Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 23
10.
ОглавлениеGegen Abend schlief der Wind ein, sprang nach einer halben Stunde noch einmal auf, kreiselte um die halbe Windrose und legte sich dann endgültig schlafen.
Hasard fluchte, aber damit war kein Wind herbeizurufen. Sie dümpelten südlich der Azoren, die Segel schwappten und klatschten lustlos an den Rahen, die Holzverbände ächzten und verstärkt ertönte das Knarren und Quietschen von Blockwerk und Takelage.
Steuerbord querab von ihnen schaukelte die „Santa Barbara“ in der Dünung. Über ihnen wölbte sich ein glitzernder Sternenhimmel, den keine Wolke verdunkelte.
Hasard beschloß, Ben Brighton auf der „Santa Barbara“ zu besuchen, um ihn über die Landung zu informieren und nachzusehen, wie es bei ihm an Bord stand. Das Boot wurde ausgesetzt und Hasard hinübergepullt. Nuva und Wobia sahen ihm aus dunklen, verschleierten Augen nach – es war nicht zu verheimlichen, daß ihre Gefühle für ihn nicht von Dankbarkeit bestimmt waren.
Nuva seufzte.
Und dann seufzte auch Wobia.
Hasard kletterte die Jakobsleiter hoch und sprang über das Schanzkleid. Ben Brighton empfing ihn lächelnd.
„Alles klar bei dir?“ fragte Hasard.
„Alles klar“, erwiderte der Bootsmann. „Hast du Sehnsucht nach uns?“
„Das auch. Verfluchte Flaute. Morgen mittag hätten wir die Azoren erreichen können, wenn der Wind so geblieben wäre. Hast du mitnavigiert?“
Ben Brighton nickte. „Du wolltest Flores westlich der anderen Inseln ansteuern, nicht wahr?“
„Genau. Aber wir werden zuerst Corvo anlaufen, dort die Dons an Land setzen und uns erst dann Flores vornehmen. Dort landen wir die Schwarzen, und Ferris wird euch so schnell wie möglich zu einem neuen Fockmast verhelfen. Er rechnet mit zwei bis drei Tagen. Deine Leute werden ihm zur Hand gehen müssen. Wir werden uns inzwischen um Trinkwasser und Frischproviant kümmern, auch für euch natürlich. Ich möchte, daß der Fockmast tatsächlich so schnell wie möglich hergerichtet wird. Jeder Tag, den wir dort verbringen, vergrößert die Gefahr der Entdeckung.“
„Rechnest du mit Dons?“
„Ja. Kapitän Drake riet mir, die Azoren zu meiden. Aber jetzt bleibt uns gar keine andere Wahl, als sie anzulaufen. Wie geht es Pete und Gary?“
„Pete stand schon vier Stunden am Ruder, und Gary hat heute Sitzarbeit verrichtet. Er hat zerrissene Segel genäht und einen Teil des Tauwerks überholt. Die Wunde verheilt bestens. Übrigens – du hast doch den Descola auf der Kuhl verdroschen ...“
„Er war über eine der Negerinnen hergefallen, dieser Mistkerl. Habt ihr das so genau beobachten können?“
„Wir waren herangedreht. Erst dachte ich, die Spanier seien wild geworden und wir müßten euch ein bißchen helfen.“
„Ah, das ist gut.“ Hasard nickte. „Man kann ja nie wissen. Aber da hätten auch die Schwarzen bei mir an Bord ein Wörtchen mitgeredet. Wie sind deine Neger?“
„Prächtig.“
„Sprachschwierigkeiten?“
Ben Brighton schüttelte den Kopf.
„Da ist einer, der heißt Tarim. Er spricht nicht so gut wie Batuti, aber es reicht. Die Burschen kapieren schneller, als ich gedacht habe. Und sie wollen lernen. Wie geht’s denn deinen schwarzen Täubchen?“
„O Gott!“ Hasard verdrehte die Augen. „Frag mich nicht. Batuti hat mir noch eine angeboten ...“
Ben Brighton grinste.
