Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 15
2.
ОглавлениеPhilip Hasard Killigrew hörte den Lärm, als er gerade im Unterdeck achtern die Trossen überprüfte, die sie noch nachschleppten. Noch ein, zwei Stunden – überlegte er –, dann war das Schlimmste vorüber, und sie konnten eingeholt werden.
Er hatte noch nicht zu Ende gedacht, als Donegal Daniel O’Flynn wie eine Rakete ins Unterdeck schoß, mit wutverzerrtem Gesicht.
„Spanier!“ brüllte er mit überschnappender Stimme. „Sie sind aus dem Vorkastell gestürmt!“
„Was? Spanier? Bist du noch bei Trost?“ Hasard zog das Bürschchen zu sich heran. „Du hast heute wohl deinen witzigen Tag, he?“
Aber dann hörte er den Krach an Deck, fluchende Männerstimmen, das Trampeln von Schritten, Gerangel, spanische Laute und den dröhnenden Baß von Ferris Tucker.
Wie der Blitz raste der Seewolf den Niedergang hoch aufs Achterdeck. Da sah er die Bescherung.
Auf der Kuhl unter ihm wälzten sich seine Männer in die Spanier verkrallt über die Planken. Ben Brighton brach gerade in die Knie, von einer Spake am Kopf getroffen. Zwei Dons rissen den riesigen Ferris Tucker von den Füßen. Sie hingen an seinen Beinen und zerrten sie unter ihm weg. Er krachte wie ein gefällter Baum aufs Deck. Der Kutscher hieb mit einer Bratpfanne um sich, Smoky stand Fuß an Fuß im Schlagabtausch mit einem Don. Sie hämmerten sich die Fäuste in die Mägen, Messer blitzten, Blut lief über das Deck.
Hasard sah rot und sprang vom Achterdeck hinunter mitten zwischen die Kämpfenden. Hinter sich hörte er den krähenden Kampfschrei Donegal Daniel O’Flynns, der sein „Arwenack!“ heraustrompetete und ihm folgte. Und dann schlügen seine Fäuste zu.
Ein Spanier flog mit zerschmetterter Kinnlade wie von einem Katapult abgeschossen gegen das Kombüsenschott und prallte an Deck, ein zweiter empfing einen Hieb, der ihm fast den Kopf abriß. Er taumelte mit einknickenden Knien über die Kuhl, ruderte mit den Armen, erreichte die Backbordwanten des Großmastes und klammerte sich wie ein Ertrinkender an ihnen fest. Dabei grinste er blöd und wackelte mit dem Kopf.
Mehr schaffte Hasard nicht.
Der Don mit der Spake erwischte ihn von hinten und zog ihm das schwere Holz über den Schädel. Noch im Sturz riß der Seewolf zwei Spanier mit. Dann empfing ihn die Dunkelheit.
Er sah nicht mehr, wie das Bürschchen dem Spakenmann ins Ohr biß und ihm gleichzeitig ein Büschel Haare ausriß, dann aber von einem anderen Spanier einen Belegnagel an die Schläfe kriegte und bewußtlos an dem Spakenmann herunterrutschte, dem er im Genick gesessen hatte.
Die Spanier kämpften mit dem Mut der Angst und der Verzweiflung – Angst, weil sie in dem geheimen Raum im Vorschiff fast abgesoffen wären, als der Sturm tobte, und Verzweiflung, weil sie ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen wollten. Außerdem waren sie halb verhungert und verdurstet, und damit wurden sie gefährlich.
Die Männer der „Santa Barbara“ waren von der Sturmnacht her übermüdet und erschöpft. Als die Spanier aus dem Vorkastell hervorgebrochen waren, hatten sie das Überraschungsmoment für sich gehabt. Auf Anhieb hatten sie gleich sechs Männer von Hasard mit Knüppeln oder Spaken besinnungslos geschlagen.
Der Rest ging kämpfend unter.
Ferris Tucker gelang es, noch einmal auf die Beine zu kommen, dann säbelte auch ihn ein Schlag mit der Spake um. Da lagen sie, sechzehn Männer von Francis Drake, bewußtlos, zum Teil ziemlich verletzt, blutend – von zehn Spaniern, die sich beim Kampf mit der „Marygold“ im Vorschiff versteckt hatten, glattweg überrumpelt.
