Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 18

5.

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Der Wechsel zwischen Nacht und Morgen kündigte sich an, aber noch war die Kimm unsichtbar, versteckt in der Dunkelheit. Das Deck glitzerte feucht, ein kühler Wind wehte beständig, ohne Böen, von Südsüdwest heran und trieb die „Santa Barbara“ stetig in nordöstliche Richtung.

Die beiden Männer atmeten tief durch und füllten ihre Lungen mit der frischen, salzigen Luft. Ein paar Nebelschwaden schwebten verloren leewärts.

Die Blicke der beiden Männer glitten zum Achterdeck. Drei Männer standen dort, undeutlich erkennbar. Eine Stimme, laut und scharf, fast gereizt, sagte etwas.

„Der Capitan“, flüsterte Ben Grighton. „Er will wissen, wo die neue Wache bleibt.“

Hasard zeigte seine Zähne und sagte ebenso leise: „Die kommt jetzt. Los, Ben, fang an zu palavern.“

Er setzte sich in Marsch quer über die Kuhl. Der Bootsmann folgte ihm und schnatterte auf spanisch weiß Gott was. Es klang durchaus musikalisch und schien den Capitan auf dem Achterdeck zu beruhigen. Jedenfalls drehte er sich um, die Hände auf dem Rücken, und marschierte zur Backbordseite. Typisch, dachte Hasard, alle Kapitäne wandern auf ihren Achterdecks von Steuerbord nach Backbord und wieder zurück, haben die Hände auf dem Rücken, kontrollieren unablässig den Stand der Segel, den Kurs, die See und scheinen mit tausend Gedanken beschäftigt.

Ob der Capitan allerdings bei seinen tausend Gedanken auch daran dachte, wie schnell ihm das Kommando über die „Santa Barbara“ wieder abgenommen werden konnte, war mehr als fraglich.

Hasard verbarg die Pistole unter dem Cape und stieg leichtfüßig den schmalen Niedergang hoch, der zum Achterdeck führte.

Der Capitan würdigte ihn keines Blickes. Er marschierte an ihm vorbei zur Steuerbordseite. Nur der Handspakenmann wetterte los.

Hasard grinste, glitt hinter den Capitan und bohrte ihm den Lauf der Pistole ins Kreuz.

„Ben! Sag ihm, daß wir wieder die ‚Santa Barbara‘ übernehmen. Sag ihm meine Empfehlung, und er soll seine verdammten Pfoten ruhig halten, sonst puste ich ihm ein Loch in die Haut!“

Der Bootsmann rasselte seinen Text herunter und hielt gleichzeitig dem Spakenmann die Pistole unter die Nase.

Die drei Spanier standen wie steinerne Denkmäler, mit aufgerissenen Augen und hängenden Unterlippen.

Der vierte Don, der als Rudergänger am Kolderstock stand, kapierte überhaupt nichts und fragte irgend etwas Dämliches.

„Sag ihm, er soll die Schnauze halten und auf Kurs bleiben“, befahl Hasard und zog dem Capitan eine Pistole aus dem Gürtel.

„Verdammt“, sagte der Capitan sehr deutlich und auf englisch.

„Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Senor Capitan“, sagte Hasard, und zu Ben Brighton: „Entwaffne den Spakenmann. Der andere Don ist harmlos. Das ist der, dem ich das Kinn verschoben habe. Schau mal, der wackelt jetzt noch mit dem Kopf.“

Der Spakenmann fluchte lästerlich.

„Was sagt er?“ fragte Hasard interessiert.

„Was ganz Unanständiges.“ Ben Brighton grinste. „Er meint, du seist einer Familie von Hurenböcken, Saufbolden, Tagedieben, Galgenstricken und Spitzbuben entsprungen.“

„Wenn das Sir John wüßte“, sagte Hasard und seufzte. „Hast du seine Waffen?“

„Hab ich.“

„Treib sie beide ganz nach achtern an die Heckreling.“ Er knuffte den Capitan ins Kreuz. „Sie bitte auch, Senor Capitan.“

Die drei Dons schlurften zur Heckreling.