„Was gibt’s da zu grinsen?“
„Nichts. Ich überlegte nur gerade, was ich an deiner Stelle täte.“
„Und? Was würdest du tun?“
„O Mann!“ Ben Brighton seufzte. „Ich – ich würde so richtig sündigen.“
„Klar“, sagte der Seewolf. „Und die Männer? Die sehen ihren Kapitän mit so einer Schönen in seiner Kammer verschwinden. Hältst du das für richtig? Soll ich vielleicht auf der ‚Barcelona‘ ein Bordell eröffnen?“
Ben Brighton grinste wieder.
„Wär mal ganz was Neues, wie?“ Er wurde wieder ernst. „Aber du hast recht. Das gäbe nur Stunk an Bord.“
„Siehst du. Entweder alle oder keiner. Und ich habe mich für das letztere entschlossen. Aber noch etwas anderes, Ben, was mir eben eingefallen ist. Sollte uns ein Spanier in die Quere geraten, laß uns nach folgendem Rezept vorgehen: Du übernimmst seine Luvseite, und ich bleibe in Lee von ihm. Klar?“
„Klar, aber da bist du in der schlechteren Position.“
„Dafür ist die ‚Barcelona‘ kampfstärker als die ‚Santa Barbara‘. Ich habe zwölf Kanonen auf jeder Seite, du nur sechs.“
„In Ordnung. Willst du dir noch eine Prise aufhalsen?“
„Nein, nur vorbauen im Fall der Fälle. Vergiß nicht, daß die Azorengegend für uns gefährlich ist. Wir müssen höllisch aufpassen.“
Eine halbe Stunde später war Hasard wieder zurück an Bord der „Barcelona“, und das Boot wurde hochgehievt.
Eine Stunde nach Mitternacht säuselte ein leichter Südwestwind heran, der sich nach zehn Minuten etwas verstärkte und dann beständig blieb. Die beiden Galeonen nahmen erneut Fahrt auf und steuerten ihren Kurs auf die Azoreninsel Flores zu.
Hasard überrechnete seine Navigation. Jetzt würden sie erst am frühen Abend die Insel erreichen. Es war alles unwägbar. Der Wind hatte seine Launen und Mucken, und wenn er ganz verrückt spielte, fing er an zu toben.
Hasard ließ einen vierstündigen Wachtörn gehen und übernahm selbst die Wache von morgens vier Uhr ab. Als die Sonne über der Kimm aufging, begann wieder das Geschnatter auf dem Vordeck. Die Schönen widmeten sich ihrer morgendlichen Wäsche, das heißt, sie zeigten sich, wie sie von Gott erschaffen wurden.
Hasard marschierte auf dem Achterdeck seine gewohnte Route, die zu einem Dreieck geworden war – von Backbord nach Steuerbord, von dort zur Heckmitte und zurück zur Backbordseite. Das Geschnatter stimmte ihn einerseits heiter und andererseits wütend – der Teufel mochte wissen, warum.
Weiber, dachte er verächtlich.
Und auf seinem Weg vom Heck zur Backbordseite tat er dennoch nichts anderes als jeder Mann seiner siebenköpfigen Crew. Er riskierte mehr als nur einen Blick auf die nackten Schönheiten.
Dann entdeckte er die grinsenden und feixenden Gesichter seiner Männer, und die Heiterkeit verging ihm. Er wurde wieder biestig und ekelhaft.