Was keiner der Engländer wußte und hier von den Spaniern das erstemal mit Erfolg angewandt wurde, war jene Kriegslist, die ein spanischer Seestratege ausgeheckt hatte, um den freibeuternden Habenichtsen das Handwerk zu legen oder zumindest zu erschweren.
Die List bestand darin, auch bei einem gekaperten Schiff noch ein Trumpfas im Ärmel zu haben, nämlich ein paar verrückte Draufgänger, die sich an Bord verbergen und später durch einen Handstreich die Führung des Schiffes wieder an sich reißen sollten.
Genau zu diesem Zweck war auch der Raum im Vorschiff geschaffen und getarnt worden. Er ließ sich nur von innen öffnen. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, war da mit seinem Mißtrauen schon auf dem richtigen Weg gewesen, aber dann war der Sturm losgebrochen, und er hatte sich nicht mehr um diese ominösen Holzbohlen, die das Vorschiff abschotteten, kümmern können.
Ein – vielleicht – glücklicher Stern stand über den sechzehn Männern der „Marygold“. Sie wurden nicht kurzerhand über Bord geworfen. Nein, die Order der Casa de Contratacion in Sevilla – jener Behörde, die Handel und Verkehr mit den Kolonien überwachte – lautete: gefangene Engländer ins spanische Mutterland mitzunehmen, damit man ihnen zur Abschreckung den Prozeß machen könne. Je nach Urteilspruch fristeten sie dann ihr Dasein an die Ruder von Galeeren gekettet, siechten in Kerkern dahin oder wurden öffentlich gevierteilt, verbrannt oder schlicht an einem Galgen aufgebaumelt.
Einmal in der Gewalt der Spanier, konnte die königliche Lissy nichts mehr für ihre räubernden Seewölfe tun. Nie und nimmer durfte sie Spanien gegenüber zugeben, gewissermaßen Mitaktionär ihrer Kapitäne zu sein, und die würden sich eher die Zunge abbeißen, als ihre Königin zu verraten.
Eingedenk also der Order wurden die sechzehn Mannen nicht den Fischen zum Fraß vorgeworfen, sondern gefesselt in den Frachtraum der „Santa Barbara“ geschleppt, in dem sie zunächst einer dunklen Zukunft entgegenträumten.
Ihr Aufwachen zwischen Ballen chinesischer Seide und sackweise verpackten Gewürzen des Fernen Ostens verlief je nach der Schwere ihrer Bewußtlosigkeit.
Immerhin konnte Philip Hasard Killigrew, genannt der Seewolf, ehemaliger „Kapitän“ der „Santa Barbara“, für sich den Erfolg verbuchen, als erster aus dem langen Schlaf aufzutauchen. Eribttert vermerkte er, daß er gefesselt war, daß sein Schädel brummte, daß er in einem einerseits duftenden, andererseits stinkenden, muffigen und feuchten Raum zwischen irgendwelchen Säcken lag und daß er, wie die Dinge standen, nur kurzfristig ein Schiff geführt hatte und von den Dons vierkant in die Pfanne gehauen worden war.
Letzteres erboste ihn am meisten. Dem Sturm hatte er die Zähne gezeigt, aber von den Spaniern war er nach allen Regeln der Kunst aufs Kreuz gelegt worden.
Denn das fiel ihm sofort ein: daß ihm Ferris Tucker über das so merkwürdig abgeschottete Vorschiff berichtet hatte. Da also hatten die Burschen gehockt und auf ihre Chance gelauert. Und diese Chance hatte sich ergeben, als der Sturm abgeflaut war, seine Männer aber nicht mehr viel Kraft für eine Decksschlacht aufgebracht hatten.
Hasard fluchte laut und voller Inbrunst vor sich hin.
Und es war das Bürschchen, genannt Dan, das als nächster in die rauhe Wirklichkeit zurückkehrte und den fluchenden Seewolf hörte.
