Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 19
6.
ОглавлениеStetig segelten die beiden Galeonen – die spanische und die „englische“ – nordostwärts. Wie Schwäne, ruhig und majestätisch, glitten sie über die weite See, die rings um sie herum bis an die sichtbare Grenze der Kimm leer war.
Der Wind, immer noch gleichmäßig aus Südsüdwest heranwehend, strich durch die Takelage, die summend antwortete. Das Wasser gurgelte an den Bordwänden entlang, spreizte sich an den Hecks zum Fächer aus, der breiter und breiter wurde, als Spur eine Zeitlang wie ein Keil über dem Wasser lag und plötzlich wie weggewischt war. Nie würde eine solche Spur erhalten bleiben. Die See löschte sie aus.
„Tümmler – ho!“ rief Donegal Daniel O’Flynn vom Hauptmars nach unten. Sein Arm wies nach Backbord.
Drei, vier, sechs schlanke Leiber zogen auf gleichem Kurs mit, etwa dreihundert Yards querab. Wie ein Spiel sah es aus. Schwarbraune Körper schossen mit elegantem Schwung aus dem Wasser, segelten durch die Luft, klatschten zurück, tauchten wieder auf. Eine Weile begleiteten sie die beiden Schiffe, bogen dann plötzlich wie auf Kommando um neunzig Grad ab und blieben verschwunden.
Hasard hatte drei Stunden wie ein Toter geschlafen, war aber völlig erfrischt, als Ferris Tucker ihn wecken ließ. Sein erster Gang war zum Vordeck. Gary Andrews war wach und grinste ihn matt an.
„Na, mein Junge? Wie fühlst du dich?“ fragte Hasard.
„Mächtig stark“, erwiderte Gary Andrews, „außerdem könnt ich jetzt ’n ganzen Hammelbraten verdrücken.“
„Das ist gut. Hammel gibt’s aber nicht. Der Kutscher wird dir eine kräftige Suppe kochen.“
„Mir auch?“ fragte Pete Ballie.
„Dir auch. Bei dir alles klar?“
„Bestens“, sagte Pete Ballie. „Morgen stehe ich wieder am Ruder.“
„Mal sehen. Eigentlich sollten wir euch nach draußen auf die Kuhl packen. Ihr braucht frische Luft. Die Sonne scheint, und direkt am Schanzkleid seid ihr gut geschützt.“
Die beiden nickten.
Hasard ließ die beiden samt Hängemattenmatratzen auf die Steuerbordseite ans Schanzkleid bringen. Der Kutscher erhielt seine Anweisungen für die Krankenkost, dann übernahm Hasard mit Ben Brighton die Wache und paukte spanische Vokabeln.
Die Sonne stand jetzt genau im Süden. Die See glich einem riesigen, silbern funkelnden Teppich. Es war ein Tag zum Helden zeugen, wie Ben Brighton sagte.
Bis auf die Wachgänger lagen die Männer faul an Deck und schliefen oder sonnten sich – drüben auf der „Barcelona“ war es nicht anders. Der eiserne Carberry, Profos auf der „Marygold“, hätte wahrscheinlich Zustände gekriegt, daß britische Seeleute dem lieben Gott die Zeit klauten. Hasard war anderer Ansicht. Die Männer würden spätestens ab dieser Nacht mit jeder Minute Schlaf geizen müssen. Vorausgesetzt, alle waren gesund, dann blieben für die Bemannung der beiden Galeonen – wenn sie die „Barcelona“ kaperten – ganze acht Leute.
Hasard krauste die Stirn, als er daran dachte. Mutete er den Männern zuviel zu? Und was würde Kapitän Francis Drake sagen, wenn er erfuhr, daß Philip Hasard Killigrew auf eigene Faust Kaperkrieg führte? Drakes Auftrag lautete, die „Santa Barbara“ nach Plymouth zu bringen. Hatte er ihm absichtlich keine Anweisungen gegeben, was er tun sollte, wenn ein spanisches Schiff seinen Kurs kreuzte? Wenn es sich so verhielt, dann mußte der Kapitän davon ausgegangen sein, daß Hasard das tun würde, was er für richtig hielt. Also hatte er die Freiheit der eigenen Entscheidung.