„Daniel O’Flynn! Die Aufgabe und Pflicht eines Ausgucks besteht darin, ständig die Kimm ringsum zu beobachten und keine Hügel abzugrasen, auf denen Läuse geknackt werden könnten!“
„Aye, aye, Sir.“
„Smoky! Klarier das Fall der Fock, verdammt noch eines. Schau dir das lieber an, statt gewisse Buchten mit den Augen zu streicheln!“
„Aye, aye, Sir.“
„Kutscher! Rührst du da in einem Topf rum? Aber da ist kein Topf, da ist nur Luft. Und in der brauchst du nicht herumzurudern, verflucht! Dein Topf ist in der Kombüse!“
„Aye, aye, Sir.“
„Matt! Grinse nicht so dämlich!“
„Aye, aye, Sir.“
Jeder kriegte sein Fett, zuletzt Blacky, der am Ruder stand und nicht so Kurs steuerte, wie Hasard das wollte.
„Dein Kielwasser sieht aus wie ’ne Schlangenlinie!“ pfiff er ihn an. „Lauter aneinandergehäkelte Busen, Mann! Da kann’s einem ja übel werden.“
„Aye, aye, Sir.“
Oh, dieses dreimal verdammte „Aye, aye, Sir“! Sie sagten es und grinsten genauso blöd weiter.
„Batuti!“ schrie Philip Hasard Killigrew.
„Ssör?“
Auch der grinste.
Hasard ließ Luft ab und sagte sanft: „Sorg dafür, daß deine schwarzen Hexen ihre Morgenwäsche in die Nacht verlegen, wenn’s dunkel ist – dunkel, verstanden?“
„Bei Tag heller“, sagte Batuti. „Kein schöner Anblick?“
„Doch, sehr – äh, aber Nacht besser.“ Hasard verfiel unwillkürlich in die Sprechweise Batutis. „Du verstehen?“
„Nein.“
Ach du heiliger Strohsack! Auf diesem Schiff fuhren anscheinend nur Irre – aber auch siebzehn knackige, samthäutige Weiber mit festen, spitzen Brüsten, schlanken Hüften und wohlgerundeten Hinterteilen.
„Du Nuva und Wobia mögen?“ fragte Batuti.
Mögen! Mögen! Hasard knirschte erbittert mit den Zähnen und ging auf Kollisionskurs. Ein eisblauer Blitz schoß in die dunklen Augen Batutis, der direkt zurückzuckte.
„Dies ist ein Schiff der Königin von England und keine Lustwiese!“ schrie er den Neger an. „Hier sind wir auf See und nicht im Urwald! Oder habt ihr wieder Sehnsucht nach den Dons? Die sind da und da und da!“ Er stach bei jedem „da“ den Zeigefinger in eine andere Richtung. „Kapierst du das?“
„Ah, also keine Zeit für Liebe?“
„Nein, verdammt und zugenäht!“
„Was sein zugenäht? Was Schlimmes? Was mit Liebe?“
Der gute alte Ferris Tucker rettete seinen Seewolf vor dem Explodieren. Er sagte: „Nix Liebe, nix Schlimmes. Verdammt und zugenäht ist das gleiche wie ‚verdammich‘. Und deinen Hexen da vorn erklär bitte, daß die Morgenwäsche hiermit beendet ist. Der Kapitän wünscht es.“
„Verdammich, verdammt und zugenäht“, sagte Batuti fröhlich und marschierte zum Vorschiff.
Zwei Minuten später verschwanden bestimmte Blößen wieder unter Lendenschürzen. Das war immerhin ein Erfolg. Nur da drüber blieb der freie, paradiesische Zustand wie eh und je. Schließlich konnte Hasard bei den Schwarzen ja keine neuen Kleidermoden einführen. Er hatte genug am Hals, verdammich.
„Danke, Ferries“, sagte er. „Ich glaube, ich war soweit, den Herkules zu erwürgen. Aber diese verdammten Weiber stellen das ganze Schiff auf den Kopf. Soll das so weitergehen?“
„Natürlich nicht. Auf Flores sind wir sie quitt, und dann ist die Welt wieder in Ordnung.“
Nichts würde in Ordnung sein, denn die Zeitverschiebung der Flaute brachte neue Würfel ins Spiel ...