„Mann“, sagte Donegal Daniel O’Flynn, „ich wußte gar nicht, daß ihr Leute von Arwenack auch so gut fluchen könnt wie das Lumpenpack unten in den Hafengassen von Falmouth.“
„Hallo, Dan“, sagte Hasard, „bist du auch da?“
„Klar“, sagte das Bürschchen trotzig, „wo du bist, da bin auch ich. Vor der ‚Bloody Mary‘ ging diese ganze verdammte Scheiße ja los, nicht wahr? Erst dreschen sie dich zusammen, und dann muß ich meinen Kopf hinhalten ...“
„Tut’s weh?“ unterbrach ihn Hasard.
„Ich bin ein O’Flynn, Sir“, sagte das Bürschchen prompt und ziemlich empört, „und wir O’Flynns sind ja darauf geeicht, immer zusammen mit den Killigrews von Arwenack Dresche zu beziehen.“
„He, he“, sagte Hasard, „du hast ja schon wieder mächtig viel Dampf drauf, Dan O’Flynn.“
„Hab ich auch.“ Das Bürschchen schnaufte erbittert. „Die Mistkerle haben mich gefesselt, dich auch?“
„Mich auch“, erwiderte Hasard.
„Mich auch“, ertönte rechts von Hasard der Baß von Ferris Tucker. Er schnüffelte laut und fügte hinzu: „Schätze, wir liegen im Frachtraum der ‚Santa Barbara‘. Den Mief hier kenne ich.“
„Gute Nase“, sagte Donegal Daniel O’Flynn und nieste. „Ich liege zwischen Pfeffersäcken, verdammt.“
„Zum Wohlsein. Kleiner“, sagte der Schiffszimmermann.
„Der Teufel ist dein Kleiner“, fauchte das Bürschchen. „Hättest du diesen abgeschotteten Raum im Vorschiff besser untersucht, brauchten wir jetzt nicht diesen Mief hier zu riechen.“
„Sei friedlich, Dan O’Flynn“, sagte der Seewolf, bevor der Schiffszimmermann losbullern konnte. Er bäumte sich auf und versuchte über die Seidenballen hinweg seine nähere Umgebung zu erkennen. In den Frachtraum fiel minimales Licht, und das auch nur durch die winzigen Ritzen einer Schottentür links von ihm.
Aber soviel konnte er flüchtig erkennen: Jeweils in den Seitengängen zwischen Ballen und Säcken lagen gefesselte Männer – seine Männer.
„Ich glaube“, sagte Hasard laut, „wir alle sind hier versammelt. Ben?“
„Aye, aye“, sagte der Bootsmann.
„Kutscher?“
„Aye, aye.“
„Smoky?“
„Alles klar“, sagte Smoky, „aber die haben mir ein Ding auf die Rübe verpaßt, daß ich das Gefühl hab, als sei unter meiner Schädeldecke ein Wespennest im Gange.“
Hasard grinste still vor sich hin und rief die weiteren Namen auf.
Sie waren alle da, zwei Männer allerdings ziemlich verletzt. Hasard schob sich in den Mittelgang, der die Mittschiffslinie entsprach, und arbeitete sich zu dem Quergang vor, der von den Ladungen gebildet wurde und in dem der eine der beiden verletzten Männer lag. Er hatte einen Messerstich in der Schulter und viel Blut verloren.
Hasard tastete ihn ab. Dazu mußte er sich an ihm vorbei entlangschieben – seine Hände waren auf den Rücken gefesselt –, sich seitwärts von ihm aufrichten – auch seine Füße waren gefesselt – und versuchen, die Wunde nur aus dem Tastgefühl heraus zu untersuchen.
„Schmerzen?“ fragte er.
„Die auch, aber noch mehr Wut“, erwiderte der Mann, und Hasard hörte, daß der Mann mit zusammengebissenen Zähnen sprach. Er hieß Pete Baillie und war einer der Rudergänger auf der „Marygold“ gewesen. Hasard hatte ihn auch auf der „Santa Barbara“ am Ruder eingesetzt. Pete war ein untersetzter und stämmiger Kerl mit Fäusten vom Umfang einer Ankerklüse. Er sagte: „Die Dons haben uns ganz schön einen übergebraten, was?“
„Wir leben“, sagte der Seewolf, „und noch sind wir nicht in Spanien.“
Er spürte Blut zwischen den tastenden Fingern, riß mühsam seitlich aus seinem Hemd einen Fetzen heraus, faltete ihn zusammen und schob ihn auf die Stichwunde. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun.
