

Auch Ben Brighton schien es zu spüren. Und dann Ferris Tucker. Sie hoben ihre Nasen wie witternde Jagdhunde.

Der Capitan verhielt sich schweigend, seine Mundwinkel waren verächtlich nach unten gebogen.

„Hier stinkt’s“, stellte Ben Brighton sachlich fest, „hier stinkts’s nach allem möglichen, nur nicht nach Weihrauch.“

„Frag ihn, was der Kasten geladen hat“, sagte Hasard.

Ben Brighton fragte. Der Capitan spuckte ihm vor die Füße, aber der Spucklaut war das einzige, was er äußerte.

„Ein sehr vornehmer Mensch“, sagte Hasard, „spuckt auf sein eigenes Deck, dieses Rübenschwein. Hat man so was schon gesehen?“

„Ich hätte ihn vorhin nicht geschont“, sagte Ferris Tucker erbittert. „Dieser Kerl ist eine ganz miese Wanze.“

Hasard bückte sich und nahm die beiden Degen auf. „Ich mag ihn auch nicht. Aber er hatte seinen Degen fallen lassen. Und einen Menschen, der sich ergibt, töte ich nicht. Das wäre nackter Mord.“

Blacky meldete, daß sie die Dons im Vorschriff untergebracht hätten.

Hasard nickte und deutete auf die Ladeluke in der Mitte der Kuhl. Sie war mit mehreren Ketten abgesichert, die wiederum von eisernen Schlössern zusammengehalten wurden.

„Merkwürdig“, sagte er. „Warum Ketten? Und was sollen die Schlösser?“ Er wandte sich an Ferris Tucker. „Untersuch doch mal den sauberen Capitan. Vielleicht trägt er die Schlüssel zu den Schlössern bei sich. Das würde uns der Mühe entheben, die Dinger aufzusprengen.“

Der Riese griff sich das Männchen, nicht gerade sanft, und untersuchte dessen Taschen. Nichts. Aber dann stutzte Ferris Tucker, riß das Spitzenhemd, das eine schöne Halskrause zierte, auseinander und schnappte sich triumphierend die Kette mit den Schlüsseln. Sie hatte um den Hals des Männchens gehangen. Das Männchen spuckte wieder und erhielt dafür von Ferris Tucker eine Maulschelle, die wie eine Muskete krachte und dem Giftzwerg fast den Kopf abriß.

„Dir bring ich schon nach Manieren bei, mein Freundchen“, stieß er hervor. „Wenn du noch einmal spuckst, verarbeite ich dich zum Putzlappen und wisch mit dir das Deck sauber.“

Ben Brighton übersetzte das mit Genuß und schien noch einiges hinzuzufügen, was dem Männchen offensichtlich die Lust nahm, weitere Spuckversuche zu unternehmen. Außerdem schüttelte ihn Ferris Tucker wie eine Puppe, und das entsprach in etwa einem Seegang bei Orkanstärke.

Dann warf er ihn zur weiteren Aufbewahrung Matt Davies zu, und der hielt ihn mit seinem Haken an der Halskrause fest.

Ferris Tucker sprang auf die Kuhl hinunter zu der Ladeluke. Blacky und ein anderer Mann leuchteten mit zwei Fackeln, als er die Schlüssel ausprobierte. Sie paßten zu den vier Schlössern, mit denen die Ketten kreuzweise verbunden waren. Sie klirrten zur Seite, und dann stemmte der Schiffszimmermann die Ladeluke hoch und schob sie vom Süllrand.

„Verflucht!“

Hasard fuhr herum, als die Baßstimme Ferris Tuckers ertönte. Er hatte zur „Santa Barbara“ hinübergeschaut, wo Smoky sicherlich sehnsüchtig auf ein Zeichen von ihnen wartete.

Die drei Männer bei der Ladeluke standen gebückt da und starrten in den Frachtraum. Sie wirkten wie versteinert.

„Was gibt’s?“ rief Hasard.

Ferris Tucker hob langsam den Kopf, richtete sich auf und blickte zu Hasard hoch.

„Schwarze“, sagte er tonlos, „Neger! Der ganze Frachtraum ist mit Negern vollgestopft. Schau’s dir an, Hasard.“

Mit einem Satz war der Seewolf auf der Kuhl und beugte sich über den Süllrand.

Der Gestank, der ihm entgegenprallte, war unbeschreiblich. Aber das war gar nicht einmal das schlimmste. Viel schlimmer war der Ausdruck in den Gesichtern, die zu ihm hochstarrten.