In der Abenddämmerung umsegelten sie Flores und liefen auf Corvo zu. Die Insel erhob sich wie ein Schildkrötenbuckel aus der See. Die „Santa Barbara“ fiel zurück und drehte abwartend bei. Hasard beorderte Smoky nach vorn auf die Back und ließ ihn loten, während er sich näher an die Insel heranpirschte.
„Sieben Faden!“ rief Smoky nach achtern.
Hasard ließ sämtliche Segel bis auf das Großsegel wegnehmen. Die „Barcelona“ verlor an Fahrt und glitt langsam auf den südlichen Uferstrich der Insel zu.
„Sechseinhalb Faden!“ rief Smoky.
„Runter mit dem Großsegel“, befahl Hasard. „Blacky! Bei drei Faden legst du sofort Ruder und drehst den Kasten nach Backbord, klar?“
„Aye, aye.“
„Sechs Faden!“ rief Smoky.
Hasard spähte voraus. Ganz langsam steuerte jetzt die „Barcelona“ auf die Insel zu. Er erkannte Einzelheiten – ein paar vorgelagerte Klippen, dahinter den Uferstrich, an dem sich weiß die Wellen brachen, und das dunkle Grün von Bäumen und Büschen.
„Lotung?“ fragte Hasard.
„Steht!“ rief Smoky zurück. „Immer noch sechs Faden.“
„Laufend weitermelden!“
„Aye, aye!“
„Ferris! Laß bitte die Frachtluke öffnen. Wenn Blacky auf Parallelkurs mit der Insel geht, jag die Dons aus dem Frachtraum und über Bord.“
„Kein Boot?“
„Bist du verrückt? Die Kerle sollen schwimmen. Und ich verwette meine Hose, daß spätestens jetzt jeder dieser Hundesöhne das Schwimmen lernen wird ...“
„Fünf Faden!“ rief Smoky.
„Na bitte“, sagte Hasard, „von hier aus kann man fast schon an Land spukken. Gib dem Capitan de Pordenone ein Messer mit, Ferris, Aber erst, wenn er außenbords springt.“
„Aye, aye.“
Ferris Tucker rief eine paar Männer heran und sprang auf die Kuhl.
Klirrend rasselten die Ketten zur Seite, polternd wurde die Luke weggeschoben.
„Vier Faden!“ rief Smoky.
„Blacky, paß auf“, sagte Hasard.
Er schätzte die Entfernung zu dem weißen Wellenstrich am Ufer.
Zweihundert Yards?
Eher weniger.
„Dan?“
Das Bürschchen beugte sich über die Verkleidung vom Großmars.
„Ja?“
„Schätzung! Wie weit ist es zum Uferstrich?“
„Einhundertsechzig Yards!“
„Danke.“
„Noch vier Faden!“ rief Smoky.
Die „Barcelona“ verlor ganz gewaltig an Fahrt. Je weniger Fahrt, desto weniger Ruderwirkung. Hasard biß sich auf die Lippen. Hatte er zu früh die Segel wegnehmen lassen?
Smokys Stimme war schrill: „Drei Faden!“
„Herum mit dem Kasten, Blacky!“
Der hatte schon Ruder gelegt. Der Bug der „Barcelona“ schwang herum. Mit kaum noch wahrnehmbarer Fahrt glitt die Galeone parallel zum Inselufer durchs Wasser.
„Raus mit den Dons, Ferris! Hopp, hopp! Frage Lotung?“
„Drei Faden!“
„Halte etwas von der Insel wieder ab, Blacky.“
„Aye, aye.“
Das ging jetzt Schlag auf Schlag. Hasard beobachtete den Abstand zum Ufer, den Kurs und die Fahrt der „Barcelona“ und gleichzeitig die Kuhl, wo Ferris Tucker die Dons anbrüllte, die auf der Jakobsleiter hintereinander auftauchten und mit irren Augen um sich blickten.
