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3.

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Philip Hasard Killigrew hatte zwei Seidenballen aufgerissen und in einem Quergang für die beiden Verletzten ein weiches Lager hergerichtet sowie noch einmal ihre Wunden verbunden. Stoff hatte er dafür mehr als genug. Gary Andrews fieberte und redete im Halbschlaf wirres Zeug. Hasard wies den Kutscher an, sich um ihn zu kümmern.

„Halte ihn fest, wenn er sich herumwirft“, sagte er. „Gary muß ruhig liegen, damit die Wunde nicht aufbricht und wieder zu bluten beginnt.“

„Geht klar“, sagte der Kutscher, „hab da so meine Erfahrungen von den Krankenbesuchen her, als ich noch Kutscher bei Sir Anthony Abraham Freemont war.“

Mit Ferris Tucker untersuchte Hasard dann das Türschott. Es war aus massiver Eiche und widerstand allen Versuchen, es aufzubrechen.

Wie viele Stunden sie inzwischen in dem Frachtraum zugebracht hatten, wußten sie nicht. Nach ihrem Hunger und Durst zu urteilen, mußte bereits ein Tag vergangen sein. Der Durst setzte ihnen in dem stickigen Frachtraum am meisten zu.

Hasard schätzte, daß die Spanier die Absicht hatten, seine Männer und ihn auf kleiner Flamme weichzukochen. Entkräftete Männer waren weniger gefährlich. Wahrscheinlich würden sie von Zeit zu Zeit eine Muck mit etwas Wasser und einen vergammelten Zwieback kriegen – zuviel zum Leben und zuwenig zum Sterben, eben ausreichend, um einen Mann nicht krepieren zu lassen.

Donegal Daniel O’Flynn, stets hungrig und mit normalen Portionen nicht satt zu kriegen, litt am meisten. Aber er jammerte nicht. Dafür untersuchte er systematisch sämtliche Säkke im Frachtraum und entdeckte nacheinander Zimtstangen, Pfefferkörner, Lorbeer, Majoran, gemahlenen Koriander, Ingwerwurzeln, Basilikumsamen und Aniskörner.

Die Aniskörner waren brauchbar, wie er beseligt feststellte. Sie schmeckten süß-würzig und ergaben mit zerkauten Ingwerwurzeln eine Ersatzmahlzeit, die durchaus genießbar war. Dann fand er noch einen Sack und öffnete ihn. Er griff hinein und hielt etwas in der Hand, das weder hart noch sehr weich war, ein daumenbreites dreieckiges Stück, von denen der ganze Sack voll war. Er nahm es heraus und roch daran.

Was war das?

Vorsichtig grub er seine Zähne in das Stück und kostete. Hm, nicht schlecht, etwas fettig, süß.

„He, Ben!“ rief er. „Ich glaub, ich hab hier was, das man essen kann. Probierst du mal? Du bist doch schon bei den Dons gefahren und kennst dich aus.“

Ben Bringhton kletterte über ein paar Säcke zu Dan, langte in den geöffneten Sack und holte ein Stück heraus.

„Kokosnuß“, sagte er sofort, „das Fleisch von der Kokusnuß.“

„Ist doch eßbar, oder?“

„Klar, und man wird ziemlich satt davon. Junge, das ist ein Fang. Hilf mir mal. Wir stellen den Sack in den Mittelgang, damit alle ran können.“

Sie hievten den Sack gemeinsam zwischen den anderen heraus und zogen ihn zum Mittelgang. Ben Brighton verteilte die Stücke, und für eine Weile war nur das Kauen und Schmatzen zu hören – eine Meute hungriger Wölfe, die ihre Zähne in das süße Fleisch hieben und es zermalmten. Der Ölgehalt in dem Fleisch reichte aus, ihren gröbsten Durst zu stillen.

Hasard schaute nach den beiden Verwundeten. Pete Ballie war eingeschlafen. Gary Andrews phantasierte und hatte einen glühendheißen Kopf.

„Verflucht, hoffentlich steht er das durch“, murmelte Hasard besorgt.

„Er ist von der zähen Sorte“, sagte der Kutscher.

„Dennoch, wir müssen hier raus. Wir könnten natürlich Krach schlagen und die Dons hereinlocken. Aber ich will nicht noch mehr Verletzte haben. Außerdem hat keiner von uns eine Waffe.“ Er schwieg einen Augenblick und fragte dann: „Weiß jemand, wie viele Dons es waren, die uns überrumpelt haben?“

„Ich hab zehn gezählt“, sagte Ferris Tucker.