„Bleib so liegen, Pete“, sagte er, „damit der Stoff nicht verrutscht und die Blutung gestoppt wird.“
„Aye, aye“, sagte Pete.
Hasard rutschte zu dem anderen Verletzten, Gary Andrews, der mit zu den Fockmastgasten gehörte. Er war ein dürrer, aber ungemein zäher Mann mit erstaunlichen Kräften in seinem hageren Körper. Gary hatte eine klaffende Schnittwunde quer über die linke Brust bekommen und war dann auch mit einer Spake niedergeschlagen worden.
Er biß ebenfalls die Zähne zusammen und jammerte nicht, obwohl er ziemliche Schmerzen haben mußte. Die Haut um die Wunde glühte, wie Hasard tastend feststellte. Er opferte noch mehr von seinem Hemd und packte den Stoff über die Wunde, aus der Blut sickerte.
Natürlich waren das weder bei Pete noch bei Gary fachgerechte Verbände, sondern nur ein Notbehelf. Ein Schutz gegen Entzündungen waren sie keineswegs, aber sie würden dazu beitragen, daß die beiden nicht noch mehr Blut verloren. Gary war schlimmer dran als Pete, das stand fest.
„Wird schon werden, Gary“, sagte der Seewolf. „Wenn wir die Dons wieder im Griff haben, wirst du ordentlich versorgt. Du weißt ja, Carberry, der prächtige Hundesohn, empfiehlt Salzwasser zur Wundbehandlung.“
Carberry war der Profos auf der „Marygold“.
Gary Andrews lachte glucksend. „Der alte Stinkstiefel. Ich werde nie vergessen, wie du ihm zwei Zähne ausgeschlagen hast, was, wie?“
„Richtig – was, wie, das sagt Carberry immer.“ Hasard lächelte. „Und wir sind ‚Affenärsche‘ und ‚Rübenschweine‘.“
Die Männer lachten.
„Und verlauste, von unseren Großmüttern im Linksgalopp an die Wand geschissene Waldameisen“, sagte das Bürschchen mit seiner Krähstimme.
„Ach du lieber Gott“, ließ sich der Kutscher vernehmen, „du Floh mußt wohl gleich wieder deine Schandschnauze aufreißen, wie? Was für ein Segen, wenn die Dons dir das Maul gestopft hätten.“
„Ha“, sagte das Bürschchen, „haben sie aber nicht. Ich habe sogar einem fast das Ohr abgebissen ...“
„Bei deinem Hunger kein Wunder“, sagte der Kutscher. „Wie schmecken denn spanische Ohren?“
„Jedenfalls besser als deine Speckmaden, du Kochlöffelbastard.“
„Ich sag’s ja.“ Der Kutscher seufzte. „Der Bengel frißt sogar Menschenohren.“
So schlecht war die Stimmung gar nicht. Sie hatten eine Niederlage hinnehmen müssen, aber das warf sie nicht um. Wenn sie noch eine Chance erhielten, würden sie kämpfen, das war mal sicher.
„Mal herhören“, sagte der Seewolf. „Ich schätze, daß die Dons versuchen werden, so schnell wie möglich einen spanischen Hafen zu erreichen. Der Vormast ist außenbords gegangen, vielleicht bauen sie einen Notmast auf. Vielleicht drei, eher aber vier Tage brauchen sie bis Spanien, wenn sie Westwind haben und alles an Tüchern setzen. Daß sie uns in Spanien nicht gerade um den Hals fallen werden, dürfte klar sein. Wir haben also eine Galgenfrist von drei, vier Tagen, um uns zu befreien und den Spieß wieder umzudrehen. Die Dons haben uns zwar gefilzt, aber hat jemand von euch vielleicht noch ein Messer verborgen, das nicht gefunden wurde?“
Keiner hatte eins. Sie waren von den Spaniern gründlich durchsucht worden.
