Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 53

4.

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Der Seewolf und seine Männer hatten Glück gehabt. Fast auf Anhieb fanden sie die feindliche Karavelle, die nur etwa dreihundert Yards von der „Isabella“ entfernt Anker geworfen hatte. Hasard hatte sich also nicht verschätzt.

Als das Schiff plötzlich vor ihnen aus dem Nebel aufwuchs, blieben sie wie auf Kommando reglos im Wasser liegen. Hasard hörte den Jungen neben sich voller Erregung atmen, und abermals legte er ihm warnend seine Hand auf die Lippen.

Hasard wußte nicht, ob die bretonischen Freibeuter Wachen aufgestellt hatten, aber er vermutete es.

Eine Weile blieben sie still liegen und horchten angespannt zu der „Minouche“ hinüber. Aber dort drüben regte sich nichts. Manchmal vernahmen sie das Glucksen des Wassers am Rumpf des Schiffes. Hin und wieder sprang irgendwo ein Fisch hoch und fiel klatschend ins Wasser zurück.

„Zum Heck“, flüsterte Hasard schließlich und begann wieder, das Floß, auf dem die beiden Pulverfässer standen, voranzutreiben. Die anderen folgten seinem Beispiel. Niemand verursachte auch nur das geringste Geräusch. Sie bewegten sich alle ganz langsam. Ihre Beine, mit denen sie im Wasser arbeiteten, durchbrachen nicht ein einziges Mal die Wasseroberfläche.

Ferris Tucker und Ben Brighton sahen sich an. Ihre Augen glitzerten in dem schwachen Widerschein des Wassers. Sie ahnten, daß die Besatzung dieses Schiffes schlimme Stunden hinter sich hatte. Sie wußten nur zu gut, wie es war, wenn man mehr tot als lebendig irgendwo unter Deck zu Boden sank und sofort schlief, ganz gleich, wo man gerade lag.

Fast zuckte in Ferris Tucker so etwas wie Bedauern hoch, wenn er daran dachte, was diese Männer erwartete. Aber dann schüttelte er unwillig den Kopf.

Sie oder wir, dachte er und schob das Floß mit energischen Schwimmstößen voran.

Sie erreichten das Heck der Karavelle ohne den geringsten Zwischenfall, als der Seewolf plötzlich stutzte. Er hob die Hand, gleichzeitig flüsterte er: „Stopp!“

Die Männer und Dan verharrten augenblicklich. Und dann sahen sie es auch. Durch den Nebel, gerade noch erkennbar für ihre scharfen Augen, schimmerte gebliches Licht zu ihnen herunter. Es mußte sich um die Fenster der Kapitänskammer im Achterkastell der Karavelle handeln.

„Er ist noch wach“, flüsterte Hasard. Gleichzeitig überlegte er. Und dann hatte er auch schon seinen Entschluß gefaßt.

„Wir bringen das eine Faß am Ruder an. Aber seid vorsichtig, das geringste Geräusch jagt uns die ganze Bande sofort auf den Hals. Dann enter ich auf und hieve das zweite Faß auf die Galerie. Schöpft der Kapitän Verdacht, wird er nachschauen. Tut er es nicht, nehme ich ihn mir vor.“

Er wandte sich an Dan.

„Du tauchst jetzt zum Ruder der Karavelle. Nimm einige der Leinen und bereite dort alles vor, so daß wir das Faß samt Lunte sofort anbringen können. Aber keine Extratouren, Dan“, fügte er warnend hinzu. Und er nahm sich vor, dem unternehmungslustigen Bürschchen sofort zu folgen. „Ihr anderen schiebt euch mit dem Floß langsam heran. Dicht unter dem Heck der Karavelle bleibt ihr liegen, bis Dan fertig ist und euch ein Zeichen gibt. Dann an das Ruder mit dem Faß und bereitet alles zur Zündung vor. Aber paßt auf, daß man euch nicht von Bord der Karavelle aus bemerkt.“

Dan hatte sich ein paar der Leinen gegriffen und versank gleich darauf vor ihren Augen lautlos im Wasser.