„Ich auch“, erklärte Ben Brighton.

Hasard überlegte. „Pete und Gary sind kampfunfähig, dann steht das Verhältnis also vierzehn zu zehn. Einem der Dons habe ich zumindest die Kinnlade zerschlagen. Jedenfalls sind wir in der Überzahl – nur leider waffenlos. Ferris?“

„Ja?“

„Du solltest mal auf die Säcke hier steigen und Zoll für Zoll die Planken über uns untersuchen. Vielleicht sitzt eine locker oder ist verrottet. Über uns befindet sich das Unterdeck, sei also leise, falls du das Holz abklopfst. Ben, du bleibst beim Schott und lauschst, ob sich draußen was rührt. Stell dich so, daß du sofort zupacken kannst, sobald ein Don seine Nase hier hereinsteckt. Dann haben wir einen der Kerle als Geisel, ganz abgesehen von seinen Waffen. Blacky und Smoky, ihr geht mit Ben zum Schott und schnappt euch den nächsten, falls er auch neugierig wird. Sie dürfen aber nicht schreien. Sammelt die Riemen auf und steckt sie ein. Wir brauchen sie bestimmt noch. Alle anderen gehen in den Quergängen in Deckung, damit die Dons nicht auf Anhieb merken, daß wir nicht mehr gefesselt sind. So, Ferris, fang an.“

Der Riese begann auf der Backbordseite beim Schott und stieg dort auf die Ballen. Die Männer verhielten sich mucksmäuschenstill. Nur Gary Andrews lallte unverständliche Worte und atmete stoßweise. Hasard wußte, daß der Kutscher ihm unablässig den Schweiß vom Gesicht wischte.

Alles in der Dunkelheit des Frachtraums war unwirklich. Die schwachen Lichtschimmer zwischen den Ritzen des Türschotts waren verschwunden.

Es mußte Nacht sein.

Die „Santa Barbara“ lag nach Backbord über. Also segelte sie mit dem Wind von der Steuerbordseite. Hasard versuchte, sich die Situation oben auf dem Deck der Galeone vorzustellen. Zweifelsohne steuerte die „Santa Barbara“ östlichen, wahrscheinlich aber nordöstlichen Kurs, denn sie hatten unterhalb der Azoren gestanden, als von den Dons der „Wachwechsel“ erzwungen worden war. Verdammte Dons! Dieser Capitan mit dem langen Namen war als Gegner nicht zu unterschätzen.

Hasard vergegenwärtigte sich das Gesicht des Mannes – hager, dunkelbraun gebrannt, Adlernase, ein schmales, freches Bärtchen über der Oberlippe, das Kinn aber glattrasiert. Mit dem schmalen Ding über der Oberlippe hatte der Capitan sogar noch mehr als frech ausgesehen. Verwegen. Na ja, Bärte konnten alles mögliche vortäuschen, aber eines zeichnete diesen verdammten Miguel Lopez trotz allem aus: Er war strikt dagegen gewesen, einem Wehrlosen Fußtritte ins Gesicht verpassen zu lassen. Ein Gentlemen, dachte Hasard. Aber dieser Knebelbärtige, der ihm die Fußtritte zu kosten gegeben hatte, der war einr ganz miese Type.

Ferris Tucker unterbrach seine Gedanken. Er befand sich links hinter Hasard.

„Bisher nichts“, sagte er erbittert. „Hätte nie gedacht, daß die Dons so exakt bauen. Dieses Deck hier über uns ist nach Maß gezirkelt und gefugt. Alles gesundes Holz. Verdammter Mist. Wie kriegen die das nur hin. Da müßte man direkt noch mal in die Lehre gehen, wie die bauen.“

„Sie kochen auch nur mit Wasser“, sagte Hasard, „außerdem kannst du in Plymouth das Schiff auseinandernehmen und die spanische Bauweise studieren. Vielleicht lernst du etwas dazu, aber jetzt geht’s mir darum, den Frachtraum aufzuknacken, also such weiter, Ferris.“

„Aye, aye.“ Ferris Tucker schnaufte, und Hasard hörte, wie der Schiffszimmermann mit den Fingernägeln am Holz herumkratzte und leise mit den Knöcheln die Planken abklopfte.

„Huuuuh!“ schrie plötzlich Gary Andrews. „Die – die Wassermänner wollen ...“

Ersticktes Gurgeln.

„Ich halt ihm die Schnauze zu“, sagte der Kutscher entschuldigend.