Aber auch wenn ihm der Kapitän die strikte Order gegeben hätte, vor jedem Spanier den Schwanz einzuziehen und die Flucht zu ergreifen – Hasard hätte sich darüber hinweggesetzt. Entscheidend war schließlich der Erfolg. Versagte er aber, dann konnte der Kapitän seinen Kopf fordern.
Hasard hatte keineswegs vor, zu versagen. Dennoch war er sich darüber im klaren, daß das, was er plante, tollkühn, wenn nicht sogar leichtsinnig war.
Aus zusammengekniffenen Augen musterte er die „Barcelona“. Sie war größer als die „Santa Barbara“ und besser bestückt. Ihre Segel waren hervorragend getrimmt, was darauf hinwies, daß dieser Capitan Descola ein ausgezeichneter Seemann sein mußte. Natürlich war die „Barcelona“ schneller als sein Schiff, das noch dazu mit verkleinerter Fock und einem klapprigen Notmast segelte. Drüben auf der „Barcelona“ hatten sie die Blinde weggenommen, und am Hauptmast führten sie nur das Großsegel. Mit der Blinden und dem Großmarssegel würde die „Barcelona“ auf und davon gehen und der „Santa Barbara“ nur noch das Heck zeigen.
Was mochte die schwarze Galeone geladen haben? Hatte sie wie die „Santa Barbara“ Afrika umrundet oder kam sie von Westen aus der Neuen Welt?
„Capitular o morir?“ examinierte ihn der Bootsmann.
„Kapitulieren oder sterben“, sagte der Seewolf, „capitular o morir.“
„Bueno.“
„Gut“, sagte der Seewolf. „Bueno.“
Der Bootsmann grinste. „Was heißt Hackfleisch?“
„Picadillo.“
„Wenn du das sagst, mit den Augen rollst und das Enterbeil schwingst, dann weiß jeder Don, was die Glocke geschlagen hat. Gefangennehmen heißt übrigens hacer prisionero.“
Hasard wiederholte es. Er lernte leicht und schnell. Ben Brighton staunte.
„Sag mal, hast du bei Sir John schon Spanisch gelernt?“
„Nicht die Bohne. Warum?“
„Das geht so flüssig, als sei Spanisch deine Muttersprache.“
„Jetzt hör aber auf, Ben.“
„Verzeihung.“
„De nada“, sagte Hasard und grinste. „Keine Ursache. Vielleicht habe ich ein besonderes Ohr für die spanische Sprache. Ich finde sie übrigens sehr klangvoll. Viel eleganter als unser Geknautsche. Wir kauen auf den Worten herum wie auf einer Speckschwarte.“ Er schaute zur Sonne hoch. „Ich schätze, in drei Stunden sollten wir die Pumpe bemannen und schon mal so tun, als seien wir schwer damit beschäftigt, unsere Bilge leer zu kriegen. Wenn es dunkelt, drehen wir einfach bei und rufen nach Verstärkung. Ferris soll dann auch die Entermannschaft aufstellen und die Männer informieren. Zum Entern werde ich acht Männer mit hinübernehmen. Mit Ferris und mir sind wir dann zehn. Kommst du für diese Zeit mit dem Rest aus?“
„Sicher, Hasard. An und für sich brauche ich nur jemanden, der unsere Dons bewacht.“
„Das schon, aber Pete und Gary kannst du noch nicht mitrechnen, allenfalls vielleicht Pete. Aber das möchte ich nicht. Ohne die beiden hast du also drei Männer zur Verfügung. Einer geht die Wache im Unterdeck – bleiben dir zwei.“ Er lächelte knapp. „Wenn uns die Dons drüben auf der ‚Barcelona‘ in die Pfanne hauen, stehst du schön da, Ben.“
Völlig unerschüttert sagte Ben Brighton: „Dann hauen wir euch wieder heraus.“
„Und wie?“
„Sobald ich so etwas merke, gehe ich mit der ‚Santa Barbara‘ bei euch längsseits und greife mit ein.“
Hasard nickte. Dann sagte er: „Ich weiß übrigens, wie stark die Besatzung da drüben ist – dreißig Männer. Der Capitan hat es mir unfreiwillig verraten. Bleibt also abzuwarten, wie viele uns Capitan Descola zum Pumpen zur Verfügung stellt.“
„Verdammt“, sagte der Bootsmann plötzlich.
