Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 44
7.
ОглавлениеDrei weitere Tage vergingen, bis sie Kap Finisterre passierten. Der Wind hatte auf Süd gedreht und trieb die „Isabella“, die mit ihrer schweren Ladung gut in der schweren See lag, vor sich her.
Hasard hatte das Großsegel aufgeien lassen, denn der Wind hatte sich weiter verstärkt. Er wußte, daß ihm und seiner Mannschaft noch einiges bevorstand, denn es hieß, wer Kap Finisterre bei starkem Wind umsegelt, auf den wartet in der Biskaya Sturm.
Die siebzehn Männer an Bord der „Isabella“ waren unruhig, obwohl sie durch den starken achterlichen Wind genug zu tun hatten, die Galeone auf Kurs zu halten. Seit sie die Spanier an Land gesetzt hatten, war nichts Außergewöhnliches mehr passiert.
Hasard hielt sich die meiste Zeit auf dem Quarterdeck auf. Irgend etwas kribbelte unter seiner Haut, aber er wußte nicht, wie er dieses Zeichen deuten sollte. Er spürte, daß bald etwas geschehen würde, und es stimmte ihn langsam verrückt, daß er nicht wußte, was.
Er atmete fast auf, als er plötzlich Gebrüll hörte, das vom Zwischendeck heraufscholl. Er hörte die dunkle rauhe Stimme des Schiffszimmermanns. Ein Klatschen folgte, das sich nach einem Schlag anhörte.
Ben Brighton, der sich in die Kammer zurückgezogen hatte, in der sie den spanischen Capitan gefangengehalten hatten, erschien auf dem Quarterdeck. Er wollte zum Hauptdeck hinuntereilen, aber der Seewolf hielt ihn zurück.
„Übernimm du das Schiff, Ben“, sagte er. „Ich werde mich selbst darum kümmern.“
Mit zwei Sätzen sprang er die Stiege vom Quarterdeck zum Hauptdeck hinunter und lief zum Niedergang. Er hörte sofort, woher der Lärm ertönte. Er wandte sich auf dem Zwischendeck nach achtern, wo die Kombüse lag.
Ferris Tucker schrie sich die Kehle heiser, aber die beiden Männer, die sich am Boden wälzten, hörten nicht auf ihn.
Hasard erkannte sofort, wer sich da prügelte.
Es waren Blacky und Batuti.
Batuti hockte auf Blackys Brust, und seine Rechte klatschte immer wieder in Blackys Gesicht.
„Du nie wieder kleines O’Flynn verhauen!“ brüllte er. „Sonst ich schneiden dir Ohren ab und kochen davon Suppe!“
Blacky röhrte. Sein Gesicht war vor Wut rot angelaufen. Die Adern an seiner Schläfe waren vor Anstrengung geschwollen, aber er schaffte es nicht, den mächtigen Neger von sich herunterzuwälzen.
Hasards Blick fiel auf die beiden Männer an der Kombüsentür. Der Kutscher, der für die Besatzung kochte, krampfte die Hände zu Fäusten zusammen. Sein Blick wieselte zwischen den Kämpfenden und dem grinsenden Daniel O’Flynn, der an der Kombüsenwand lehnte, hin und her.
Hasard kannte das Bürschchen inzwischen gut genug, um sofort zu wissen, was vorgefallen war. Wahrscheinlich hatte der Kutscher ihn wieder einmal dabei erwischt, wie er sich etwas aus der Kombüse geklaut hatte.
„Schluß jetzt!“ sagte Hasard scharf.
Batuti zuckte zusammen. Obwohl Hasards Stimme längst nicht so laut war wie die von Ferris Tucker, hatte sie eine bedeutend stärkere Wirkung.
Der Herkules sprang auf. Hasard beobachtete fasziniert, wie der Ausdruck im Gesicht des Schwarzen sich von einer Sekunde zur anderen änderte. Eben noch war es vor Wut verzerrt gewesen – jetzt stand bereits wieder das breite Grinsen darin, mit dem er Einfältigkeit vortäuschen wollte. Aber Hasard hatte den Schwarzen längst durchschaut. Der Kerl hatte es faustdick hinter den Ohren, und fast vermutete Hasard, daß Batuti sogar sein gebrochenes Englisch nur vortäuschte. Er traute ihm langsam alles zu.
