Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 40

3.

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Philip Hasard Killigrew stand auf dem Quarterdeck und beobachtete seine Crew, der ein paar harte Stunden bevorstanden. Bis auf den Mann am Kolderstock und dem Kutscher, der am Niedergang zum Frachtraum hockte und die spanischen Gefangenen bewachte, hielt Ben Brighton alle Mann in Trab.

Dan O’Flynn kroch vorn auf dem Bugspriet herum und holte zusammen mit dem vierschrötigen Blacky die Blinde ein. Hinter ihm auf dem Quarterdeck fierten Smoky, der ehemalige Decksälteste der „Marygold“ und ein weiterer Mann das Lateinersegel am Besanmast weg.

„Klar zum Halsen!“ brüllte Ben Brighton gegen den heulenden Wind an.

Die Männer rannten über das Deck. Die Brassen wurden zum Laufen klargelegt, das Großsegel und Großmarssegel aufgegeit.

„Ruder Backbord!“

Hasard hörte, wie der Mann am Kolderstock sein „Aye, aye!“ rief.

Die „Isabella“ schwang nach Backbord und schien einen gewaltigen Wasserberg vor sich herzuschieben. Sie drehte mit dem Heck durch den Wind. Groß- und Großmarssegel standen bereits wieder. Hinter Hasard wurde das Lateinersegel knatternd vorgeheißt, bis es am Wind stand. Die Galeone segelte jetzt mit Backbordhalsen so hoch am Wind wie möglich.

Ben Brighton trieb die Männer an, Ruhe fanden sie nicht. Er knüppelte die schwerbeladene „Isabella“ auf dem Kurs zurück, den sie gekommen waren – wie Hasard es befohlen hatte.

Der Südostwind, der sie so rasch aus der Gefahrenzone getragen hatte, war jetzt ihr größter Feind, und Ben Brighton zeigte seinem Kapitän, daß er es wie kein zweiter verstand, Höhe zu schinden.

Die ersten grauen Streifen tauchten an der Kimm auf. Hasard biß sich auf die Unterlippe. Er hoffte, daß seine Entscheidung richtig gewesen war, denn eins war sicher: Wenn ihm diese Prise mit den dreißig Tonnen Silber durch die Lappen ging, war er für Francis Drake ein für allemal gestorben.

„Dan O’Flynn in den Hauptmars!“ rief er aufs Hauptdeck. Ben Brighton gab den Befehl weiter.

Hasard sah, wie der Junge mit affenartiger Geschwindigkeit die Wanten des Hauptmastes enterte. Hasard hatte Dan O’Flynns hervorstechendste Fähigkeit schon erkannt. Der Junge hatte Augen wie ein Adler, und wenn irgendeiner von ihnen das winzige Dinghi in den Wellen entdecken konnte, dann war es O’Flynn.

Ben Brighton brüllte wieder seine Befehle. Die „Isabella“ ging noch höher an den Wind. Die grauen Streifen über der Kimm färbten sich langsam rot. Die schweren Wolken der Nacht waren nach Westen verschwunden. Die See wurde ruhiger, obwohl der Wind immer noch heftig blies.

„Wie lange wollen wir noch kreuzen, Hasard?“

Die Stimme Ben Brightons, der unter ihm auf dem Hauptdeck stand, riß Hasard aus seinen Gedanken. Er blickte zu dem Bootsmann hinunter. Er las Mißbilligung in Brightons Augen, und Trotz stieg in ihm hoch.

„Bis ich den Befehl zum Halsen gebe, Bootsmann!“

Seine Stimme klang schärfer, als er es beabsichtigt hatte. Er sah, wie Ben Brightons Gesicht zu einer Maske erstarrte. Der Bootsmann drehte sich um und jagte seine Männer zur nächsten Wende an die Brassen.

Hasard war sich darüber im klaren, daß er mit der scharfen Erwiderung nur seine eigene Unsicherheit hatte verbergen wollen. Er begann an der Richtigkeit seiner Entscheidung zu zweifeln. War der Capitan wirklich so wichtig? Was war, wenn statt des Dinghis plötzlich die Masten von ein paar spanischen Kriegsgaleonen an der Kimm auftauchten?

Hasard wußte, daß er sich keine Schwächen erlauben durfte, wenn er den Respekt und Gehorsam seiner Crew erhalten wollte. Er war sich darüber im klaren, daß Brighton und eine ganze Menge anderer Leute ihn für viel zu jung und unerfahren hielten, um das Kommando über ein Schiff zu übernehmen. Er würde es ihnen beweisen, daß er dazu fähig war.