„Mein Gott“, murmelte Philipp Hasard Killigrew erschüttert.

Wild rollende Augäpfel in grauen Gesichtern, aufgerissene Münder, die gierig die frische salzige Luft einatmeten, Hände, die sich bettelnd hochreckten, blutig gepeitschte Rücken mit schwärenden Wunden – geschundene, leidende Menschen einer Rasse, die man noch unter dem Tier einstufte, Arbeitsvieh, das billig eingekauft und auf den Sklavenmärkten teuer und meistbietend verschachert wurde.

Sitzen konnten sie nicht in dem Frachtraum, liegen schon gar nicht. Sie standen bis zu den Oberschenkeln in einer stinkenden Brühe von Salzwasser, Urin, Exkrementen und Erbrochenem.

„Mein Gott“, sagte Hasard noch einmal ganz leise.

„Du – Engländer, Ssör?“ sagte eine tiefe Stimme zwischen all den grauen Gesichtern.

Ein herkulisch gebauter Neger plantschte direkt unter das Luk und starrte zu Hasard hoch. Er hatte ein knochiges Gesicht, eine kleine und gerade Nase, kurzes Kraushaar. Im Licht der Fackeln spielten die mächtigen Muskelstränge unter der samtenen Haut.

„Du sprichst unsere Sprache?“ fragte Hasard verwundert.

„Gelernt – in Mission, Ssör. Du uns befreien?“

„Worauf du dich verlassen kannst“, erwiderte der Seewolf. Es rutschte ihm heraus, und im selben Moment wurde ihm bewußt, was das bedeutete.

Er und fünfzehn Männer sollten eine Beutegaleone nach Plymouth segeln. Und was taten sie? Sie kaperten eine zweite Galeone, weil sie auf weitere Beute erpicht waren. Und was enthielt sie? Statt der erwarteten Schätze führte sie menschliche Fracht – schwarze Fracht an Bord, Verdammt, dreimal verdammt, wo sollte er mit den Schwarzen hin? Sie etwa nach Afrika zurückbringen?

Alles das schoß ihm innerhalb von Sekunden durch den Kopf. Zwischen zusammengebissenen Zähnen sagte er: „Werft ihnen eine Jakobsleiter hinunter. Stellt Pützen mit Seewasser bereit, damit sie sich waschen können. Blakky, sieh zu, daß du in der Kombüse etwas zubereitest. Ben, pull mit vier Männern zur ‚Santa Barbara‘ und bring sie hier längsseits. Matt?“

„Sir?“

„Jag diesen verdammten Capitan an die Pumpe. Er soll pumpen, bis er schwarz wird, dieser Drecksack. Tritt ihm in den Hintern, wenn er frech wird oder nicht pariert.“

„Geht klar, Sir.“ Und schon trat der Haken in Aktion, mit dem er den Capitan zur Pumpe trieb.

„Ferris, untersuch diesen Kasten. Ich glaub nicht daß er leckt. Die haben das Wasser aus lauter Bosheit in den Frachtraum gelassen. Aber sicher ist sicher.“

„Aye, aye.“

Auf der Steuerbordseite der „Barcelona“ klatschte etwas ins Wasser. Hasard sprang zum Schanzkleid und schaute nach unten.

Ben Brighton stand auf der Achterducht des Bootes und wischte sich die Hände an der Hose ab. Achteraus von dem Boot trieb ein menschlicher Körper und wiegte sich in der Dünung.

Ben Brighton blickte zu Hasard hoch und sagte: „’n toter Spanier, halb aufgeschlitzt. Er lag im Boot, und ich hab ihn ...“

„Schon, gut, Ben.“ Hasard trat zur Seite und sah zu, wie die vier Männer über die Jakobsleiter nach unten ins Boot kletterten.

Dann wandte er sich um und blickte zu der Frachtluke. Dort kniete der riesige Neger am Süllrand und langte nach unten. Anscheinend half er jemandem, der auf der Jakobsleiter hochstieg.

Und dann erstarrte Hasard, denn bisher hatte er das glattweg übersehen.

Die Gestalt, der dieser riesige Neger aus dem Frachtraum hochhalf, war unverkennbar weiblichen Geschlechts. Sie war nackt – bis auf den Lendenschurz. Ja, nackt. Und gebaut wie, verdammt, wie diese – diese Venus von sonstwo.

Hasard stieß scharf die Luft aus, die er angehalten hatte. Und seine Männer, die um die Luke herum standen, hatten Augen so groß wie Teller und offene Münder, in die eine Bratpfanne hineingepaßt hätte.