Hasard räusperte sich. „Sag ihnen, sie dürften sich nicht umdrehen, sonst kracht’s. Dann hol unsere Männer. Ich halte die drei Dons solange in Schach. Der Kutscher soll gleich die Kombüse besetzen und was Handfestes zubereiten. Sorg dafür, daß immer ein Mann bei den Dons Wache hält.“

„Sollen sie im Unterdeck bleiben?“

„Vorerst ja.“

Der Bootsmann rasselte ein paar spanische Sätze herunter. Die drei Spanier standen an der Heckreling – ihnen den Rücken zugewandt – und rührten sich nicht.

Ben Brighton eilte über das Achterdeck, sprang auf die Kuhl hinunter und verschwand. Minuten später war die „Santa Barbara“ wieder fest in den Händen Hasards und seiner Männer.

Als der Capitan gefesselt vom Achterdeck geführt wurde, blieb er bei Hasard stehen und lächelte höflich.

„Du sehr gute Capitan“, sagte er.

„Danke“, sagte Hasard und lächelte ebenfalls.

„Aber großes Problem für dich.“ Aus dem Lächeln des Capitans wurde ein breites, zufriedenes Grinsen.

„Aha“, sagte Hasard und fragte sich, was den Capitan Miguel Lopez und so weiter so erheitere.

„Sehr, sehr großes Problem“, wiederholte der Capitan. „Du schauen Steuerbord achteraus, bitte sehr!“

„Bitte sehr“, sagte auch der Seewolf und wandte den Kopf.

Das war ja doch wohl die Höhe. Hasard blieb buchstäblich die Spucke weg.

Gestaffelt Steuerbord achteraus, etwa dreihundert Yards entfernt, segelte im Morgendunst auf gleichem Kurs eine andere Galeone, dickbäuchig, schwarz angestrichen, zwölf Stückpforten auf der Backbordseite. Allerdings waren sie geschlossen.

Hasard drehte sich langsam wieder um und blickte den grinsenden Capitan an. Das Grinsen wird dir schon noch vergehen, Freundchen, dachte er und sagte: „Sehr schön, Senor Capitan, aber wo ist da ein Problem, bitte sehr?“

„Dort die ‚Barcelona‘ – sehr starkes Schiff, sehr, sehr gute Capitan, Freund von mir, Senor Juan Descola, er dich verschlingen, hahaha!“

„Dich auch“, sagte Hasard freundlich. „Mitgefangen, mitgehangen. Wenn die ‚Santa Barbara‘ absäuft, sauft ihr alle mit ab, verehrter Kollege Capitan.“

„Mein Leben für den König“, sagte der Capitan stolz.

„Ich werd’s ihm ausrichten, wenn ich ihn mal treffe“, sagte Hasard und wandte sich zu Ben Brighton um. „Bring ihn unter Deck, Ben, bevor es hell wird. Ab sofort trägt jeder Mann von uns, der an Deck arbeitet, spanische Kleidung. Zieht den Dons die Klamotten aus und probiert, was wem paßt. Ich möchte das Zeug von diesem verehrten Senor hier haben. Und jetzt verschwindet, bevor die Dons den Schwindel bemerken.“

Noch bevor die Sonne durchbrach, war die Maskerade beendet. Ben Brighton, der einzige, der die spanische Sprache beherrschte, wurde zum wichtigsten Mann an Bord der „Santa Barbara“. Er mußte ständig bei Hasard bleiben, um notfalls sofort dolmetschen zu können.

Wieder einmal inspizierten sie zu dritt den Fockmast, der aber nicht mehr als Mast zu bezeichnen war. Die Dons hatten aus einer Spiere einen Notmast errichtet und die eigentliche Fock verkleinert.

Hasard meinte, daß es besser als gar nichts sei, während Ferris Tucker die Ansicht vertrat, daß sie mit dem Murksding von Notmast ziemlich lahm seien, was ja auch stimmte, und wenn sie mal türmen müßten, seien sie aufgeschmissen.