Unnachgiebigkeit gehörte dazu, Sturheit vielleicht – auf jeden Fall aber Härte.

Hasard war entschlossen, sich durchzusetzen. Er war Seemann aus Leidenschaft, und er fühlte sich dazu geboren, Verantwortung zu übernehmen. Er wußte, daß Entscheidungen schnell und entschlossen getroffen werden mußten, wenn sie Erfolg zeigen sollten.

Trotzdem zögerte er noch, den Befehl zum Halsen zu geben. Sie konnten nicht mehr weit von der Küste entfernt sein, und immer noch hatte O’Flynn das Dinghi nicht entdeckt. Vielleicht war es schon mitsamt dem Capitan abgesoffen.

Hasard krallte die Hände ins Holz der Reling. Seine Lippen öffneten sich, um den Befehl an Ben Brighton zu geben, zu halsen und wieder auf nordwestlichen Kurs zu gehen.

Da stieg der helle Schrei O’Flynns in den jungen, windumtosten Morgen.

„Das Dinghi! Genau voraus!“

Hasard schob die Unterlippe vor. Er verkniff sich ein Grinsen, als Ben Brighton zu ihm aufblickte, einen Ausdruck auf dem Gesicht, als ob er sagen wolle: So ein Schwein kann auch nur dieser großkotzige, verdammte Seewolf haben.

Nach ein paar Minuten hatte auch Hasard das Dinghi im Blickfeld seines Kiekers. Romero Valdez pullte wie ein Irrer, obwohl er nicht den Hauch einer Chance hatte, der „Isabella“ zu entkommen.

Hasard zog die Stirn in Falten. Er hatte zwar erreicht, was er sich vorgenommen hatte, aber etwas anderes bereitete ihm Sorgen. Der Wind hatte plötzlich nachgelassen. Die „Isabella“ war merklich langsamer geworden. Die schwere Silberladung begann sich auszuwirken.

Die Stimme von Dan O’Flynn riß Hasard aus seinen Gedanken.

„Wir haben ihn!“ schrie der Junge.

Hasard sah, wie Capitan Valdez auf der Ducht des Dinghis zusammensackte und sich erschöpft mit den Armen am Dollbord abstützte. Ben Brighton brüllte seine Befehle über Deck. Die Galeone drehte bei, die Segel killten.

Romero Valdez richtete sich plötzlich auf. Hasard sah, wie sich die Augen des Capitans weit öffneten. Er schien gelähmt zu sein vom Anblick der heranrauschenden „Isabella“. Doch dann gab er sich einen Ruck.

Er riß sein Wams auf und zerrte ein kleines Paket hervor.

Hasard konnte nicht erkennen, was es war. Eines jedoch wußte er: Dieses kleine Paket war der Grund, warum er das Risiko auf sich genommen hatte, auf Gegenkurs zu gehen und den Capitan zu verfolgen.

Hasard sah, wie der Capitan weit ausholte, um das Paket ins Meer zu schleudern, dessen Oberfläche nun nur noch von einer sanften Brise gekräuselt wurde.

„Batuti!“

Der große Neger erfaßte sofort, was Hasard von ihm erwartete. Aus dem Stand jagte er los. Er benutzte die Lafette der Quarterdeckskanone als Sprungbrett, war mit einem Satz auf dem Schanzkleid und sprang kopfüber in die glatte See.

Der helle Schrei Dan O’Flynns ließ Hasards Kopf herumrukken. Der Junge turnte auf der Großrah wie ein Gaukler zur Nock und stieß sich dort ab, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern.

Mit ausgebreiteten Armen segelte er auf das Wasser zu, von dem Philip Hasard Killigrew nur zu gut wußte, daß es hart wie ein Brett sein konnte, wenn man aus großer Höhe unglücklich aufschlug.

Aber Dan O’Flynn riß die Arme nach vorn, steckte den Kopf dazwischen und tauchte in die Wasseroberfläche, geschmeidig wie ein Delphin.

Hasard beobachtete den Schatten Dans unter Wasser. Der Junge schoß auf die Stelle zu, auf der das kleine Paket aufs Wässer geklatscht war und nun langsam zu sinken begann.

Batuti schwamm wie ein Verrückter. Das Wasser spritzte um ihn herum hoch auf. Er hatte noch nicht einmal bemerkt, daß O’Flynn von der Großrah gejumpt war.