„Was ist?“
„Wenn alles klappt, haben wir vierzig spanische Gefangene. Ich würde lieber ’n Sack Flöhe hüten.“
„Ich auch. Was würde denn Kapitän Drake in einem solchen Fall tun?“
„Was Carberry tun würde, weiß ich. Er würde dafür sorgen, daß der Kapitän dieser Sorgen enthoben wäre und die Fische was zu fressen hätten.“
„Nein“, sagte Hasard hart, „für eine solche Kampfführung habe ich nichts übrig. Wenn sie sich ergeben, sollen sie die Chance haben, am Leben zu bleiben. Ich lehne es ab, Wehrlose niederzumetzeln. Carberry ist ein guter Mann, aber brutal. Wenn der Kapitän seine Handlungsweise duldet, ist das seine Sache. Bei mir dürfte es Carberry nicht tun.“
„Aber wohin mit den Gefangenen? Willst du sie bis Plymouth mitnehmen?“
Hasard schüttelte den Kopf. „Wir laufen die Azoren an und setzen sie dort an Land. Dann kann Ferris sich auch gleich nach einem neuen Fockmast umsehen.“
„Das wäre eine Lösung“, sagte der Bootsmann.
Allmählich neigte sich die Sonne auf ihrer Bahn. Hasard ließ Ferris Tucker wecken und informierte ihn über ihre weiteren Pläne.
„Sorg dafür, daß die Entermannschaft bis an die Zähne bewaffnet wird, Ferris. Wen du für die Entermannschaft aussuchst, überlaß ich dir. Nur Donegal Daniel O’Flynn wird nicht dabeisein.“
Dan, der von Blacky als Ausguck abgelöst worden war, hörte mit und maulte.
„Du setzt mich dauernd zurück, Hasard“, sagte er wütend.
„Das ist keine Zurücksetzung, Dan“, erwiderte Hasard ruhig. „Ich brauche deine guten Augen. Wenn wir drüben mit den Dons kämpfen, wirst du nichts weiter tun, als uns zu beobachten, soweit das bei der Dunkelheit möglich ist. Wenn wir die Dons nämlich nicht in den Griff kriegen, muß Ben eingreifen. Das heißt, er wird mit euch bei der ‚Barcelona‘ längsseits gehen, und dann kannst du dich immer noch auf die Spanier stürzen. Ob er aber rechtzeitig eingreift, das hängt einzig und allein von deinen Augen ab. Hast du das kapiert?“
„In Ordnung“, sagte das Bürschchen.
„Wie viele Männer soll ich aussuchen?“ fragte Ferris Tucker.