Hasard blickte unterdessen zu den gelblich schimmernden Flecken der Fenster des Achterkastells hinauf. Und in diesem Moment änderte er seinen Plan.

„Ich gehe an Bord“, flüsterte er. „Ich schleiche mich ans Achterkastell heran und sehe nach, was dort los ist. Ihr haltet das zweite Faß bereit, denn ich fürchte, es wird alles verdammt schnell gehen müssen. Zündet aber erst, wenn ich es euch sage!“

Hasard schwamm in dem ihm eigenen Stil zur „Minouche“ hinüber. Er hielt jedoch nicht auf das Heck zu, sondern auf das tiefer gelegene Schanzkleid des Hauptdecks an der Backbordseite der Karavelle. Innerhalb weniger Minuten hatte er das Schiff erreicht, und seine Hände tasteten die Bordwand ab. Dann hatte er gefunden, wonach er suchte. Ein dickes Tau hing über die Bordwand und verschwand neben ihm im Wasser der Bucht.

Hasard probierte vorsichtig, indem er an dem Tau zog. Es hielt. Hasard packte zu. Geschmeidig zog er seinen Körper hoch und erreichte innerhalb von Sekunden das Schanzkleid. Hier verhielt er einen Moment lauschend.

Von irgendwo drang Schnarchen an seine Ohren. Es mußte von unten aus dem Schiff kommen.

Hasard zog sich aufs Schanzkleid und ließ sich an Deck der Karavelle gleiten. Zwischen den Zähnen hielt er ein Entermesser. Als er an Deck der Karavelle stand, nahm er es in die Rechte. Dann huschte er auf das Quarterdeck zu und zum Achterkastell hinüber.

Vor dem Achterkastell blieb er abermals lauschend stehen. Im Schiff rührte sich nichts. Alles schien hier in tiefem Schlaf zu liegen.

Alles?

Er huschte die Stufen zum Achterkastell hinauf. Das schwache Licht der Bordlaternen beleuchtete seinen nackten Körper sekundenlang.

Es war zwar ungewöhnlich, daß Karavellen eine Heckgalerie hatten, aber dieses Schiff hatte eine, das erkannte Hasard sofort. Ob sie nachträglich angebaut worden war oder nicht – er wußte es nicht, und es war ihm auch gleichgültig. Viel wichtiger war für ihn, daß er jetzt nicht lange nach dem Zugang zur Kapitänskammer zu suchen brauchte, daß er keine Tür öffnen mußte, die vielleicht laut in ihren Angeln knarrte. Von der schmalen Heckgalerie aus mußte es auf jeden Fall einen Zugang geben.

Hasard bewegte sich nur noch langsam vorwärts. Dann blieb er abermals lauschend stehen, denn er hatte Schritte gehört. Die Schritte eines Mannes, der in seiner Kammer hin und her ging.

Hasard glitt lautlos weiter. Ein Blick zeigte ihm, daß es nicht schwer war, auf die Heckgalerie zu gelangen. Er trat an die Reling des Achterkastells, lief ein Stück an ihr entlang und ließ sich dann auf ihrer Außenseite nach unten gleiten. Sein fettiger, glatter Körper rutschte lautlos am Holz entlang, das Entermesser hielt er wieder zwischen den Zähnen.

Er erreichte die Galerie, indem er sich den letzten halben Yard einfach fallen ließ. Mit federnden Knien fing er den Sprung ab. Lediglich ein dumpfes Geräusch wurde hörbar.

Hasard spähte über die Reling. Seine scharfen Augen erblickten das Floß mit den Pulverfässern, die beiden Männer, die es heranschoben. Von Dan sah er nichts, aber er wußte, daß der Junge seine Aufgabe gut erledigen würde.