Hasard schaute zu der „Barcelona“ hinüber, etwas nachdenklich, wie es schien. Ferris Tucker und Ben Brighton wechselten einen schnellen Blick und grinsten sich dann an. Offensichtlich kannten sie ihren Seewolf inzwischen. Der heckte also wieder etwas aus, und beide stimmten still darin überein, daß es mit der schwarzen Galeone da drüben zusammenhing.

Sie hatten recht.

Hasard sagte: „Eigentlich hatte ich nicht die Absicht, die Dons da drüben bis Spanien zu begleiten. Ihr doch auch nicht, oder?“

Was für eine Frage! Die beiden Männer grinsten nur, und Ferris Tucker sagte: „Möchte wissen, was der Kasten geladen hat.“

Er leckte sich über die Lippen und sah aus wie ein rothaariger Kater, der sich an ein Schüsselchen mit Sahne heranpirscht.

„Möcht ich auch wissen“, sagte Ben Brighton.

„Ich auch“, sagte der Seewolf. „Ich stelle also fest, daß wir drei, die wir die Schiffsführung verkörpern, einhelliger Meinung sind.“

Die beiden schauten ihn verblüfft an. Warum sprach dieser Teufelsbraten plötzlich so gestelzt?

„Dennoch“, fuhr Hasard fort, „müssen wir uns die Frage stellen, ob es nicht ratsamer ist, uns zu nächtlicher Stunde mit der ‚Santa Barbara‘ von der ‚Barcelona‘ abzusetzen und schleunigst auf Gegenkurs zu verschwinden.“

„Da bin ich dagegen“, sagte Ferris Tucker prompt und fast empört.

„Ich auch.“ Der Bootsmann hieb in dieselbe Kerbe.

„Na denn“, sagte Hasard zufrieden. „Ich nämlich auch.“

Jetzt grinsten sie alle drei wie sahnelüsterne Kater.

Da Hasard sich bislang der Aufgabe gewidmet hatte, die „Santa Barbara“ heil nach Plymouth zu bringen, sah er sich nun mit dem Problem konfrontiert, sich noch ein zweites Beuteschiff aufzuhalsen und in den sicheren Hafen zu steuern – vorausgesetzt, sie schafften es überhaupt, den schweren Brokken zu schlucken.

Die beiden Männer starrten den Seewolf erwartungsvoll an und waren sich sicher, daß der bereits wieder eine Patentlösung aus dem Ärmel schütteln würde.

So war es.

Hasard sagte: „Wir werden nach einem ähnlichen Rezept verfahren wie heute nacht im Unterdeck. Das heißt, wir müssen versuchen, die Besatzung der ‚Barcelona‘ aufzusplittern, um ein vernünftiges Kräfteverhältnis herzustellen. Ich habe vor, so viele Dons wie möglich an Bord der ‚Santa Barbara‘ zu lokken. Das geschieht mit einem Taschenspielertrick. Wir werden den Dons auf der ‚Barcelona‘ kundtun, daß wir ein Leck hätten und um kräftige Männer für die Pumpe bäten, unsere Männer seien bereits total erschöpft. Wenn die Dons einzeln über das Schanzkleid klettern, nehmen wir sie gebührend in Empfang und packen sie verschnürt zu den anderen.“

„Mann, ist das ein Ding!“ stieß Ferris Tucker hervor.

„Langsam, Ferris“, sagte Hasard, „jetzt wird’s nämlich ernst. Und hier wird das Unternehmen für uns gefährlich. Wir müssen entern und kämpfen. Allerdings haben wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Wir werden mit etwa zehn Männern unserer Besatzung in dem Boot der Spanier zur ‚Barcelona‘ pullen und die Dons überrumpeln. Wenn es mir gelingt, den Capitan der ‚Barcelona‘ zur Aufgabe zu zwingen, haben wir es geschafft. Ben, du mußt mir noch ein paar spanische Brocken beibringen, die dafür passend sind ...“

„Was denn? Entere ich nicht mit?“ fragte der Bootsmann empört.