Dann tauchte der Blondschopf des Jungen auf. Sein rechter Arm stieß triumphierend in die Luft. Die Hand hielt das kleine Paket, für das der spanische Capitan sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte.

Romero Valdez hatte die Aktionen der Engländer bewegungslos verfolgt, aber jetzt reagierte er wild. Das Dinghi trieb an Dan O’Flynn heran. Valdez hob den schweren Riemen und schlug mit Voller Wucht zu.

Der Junge erkannte die Gefahr erst im letzten Augenblick. Er versuchte sich herumzuwerfen, doch es gelang ihm nicht mehr ganz. Der Riemen traf seine linke Schulter und rutschte ab. Wasser spritzte hoch auf.

Valdez brüllte spanische Flüche. Wieder hob er den Riemen, um ihn abermals auf Dan O’Flynn niedersausen zu lassen.

Hasard befahl Ferris Tucker hastig, eine Muskete herzuschaffen. Ehe es dem Capitan gelang, Daniel O’Flynn zu erschlagen, wollte Hasard lieber den Spanier töten.

Valdez schlug abermals zu. Doch diesmal klatschte der Riemen fast einen Yard von Dan entfernt aufs Wasser.

Der Capitan torkelte. Er hatte den Halt verloren. Seine Arme ruderten wild durch die Luft. Der Riemen kippte über Bord und schwamm in Sekundenschnelle davon.

Valdez krachte mit dem Rücken gegen die Ducht. Er schüttelte benommen den Kopf und wollte sich aufrichten, als das Dinghi wieder zu schwanken begann und die Steuerbordseite sich der Wasseroberfläche zuneigte.

Dem Gesicht des Capitan war das Entsetzen anzusehen, als der schwarze Wollkopf Batutis über dem Dollbord auftauchte. Ehe Valdez reagieren konnte, hatte sich der Schwarze ins Dinghi gezogen, den Capitan am Wams gepackt und ihm eine kräftige Ohrfeige verpaßt, die ihn beinahe über Bord befördert hätte.

Batuti konnte ihn gerade noch an den Pumphosen packen und zurückzerren.

Prustend tauchte Dan O’Flynn am Heck des Dinghis auf. Seine Finger hatten sich in die Lederkassette gekrallt. Mit dem rechten Arm versuchte er, sich hochzuziehen. Der linke Arm hing an seinem Körper hinunter. Valdez schrie auf, als er die Lederkassette in der Hand O’Flynns entdeckte. Die Wut verlieh ihm ungeheure Kräfte. Er stieß Batuti die Faust ins Gesicht, daß der Neger zurücktaumelte, über die Ducht stolperte und sich krachend auf die Bodenbretter setzte. Aber er hatte es noch geschafft, im Fallen mit dem rechten Fuß nach Valdez zu treten und ihn ebenfalls zu Fall zu bringen.

Valdez war wie eine Katze wieder auf den Beinen. Er bückte sich und riß den Steuerbordriemen hoch. Um den fluchenden Neger, der sich hinter ihm hochrappelte, kümmerte er sich nicht. Sein Augenmerk war einzig und allein auf den blonden Jungen gerichtet, der am Heck des Dinghis hing und die kostbare Kassette in den Fingern hielt, die den Engländern um keinen Preis der Welt in die Hände fallen durfte.

Valdez stieß mit dem Riemen zu. Er spürte einen heftigen Schlag gegen seinen linken Arm. Sekundenbruchteile später hörte er den dumpfen Knall, und dann setzte ein fürchterlicher Schmerz ein.

Valdez schrie. Er wollte die Lippen aufeinanderpressen, aber es ging nicht. Der Schmerz schien seinen Arm in zwei Stücke zu zerreißen. Er blickte an sich hinunter und sah, wie Blut den zerfetzten Ärmel seines Wams tränkte. Valdez sackte auf die Knie. Sein Schreien ging in ein Wimmern über. Er nahm nicht wahr, wie Batuti den benommenen Dan O’Flynn ins Dinghi zog.

Aus verschwommenen Augen blickte Valdez zum Achterkastell der „Isabella“ hoch, auf dem der schwarzhaarige Engländer mit einer rauchenden Muskete im Arm stand.

Knarrend bewegte sich das Ruder, und die „Isabella“, deren Segel inzwischen von der Besatzung aufgegeit worden waren, drehte ihren Bug langsam auf das Dinghi zu.