„Blacky sagen, er stärker als ich“, radebrechte Batuti, „Ich ihm zeigen, wie schwarzer Bastard kämpfen kann!“
Blacky hatte sich inzwischen erhoben und rieb sich die geschwollene linke Wange, Auch er grinste jetzt.
„Diesmal hast du noch Glück gehabt, Wollkopf“, sagte er knurrend. „Das nächste Mal stampfe ich dich durch die Decksplanken!“
„Warum du nicht gleich versuchen?“ fragte Batuti angriffslustig und hob beide Fäuste.
Mit einer kurzen Handbewegung beendete Hasard das Streitgespräch.
„Gebt Ruhe, Männer“, sagte er ernst. „Wir brauchen unsere ganzen Kräfte für die Fahrt nach Plymouth. Die See wird immer rauher, und es ist nicht ausgeschlossen, daß wir unterwegs noch kämpfen müssen, um unsere Prise zu verteidigen.“ Er wandte sich an den Schiffszimmermann. „Ferris, beschäftige die Kerls, damit sie auf andere Gedanken kommen. Meinetwegen laß sie noch mehr Kartuschen herstellen.“
Ferris Tucker schüttelte den Kopf.
„Wir haben alles Segeltuch aufgebraucht, das ich entbehren konnte. Außerdem haben wir keine Behälter mehr, wo wir weitere Kartuschen unterbringen können.“
„Dann denk dir etwas anderes aus“, sagte Hasard, „Auf keinen Fall will ich Krach unter der Mannschaft.“
Er drehte sich um und ging breitbeinig auf den Niedergang zu. Er wußte genau, daß Batuti und Blacky ihm etwas vorgeschwindelt hatten, aber er sah keinen Grund, von ihnen zu verlangen, ihm die Wahrheit zu sagen. Er lächelte, als er den Niedergang hinaufstieg. O’Flynn und der Kutscher waren schlaue Burschen. Sie hatten sich die richtigen Freunde angelacht, die ihre Streitereien auskämpften. Der Schwarze schien einen Narren an Donegal Daniel O’Flynn gefressen zu haben, obwohl das Schandmaul O’Flynns den Herkules keinesfalls in Ruhe ließ.
Blacky dagegen hatte sich als Beschützer des schmächtigen Kutschers aufgespielt, seit dem Zwischenfall mit der losgerissenen Kanone. Wahrscheinlich war Blacky der Meinung, der arme Kutscher sei ohne ihn völlig aufgeschmissen. Dabei konnte der kleine Mann ganz gut auf sich selbst aufpassen, davon war Hasard überzeugt.
Ben Brighton blickte den Seewolf fragend an, als er wieder aufs Quarterdeck kletterte. Hasard zuckte nur mit den Schultern.
„Sie haben Langeweile“, sagte er. „Blacky und Batuti haben sich geprügelt, weil der Kutscher und O’Flynn sich in die Haare geraten sind. Wahrscheinlich hat das Bürschchen mal wieder ein paar getrocknete Früchte geklaut.“
Ben Brighton hob den Kopf und betrachtete besorgt die drohenden Wolkenfelder, die immer dunkler wurden und mit hoher Geschwindigkeit nach Norden brausten.
„Es ist vielleicht besser, wenn wir die Fock auch noch einholen“, sagte er.
Hasard schüttelte den Kopf
„Laß sie solange stehen wie möglich“, erwiderte er. „Ich habe ein ungutes Gefühl, daß noch etwas geschieht, und dann möchte ich so nah an der englischen Küste sein, wie es geht.“
Ben Brighton wies mit der rechten Hand nach oben in den Großmars.
„Soll ich Smoky runterkommen lasse?“ fragte er. „Ich glaube, du hast ihn jetzt lange genug da oben hängen lassen.“
Hasard blickte zum Großmars hinauf, wo Smoky zusammengekauert hockte. Seit drei Tagen hatte Hasard den früheren Decksältesten der „Marygold“ für jeweils sechs Stunden in den Mars geschickt, um ihm klarzumachen, daß Disziplin gerade auf einem Schiff, das nur mit kleiner Mannschaft gesegelt werden mußte, von größter Wichtigkeit war. Hasards Zorn auf Smoky war immer noch nicht ganz verraucht, aber er sah ein, daß er jetzt nachgeben mußte, wenn er sich die Achtung Ben Brightons und der Mannschaft erhalten wollte.