„Acht. Mehr wäre mir auch lieber, aber es geht nicht anders. Wir brauchen eine Eingreifreserve, und die Gefangenen hier an Bord müssen auch bewacht werden. Erklär den Männern unseren Plan. Dann laß die Pumpe besetzen, aber die Männer sollen sich keinen abbrechen und nur Theater spielen. Wenn die Dons später zu uns herüberpullen, wird nur eine Jakobsleiter ausgebracht. Dann entern sie einzeln, und wir können sie auch einzeln schlafen legen. Sie müssen sofort gefesselt und sicherheitshalber auch geknebelt werden. Laß also genug Riemen oder Tampen heranschaffen. Selbstverständlich bleiben wir alle spanisch kostümiert.“
„Aye, aye“, sagte Ferris Tucker und rieb sich die riesigen Pranken. „Ich bin schon ganz wild darauf, den Dons eins überzubraten. Wie entern wir? Achtern über die Heckgalerie?“
„Nein. Dort, wo sie ihre Jakobsleitern ausgebracht haben. Wenn wir achtern rangehen, könnten sie Verdacht schöpfen.“
„Richtig. Aber dann stoßen wir sofort zum Achterkastell vor, nicht wahr?“
„Ja. Und ich hoffe, daß wir Capitan Descola auf Anhieb erwischen.“
„Was willst du für Waffen haben?“
„Ich hab hier die zwei Pistolen.“ Hasard überlegte und sagte dann: „Gib mir den Stoßdegen von unserem Capitan.“
„Kannst du denn mit so einem Piekser umgehen?“ Dem Schiffszimmermann rutschte das so heraus, und er sagte schnell: „Verzeihung, Sir.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Ferris.“ Hasard zeigte sein Raubtiergebiß. „Meine Gegenfrage lautet: Kannst du denn mit so einem Ding fechten?“
„Nein. Ich bin doch nicht verrückt!“
„Falsch“, sagte Hasard, „und weißt du, warum?“
Der rothaarige Riese blickte den Seewolf konsterniert an. Sie waren beide gleichgroß, aber Hasard wirkte schlanker und geschmeidiger. Der Riese schüttelte den Kopf. „Nein, das weiß ich nicht.“
„Mit was wirst du kämpfen, Ferris?“
„Mit ’ner handfesten Spake.“
Hasard peilte zu der „Barcelona“ hinüber, blickte den Riesen wieder an, deutete auf den Winkel, der vom Backbordschanzkleid und der Vorkante des Achterkastells gebildet wurde und sagte: „Hol Spake und Stoßdegen. Ich werde es dir dort zeigen.“
Drei Minuten später war Ferris Tucker zurück, unter dem rechten Arm einen Prügel von Spake, in der linken Hand den Stoßdegen Capitan de Pordenones. Er hielt ihn, als sei er giftig oder zumindest ein Ding, das man nur mit der Kneifzange anfassen konnte.
Hasard nahm den Degen, prüfte die schmale Klinge, bog sie, ließ sie zurückschnellen und sagte: „So, Ferris, jetzt lern deine Lektion.“ Er stellte sich genau in den Winkel des Schanzkleides und der Querwand des Achterkastells, senkte den Degen und blickte den Riesen an. „Schlag zu!“
„Aber ...“
„Schlag zu, Ferris Tucker, oder hast du Angst?“
Angst? Ein Ferris Tucker hatte keine Angst – und vor so einem lächerlichen Pieksdings schon gar nicht. Er packte die Spake mit beiden Händen, schwang sie nach hinten rechts hoch und drosch zu.
Mit einem solchen Schlag wurden Schädel zerschmettert, Halswirbel gebrochen und Knochen zersplittert. Eine solche Spake war eine fürchterliche Waffe.
Nicht für Hasard.
Die Männer, die auf der Kuhl dieses seltsame Duell beobachteten, stöhnten, als sie sahen, daß ihr Kapitän drauf und dran war, seinen Kopf an dieser Spake auszuprobieren.
Denn eben stand dieser schwarzhaarige Schädel noch genau dort, wo ihn die Spake treffen mußte. Aber tatsächlich befand er sich eine knappe Fingerbreite darunter, als der Hieb über ihn hinwegfegte.
Es sah so verdammt leicht aus.
Die Spake krachte in das Holz des Achterkastells. Hasard federte hoch, und dann stand mit einer einzigen, geschmeidigen Armbewegung die Spitze des Degens genau auf der Kehle des Schiffszimmermanns.
Der erstarrte zur Salzsäule, als er die Spitze spürte.
„Jetzt bis du ein toter Mann, Ferris Tucker“, sagte Hasard. „Deine Spake ist einen Scheiß wert. Jedenfalls gegen einen Mann, der weiß, mit dem Degen umzugehen.“
Ferris Tucker ließ die Spake sinken und hatte Schweißperlen auf der Stirn. Etwas fahrig wischte er sie weg und starrte den Seewolf entgeistert an. Hasard senkte die Klinge und wurde biestig.