„Nein“, erwiderte Hasard, „mach dich gleich damit vertraut, daß du die ‚Santa Barbara‘ übernehmen wirst, wenn wir die ‚Barcelona‘ gekapert haben. Oder traust du dir das nicht zu?“

„Aye, aye, Sir“, sagte Ben Brighton und hatte plötzlich eine sehr breite Brust.

„Na also“, sagte Hasard. „Weitere Einzelheiten besprechen wir noch. Unser Unternehmen starten wir heute abend, wenn es zu dämmern anfängt. Wenn es ganz dunkel ist, pullen wir zur ‚Barcelona‘ hinüber und entern. Ferris, übernimmst du jetzt die Wache? Ich möchte mich mit dem Capitan noch einmal unterhalten. Ben, du haust dich unter dem Achterkastell aufs Ohr, mußt aber sofort bereit sein, wenn Ferris dich als Dolmetscher braucht. Ich löse Ferris in drei Stunden ab. Ben, du gehst dann mit mir die Wache und bringst mir spanische Vokabeln bei. Alles klar?“

„Alles klar“, sagten die beiden.

Ferris Tucker äugte noch mal auf den Notmast.

„Und wo kriegen wir einen besseren Mast her?“

„Vielleicht hat die ‚Barcelona‘ Ersatz, den wir verwenden können“, erwiderte Hasard. „Oder wir segeln zu den Azoren und legen einen Baum um, was, wie?“

„Affenarsch und Rübenschwein“, sagte Ferris Tucker. „Der alte Carberry fehlt mir direkt.“

„Mir auch“, sagte Hasard und dachte an den eisernen Profos auf der „Marygold“.

Sie gingen nach achtern, und Ferris Tucker übernahm die Wache. Hasard inspizierte seine Männer, die an Oberdeck der üblichen Bordroutine nachgingen – ja, sie waren alle „spanisch“ gekleidet. Die Dons auf der „Barcelona“ mußten schon sehr, sehr scharfe Augen haben oder noch dichter heransegeln, um die Verkleidung zu erkennen.

Er hoffte nur, daß nicht vor dem Dunkelwerden etwas Unvorhergesehenes passierte. Hatte er an alles gedacht? Er blickte zum Großmars hoch. Donegal Daniel O’Flynn hatte seinen Ausguckposten bezogen. Er linste zu Hasard hinunter und kaute auf einer Speckscheibe.

„Dan!“ rief Hasard nach oben. „Behalte vor allem die ‚Barcelona‘ im Auge. Alles, was dir dort ungewöhnlich erscheint, bitte sofort melden. Wir müssen immer damit rechnen, daß die Dons aus irgendeinem Grunde mißtrauisch werden. Also paß scharf auf.“

„Aye, aye!“ rief das Bürschchen nach unten. „Nehmen wir den Kasten hopp?“

„Schätze, ja“, erwiderte der Seewolf.

Das Bürschchen pfiff begeistert, und Hasard hätte ihm dafür am liebsten einen Tritt in den Hintern verpaßt. „Wenn dir mal ein Ohr abgesäbelt wird, pfeifst du nicht mehr, du Läuseknacker!“

„Ich habe ja noch eins“, sagte der Lümmel.

„Und wenn du wie dein Vater ein Bein verlierst?“

„Krieg ich ’n Holzbein, genau wie der Alte, der mich mit seinem immer verdroschen hat. Ha! So’n Holzbein aus englischer Eiche, das ist was, das ist ’ne richtige Waffe, ist das, jawohl.“

„O Gott“, sagte Hasard, „du hast doch ein zu sonniges Gemüt.“

„Der Don fällt auf uns ab!“ sagte das Bürschchen erregt. „Er segelt dichter ran!“

Hasard wirbelte herum und blickte nach Steuerbord achteraus. Tatsächlich. Die „Barcelona“ ging mehr vor den Wind. Verdammt, verdammt!

„Der Bootsmann sofort aufs Achterdeck!“ rief er Blacky zu, der damit beschäftigt war, das Kuhldeck zu schrubben.