„Dan, du brauchst doch immer was zum Knabbern“, sagte Hasard. „Wie wär’s, wenn du dich mal an meinen Lederriemen versuchen würdest? Rutsch zu mir herüber, ich bin jetzt im Mittelgang.“
„In Ordnung“, sagte das Bürschchen.
Sie hörten, wie Donegal Daniel O’Flynn über die Holzplanken rutschte und dabei allerlei Wissenswertes über die Dons verkündete. Daß sie allesamt räudige Hurensöhne seien, war noch ziemlich harmlos.
„Hört euch nur mal diese Laus an“, sagte der Kutscher fast bewundernd.
Das Bürschchen schob sich an Hasard vorbei, bis er mit den Zähnen an die Lederriemen heran konnte. Hasard lag auf der Seite und streckte ihm die gefesselten Handgelenke entgegen.
Donegal Daniel O’Flynn ging an die Arbeit. Er kaute und nagte an den Riemen, fluchte zwischendurch, wenn er Pausen einlegte, und biß dann erbittert weiter an den Riemen herum. Er hatte gesunde, kräftige Zähne, aber die Riemen waren zäh und noch dazu elastisch.
Die „Santa Barbara“ wiegte sich über den Atlantik, rollte nach der einen, dann nach der anderen Seite, tauchte nach vorn weg und stieg wieder hoch. Hasard und das Bürschchen mußten sich im Mittelgang mit den Schultern und den Füßen an den Säcken festkeilen, um ruhig zu liegen.
Vom Vordeck her hörten sie Hämmern und Klopfen.
„Sie bauen einen Notmast“, sagte Ferris Tucker und grinste in die Dunkelheit. „Ich find das sehr höflich von den Dons, dann brauch ich mich nicht damit herumzuärgern.“
Ben Brighton, der Bootsmann, befand sich ganz in der Nähe des Türschotts zum Frachtraum. Er lauschte und sagte plötzlich: „Still mal! Ich glaube, wir kriegen Besuch.“
„Weg, Dan!“ zischelte Hasard.
Das Bürschchen schlängelte sich wie ein Aal in den nächsten Seitengang.
Außen an dem Türschott klirrten schwere Riegel. Sie wurden zurückgeschoben, das Schott schwang auf und Licht von Öllampen flutete in den Frachtraum.
Zwei Spanier hielten die Lampen hoch und ließen die Lichtscheine über die gefesselten Männer zwischen den einzelnen Gängen wandern.
Einer der beiden leuchtete Hasard ziemlich lange an, fluchte und sagte etwas zu dem anderen, der daraufhin auch seine Lampe auf Hasard richtete.
Ben Brighton war als Junge auf spanischen Schiffen gefahren und verstand, was der erste Spanier gesagt hatte.
„Er meint, du hättest an einem anderen Platz gelegen, Hasard“, erklärte er.
„Ein ganz Schlauer“, sagte Hasard. „Mal sehen, ob er auch kapiert, warum ich da nicht mehr liege.“ Er blinzelte in das Licht der beiden Lampen und grinste die Spanier an.
Die schnatterten zugleich los, als gelte es, ein Wettrennen im Schnellsprechen zu gewinnen.
„Was rasseln die da runter, Ben?“ fragte Hasard.
„Sie haben was gemerkt, und der eine meint, sie sollten mal deine Fesseln kontrollieren. Jetzt sagt der eine, du solltest dich auf den Bauch legen.“
„Ich versteh kein Spanisch und du auch nicht, klar?“ sagte der Seewolf.
Der erste Spanier, ein Mann mit einem schwarzen Knebelbart, beugte sich vor, stieß Hasard mit den Stiefeln an und brüllte etwas.
Hasard lächelte freundlich und zuckte mit den Schultern. Dabei sagte er: „Komm her, du Enkel einer triefäugigen Ziege, noch etwas näher, bitte sehr, damit ich dir eine verpassen kann.“
Fluchend griff der Knebelbärtige zu und wollte Hasard herumdrehen.