Batuti hatte sich aufgerichtet und hielt dem vierschrötigen Blacky, der bäuchlings auf der Backgräting lag, den Riemen entgegen. Blacky packte ihn und zog das Dinghi hinter die Back der Galeone.

Vom Vorkastell flogen Taue hinunter ins Boot. Batuti fing sie auf. Das erste wickelte er Dan O’Flynn um den Bauch. Der Junge konnten seinen linken Arm immer noch nicht bewegen. Mit lauten Rufen hievten die Männer O’Flynn an Bord.

Als zweiter war Valdez an der Reihe. Der Capitan schien aus einem Trancezustand zu erwachen, als Batuti ihm das Tau um die Taille schlingen wollte. Er drehte sich abrupt um und wollte dem Schwarzen abermals seine Faust ins Gesicht setzen.

Diesmal war Batuti auf der Hut. Er verpaßte dem Spanier eine Kopfnuß, daß er in die Knie ging. Danach konnte Batuti ihm in aller Ruhe das Tau umbinden.

Das dritte Tau befestigte der Neger am Dinghi. Er schob den Riemen in die Halterung am Dollbord und wollte dann am Tau zum Vorkastell hochklettern.

Die helle Stimme von Dan O’Flynn ließ ihn zusammenzukken: „Zwei Galeeren Steuerbord voraus!“

Philip Hasard Killigrew hatte von der Poop aus beobachtet, wie Dan und der Capitan an Bord geholt worden waren. Noch vor dem Warnruf des Blondschopfes hatte er die beiden schlanken Schiffe entdeckt, die mit gleichmäßigem Riemenschlag auf sie zuruderten.

Hasard fand keine Zeit mehr, den schwachen Wind zu verfluchen, der dem schwerfälligen Schiff wenig Bewegungsfreiheit verschaffen konnte. Die Gedanken jagten sich in seinem Hirn. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Batuti über das Schanzkleid des Hauptdecks kletterte. Ben Brighton hastete den Niedergang zum Quarterdeck hoch und blickte Hasard fragend an.

„Sie halten seewärts an uns vorbei“, rief der Bootsmann. „Sie wollen uns den Weg auf See hinaus abschneiden.“

Hasard nickte. Er hatte es bereits bemerkt. Er wußte, daß Ben Brighton von ihm den Befehl erwartete, sämtliche verfügbaren Segel zu setzen, um mit dem bißchen Ostwind, der nicht einmal die kleinsten Wellen brachte, auf See zu entwischen.

„Alle Mann an die Kanonen, Ben“, sagte Hasard kalt. „Ich möchte, daß sie innerhalb von einer Viertelstunde feuerbereit sind.“

Ben Brightons Unterkiefer klappte nach unten. Der Bootsmann blickte demonstrativ zu den aufgegeiten Segeln hoch. Hasard wußte genau, was dieser Blick besagen sollte. Er drehte sich abrupt um und ging daran, die Muskete nachzuladen, die er auf Valdez abgefeuert hatte.

Dan O’Flynn hatte Ben Brighton die kleine Lederkassette zugeworfen, und der Bootsmann reichte sie an Hasard weiter. Die eisblauen Augen des jungen Killigrew schienen den Bootsmann zu durchbohren.

„Es bleibt dir nicht mehr viel Zeit, Bootsmann“, sagte er scharf.

„Aye, aye, Sir!“ Ben Brighton stieß die Worte durch zusammengepreßte Zähne hervor. Er drehte sich um und krallte die Hände um die Balustrade des Quarterdecks.

„Klarschiff zum Gefecht!“ brüllte er.

Mit kurzen Handbewegungen und knappen Befehlen teilte er die Leute ein. Ferris Tucker und zwei weitere Männer luden die Geschütze auf dem Quarterdeck. Der Mann, der den bewußtlosen Valdez in die Offizierskammer gesperrt hatte und nun wieder am Niedergang auftauchte, wurde der Mannschaft an Steuerbord zugeteilt. Ben Brighton jagte auch noch die beiden Männer, die Ferris Tucker auf dem Quarterdeck halfen, hinunter aufs Hauptdeck. Als er sah, daß alle Männer wußten, was sie zu tun hatten, packte er mit an und lud die beiden Kanonen des Quarterdecks.

Hasard Killigrew hatte die Lederkassette in die Kapitänskammer gebracht und ins Geheimfach gesteckt. Gleich darauf stand er wieder auf dem Quarterdeck.