„Capitan Descola hätte zugestochen, Ferris Tucker. Du kämpfst blind, weil du die Waffen deines Gegners nicht kennst. Aber du mußt sie kennen. Nur dann wirst du in der Lage sein, diesen Waffen so zu begegnen, daß du überlebst. Spake gegen Degen. Du darfst nie und nimmer drauflosprügeln, wie du es eben getan hast. Deine Spake ist eine stumpfe Waffe gegen diesen spitzen, scharf geschliffenen Degen. Nicht der Don ist dein Feind, sondern dieser Degen – der verlängerte, allerdings tödliche Arm des Gegners. Also schalte diesen Arm aus. Du hast nach meinem Kopf geschlagen. Den brauchte ich nur abzudukken. Schon im Abducken hätte ich die Zeit gehabt, dir den Degen durch den Hals zu stoßen. Während du die Spake schwingst und weit ausholst, bist du erstens völlig ungedeckt und läßt mir zweitens eine endlose Spanne Zeit, dich mit der Stoßwaffe ins Jenseits zu befördern. Begreifst du das?“
„Aye, aye, Sir.“ Der riesige Mann schluckte. „Aber – aber was soll ich dann tun?“
„Wenn du schon die Spake vorziehst, dann schlag mit ihr deinem Gegner die Waffe aus der Hand. Ziel nicht auf seinen Kopf. Knall ihm das Ding zwischen die Rippen. Ich wette, daß du ihm dabei den Arm brichst, der den Degen führt. Hör zu, Ferris. Einen Gegner, gleichgültig wer er ist, besiegst du nur, wenn du seine Waffen und die Art seiner Kampfführung kennst. Wir Engländer holzen drauflos und setzen brutale Gewalt gegen unsere Gegner ein. Diese Gegner aber zeichnet eins aus: schnelles und blitzartiges Fechten. Sie mögen uns von der Kraft her unterlegen sein, aber sie sind flinker als wir. Sie stoßen mit einer absolut tödlichen Waffe zu und springen zurück. Darauf, nur darauf hast du dich in deinem Kampfstil auszurichten. Du verachtest den Stoßdegen, und ich sage, lerne ihn kennen. Du brauchst nicht mit ihm zu fechten, aber du mußt zumindest wissen, wie er geführt wird, damit du ihm seine tödliche Wirkung nehmen kannst. Ist das klar?“
Der Riese nickte. „Jetzt begreife ich es. Kannst du mir beibringen, wie man mit diesem Ding umgeht?“
„Klar kann ich das“, sagte Hasard, „aber dafür bleibt uns keine Zeit mehr. Du bist gut mit der Spake. Aber vergiß nie, daß ein Gegner mit einem Degen auch gut sein kann. Denn das ist die Lektion: Du befindest dich in einem tödlichen Irrtum, wenn du die Waffe deines Gegners nicht kennst, verniedlichst oder verächtlich abtust.“
„Kapiert“, sagte der Riese. „Hast du bei Sir John das Fechten gelernt?“
Hasard lachte lauthals. „Bei dem? Nein. Der schlug auch am liebsten mit dem Knüppel zu. Aber er war immerhin schlau genug, einen italienischen Fechtmeister nach Arwenack zu holen. Der hat mich gebimst und mir beigebracht, mit Hieb- und Stichwaffen umzugehen.“
Ferris Tucker seufzte. „Mein Vater war Schmied.“
„Und meiner ein mieser Stinkstiefel und gottverdammter Leuteschinder. Frag Dan O’Flynn, dessen Vater bei meinem Alten ein Bein verloren hat.“
„Das Holzbein hat Sir John aber bezahlt!“ schrie das Bürschchen. „Alles was recht ist.“
„Richtig“, sagte Hasard scharf, „das hat er. Aber weißt du auch, von welchem Geld?“
„Nein.“
„Dann hör zu, Junge, damit du kapierst, was für Hyänen auf Schloß Arwenack sitzen. Das Geld dafür hat der verdammte Alte, den ihr unten in Falmouth voller Verehrung ‚Sir John‘ nennt, aus einem seiner Pächter herausgeprügelt. Oder dachtest du etwa, er hätte in seine eigene Schatulle gegriffen, he? O nein – nicht dieser miese Geizkragen. So ist das, und jetzt hör endlich auf, die Killigrews für edle Wohltäter zu halten. Hast du mich verstanden?“
„Aber du bist ein Killigrew“, sagte das Bürschchen trotzig, „und auf die Killigrews laß ich nichts kommen.“
„Du bist ja verrückt, Dan. Und irgendwie hast du eine merkwürdige Logik. Mein Alter hat deinem Alten ein Holzbein verpassen lassen, und genau mit diesem Holzbein pflegte dein Alter dich zu verdreschen, wie du selbst erzählst hast. Statt auf deinen Alten wütend zu sein, solltest du eher Sir John sämtliche Flöhe dieser Welt auf den Pelz wünschen, denn der hat mit erpreßtem Geld dieses verdammte Holzbein finanziert.“
„Aber ...“
„Nichts aber, Schluß der Debatte. Fang schon mal an der Pumpe an und denk darüber nach, was ich dir gesagt habe.“
Donegal Daniel O’Flynn schniefte, zog seine Hosen hoch und trollte sich zur Pumpe.