„Gut“, sagte er. „Laß ihn runter. Aber ich möchte, daß der Mars besetzt bleibt. Die Männer können sich jede Stunde abwechseln.“
„Aye, aye“, antwortete Ben Brighton mit unbewegtem Gesicht. Dann brüllte er seine Befehle über Deck.
Smoky kletterte mit steifen Gliedern die Wanten herunter. Seine klammen Finger krallten sich um die geteerten Taue, und zweimal rutschte er von den Webleinen ab, konnte sich aber jedesmal noch rechtzeitig fangen.
Daniel O’Flynn nahm seinen Platz im Großmars ein. Die anderen Männer kümmerten sich um den verfrorenen Smoky, der aussah, als hätte er seine Lektion gelernt.
Hasard begab sich in seine Kammer, um sich für ein paar Stunden hinzulegen. Solange die „Isabella“ unbehelligt von feindlichen Schiffen durch die schwere See der Biskaya lief, mußte er jede Gelegenheit nutzen, seinem Körper Ruhe zu gönnen.
Hasard betete im stillen, daß sie nichts mehr aufhalten würde. Zu wichtig war seine Mission geworden. Er mußte die „Isabella“ um jeden Preis nach Plymouth bringen.
Er legte sich auf seine Koje und betrachtete die von der niedrigen Decke herabbaumelnde Öllampe, die mit den Bewegungen der Galeone hin und her schwang.
Das Knarren der Masten, Rahen und Blöcke, die vom Sturmwind einer maximalen Belastung ausgesetzt Wurden, verfolgte ihn bis in den Schlaf.
Die Galeone lief jetzt auf nordwestlichem Kurs – quer durch die mörderische Biskaya auf Brest zu.
Hasard wußte, Wenn sie erst einmal diesen Turn geschafft hatten, waren sie aus dem Gröbsten heraus. Im Kanal war die Chance, einem englischen Schiff zu begegnen, größer, als auf einen feindlichen Franzosen oder Holländer zu treffen.
Hasard hörte die laute Stimme im Halbschlaf und ruckte hoch. Sein Kopf knallte gegen die Decke. Fluchend schwang er die Beine aus der Koje und fuhr in seine Stiefel.
Die Tür zur Kapitänskammer wurde aufgerissen, ohne daß vorher angeklopft worden war. Hasard hatte keine Zeit, über Batutis Mangel an Takt nachzudenken.
Der Schwarze brüllte seine Meldung heraus, ehe Hasard ihn fragen konnte, was, zum Teufel, denn los sei.
„O’Flynn hat Masten gesehen! Voraus in Nord! Ganze Kimm voll wie Rükken von Stachelschwein!“
Hasard warf sich seine Jacke aus dunklem Segeltuch über und raste aus der Kammer. Batuti folgte ihm polternd. Ein Windstoß riß Hasard das Schott zum Quarterdeck aus der Hand. Es knallte gegen die Bretterwand der Poop und schwang sofort wieder zurück.
Der Seewolf trat einen Schritt zur Seite. Hinter sich hörte er den überraschten Schrei Batutis, ein dumpfes Poltern und dann eine wütende Stimme.
Hasard kümmerte sieh nicht darum. Er mußte sich gegen den Wind legen, um nicht gegen die Nagelbank getrieben zu werden, wo Ben Brighton sich festgeklammert hatte.
„O’Flynn glaubt, daß es sich um vier oder fünf Schiffe handelt!“ schrie der Bootsmann, um sich im brausenden Sturm verständlich zu machen. „Kleine Karavellen mit Lateinerbesegelung! Wahrscheinlich Dreimaster! Höchstens fünf Seemeilen vor uns!“
„Welchen Kurs halten sie?“ brüllte Hasard zum Mast hinauf.
„Den gleichen wie wir!“ gab O’Flynn schreiend zurück. „Nordost! Ich glaube, sie haben uns nicht gesehen! Sie sind schneller als wir! Ich kann kaum noch ihre Mastspitzen erkennen!“
„Focksegel einholen!“ brüllte Hasard seinen Befehl aufs Deck, wo die Männer abwartend standen. Ferris Tucker jagte vier Männer auf die Fockrahe.
Schwere Brecher gingen über die Back und das Vorkastell, und hochspritzende Gischt trieb wie ein Schleier über das ganze Schiff. Hasard sah, wie die vier Männer mit sicherer Hand das Focksegel einholten. Er wußte aus eigener Erfahrung, welche Knochenarbeit es bei diesem Wetter war, auf den Rahen herumzuturnen.