Die beiden Galeeren waren nur noch ein paar Kabellängen entfernt. Hasard hatte solche großen geruderten Schiffe noch nie gesehen. Er hatte immer gedacht, daß sie plump aussehen müßten. Jetzt war er überrascht, wie elegant sich diese schlanken Schiffe bewegen konnten. Die auf und ab schwingenden Riemen sahen aus wie die Flügel eines großen Seevogels.

Die Galeeren standen jetzt im Nordosten der Galeone. Hasard sah, wie an Backbord der beiden Schiffe die Riemen im Wasser blieben. Mit wenigen Ruderschlägen an Steuerbord wurden die Galeeren gedreht. Mit der Galeone hätte Hasard für das gleiche Manöver sicher die doppelte Zeit benötigt.

Ben Brighton tauchte neben ihm auf.

„Alle Kanonen bereit zum Feuern!“

Hasard nickte gelassen, obwohl er sich darüber im klaren war, welch ausgezeichnete Leistung der Bootsmann mit seinen Männern vollbracht hatte. Hasard hatte auf den Schiffen des alten Killigrew gelernt, mit dem Lob zu geizen.

„Teil die Leute ein, Ben“, sagte er. „Ich brauche sechs Männer für die Segel. Sechs Männer müssen genügen, um die Geschütze auf dem Hauptdeck abzufeuern. Du und Ferris, ihr bedient die Kanonen auf dem Quarterdeck.“

„Das schaffe ich allein“, sagte der Schiffszimmermann Ferris Tucker. Der rothaarige Riese blickte Hasard herausfordernd an.

„In Ordnung, Ferris“, sagte Hasard. „Ben, laß alles Zeug setzen, was du an die Rahen kriegst.“

„Sollen wir das Dinghi noch an Bord nehmen?“ fragte der Bootsmann.

Hasard schüttelte den Kopf.

„Kapp das Tau“, sagte er. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Ben Brighton nickte und jagte sechs Männer an die Schoten und Brassen der Rahen.

Hasard beobachtete die beiden Galeeren, die sich immer weiter voneinander entfernten. Zuerst war er sich nicht darüber im klaren, was sie damit bezweckten, aber als eine der Galeeren an Backbord schräg auf sie zugepullt wurde, wußte er, daß die Galeere die „Isabella“ an ihrer schwächsten Stelle, am Heck, rammen wollte. Gleichzeitig entging die Galeere damit dem Schußfeld der Kanonen.

Hasard preßte die Lippen aufeinander. Die Segel hingen schlaff von den Rahen. Nur das Großmarssegel bauschte sich etwas in der schwachen Brise. Die schwerfällige Galeone nahm kaum Fahrt auf.

Die Galeere achteraus näherte sich ziemlich schnell. Hasard blickte in die drohenden Mündungen der schweren Kanonen, die nebeneinander am Bug der Galeere aufgebaut waren.

Verdammt, wo blieb der Wind, der sie aus dieser hoffnungslosen Situation befreite?

Hasard hörte die heiseren Rufe seiner Männer. Er spürte die Furcht, die in ihnen steckte, und er konnte es ihnen nicht verdenken.

Immer näher schob sich die Galeere von achtern heran. Sie hatte eine wesentlich höhere Geschwindigkeit als die zweite, die sich von vorn näherte. Hasard hörte den dumpfen Trommelschlag, mit dem das Tempo der Riemenschläge angegeben wurde. Die sanfte Brise trieb einen fürchterlichen Gestank über das Deck der „Isabella“.

Hasard zog die Nase kraus. Er hatte davon gehört, daß die Rudersklaven ihre Notdurft auf ihren Bänken verrichten mußten. Er bedauerte die armen Kerle, die angekettet schwerste Arbeit verrichten mußten, bis sie vor Erschöpfung starben oder beim Kampf getötet wurden.

Hasard haßte alle Arten von Sklaverei. Er wußte, daß auf den Galeeren viele Mörder und Verbrecher waren, aber selbst diesen Männern mochte er ein solches Schicksal nicht gönnen. Dann war ein schneller Tod immer noch besser.

Auf der Galeere, die sich von achtern näherte, wurden die Groß- und Fockrah heruntergelassen und weit nach vorn gestreckt. Auf dem breiten Steg zwischen den Ruderbänken stand eine Schar von Männern. In den Klingen ihrer Degen brachen sich die Strahlen der morgendlichen Sonne.

Hasard war sich darüber im klaren, daß sie verloren waren, wenn es den Männern von der Galeere gelang, über das Achterkastell der Galeone zu entern.