„Dan, hilf ihm“, sagte Hasard scharf. „Gary darf jetzt keinen Krach schlagen.“

Er hörte, wie das Bürschchen in den Quergang tappte und sich über den zappelnden Gary warf.

Merkwürdig. Die Schandschnauze Donegal Daniel O’Flynn sagte mit ganz sanfter, ruhiger Stimme: „Wassermänner gibt’s nicht, Gary. Denk lieber an die Wasserweiber mit den kugeligen Brüsten – na, Junge? Ist das was? Still dir mal vor: so richtig prall und fest, daß du darauf Läuse knacken kannst, oder Flöhe, oder Kakerlaken ...“

Gary Andrews brabbelte etwas Unverständliches, aber es klang keineswegs wild, eher so, als erwäge er, mit einem solchen von Dan beschriebenen Wasserweib ein bißchen herumzuturnen.

„Du hast vielleicht ’ne schmutzige Phantasie“, sagte der Kutscher empört.

„Gary scheint’s aber zu gefallen“, sagte das Bürschchen.

„Mit dir nimmt das kein gutes Ende.“ Der Kutscher schien ziemlich fassungslos zu sein. „Als ich so jung war wie du, wußte ich noch nicht mal, was ’n Busen ist.“

„Kann ich mir denken.“ Das Bürschchen triumphierte so richtig. „Du bist eben zurückgeblieben. Und blöd bist du auch noch.“

„Du kriegst gleich eine geschmiert“, sagte der Kutscher giftig.

Hasard mußte einschreiten. Die beiden brachten es glatt fertig, sich gegenseitig an die Gurgel zu fahren.

„Würdet ihr beiden da wohl so freundlich sein, euren Disput auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen? Ich will, daß Ferris sich auf die Untersuchung des Decks über uns konzentrieren kann. Bei eurem Palaver ist das unmöglich. Seht zu, daß Gary ruhig bleibt.“

Er vernahm, wie einige Männer kicherten. Die Kerle hätten wahrscheinlich zu gern weiter mit angehört, was Dan dem Kutscher noch zu bieten hatte. Und daß er was zu bieten hatte, bewies sein Vorschlag, auf einem bestimmten weiblichen Körperteil Läuse zu knacken. Der Gedanke daran erheiterte Hasard, und genauso erging es seinen Männern. Manchmal war so ein Junge mit einem Maulwerk, wie es Donegal Daniel O’Flynn hatte, Gold wert.

Hasard gab sich keinen Illusionen hin. Es würde verdammt schwierig sein, aus dem Frachtraum auszubrechen und den Spieß wieder umzudrehen. Seine Männer waren in Ordnung. Sie klagten nicht, sondern gaben sich gelassen und vertrauten ihm. Gerade darum mußte er ihnen zeigen, daß er mit jeder Situation fertig wurde. Und er hatte die Pflicht, das Beuteschiff sicher und unbeschädigt nach Plymouth zu bringen. Das war weiß Gott keine Lustreise.

Er lauschte. Ferris Tucker befand sich jetzt links voraus von ihm und schien den vorderen Teil des Frachtraums erreicht zu haben.

„Ferris?“

„Ja?“

„Wie schaut’s aus?“

„Scheiße“, sagte der Schiffszimmermann, „alles stabil und sauber verarbeitet.“

Hasard biß sich auf die Lippen. Wenn sie es nicht schafften, zum Unterdeck durchzustoßen, mußten sie versuchen, die Spanier hier unten im Frachtraum zu überwältigen. Das bedeutete, kämpfen zu müssen – nackte Fäuste gegen stählerne Waffen.

Er mußte eine List finden, ohne daß das Leben seiner Männer dabei aufs Spiel gesetzt wurde. Der Seewolf zerbrach sich den Kopf und gelangte doch immer wieder zu dem Schluß, daß ein Kampf unausweichlich war.

„Hallo!“ sagte Ferris Tucker ziemlich erregt. „Hier ist was! Ich komm aber nicht richtig ran. Die Stelle ist direkt über dem Mittelgang – ’ne Planke, ziemlich verrottet. Ich kann mit dem Finger drin rumpulen. Alles morsch und weich. Mann, ist das ein Ding ...“

Hasard hatte sich bereits durch den Mittelgang nach vorn getastet und stand jetzt unmittelbar unter dem Schiffszimmermann, der sich oben auf den Säcken weit nach rechts verrenkte, um das Holz zu untersuchen.