Die Fahrt der Galeone verlangsamte sich nur unwesentlich. Nur die beiden Marssegel standen jetzt noch an den Masten, und sie genügten vollauf, die schwerfällige Galeone weiter nordwärts zu treiben.
„Sie haben uns nicht entdeckt!“ schrie Donegal O’Flynn jubelnd aus dem Mars. „Sie hauen ab! Sie haben die Hosen voll, weil der Wind ein bißchen bläst!“
Hasard sah die Erleichterung auf den Gesichtern seiner Männer, und er begann ebenfalls zu grinsen, obwohl er nicht daran glaubte, daß die Karavellen die 200-Tonnen-Galeone übersehen hatten. Er konnte nur hoffen, daß es sich um unbewaffnete Kauffahrteischiffe gehandelt hatte. Aber darauf wollte er sich nicht verlassen.
Er blickte Ben Brighton an und sah, daß auch der Bootsmann den Optimismus der Mannschaft nicht teilte. Das harte Wasser herrschte nicht erst seit heute, und wer sich jetzt mitten in der Biskaya aufhielt, war ganz sicher kein harmloser Seefahrer.
Die Bauart der Schiffe, die O’Flynn gesehen hatte, erweckte in Hasard die schlimmsten Befürchtungen. Er hatte solche kleinen, aber ungemein wendigen und schnellen Karavellen zur Genüge kennengelernt, als er noch auf den Schiffen des alten Killigrew gesegelt war.
Es waren die bevorzugten Schiffstypen der bretonischen und normannischen Freibeuter, der Beherrscher der Biskaya.
Ben Brighton hegte die gleichen Befürchtungen wie der Seewolf. Seine nächsten Worte bewiesen es.
„Wenn es Freibeuter waren, dann frage ich mich, warum sie uns nicht sofort angegriffen haben.“
„Wahrscheinlich ist ihnen die See zu schwer“, sagte Hasard nachdenklich. „Oder aber sie haben etwas anderes mit uns vor. Wir sollten vorsichtshalber unseren Kurs ändern. Dreh die alte Tante nach Norden, Ben. Vielleicht können wir ihnen so ein Schnippchen schlagen.“
Ben Brighton nickte. Er rief einen Befehl durch die große Luke auf dem Quarterdeck, unter der Pete Ballie am Kolbenstock stand und das Ruder bewegte.
Nach einer Stunde Fahrt bat Ben Brighton, auch das Großmarssegel einholen zu dürfen, und Hasard stimmte zu. Es hatte keinen Sinn, die Segel zu riskieren, die sie vielleicht noch einmal brauchten, um einem feindlichen Schiff zu entwischen.
Die „Isabella“ kam dem Seewolf wie ein behäbiger Elefant vor, der sich unbeirrbar seinen Weg durch eine feindliche Umwelt bahnte. Die Brecher, die mit ungeheurer Wucht über das Deck rasten, hatten die Blinderahe zerschlagen, und Ferris Tucker war unter Deck bereits dabei, eine neue fertigzustellen.
Hasards Nervosität war verflogen. Jetzt, da er jeden Augenblick mit einem Zwischenfall rechnete, war er die Ruhe selbst. Er hatte Ben Brighton befohlen, die Männer zu beschäftigen, und hatte ihm eingetrichtert, sie darauf vorzubereiten, daß sie innerhalb von Sekunden kampfbereit an Deck zu sein hatten, wenn der Befehl dazu erfolgte.
Batuti hockte jetzt in dem sturmumtosten Mars. Er hatte sich wieder mit einem Tau gesichert. Die lächerlichen Bemerkungen der anderen hatten ihn nicht gestört.
Hasard atmete fast auf, als er Batuti röhrendes Organ vernahm.
„Voraus! Voraus!“ brüllte der riesige Gambia-Neger, der sich aufgerichtet und am Mast festgeklammert hatte.
„Verdammt noch mal, was siehst du voraus?“ schrie der Seewolf. Er hielt das Spektiv ans rechte Auge und suchte damit die Wellenberge ab, die vor ihnen herliefen. Aber er konnte nichts erkennen.
„Weiß ich nicht genau!“ brüllte Batuti. „Schwimmt was auf dem Wasser!“
Hasards scharfe Stimme peitschte übers Deck.