Blacky schoß wie der Blitz unter das Achterkastell und erschien ein paar Sekunden später mit Ben Brighton, der sich hastig die rote Zipfelmütze über den Kopf zog.

„Rauf zu Ferris!“ rief Hasard. „Schnell, Ben!“

Der Bootsmann enterte aufs Achterdeck, Hasard folgte ihm, schnappte sich eine lange Leine und tat so, als schieße er sie fein säuberlich auf. Dabei drehte er Ferris Tucker und Ben Brighton den Rücken zu – ein beschäftigter Seemann, der das Achterdeck aufklart.

„Starrt nicht alle zu der verdammten Galeone hinüber“, sagte er scharf. „Tut so, als sei alles völlig normal. Ferris, wenn der Don die Absicht erkennen läßt, den wilden Mann zu spielen, dann nichts wie runter aufs Kuhldeck und ran an die Kanonen, klar?“

„Aye, aye, Sir“, sagte der Schiffszimmermann mit seiner Baßstimme. Sie klang völlig ruhig.

Hasard spähte über die Schulter. Die schwarze Galeone segelte auf Rufweite heran. Auf dem Deck des Achterkastells standen drei Männer. Einer winkte, hielt dann die Hände trichterförmig vor den Mund rief etwas zu ihnen herüber.

„Er entbietet Capitan de Pordenone seinen Morgengruß“, sagte Ben Brighton mit zusammengebissenen Zähnen.

„Auch das noch. Sag ihm, der Capitan habe sich in seine Kammer begeben, um Schlaf nachzuholen, und er wolle nur geweckt werden, wenn etwas Außergewöhnliches geschehe.“

Ben Brighton nickte, formte die Hände zum Trichter und brüllte ein paar spanische Sätze zur „Barcelona“ hinüber.

Drüben wurde „Verstanden“ gezeigt, ein paar Kommandos ertönten, die „Barcelona“ ging wieder auf ihren alten Kurs zurück und sackte Steuerbord achteraus.

Die Männer auf der „Santa Barbara“ atmeten auf.

„Die sägen vielleicht auf unseren Nerven herum“, sagte Ben Brighton mißbilligend. „Ich war gerade eingeschlafen.“

„Geh runter und penn weiter“, sagte Hasard. „Ferris, laß vorsichtshalber drei Kanonen auf der Steuerbordseite feuerbereit machen, aber nicht zu auffällig. Die Männer sollen so tun, als würden die Waffen gereinigt.“

„Aye, aye.“

„Sind Pete und Gary noch im Unterdeck?“

„Nein, im Vordeck. Ben hat sie direkt am Schott untergebracht, wegen der frischen Luft.“

„Gut. Ich schau sie mir nachher an. Ich bin jetzt beim Capitan im Unterdeck, falls was los ist.“

Die Gefangenen wurden von Smoky bewacht, der auf einer Backskiste saß und mit einer Pistole spielte. Die sechs bewußtlosen Dons waren inzwischen zu sich gekommen. Alle zehn sahen nicht sehr glücklich aus.

Smoky stand auf, als Hasard das Unterdeck betrat.

„Alles klar hier, Smoky?“

„Aye, aye. Nur der Capitan ist ständig am Maulen.“

Gemütvoll sagte Hasard: „Dagegen wirkt ein Knebel Wunder.“

Smoky grinste. „Soll ich ...“

„Noch nicht, nur wenn’s schlimmer wird.“ Hasard trat vor den Capitan und schaute auf ihn hinunter. „Capitan Descola von der ‚Barcelona‘ läßt Ihnen seinen Morgengruß entbieten, Capitan. Ich habe ihm sagen lassen, Sie hätten sich zur Ruhe begeben und wünschten nicht gestört zu werden. Ich hoffe, das ist in Ihrem Sinne.“

In den dunklen Augen des Spaniers schimmerte verhaltene Wut.

„Alle Engländer Bastarde!“ stieß er hervor.