„O Mann“, murmelte Hasard vor sich hin. „Was hast du dir da eingebrockt?“

Und dann erschien die zweite Venus, die dritte, die vierte. Mechanisch zählte Hasard mit und hatte das Gefühl, mit einem Brett vor dem Kopf durch irgendeinen Nebel zu rennen.

Siebzehn!

Siebzehn junge Negerinnen, lendenbeschürzt und sonst von untadeligem Körperwuchs. Hasard wischte sich über die Augen und spürte dankbar, daß er das Schanzkleid im Kreuz hatte. Am liebsten hätte er sich über Bord gestürzt.

Hasard schloß die Augen, als die erste Venus ihren Lendenschurz abstreifte und sich mit spitzen, freudigen Juchzern einen Eimer Wasser über den Kopf goß. Er hörte das Trappeln nackter Füße über das Deck, das Platschen der Pützen, die ins Wasser fielen, das Geschnatter weiblicher Stimmen, das Plätschern des Wassers – und er dachte, daß dies alles nur ein Traum, ein total und völlig verrückter Traum sei.

Es war kein Traum. Es war eine Badeorgie, die diese siebzehn schwarzen Schönheiten veranstalteten. Das Wasser lief über die Kuhl und gurgelte durch die Speigatten wieder außenbords. Und seine Männer holten immer neue Pützen hoch und grinsten wie dämliche Mondkälber, wenn sie einer Schönen die volle Pütz überreichten, Kratzfüße zelebrierten und sich geradezu überschlugen, die leere Pütz so schnell wie möglich am Tampen wieder ins Wasser zu kippen und hochzuhieven.

Klar! Diese Hundesöhne, diese ausgekochten Rübenschweine – das Überreichen der Pütz, die Kratzfüße und das Wiederentgegennehmen der entleerten Pütz, das dauerte wesentlich länger als das Außenbordskippen und Hochhieven, bei dem man den Nackedeis – leider – den Rücken zudrehen mußte.

Wenn diese verdammten Weiber nur nicht so mit ihren Brüsten und mit ihrem Hintern wackeln würden, dachte Hasard verzweifelt. Und er atmete auf, als sich in die Badeorgie dann Neger mischten. Da wurde der Eifer seiner Männer allerdings auch lahmer.

Was für Burschen, diese Schwarzen! Ja, sie waren geschunden und geprügelt und ausgepeitscht worden. Sie hatten Eiterwunden und mußten halb verhungert und verdurstet sein. Aber sie gaben sich dem beißenden Salzwasser mit einer Freude hin, die etwas Naives und doch Wildes hatte. Sie spülten nicht nur den äußeren Dreck und Schmutz von ihren Körpern. Sie reinigten sich auch von der Schmach, die ihnen Weiße zugefügt hatten. Es war ein Ritual, das sie vollzogen.

Und plötzlich sang dieser riesige Neger, der englisch gesprochen hatte. Die anderen fielen ein. Es war eine traurige Melodie, aber jäh wurde sie wild, rhythmisch, aufpeitschend.

Hasard stieß sich von dem Schanzkleid ab und sah selbst ziemlich wild aus, als er durch die Masse der Schwarzen hindurchging und auf das Achterdeck stieg.

Als er sich umdrehte, verstummte der wilde Gesang. Der Herkules von Neger trat vor und blickte zu ihm hoch.

„Dir danken“, sagte er in seinem gebrochenen Englisch. Er klopfte sich auf die breite und naßglänzende Brust. „Ich Batuti.“ Er blickte nach rechts, zog eine schwarze Schönheit zu sich heran und drehte sie zu Hasard. „Schön?“

„Sehr schön“, sagte Hasard und hatte einen Kloß im Hals.

„Das sein Nuva“, sagte Batuti. „Sie gehören dir, Ssör.“

Diese Nuva – o verdammt – war ein Weib, das ganze Völkerstämme verrückt machen konnte. Vielleicht wußte sie das auch. Sie blickte aus verschleierten Augen zu Hasard hoch, den Kopf ein ganz klein wenig schiefgeneigt, aber ihr Nacken war kerzengerade. Ihre rechte Hüfte war etwas vorgeschoben, einladend zu einem Spiel, das so alt war wie die Menschheitsgeschichte. Ihr Körper war immer noch nackt, Tropfen perlten wie winzige Sterne an ihm hinunter.