„Blacky?“
„Ja?“ Blacky beugte sich über die Segeltuchumwandung des Großmarses.
„Haben die Dons herübergeschaut? Haben sie Ferris und mich sehen können?“
„Mir ist nichts aufgefallen. Außerdem wart ihr vom Achterkastell verdeckt.“
„Gut. Paß auf, ob sie irgendwie registrieren, daß wir an der Pumpe arbeiten. Zunächst werden sie es für routinemäßiges Lenzen halten. Aber dann könnten sie neugierig werden. Ich möchte sofort Meldung haben, wenn sie näher herandrehen.“
„Aye, aye.“
Ferris Tucker begann, die Männer für die Entermannschaft auszusuchen. Hasard ließ Pete Ballie und Gary Andrews wieder ins Vordeck schaffen. Der Kutscher packte mit an und versorgte ihre Wunden. Petes Stichwunde verheilte bereits. Aber auch Garys Wunde sah nicht mehr so übel aus. Die Rötung ging zurück, Eiterbildung war nicht festzustellen.
Der Kutscher strahlte. „Ich sag’s ja, Salzwasser heilt.“
„Das schon“, sagte Hasard, „nur Knochenbrüche kriegst du damit nicht hin. Wie fühlst du dich, Gary?“
„Viel, viel besser. Nur dauernd müde.“
„Der Blutverlust“, sagte Hasard, „aber den holst du wieder auf.“
„Klar“, sagte Gary Andrews, „und vielen Dank auch für – für alles und so. Pete hat’s mir erzählt ...“
„Pete ist eine alte Schnattertante, die um einen Furz einen Heiligenschein häkelt.“
Der Kutscher, Pete und Gary grinsten, und Hasard sah zu, aus dem Vordeck zu verschwinden.
Die Sonne im Westen war inzwischen zu einem glutroten Ball geworden. Die schwarze Galeone Steuerbord achteraus schien in einer feurigen Lohe zu stehen, das Meer spiegelte rötliche bis goldene Farben, wie sie nur die Natur zu schaffen vermochte. Sie wechselten in fast spielerischer Laune, wurden aber immer satter und dunkler.
Das Bürschchen und ein anderer Mann der Besatzung standen an der Pumpe und schwitzten. Andere schleppten Pützen. Sie tauchten aus dem Niedergang zum Unterdeck auf, eilten über die Kuhl zur Backbordseite – die von der „Barcelona“ nicht eingesehen werden konnte – und entleerten die Pützen. So wirkte es jedenfalls, denn Wasser befand sich nicht in den hölzernen Eimern. Aber es wirkte echt, und Hasard grinste vor sich hin.
„Die linsen schon zu uns herüber!“ rief Blacky vom Großmars.
Hasard nickte. Die Bühne war aufgebaut, das Theaterspiel – Komödie und Tragödie zugleich – nahm seinen Anfang. Der Vorhang ging auf.