„Du brichst dir gleich das Genick, Ferris“, sagte er. „Warte einen Moment. Wir schieben ein paar Säcke von der Steuerbordseite hierher zum Mittelgang. Packt mal mit an, Männer.“

Sie lösten die Säcke und Ballen aus ihren Laschungen, mit denen sie festgezurrt waren, und schoben sie zum Mittelgang. Hasard stieg hoch – mit eingezogenem Kopf, um nicht an das Deck zu stoßen – und tastete sich zu Ferris Tucker vor. Der Schiffszimmermann nahm seine Linke und führte sie zu der Planke hoch.

„Hier ist die Stelle“, sagte er befriedigt.

Hasard bohrte seine Finger in das Holz und drückte mit der Faust dagegen. Tatsächlich, das Holz war herrlich verrottet. Mit dem Zeigefinger tastete er nach rechts und spürte die Längsfuge zur nächsten Planke. Dann fuhr er mit dem Finger nach links, bis er die andere Längsfuge spürte. Die morsche Bohle maß etwa vier Handbreit, vielleicht etwas mehr. In der verdammten Dunkelheit war das nicht so ohne weiteres festzustellen.

Und jetzt?

Als habe Ferris Tucker seine Gedanken erraten, sagte er: „Wir könnten uns mit den Schultern unter die Planke stemmen und sie hochdrücken. Viel hält die nicht mehr aus.“

„Das ist richtig“, erwiderte Hasard, „nur schätze ich, daß im Unterdeck hier über uns ein paar Dons sind, die zur Zeit keine Wache gehen.“

„Die pennen doch.“

„Hoffentlich. Und ich hätte auch nichts dagegen, wenn sie recht tief schlafen. Wo liegt die Planke auf dem Decksbalken auf?“

„Hier, weiter voraus“, erwiderte Ferris Tucker. „Meinst du, wir sollten dort zuerst hebeln?“

„Genau.“

„Das kann ich allein“, sagte der Schiffszimmermann und schien in die Hände zu spucken. „Sobald es sich etwas anhebt, müßtest du von hier aus dann mitdrücken. Hoffentlich kracht uns der Krempel nicht mit Getöse weg.“

„Nicht, wenn du ganz vorsichtig und ohne zuviel Krafteinsatz drückst. Also los. Bist du klar?“

„Bin ich – jetzt, Hasard!“

Die Männer hielten den Atem an. Es knackte und knarrte, Holz splitterte und brach. Es waren keine allzu lauten Geräusche, aber sie hatten den Eindruck, das Schiffe breche auseinander. Natürlich täuschte das, denn jedes Schiff auf See knackte und knarrte je nach der Beanspruchung, nach Windstärke und Seegang.

„Ah“, flüsterte Ferris Tucker.

Dort, von wo seine Stimme ertönte, erschienen in der Dunkelheit zwei Lichtspalten, rechtwinklig verbunden mit einem dritten, kleineren Lichtspalt, der genau der Breite der Planke entsprach. Das Licht war nicht hell, keineswegs. Nur ihre Augen empfanden es so, die zu lange in die Dunkelheit gestarrt hatten.

Und jetzt verkündeten die drei Lichtspalten, daß dieser verteufelte Seewolf und der Schiffszimmermann kräftig dabei waren, entweder ein neues Tor zur Hölle oder aber in die Freiheit aufzustoßen.

„Halt das Scheißding fest, Ferris!“ zischte Hasard. „Noch ein Mann hier herauf, aber fix, und mit abstützen, sonst kracht uns die Planke weg.“

Einer klomm wie eine Katze in Sekundenschnelle auf die Säcke und unterfing neben Hasard die Planke.

„Gut so“, flüsterte Hasard. „Ferris, bitte jetzt die Planke ankanten. Drück sie aber erst noch ein bißchen höher.“

„In Ordnung“, flüsterte Ferris Tucker zurück.

Die Lichtspalten wurden größer und breiter. Sie sahen, wie der Schiffszimmermann die Planke höherstemmte und ankantete. Sie löste sich auch von dem hinteren Decksbalken. Holzstücke bröckelten nach unten. Die Planke schwebte plötzlich, von den drei Männern gehalten, frei in der Luft und wurde angekantet schräg nach unten gegeben.

„Wahrnehmen“, flüsterte Hasard.

Kräftige Fäuste packten zu und legten die Planke sanft auf den Boden des Frachtraums.

Über ihnen gähnte ein etwa vier Yards langer, schulterbreiter Spalt, erhellt von dem Licht einer nicht sichtbaren Öllampe.

Seewölfe Paket 1

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