Blitzartig zog der Seewolf die Knie an und stieß sie vor. Der Spanier flog wie eine Kanonenkugel durch den Mittelgang, krachte gegen den Schottrahmen und fiel wie ein nasser Sack auf die Decksplanken. Die Öllampe, die er krampfhaft festgehalten hatte, flackerte und verlosch.
Der andere Spanier lief hastig zurück, schnappte den Knebelbärtigen am Kragen und schleifte ihn durchs Schott nach draußen. Das Schott wurde zugeschlagen. Ein Rasseln verriet, daß die Riegel wieder vorgeschoben wurden.
„Amen“, sagte Hasard, und zu dem Bootsmann: „Ben, du bist ein Armleuchter. Du hättest den zweiten Don nicht durchlassen dürfen, als er zurückhastete. Hättest du dich vorgeschnellt und deine Beine zwischen seine geschoben, wäre er gestolpert und nicht bis zum Schott gelangt. Irgendwie hätten wir ihn dann schon festgehalten.“
„Scheiße“, sagte Ben Brighton. „Ich habe auch daran gedacht – nur zu spät. Da war er schon am Schott.“
„Was du heute kannst besorgen, verschiebe nicht auf morgen“, verkündete Donegal Daniel O’Flynn mit ziemlich frecher Stimme.
„Sehr richtig“, sagte Hasard, „dann schieb dich mal wieder bei mir längsseits und knabbere weiter an den Riemen. Bis jetzt hast du nur große Töne gespuckt und den Kutscher in der Kombüse beklaut. Da stand übrigens ein Sack mit getrockneten Früchten. Merkwürdig, daß der nicht mehr so prallvoll ist. Hast du dir dort deine Beißer stumpf geschliffen?“
Das Bürschchen blieb ausnahmsweise einmal stumm und rutschte wieder in den Mittelgang.
„Jetzt hat’s ihm die Sprache verschlagen“, sagte der Kutscher.
„Was kümmert den Adler das Gekrächze der Krähen“, erklärte Donegal Daniel O’Flynn.
„Komm her, du Adler“, sagte Hasard, „und halt hier keine langen Vorträge.“
„Ja doch.“ Das Bürschchen schob sich in die alte Position und begann wieder zu nagen.
Nicht lange.
Ben Brightons zischende Stimme ertönte: „Sie sind wieder vor dem Schott, Hasard.“
„Mist“, flüsterte der Seewolf. „Hau ab, Dan.“
Das Bürschchen fluchte unterdrückt und schlängelte sich aus dem Mittelgang.
Das Schott flog auf, und jetzt beleuchteten mehr als zwei Öllampen den Frachtraum. Und die Spanier hinter den Lampen waren bis an die Zähne bewaffnet – mit Piken, Messern, Pistolen und Musketen.
„Halleluja!“ sagte Hasard. „Die Dons haben Sehnsucht nach uns. Ben, jetzt nicht angreifen. Wir haben die schlechteren Karten. Übersetz mir nur, was sie palavern.“
„Sie wollen bei jedem von uns die Fesseln überprüfen“, sagte Ben Brighton. Dann blieb er still, weil ihm ein Spanier die Spitze einer Pike auf die Gurgel drückte und wütend etwas herunterrasselte.
Sie gingen sehr methodisch vor. Zwei Spanier untersuchten jeweils die Fesseln eines Engländers, und zwei standen dabei und lauerten wie Luchse, ob einer der Gefesselten Lust verspürte, aufsässig zu werden.
Dann erreichten sie den Seewolf. Einer der beiden Aufpasser war der Knebelbärtige. Er sah recht blaß aus, aber daß er vor Wut kochte, war auch nicht zu übersehen. Hasard empfing einen brettharten Fußtritt in die Nieren, einen in den Magen und einen zwischen die Rippen. Als der Knebelbärtige Anstalten zeigte, seine Tätigkeit zu Hasards Gesicht zu verlegen, bremste ihn ein anderer barsch und schoß dabei eine Kanonade spanischer Sätze heraus, die den Knebelbärtigen sichtlich beeindruckten.
Noch mehr aber schien der Knebelbärtige von dem Gesichtsausdruck Hasards beeindruckt zu sein, dem er einen kurzen Blick zugeworfen hatte und prompt zwei Schritte zurückprallte.