Da war auch Matt Davies, der ihnen seinen Haken in den Hintern piekte und sie zum Steuerbordschanzkleid trieb. Als sie das nahe Land sahen, sprangen sie fast freiwillig über Bord.
„Noch drei Faden!“ schrie Smoky.
Noch! dachte Hasard. Aber etwas weniger, und dann würde es unter dem Kiel knirschen. Etwa zehn Fuß Tiefgang mochte die Galeone haben. Zwischen ihrem Kiel und dem verdammten Meeresboden oder den Klamotten, die ihn bildeten, lag noch etwas mehr als ein Faden, also ein bißchen mehr als sechs Fuß. Da brauchte nur eine Unterwasserklippe ...
Hasard dachte nicht weiter. Er biß die Zähne zusammen, lauerte auf das Knirschen, stand auf Stützen und atmete auf, als Smoky plötzlich vier Faden ausrief.
Und unaufhörlich klatschten Spanier im Sprung ins Wasser. Capitan de Pordenone tauchte an der Luke auf und sagte etwas zu Ferris Tucker. Der nickte.
Der Capitan trat ans Achterdeck, gefolgt von Ferris Tucker, und blickte zu Hasard hoch. Er deutete eine leichte Verbeugung an.
„Nach der Lage der Dinge“, sagte er, „haben Sie für uns mehr getan, als wir es getan hätten. Wir hätten Sie in Spanien als Piraten abgeurteilt. Aber lassen wir das. Ich möchte mich für die Behandlung bedanken – wenn auch die letzten Stunden in dem Frachtraum nicht sehr angenehm waren ...“
„Für die Neger waren es nicht Stunden, sondern, wie ich hörte, über zwei Wochen“, unterbrach ihn Hasard, „und zwar unter Bedingungen, gegen die ein Schweinestall ein Paradies ist.“
„Ich weiß“, sagte der Spanier leise. Dann reckte er sich und frage: „Darf ich erfahren, wer mich besiegt hat?“
Hasard ritt der Teufel. „Man nennt mich den ‚Seewolf‘.“
„Oh!“ Der Capitän lächelte leicht. „Ein Kriegsname, nehme ich an, oder?“
„Führen wir denn Krieg?“ frage Hasard spöttisch zurück.
„Warum überfallen Sie dann unsere Schiffe?“
Jede Frage wurde mit einer Gegenfrage beantwortet.
„Was tun denn die Spanier in der Neuen Welt, Senor Capitan? Man spricht davon, daß dort ganze Völker überfallen und ausgeraubt werden. Wer sind denn wohl die Piraten?“
Der Spanier biß sich auf die Lippen. Er verbeugte sich wieder, grüßte mit einer Handbewegung und wandte sich zum Schanzkleid.
Als Ferris Tucker ein Messer zog und es ihm hinhielt, blickte er ihn verwirrt an.
„Ein Geschenk meines Kapitäns“, sagte Ferris Tucker und grinste.
„Ein bemerkenswerter Mann, dieser Seewolf“, murmelte Capitan de Pordenone. „Gracias.“
Er klemmte das Messer zwischen die Zähne, schwang sich auf das Schanzkleid hoch und sprang mit einem Satz außenbords.
„Alle raus?“ rief Hasard.
„Ja – nur dieser verdammte Giftzwerg fehlt noch.“
„Dann hol ihn. Wenn wir hier noch lange herumtrödeln, laufen wir auf. Smoky! Was zeigt das Lot an?“
„Vier Faden.“
Ferris Tucker verschwand in der Frachtluke. Kurz darauf quiekte und schrie jemand – Juan Descola. Dazwischen ertönte der Baß des Schiffszimmermanns, dann Klatschen von Ohrfeigen. Eine Minute später enterte er die Jakobsleiter hoch – mit dem Capitan. Den hatte er sich unter den rechten Arm geklemmt.