„Dan O’Flynn in den Mars!“
Wenn einer von ihnen erkennen konnte, was der Gegenstand war, den Batuti entdeckt hatte, dann war es Donegal Daniel O’Flynn, der die schärfsten Augen von ihnen hatte.
Der Junge aus Falmouth kletterte wie ein Affe die Wanten hinauf. Er klammerte sich neben Batuti an den Mast und ließ sich von dem Schwarzen die Richtung weisen.
Es dauerte einen Augenblick, bis Dan den Gegenstand mit den Augen erfaßt hatte. Er wartete ab, bis er auf einem Wellenkamm erschien, und er erkannte sofort, um was es sich handelte.
„Ein Boot!“ schrie er hinunter. „Ein paar Männer sitzen darin und pullen! Sie müssen ihr Schiff verloren haben!“
„Wie weit sind sie entfernt?“
„Keine Seemeile!“ rief O’Flynn. „Etwa zwei Strich Steuerbord!“
Hasard nickte Brighton zu, und der Bootsmann gab den Befehl an den Rudergänger Pete Ballie weiter.
Nach ein paar Minuten konnten sie alle das Boot sehen, das wie ein Korken auf den Wellen tanzte. Die Männer darin waren jetzt deutlich zu sehen. Es waren acht, und sie kämpften einen heroischen Kampf gegen die aufgewühlte See, die sie zu verschlingen drohte.
Der Seewolf zögerte mit seiner Entscheidung nicht eine Sekunde.
„Alle Mann klar!“ rief er. „Wir holen sie an Bord! Seht zu, daß ihr das Boot an Bord hieven könnt, dann haben wir wenigstens ein neues.“
Hasard war der Ansicht, daß die Männer nur von einer der fünf Karavellen stammen konnten, die sie am Morgen gesichtet hatten. Er wunderte sich ein bißchen, daß die Männer ihr Schiff verloren hatten, denn er kannte keine seetüchtigeren Schiffe als die schlanken Karavellen mit den Lateinersegeln. Aber vielleicht hatte ein besonders starker Brecher das Schiff leckgeschlagen. Doch wieso waren dann in dem Beiboot, das mehr als zwanzig Mann fassen konnte, nur acht Männer?
Hasard hatte keine Zeit mehr, über diese Dinge nachzudenken. Das wichtigste war erst einmal, die Männer an Bord zu holen. In der Nußschale hatten sie kaum eine Chance, die nächste Stunde zu überleben, denn die See wurde immer ruppiger.
Ben Brighton jagte drei Mann in den Großmast, um das Großmarssegel für den Augenblick der Bergung zu setzen, damit die Galeone manövrierfähiger wurde.
Hasard war aufs Hauptdeck hinuntergegangen und half den Männern, die Taue bereitzulegen, die sie den Schiffbrüchigen zuwerfen wollten.
Ben Brightons klare Stimme hallte über das Deck. Die „Isabella“ bäumte sich auf und durchstieß mit ihrem stumpfen Bug die mächtige Welle, die sie zu überrollen drohte.
Das Beiboot schien auf die Galeone zuzufliegen. Gischtumsprüht tanzte es sekundenlang auf einer Wellenkrone, bis es wie von schweren Gewichten plötzlich nach unten in ein Wellental gezogen wurde.
Nur der Geistesgegenwart Ben Brightons war es zu verdanken, daß das Boot nicht an der Bordwand der Galeone zerschellte. Sie hörten die Männer in dem Boot vor Entsetzen brüllen, und dann flogen die Taue auf das Boot zu.
Zwei der Schiffsbrüchigen hatten Glück. Sie packten jeder ein Tau. Einer von ihnen wurde sofort über Bord gerissen. Er wurde von der See verschluckt.
Blacky, der das Seil hielt, zog daran wie ein Irrer. Am Widerstand spürte er, daß der Mann nicht losgelassen hatte. Smoky und ein anderer Mann sprangen hinzu. Gemeinsam holten sie das Tau Hand über Hand ein. Sie sahen, wie das bärtige Gesicht des Schiffbrüchigen auftauchte, der mit einer Welle auf die „Isabella“ zugeschwemmt wurde.
„Los!“ schrie Blacky, und die drei Männer, die das Tau hielten, rannten über das Deck nach Backbord.