Denn der Seewolf hatte einen Ausdruck in seinem braungebrannten, scharfgeschnittenen Gesicht, vor dem selbst der Teufel Reißaus genommen hätte. Die beiden Augen, kalt wie Gletschereis und grellblau, stießen den Knebelbärtigen noch weiter zurück. Er bekreuzigte sich und stammelte dabei etwas.
„Du seist der Teufel“, dolmetschte Ben Brighton und grinste über das ganze Gesicht, obwohl der Pikenmann herumwirbelte und drohend seine Waffe schwenkte.
„Buh!“ machte Hasard und fletschte die Zähne.
Der Knebelbärtige rannte davon, als säße ihm der Leibhaftige im Genick.
Die anderen Spanier redeten wirr durcheinander. Der Mann, der den Knebelbärtigen gebremst hatte, fuhr dazwischen und gab eine Reihe von Befehlen.
„Anscheinend der Leithammel“, sagte Ben Brighton. „Sie sollen dich an den Eisenring auf der Steuerbordseite fesseln.“
Hasard lächelte, als ihn zwei Dons packten und durch einen Quergang zur Steuerbordseite zerrten. Sie hatten weitere Lederriemen bei sich und bewiesen, daß sie zumindest in der Kunst seemännischer Knoten Experten waren. Auf dem Bauch liegend wurde Hasard so an den Eisenring gefesselt, daß die Schlinge um seinen Hals ihn strangulieren würde, wenn er sich bewegte.
Der Spanier, der die Befehle gab, beugte sich über ihn und sagte in gebrochenem Englisch: „Teufel so bändigen – krrgggs! Kehle zu, verstehen?“
„Kapiert, Don Alfonso“, sagte der Seewolf.
„Nix Alfonso, ich Capitan Miguel Lopez Luis Velasco Sanz y Diaz de Pordenone.“
„Aha“, sagte Hasard, „bißchen viele Namen, wie?“
„Wie du heißen?“
„Petrus“, sagte Hasard todernst. „Ich bin einer der männlichen Nachfahren des Apostels.“
Der Capitan mit den vielen Namen wurde ziemlich rot im Gesicht. „Du – Engländer!“
Er spie die beiden Worte aus, als habe er einen galligen Geschmack im Mund.
„Nix Engländer“, sagte der Seewolf tadelnd, „mein Urahn Petrus war doch auch keiner, verstehst du das, du Rübenschwein, du Miguel Lopez und sonst wie noch.“
Der Capitan stampfte mit dem Fuß auf, schoß Hasard einen giftigen Blick zu und wandte sich ab.
„Der hat die Schnauze voll“, sagte Ben Brighton zufrieden.
Aber alle Männer Hasards wurden noch einmal kontrolliert, dann erst verließen die Spanier den Frachtraum.
„An die Arbeit, Dan O’Flynn“, befahl Hasard, „aber nicht bei mir. Die Dons haben meine Handgelenke doppelt und dreifach an den Eisenring gebunden. Nimm dir Smoky vor. Smoky, rutsch in den Mittelgang, damit Dan an dich heran kann.“
„Aye, aye“, sagte Smoky, „aber ich hab hier ’n bißchen rumgefummelt und unter einem Sack ’ne rote Ratte gefunden.“ Er räusperte sich. „Die hat ziemlich spitze Zähne, die Ratte, spitzer als die von unserem Adler. Ich meine, Dan und ich könnten ja mal mit der Ratte ...“
„Ich soll also ’ne lausige Ratte anfassen, wie?“ fauchte das Bürschchen.
„Huhu, unser Kleiner hat Angst“, höhnte der Kutscher.
„Halt’s Maul, du Bratpfannenschwenker“, sagte das Bürschchen giftig. „Smoky, bring das Biest mit und pack dich in den Mittelgang. Wenn die Zähne scharf genug sind, sollten wir es schaffen. Wir legen uns Rücken an Rücken, ich halte die Ratte, und du versuchst, deine Riemen an den Rähnen durchzuscheuern.“
„Alles klar“, sagte Smoky.