„Er hockte in der hintersten Ecke“, sagte Ferris Tucker zu Hasard hoch.
Der Capitan strampelte mit Händen und Füßen.
„No, no!“ schrie er.
„Doch“, sagte Ferris Tucker und trug ihn zum Schanzkleid. „Auf diesem Schiff ist deine Reise nämlich jetzt zu Ende, du Wanze.“
Er packte ihn an Hosenboden und Kragen, stemmte ihn hoch und warf ihn über das Schanzkleid ins Wasser.
„Vier Faden!“ rief Smoky.
„Hoch mit Fock und Besan“, befahl Hasard. „Blacky, fall mehr ab, damit wir wieder Fahrt aufnehmen. Beeilung, Leute – hopp, hopp!“
Juan Descola planschte im Wasser herum und schrie wilde Flüche nach oben.
Ferris Tucker spuckte außenbords und sagte ergrimmt: „Du Scheißkerl!“
Juan Descola schüttelte drohend die Fäuste, dann geriet er in das Kielwasser der abdrehenden Galeone und wurde auf das Land zugetrieben. Er begann zu paddeln, schien aber anscheinend bestrebt, nicht dort zu landen, wo sich bereits ein Teil der anderen Spanier versammelt hatte.
Hasard beobachtete sie kurz. Merkwürdig, dachte er, keiner kümmert sich um Descola, er wird geschnitten, und das deutet darauf hin, daß er wohl kaum noch etwas zu sagen hat.
Er zuckte mit den Schultern und spähte zur „Santa Barbara“ hinüber. Ja, Ben Brighton hatte ebenfalls wieder Fahrt aufnehmen lassen und drehte auf sie zu.
Etwa eine halbe Stunde hatte es gedauert, um die Spanier auszusetzen. Inzwischen war es dunkel geworden. Ein paar Meilen südlich von ihnen ragten die Umrisse von Flores aus dem Wasser. Die Insel war noch zu erkennen. Die „Santa Barbara“ segelte auf Rufweite heran.
Ben Brighton winkte.
„Bist du sie los?“ rief er.
„Ja.“ Hasard trat an die Backbordseite. „Es ist zu spät, um jetzt noch einen Landeplatz zu finden, Ben. Wir gehen an die Südspitze von Flores und ankern dort. Nach einer Karte, die ich hier habe, muß dort eine Bucht sein. Wir bleiben vor der Bucht, klar?“
„Klar“, tönte es zurück.
Die „Santa Barbara“ folgte der „Barcelona“. Der Wind stand von Südwesen, und sie mußten mehrere Male über Stag gehen, bis sie mit dem letzten Schlag die Südspitze der Insel anliegen konnten.
„Ferris, laß den Anker klarmachen. Wir loten uns an die Insel bis auf dreineinhalb Faden heran. Dann laß ich in den Wind drehen, und ihr werft den Anker. Smoky soll sich mit dem Lot bereithalten.“
„Aye, aye.“
Ferris Tucker bewegte sich zum Vorschiff. Hasard hörte, wie er Batuti zu sich rief und die Ankervorrichtung erklärte.
„Inselspitze in Sicht!“ rief Dan vom Hauptmars nach unten. „Knapp Steuerbord voraus, etwa zweihundert Yards entfernt.“
„Fall etwas ab, Blacky“, sagte Hasard, „bis wir mit halbem Wind segeln.“
„Aye, aye.“
Sie segelten immer noch unter Fock und Besan und jetzt mit dem letzten Schlag zur Insel über Backbordbug. Die „Santa Barbara“ folgte in ihrem Kielwasser.
„Hundert Yards!“ rief Dan O’Flynn.
„Lotung?“ rief Hasard nach vorn.