„Mag sein“, erwiderte Hasard ruhig, „ich kenn mich da nicht so aus. Wir Männer vom Stamm des Petrus sind friedliche Leute. Nur wenn wir gereizt werden, vergessen wir die christliche Nächstenliebe.“

„Ihr alle verdammte Ketzer!“

„Verehrter Capitan“, sagte Hasard, „lassen wir doch die kirchlichen Dinge mal aus dem Spiel. Ich schätze, auch in Spanien sind nicht alle der einhelligen Auffassung, der derzeitige Papst sei ein sehr würdiger Vertreter Gottes auf Erden.“

„Alle!“ fauchte der Capitan.

Hasard schüttelte den Kopf. „Das glaub ich nicht, zum mindesten kann ich mir nicht vorstellen, daß alle spanischen Seeleute vernagelte Katholiken sind – die dreißig Seeleute auf der ‚Barcelona‘ zum Beispiel bestimmt nicht.“

„Doch – alle dreißig!“

Hasard zeigte sein charmantestes Lächeln und verbeugte sich. „Danke, Senor Capitan, das wollte ich wissen. Es ging mir nicht um die Religion. Ich wollte nur erfahren, wie stark die Besatzung der ‚Barcelona‘ ist. Meine Schätzung ist also richtig.“

Der Capitan biß sich auf die Lippen und schien vor Wut zu platzen.

„Man muß Niederlagen mit Fassung tragen“, sagte Hasard. „Lernt man das nicht in Spanien?“

„Teufel!“

„Senor Capitan“, sagte Hasard, „als Sie unten im Frachtraum Ihren knebelbärtigen Schlagetot daran hinderten, mir den Kopf einzutreten, dachte ich, Sie seien ein Mann von vornehmer und ritterlicher Gesinnung. Bitte geben Sir mir keine Veranlassung, diese Meinung zu revidieren.“

Der Spanier wurde dunkelrot im Gesicht und drehte den Kopf weg. Er schwieg.

Hasard wandte sich ab. Im Hinausgehen sagte er: „Paß gut auf, Smoky. Falls die Dons zu palavern anfangen, benutz den Knebel.“

„Aye, aye, Sir.“

Der Seewolf drehte sich im Schott noch einmal um und blickte Smoky an.

„Kannst du mir mal erklären, was dieses ‚Sir‘ soll? Ich gehöre zum Vordeck und bin nur für diese Fahrt Kapitän.“

„Schon.“ Smoky wand sich verlegen, kratzte sich die Brust und starrte auf seine Füße. Ohne Hasard anzusehen, sagte er: „Du – du bist eben vornehmer als unsereiner – und – und hast mehr auf dem Kasten.“

Hasard ergriff schleunigst die Flucht.

So sah und hörte er nicht, wie Smoky dem Capitan die Faust hinreckte und ihn anknurrte: „Sag noch einmal ‚Teufel‘ zu meinem Kapitän, und ich schlag dir die Fresse ein!“

Der Seewolf überquerte indessen die Kuhl und betrat das Vordeck. Er warf nur einen Blick auf Gary Andrews, fuhr herum, und seine Stimme war messerscharf.

„Kutscher!“

Der stürzte aus der Kombüse, die Augen vor Schreck weit aufgerissen.

„Verdammt, bist du hier der Doc an Bord oder nicht? Gary ist rotglühend!“

„Ja – ja.“ Der Kutscher geriet ins Stottern. „Ich – ich wollte dich schon rufen, aber – aber du warst unten beim Capitan – da-da-da mochte ich nicht stören.“

Hasard fluchte wild. „Mann, was heißt hier stören? Der Capitan ist mir scheißegal. Hier geht’s um Gary. Bist du blöd, oder was bist du? Meinst du vielleicht, dieser Capitan sei mir wichtiger als Gary?“

Philip Hasard Killigrew wurde so richtig biestig und zeigte plötzlich eine Seite, die bislang noch keiner erkannt hatte – er selbst am allerwenigsten.