Hasard sah, wie der bärtige Mann gegen die Bordwand der „Isabella“ krachte. Das mußte das Ende für ihn sein. Doch der Bärtige schien die Kraft eines Bären zu besitzen, oder aber die Todesangst verlieh ihm ungeahnte Kräfte, Er ließ das Tau nicht los, und nachdem Blacky und Smoky noch einmal kräftig zogen, konnten ihn die anderen Männer der „Isabella“ packen und über das Schanzkleid an Bord zerren.
Der zweite Mann in dem Boot hielt immer noch das Tauende in der Hand, das Batuti durch seine Hand gleiten ließ, wenn sich das Boot von der Galeone entfernte. Hasard sah die aufgerissenen Augen des Mannes. Einen Moment sah es so aus, als wolle er ebenso wie sein Kamerad ins Wasser springen, doch er fand nicht den Mut dazu.
Der Kutscher und der hagere Gary Andrews, dessen Wunde auf der Brust allmählich verheilte, kümmerten sich um den geborgenen Schiffbrüchigen, der ein paar französische Worte hervorsprudelte.
Hasard schnauzte Gary Andrews an, er solle sich gefälligst unter Deck scheren und sich in seine Koje legen. Jetzt, da die Entzündung der riesigen Schnittwunde, die er sich bei dem Überfall der Spanier auf der „Santa Barbara“ zugezogen hatte, im Abklingen war, war es unklug, das Risiko einzugehen, daß die Wunde wieder aufbrach.
Andrews verschwand brummend im Niedergang.
Der Franzose erholte sich ziemlich schnell. Anscheinend hatte er sich beim Aufprall auf die Bordwand nicht verletzt. Er erhob sich, schüttelte seinen bärtigen Kopf und stützte sich am Schanzkleid ab.
Ben Brighton schrie vom Quarterdeck.
„Aufpassen Männer, jetzt haben wir es!“
Die Galeone krängte stark nach Steuerbord. Das Boot jagte auf einem Wellenkamm heran.
Arme packten zu. Tampen flogen ins Boot, das knirschend die Bordwand der Galeone berührte. Mit einem Schlag wurden drei Männer über das Schanzkleid gezerrt. Ein vierter rutschte beim Sprung vom Dollbord aus. Sein rechtes Bein geriet außenbords.
In diesem Augenblick schwappte eine Welle das Boot wieder gegen die Galeone.
Der Franzose schrie markerschütternd auf. Sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt. Die Augen quollen hervor.
Hasard preßte die Zähne aufeinander, als das Boot von einer Woge von der Galeone weggerissen wurde. Das Bein des Franzosen, der sich schreiend an einen Tampen geklammert hatte, war nur noch ein blutiger Stumpf. Das Dollbord hatte seinen Unterschenkel an der Bordwand der Galeone abgequetscht.
Blacky riß den Mann zu sich heran und packte ihn bei den Schultern. Der Franzose hatte vor Schmerzen den Verstand verloren. Er schlug wie ein Berserker um sich.
Blacky zögerte nicht. Er machte kurzen Prozeß. Seine Faust traf das Kinn des Franzosen und schickte ihn auf die Decksplanken. Seine geretteten Kameraden kümmerten sich um ihn. Einer von ihnen band seinen Schal ab und schlug ihn um das verstümmelte Bein, um es abzuschnüren. Der Kutscher und O’Flynn halfen den Franzosen, den Verletzten unter Deck zu bringen.
Drei Männer hatten den Sprung aus dem Boot nicht geschafft. Sie schrien sich die Kehle wund, als sie sahen, daß sich die Galeone immer weiter von ihnen entfernte.
Aber Ben Brighton hatte das einzig Richtige getan. Wäre er an dem Boot drangeblieben, hätten die nun folgenden Brecher, die die „Isabella“ von Steuerbord überschütteten, das Boot unweigerlich an der Bordwand zerschmettert.
Der Bootsmann brauchte fast zehn Minuten, bis er die Galeone wieder in eine günstige Position manövriert hatte.
Die Männer im Boot saßen an den Riemen und pullten. Ben Brighton schrie sie an, das Boot tanzen zu lassen, doch seine Stimme ging im heulenden Sturm unter.
Hasard sah die Katastrophe voraus. Eine riesige Welle jagte von Steuerbord heran. Hasard wirbelte herum und wollte Ben Brighton einen Befehl zurufen, doch der Bootsmann hatte bereits reagiert. Die Galeone legte sich herum und streckte den Bug dem Wellengang entgegen.
Ben Brighton hatte nichts anderes tun können, wenn er die „Isabella“ nicht in Gefahr bringen wollte.