„Fünf Faden!“
Sie steuerten im schrägen Winkel auf die Insel zu, Hasard ließ wieder anbrassen, bis sie am Wind lagen und fast parallel zur Insel segelten, die ihnen ihre Westseite zeigte.
„Viereinhalb – vier!“
„Geit die Fock auf, Leute!“ rief Hasard. „Wir gehen in den Wind. Ferris, ist der Anker klar?“
„Klar!“ tönte es zurück.
Noch ein Ruderkommando, und die „Barcelona“ drehte ihren Bugspriet in den Wind, die Fock wurde aufgegeit, die Besanschot losgeworfen.
„Dreieinhalb Faden!“ rief Smoky.
Hasard nickte zufrieden. Die Galeone verlor an Fahrt. Hasard trat ans Schanzkleid und starrte ins Wasser. Als die „Barcelona“ fast stand, rief er: „Fallen Anker – schmeiß weg, Ferris!“
Der Anker platschte ins Wasser und nahm die Ankertrosse mit, die durch die Steuerbordklüse auslief. Die „Barcelona“ begann achteraus zu sacken. Wenn der Anker nicht faßte, saßen sie in spätestens fünf Minuten auf Grund, denn der Wind trieb sie jetzt auf die Insel zu.
Er faßte. Ein leichter Ruck lief durchs Schiff, es schwang etwas nach Backbord, dann nach Steuerbord.
„Wie zeigt die Trosse, Ferris?“
„Schräg nach Steuerbord voraus. Sie kommt steif.“
„Steck noch mehr Trosse, damit wir den Anker nicht herausbrechen.“
„Aye, aye.“
Hasard blickte achteraus. Auch die „Santa Barbara“ war mit ihrem Ankermanöver beschäftigt. Sie lag etwa sechzig Yards hinter ihnen. Hasard peilte eine Klippe vor der Küste an und wartete, während Ferris Tucker noch mehr Ankertrosse steckte. Langsam wanderte die Klippe aus der Peilung, als die „Barcelona“ noch etwas achteraus sackte. Dann stand die Peilung.
Die „Barcelona“ lag vor Anker. Hasard ließ eine Ankerwache aufziehen, schärfte ihr ein, regelmäßig die Peilung zu kontrollieren und Land und See zu beobachten.
„Und keiner rührt mir eine der Negerinnen an, ist das klar? Wer es dennoch tut, dem werde ich zeigen, von wo der Wind in die Hölle weht.“
Die Männer zogen die Köpfe ein. Da war wieder dieser Klang in der Stimme des blauäugigen Teufels – wie eine durch die Luft pfeifende Peitsche. Er stand am Ende des Achterdecks, die Hände auf die Querbalustrade gestützt, und zeigte seine weißschimmernden Zähne.
Ferris Tucker stieg aufs Achterdeck.
„Der Anker sitzt“, sagte er und blickte zur Insel auf ihrer Backbordseite hinüber. „Tut gut, mal wieder Land zu sehen. Und die Dons sind wir auch quitt. Diese Wanze weigerte sich doch tatsächlich, den Frachtraum zu verlassen. Hast du noch bemerkt, wie er aussah?“
„Nein.“ Hasard lächelte. „Du hattest es ja so eilig, ihn außenbords zu befördern. Wieso, wie sah er denn aus?“
„Die müssen ihm ganz schön die Leviten gelesen haben, nachdem du es ihm besorgt hattest. Sie haben ihm die Augen dichtgeschlagen, ringsum war alles bunt – wie bemalt. Und verschwollen.“
„Geschieht ihm recht. Hau dich aufs Ohr, Ferris. Du hast morgen am meisten von uns zu tun.“
„Und du?“
„Ich penn hier an Deck ein bißchen – mit dem einen Auge. Mit dem anderen paß ich auf, daß keinem gebratene Täubchen ins Maul flattern – gebraten und braunhäutig.“
„Hab ich mir gedacht“, sagte Ferris Tucker trocken und verschwand im Achterkastell.