Er stauchte den Kutscher zusammen, daß es nur so rauchte, und alle Männer – auch der Kutscher – die an Oberdeck der „Santa Barbara“ mithörten, begriffen, daß dieser schwarzhaarige, blauäugige Teufel zu einem Orkan werden konnte, wenn jemand eine ihm gestellte Aufgabe und Pflicht zu lax auffaßte.

Außerdem ging es um Gary Andrews.

Sie begriffen, daß dieser Killigrew niemanden von seiner Mannschaft jemals im Stich und kaltblütig verrecken lassen würde. Darum, und nur darum, fiel er mit dieser ungebärdigen Wildheit über den Kutscher her.

Der Kutscher stand vor Hasard und schlotterte am ganzen Körper. Ferris Tucker auf dem Achterdeck sah zu, daß er aus dem Blickwinkel dieser eisblauen Augen kam. Donegal Daniel O’Flynn oben im Hauptmars starrte angestrengt über die See. Blacky schrubbte wie ein Irrer die Planken der Kuhl. Der Rudergänger steuerte haarscharfen Strich.

Sie alle waren ungemein konzentriert – und dennoch entging keinem, was sich da auf der Kuhl abspielte.

Dort fluchte ein Mann, weil es um das Leben eines anderen Mannes ging, der zwar nicht namenlos, aber doch minderen Ranges war, nur ein Fockmastgast ...

„Heißes Salzwasser!“ brüllte Hasard den Kutscher an. „Und ein ausgeglühtes, scharfes Messer!“

„Aye, aye, Sir.“

„Scheiß auf den Sir!“ schrie der Seewolf.

„Mannomann“, flüsterte Ferris Tucker auf dem Achterdeck vor sich hin, „der ist imstande und bringt die See zum Kochen.“

Der Kutscher verschwand wie ein verstörtes Kaninchen in der Kombüse. Hasard beugte sich bereits über Gary Andrews, strich ihm mit der Linken sanft über die Stirn, hob ihn an und schlug ihm die Rechte an die Schläfe.

Langsam und vorsichtig ließ er den bewußtlosen Mann zurück auf die Matratze gleiten und begann, den Brustverband zu lösen.

„Darf ich helfen, Sir?“

Hasard schaute hoch. Pete Ballie stand neben ihm und grinste ihn an.

„Ich bin schon ganz in Ordnung, Sir.“ Pete Ballies Grinsen wurde noch breiter. „Ist heute nicht ein schöner Tag? Das sagtest du doch, oder?“

Hasard lächelte. „Richtig, das sagte ich. Bist du wirklich wieder in Ordnung?“

„Klar. War doch nur ’n Piekser.“

„Gut. Dann heb Gary etwas an, damit ich den Verband lösen kann.“

Pete Ballie trat an das Kopfende der Matratze, hockte sich in die Knie, griff Gary Andrews unter die Achseln und richtete ihn etwas auf.

„Gut so?“

„Bestens.“ Hasard wickelte den Brustverband auf, bis die Wunde frei lag.

„Mein lieber Mann“, sagte Pete Ballie leise, „das sieht aber schlimm aus.“

Die Schnittwunde auf der linken Brust war geschlossen, aber die Wundränder waren dick aufgequollen und knallrot. Und darunter sammelte sich Eiter.

Der Geruch war bestialisch.

Fast tonlos sagte Hasard: „Danke, Pete, laß ihn wieder vorsichtig auf die Matratze.“

Behutsam bettete Pete Gary Andrews zurück. Er blickte Hasard an. „Ob wir ihn durchkriegen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Mein Gott“, sagte Pete Ballie, „der alte Gary ...“ Er schnaufte. „Seit drei Jahren fahren wir beide bei Kapitän Drake. Wenn bei uns die Zähne wackelten – Gary blieb immer gesund. Ich könnte den Don erwürgen, der ihm dieses Ding beigepult hat, abmurksen könnt ich den.“

„Pete“, sagte Hasard sanft, „das würde Gary auch nichts nutzen.“

„Da hast du auch wieder recht.“ Er blickte auf. „Na, endlich!“

Der Kutscher keuchte durchs Schott, setzte einen dampfenden Kessel ab und blickte Hasard scheu an.