Das Boot wurde von den wirbelnden Wassern förmlich in die Luft geschleudert. Es drehte sich um die eigene Achse. Einer der Männer verlor den Halt. Hasard sah, wie er über Bord gefegt wurde und augenblicklich verschwand.
Dann raste das Boot auf die Galeone zu. Hasard hatte einen Tampen gepackt und lief am Schanzkleid entlang, bis er die Aufbauten des Vorkastells erreichte. Er verkrallte die linke Hand am Brooktau einer Kanone, und als die Welle über der Back zusammenschlug, warf er den Tampen dem heranrasenden Boot entgegen.
Es war die Hölle!
Im letzten Moment sah Hasard noch, wie einer der beiden Franzosen im Boot nach dem Tampen griff. Wasser rauschte über Hasard hinweg und wollte ihn ins tosende Meer ziehen. Er spürte, wie seine Füße von den Decksplanken abhoben. Sein linker Arm war taub. Er hatte das Gefühl, er wäre ihm ausgerissen.
Er hörte ein fürchterliches Krachen und Splittern. Etwas Scharfes fuhr ihm ins Gesicht, und dann riß ihn der Tampen, den er in der rechten Hand hielt, zu Boden.
Er konnte sich nicht mehr am Brooktau halten. Plötzlich fühlte er sich leicht wie ein Vogel. Aber es war nur einer kurzer Augenblick. Es folgte ein stechender Schmerz im linken Knie, und dann schien ihm der Himmel auf den Kopf zu fallen.
Ein Reigen von schillernden Sternen zog an seinen weit aufgerissenen Augen vorbei. Er hörte weit entfernt Stimmen, die immer deutlicher wurden. Ein paar kräftige Arme griffen unter seine Achseln und zerrten ihn über die Decksplanken.
Plötzlich war sein Blick wieder klar. Er sah den Blutfleck an der Kanone, von der man ihn wegzog, und er wußte sofort, daß es sein eigenes Blut war. Er mußte mit dem Kopf dagegen geschlagen sein.
Hasard versuchte, mit den Füßen Halt auf dem Deck zu finden, doch die kräftigen Arme, die ihn gepackt hatten, zerrten ihn weiter.
„Verdammt noch mal!“ brüllte er. „Laßt mich endlich los!“
Er krachte auf sein Hinterteil und rollte gegen die Lafette der Kanone, als die Galeone nach Steuerbord krängte. Ein Blitz zuckte durch seinen Schädel. Er verbreitete einen heißen Schmerz, doch Hasard blieb bei Besinnung. Taumelnd erhob er sich und blickte sich um.
Batuti stand neben ihm, die Augen weit aufgerissen.
Er sagte etwas, das Hasard nicht verstand.
Zu Hasards Füßen lag ein Mann in einem gestreiften Hemd und einem roten Schal. Er keuchte und spuckte Meerwasser aus, das er geschluckt hatte.
„Der andere?“ schrie Hasard.
Batuti zuckte die Schultern, und Hasard wußte Bescheid. Die Franzosen hatten bei der Bergung einen hohen Tribut zahlen müssen. Zwei ihrer Leute waren tot, und einer hatte ein Bein verloren.
Das Boot hatten sie auch nicht retten können. Der gewaltige Brecher hatte es an der Bordwand der „Isabella“ zu Kleinholz verarbeitet.
„Sir, du bluten!“ brüllte Batuti. „Kopf kaputt!“
Hasard faßte an die Stelle, mit der er gegen die Kanone geprallt war. Er spürte die warme, klebrige Flüssigkeit. Ein Messer schien ihm in die Kopfhaut zu schneiden. Er taumelte über das Deck und ließ sich von Batuti zum Quarterdeck hinaufhelfen.
Ben Brighton eilte auf ihn zu, aber Hasard winkte ab.
„Geh wieder auf Kurs Nordost“, schrie er. „Ferris Tucker soll sich um die Franzosen kümmern! Seid vorsichtig! Ich will mir nur meine Wunden ansehen, dann bin ich wieder da!“
Ben Brighton nickte. Er ging mit breiten Schritten zur Nagelbank zurück und gab den Befehl, das Großmarssegel wieder einzuholen. Als er die Franzosen unten auf dem Hauptdeck beieinander stehen sah, schlich sich seine Hand langsam unter die Segeltuchjacke, wo er eine Pistole im Hosenbund stecken hatte.