Er rief dem Rudergänger einen Befehl zu. Die Galeone drehte sich unmerklich. Hasard merkte, wie die Erregung ihn packte. Die Galeere war nur noch eine Schiffslänge vom Heck der Galeone entfernt. Gleich würden die Spitzen der Rahen die Heckgalerie streifen.

In diesem Augenblick handelte Hasard.

„Hartruder!“ brüllte er. „Steuerbordgeschütze feuerbereit!“

Innerhalb von Sekunden änderte sich die Situation. Die Männer auf der Galeere, die den Sieg schon in der Tasche zu haben glaubten, mußten mitansehen, wie die Galeone plötzlich abdrehte. Der spitze Bug der Galeere schoß am Heck der „Isabella“ vorbei. Ehe die Ruderer ihre Riemen einziehen konnten, wurden sie von der Steuerbordseite der Galeone zertrümmert. Holzsplitter flogen durch die Luft.

Hasard beugte sich über das Schanzkleid der Quarterdecks. Er sah, wie die Ruderer auf der Galeere von den wild herumschwenkenden Riemen von den Bänken gefegt wurden. Die Männer brüllten. Einem Ruderer wurde von einem splitternden Riemen der Arm vom Körper getrennt. Blut spritzte über die anderen Männer.

Hasard wußte, daß diese Leute für den Angriff auf die „Isabella“ nicht verantwortlich waren, doch er konnte keine Rücksicht auf sie nehmen, wenn er das Schiff und seine Männer heil nach England bringen wollte.

„Feuer!“ brüllte er.

Die drei Kanonen an Steuerbord des Hauptdecks spuckten ihre tödlichen Ladungen auf das Deck der Galeere, das dem Feuer völlig ungeschützt preisgegeben war.

Innerhalb von Sekunden war auf der Galeere die Hölle los. Verwundete Männer wälzten sich in ihrem Blut. Die Ruderer schrien vor Verzweiflung. Sie zerrten an ihren Ketten, mit denen sie an den Ruderbänken gefesselt waren. Doch es war hoffnungslos.

Hasard wandte den Blick von dem Inferno ab. Er sah, wie seine Männer die sechs Kanonen an Steuerbord hastig nachluden. Ferris Tucker hatte nicht gefeuert. Die Galeere war zu dicht an der „Isabella“ gewesen, so daß die Kugel seiner Kanone wirkungslos über sie hinweggestrichen wäre.

Dafür hatte Ferris Tucker mit seinen Bärenkräften die Lafette geschwenkt. Hasard verfolgte die Laufrichtung der Kanone und erkannte, daß der Schiffszimmermann die andere Galeere im Visier hatte.

„Eine Flasche vom Wein des Capitans, wenn du triffst, Ferris“, sagte Hasard.

„Das ist ein Wort, Hasard!“

Ferris Tucker riß die Wollmütze von seinem rothaarigen Schädel und visierte noch einmal, bevor er die Lunte an das Zündloch hielt.

Mit ohrenbetäubendem Krachen entlud sich das Geschütz. Die Lafette rumpelte auf den kleinen, massiven Holzrädern über die Planken des Quarterdecks. Die Brooktaue zerrten in den Verankerungen im Schanzkleid.

Eine Pulverdampfwolke hüllte Hasard und Ferris Tucker ein. Hasard trat ein paar Schritte zur Seite. Als er die Galeere wieder sah, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Die Kugel aus Ferris Tuckers Kanone hatte den Bug der Galeere in ein Chaos verwandelt.

Die Männer auf dem Hauptdeck brüllten vor Begeisterung.

Hasard schaute sich nach Ferris Tucker um. Der rothaarige Riese tat, als sei dieser Schuß das Selbstverständlichste auf der Welt. Nur an dem Zucken der Augenbrauen erkannte Hasard, wie sehr sich der Zimmermann über den erfolgreichen Schuß freute.

„Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf“, sagte Ferris Tucker heiser, „ich habe für zwei Flaschen geschossen.“

„Genehmigt, Mann.“ Hasard wollte noch etwas sagen, als es in der Takelage der „Isabella“ leise zu singen begann. Das Großsegel und die Fock füllten sich mit dem steifer werdenden Wind, und die „Isabella“ legte sich sanft nach Backbord, als Ben Brighton die Segel trimmen ließ.

„Kurs Nordwest, Ben!“ rief Hasard. „Auf nach Old England!“

Seewölfe Paket 1

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