„Das Messer?“ Hasards Stimme war eisig.

„Hier.“

Hasard nahm es und tupfte kurz mit dem linken Zeigefinger auf die Klinge. Sie war glühendheiß.

„Leinen?“

Der Kutscher zuckte zusammen.

Höhnisch sagte Hasard: „Hat Sir Freemont nie Leinen gebraucht, wenn er eiternde Wunden behandelt hat?“ Hasard wurde wieder bissig. „Was hast du eigentlich in deinem Gehirn, verdammt noch mal, Grütze? Ich wollte heißes Salzwasser und ein ausgeglühtes, scharfes Messer. In Ordnung.“ Jetzt wurde seine Stimme ätzend. „Reicht dann dein Verstand nicht aus, weiter zu denken? Schließlich sagtest du ja, du hättest Sir Freemont bei seinen Krankenbesuchen begleitet.“

Der Kutscher verschwand wie ein Geist und kehrte nach knapp zwei Minuten mit einem Arm voller Leinentüchern zurück.

„Na also“, sagte Hasard.

Er beugte sich über Gary Andrews und fuhr mit den Fingerspitzen leicht über die Wundränder. Dann schaute er zu dem Kutscher hoch.

„Wo hätte Sir Freemont den Schnitt geführt?“

Der Kutscher kniete sich neben Hasard hin und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf zwei Stellen, die links und rechts neben der eigentlichen Schnittwunde lagen.

„Da und da.“

Hasard nickte. „Halte zwei Leinentücher bereit. Gleich fließt der Eiter.“

Er führte zwei blitzschnelle Schnitte – einmal links, einmal rechts. Eiter spritzte hoch, und der Kutscher fing ihn mit den Leinentüchern auf. Jetzt war sein Gesicht sehr ernst und gesammelt. Er schob Hasard etwas zur Seite und drückte die Leinen auf die Schnittwunden.

„Salzwasser“, sagte er.

Hasard grinste Pete Ballie an und langte nach dem Kessel. Das Messer legte er zur Seite.

Der Kutscher nahm die Leinen von den Schnittstellen, beäugte sie, drückte wieder, nahm die Leinen weg und sagte: „Bitte, jetzt orgendlich Salzwasser auf die beiden Stellen.“

Hasard goß heißes Salzwasser darüber.

„Mehr!“ befahr der Kutscher.

Hasard blinzelte Pete Ballie zu, und der blinzelte zurück. Heißes Salzwasser war genug im Kessel. Und jetzt diktierte der Kutscher die weitere Behandlung.

„Ordentlich durchspülen“, sagte er.

Hasard setzte die ganze Wunde unter Salzwasser.

„Sehr gut“, sagte der Kutscher und tupfte mit den Leinen die Wunde ab. Er wartete, drückte wieder auf die Schnittstellen, tupfte, drückte.

„Wasser!“ befahl er.

Hasard schüttete das ganze Wasser aus dem Kessel. Noch einmal säuberte der Kutscher die Wunde, dann legte er Gary Andrews einen neuen Verband an. Das tat er sehr geschickt.

Als er zu Hasard hochblickte, wurde sein angestrengtes Gesicht wieder ängstlich.

„Soll ich jetzt ‚Sir Freemont‘ zu dir sagen?“ fragte Hasard lächelnd.

Der ängstliche Mann senkte den Kopf. „Ich war doch nur sein Kutscher.“

„Ich schätze, du warst mehr für ihn“, sagte Hasard leise. „Sei so wie er. Die Verletzten und Kranken haben Vorrang vor allem. Dem hat sich auch ein Kapitän zu beugen – das betrifft diese Sache von vorhin.“

„Danke, Sir“, sagte der Kutscher.

Prompt reagierte Hasard. „Wenn du ’ne Suppe versalzest, ziehe ich dir die Haut vom Hintern.“

„Aye, aye, Sir“, sagte der Kutscher, und sein Gesicht war gar nicht mehr ängstlich.

Seewölfe Paket 1

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