So leicht, wie sie sich das gedacht hatten, war es nun auch wieder nicht. Die Männer lauschten, wie die beiden sich gegenseitig einwiesen und Rücken an Rücken an eine Arbeit gingen, für die sie als einziges Handwerkszeug eine tote Ratte hatten.
Sie mußten sich ganz auf ihr Tastgefühl verlassen. Das Bürschchen versuchte, die aufgesperrte Rattenschnauze so an die Riemen Smokys heranzubringen, daß der seine Fesseln auf einer Gebißreihe wie auf einer Säge hin und her reiben konnte.
Sie fluchten beide um die Wette, keuchten und ächzten, waren innerhalb kurzer Zeit schweißgebadet und infolge ihrer verkrampften Haltung, in der sie arbeiten mußten, schnell erschöpft.
Hasard hatte eine andere Idee.
„Könntet ihr das Gebiß nicht als Zange benutzen?“ fragte er.
„Und wie?“ erwiderte Smoky.
„Ihr müßtet versuchen, vielleicht einen Riemen zwischen das Gebiß zu kriegen und es dann zuzudrücken. Am besten übernimmst du das, Smoky, du hast mehr Kraft in den Händen als Dan. Die Rattenzähne sind spitz, sie müßten zumindest kleine Löcher in das Leder bohren. Versucht es doch mal.“
Die tote Ratte wechselte von Dan zu Smoky. Sie probierten eine Weile herum, bis Dan plötzlich sagte: „Jetzt, Smoky, ein Riemen sitzt genau zwischen den Zahnreihen.“
Smoky preßte die beiden Kiefer der Ratte zusammen. Er hatte den Rattenkoopf zwischen den Handballen und drückte. Dabei spürte er, wie sich die dolchscharfen Zähne in das Leder gruben, bis sie auf den Gegenbiß stießen.
„Ich bin durch“, sagte er.
„Jetzt noch einmal dicht daneben, wenn es geht“, sagte Hasard, „und so immer weiter, bis dieser eine Riemen zerfasert ist. Dan sollte ihn dann eigentlich aufsprengen können.“
Smoky hatte Mühe, das Gebiß wieder aufzukriegen. Er verschob es etwas, drückte es zusammen, öffnete es und wiederholte die mühsame Prozedur mehrere Male.
„Na?“ fragte Hasard gespannt.
„Klappt ganz gut“, sagte Smoky. „Soweit ich das fühlen kann, sind da schon ganz schöne Löcher im Riemen. Preß doch mal deine Handgelenke auseinander, Dan, mit ’nem kräftigen Ruck, Junge.“
Dan holte tief Luft, krümmte sich etwas zusammen und spreizte ruckartig die Ellenbogen.
Es knackte, und das Bürschchen sagte sehr zufrieden: „Ha!“
„Was ist?“ fragte Smoky.
„Ein verdammter Riemen ist durch“, sagte Donegal Daniel O’Flynn. „Hilf mir mal, das lose Ende durch die Knoten zu ziehen.“
Smoky tastete über die Fesselung, fand das lose Ende und begann es aus der Verknüpfung zu lösen. Eine Minute später war die Fesselung so gelockert, daß Dan sie abstreifen konnte. Er rieb sich die Handgelenke, richtete sich auf und knüpfte seine Fußfesseln auf.
„Wenn ihr schön artig sein“, erklärte er lässig, „bin ich vielleicht so großzügig und binde euch auch los.“
„Dan O’Flynn“, mahnte Hasard, „halt keine Volksreden, Pete und Gary sind verletzt, nimm sie dir zuerst vor, und zwar hopp, hopp, wenn ich darum bitten dürfte.“
„Aye, aye, Sir.“
Das Bürschchen stand auf, tastete sich an den Säcken und Ballen vorbei zu Gary Andrews und befreite ihn von den Fesseln. Dann entknotete er die Riemen Pete Ballies und nahm sich den Seewolf vor. Gemeinsam lösten sie die Fesseln von Ferris Tucker und Ben Brighton, und kurz darauf waren sämtliche Männer frei.
Ausnahmsweise fluchte einmal keiner über die Ratten, die zum lebenden Inventar eines Schiffes gehörten – wie die Maden, Kakerlaken und anderes Getier an Bord.