Das, genau das war eine Situation, auf die kein Vater seinen Sohn und kein Lehrer seinen Schüler jemals vorbereitete. Sir John Killigrew schon gar nicht. Und wenn, dann war diese schwarze Venus ja schließlich eine Wilde, eine Wilde aus einem Urwald, den noch kein Weißer so richtig ergründet hatte. Man munkelte so allerlei, aber man wußte nichts.

Hasard befand sich in einer ausweglosen Situation. Und er war sich sehr klar darüber, daß er sehr gern wollte, aber nicht durfte. Er tat das – zunächst –, was alle Männer in ausweglosen Situationen zumeist tun. Er räusperte sich. Räuspern ist immer gut.

Er sagte: „Äm – ähem ...“

Worauf die Venus die linke Hüfte vorschob.

Aus den Augenwinkeln sah der Seewolf, wie seine Männer verstohlen grinsten. Er räusperte sich noch einmal, warf den verdammten Kerlen einen wütenden Blick zu, wobei ihm die verrücktesten Dinge durch den Kopf schossen, setzte zu einer Antwort an – und da rettete ihn buchstäblich in letzter Sekunde die „Santa Barbara“.

„Barcelona – ho!“ brüllte Ben Brighton, „Bitte Leinen wahrnehmen!“

Hasard zuckte entschuldigend mit den Schultern, wandte sich um und sah aufatmend, wie Backbord achteraus die „Santa Barbara“ unter dem Großsegel heranglitt, das aber im selben Moment aufgegeit wurde.

„Leinen wahrnehmen!“ rief Hasard seinen Männern zu.

Mit auslaufender Fahrt ging die „Santa Barbara“ bei der „Barcelona“ längsseits. Sie fuhren Leinen aus, um die beiden Schiffe miteinander zu vertäuen.

„Alles klar?“ fragte Ben Brighton. Er stand auf der Steuerbordseite des Achterdecks und schaute zu Hasard hinüber.

„Nichts ist klar“, sagte Hasard wütend. „Schau mal auf die Kuhl dieser verdammten Galeone.“

Ben Brighton trat weiter vor und äugte hinüber. Und dann ruckte er verblüfft wieder zu Hasard herum.

„Ich werd verrückt“, sagte er fassungslos. „Da sind ja Weiber an Bord – und noch dazu nackt ...“ Er machte den Hals lang und äugte wieder auf die Schönheiten.

Im Licht der Fackeln sah Hasard, daß sein Bootsmann ziemlich rot wurde.

„Verguck dich nicht“, sagte Hasard bissig. Sein Blick fiel auf Smoky, den Kutscher, Donegal Daniel O’Flynn, auf Pete Ballie und Gary Andrews und den dicken Lewis Pattern, den er in seine fünfzehnköpfige Mannschaft als Segelmacher aufgenommen hatte. Sie alle standen auf der Kuhl der „Santa Barbara“ an Steuerbordseite und hielten mit glotzenden Augen Maulaffen feil.

„Bootsmann“, sagte Hasard höhnisch, „könntest du wohl mal deine Männer da auf der Kuhl ein bißchen auf Trab bringen? Es gibt noch ’ne Menge zu tun. Ich möchte, daß sämtliche Spanier hier in den Frachtraum der ‚Barcelona‘ gebracht werden. Dann müssen wir die Mannschaft aufteilen, sieben Männer kommen zu dir, sieben zu mir. Die Neger verteilen wir ebenfalls. Die siebzehn Frauen bleiben bei mir an Bord. Ich werde ihnen das Vorschiff zuweisen.“

„Aye, aye, Sir. Und dann?“

„Steuern wir die Azoren an und setzen die Neger dort an Land“, sagte Hasard verbissen. „Oder dachtest du, ich nehme sie nach Plymouth mit?“

Ben Brighton zögerte. Dann sagte er: „Kapitän Hawkins und Kapitän Drake würden das aber tun. Für Schwarze kriegt man viel Geld.“

Zum erstenmal, seit der Seewolf die „Santa Barbara“ übernommen hatte, verlor er die Beherrschung.

„Ich bin aber weder Kapitän Hawkins nach Kapitän Drake!“ schrie er seinen Bootsmann an. „Ich bin kein Sklavenhändler, hast du mich verstanden?“

„Aye, aye, Sir, Verzeihung, Sir.“ Ben Brighton verschwand wie der Blitz vom Achterdeck der „Santa Barbara“. Und dann brachte er die glotzenden Männer auf Trab, daß es nur so rauchte.

Seewölfe Paket 1

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