Hasard trat an eins der Fenster und wollte in die Kabine spähen. Er fuhr zurück, und sein Entermesser flog in seine Rechte. Er hatte gerade noch gesehen, wie der Kapitän der Karavelle die Tür zur Heckgalerie öffnete – und schon vernahm er das Geräusch sich drehender Angeln.

Hasard verschwand und preßte sich an die Außenwand des Achterkastells. Dann trat der Kapitän der Karavelle aus der Tür auf die Galerie hinaus. Er hörte ihn etwas murmeln, verstand ihn aber nicht. Er hörte sein gequältes Lachen und beobachtete, wie er sich über die Reling der Galerie beugen wollte.

Hasard schnellte sich auf den Hai zu. Er registrierte noch, wie höllisch schnell dieser Mann reagierte, nach seinem Entermesser griff und ihm die Linke entgegenrammte.

Dann war Hasard heran. Die Faust seines Gegners glitt an seinem fettigen Körper ab, die Rechte Hasards mit dem Entermesser stieß vor – aber sein Gegner hatte die Gefahr erkannt und wich blitzschnell zurück.

Hasard wußte, daß es jetzt nur noch um Bruchteile von Sekunden ging, bis dieser Mann das ganze Schiff alarmierte.

Mit einem Riesensatz flog er heran. Seine Linke schlug dem Hai das hochgerissene Entermesser zur Seite, dann prallte er auf seinen Gegner. Der Anprall war so heftig, daß er den Hai durch die offene Tür in seine Kammer katapultierte und selbst ebenfalls hinterherflog.

Hasard kam mit einer Rolle wieder auf die Füße. Er sah, wie sein Gegner den Mund aufriß zu einem Schrei, wie er ihn, einen nackten schwarzhaarigen Teufel, aus weit aufgerissenen Augen anstarrte – dann war Hasard heran und stieß zu.

Die Klinge seines Entermessers bohrte sich dem Hai in die Brust, er fiel zurück, riß den Mund auf – und ein Blutstrom quoll zwischen seinen Lippen hervor.

„Der Rächer – die Toten auf dem Wrack – die Zigeunerin, sie hatte recht ...“ röchelte der Hai, und Todesfurcht schüttelte ihn. Das Entermesser, das seine Rechte noch umschlossen gehalten hatte, rutschte aus seiner erschlaffenden Hand, seine Augen brachen.

Sein massiger Körper zuckte noch ein paarmal, dann lag er plötzlich still.

Hasard beugte sich zu ihm hinunter. Er fühlte Bedauern. Sein Messer hatte den fremden Kapitän zu gut getroffen. Aber er hatte keine andere Möglichkeit gehabt.

Er zog die lange Klinge aus der Brust des Toten und lief auf die Galerie hinaus.

Er beugte sich über die Reling, lauschte. Im Schiff blieb alles still, nur das Schnarchen einiger Männer drang zu ihm herauf.

„Schnell, das Faß!“ rief er leise und fing gleich darauf eine ihm zugeworfene Leine auf. Er spürte, wie sie sich straff zog, dann holte er das Pulverfaß Hand über Hand hoch.

„Ich hab’s!“ rief er leise hinunter. „Wie weit seid ihr?“

„Fertig“, ertönte leise die Antwort.

„Wartet auf mich. Setzt die Zündschnur in Brand, sobald ihr mich über Bord springen hört. Und dann schwimmt um euer Leben!“

Hasard packte das Faß und eilte zum Hauptdeck hinunter. Von dort lief er weiter zum Vorkastell, wo er einen Niedergang vermutete, der zur Bilge führte.

Hasard irrte sich nicht. Auch seine andere Vermutung trog ihn nicht: Niemand hielt sich im Bereich des Vorkastells auf. Die Besatzung dieses Schiffs war wirklich mehr als leichtfertig, daß sie nicht einmal eine Wache aufstellte.

Der Seewolf stieß die Tür des Niedergangs auf. Gleichzeitig nahm er eine der Deckslampen, die in seiner unmittelbaren Nähe hing. Das vereinfachte die Sache für ihn bedeutend.

Er stieg die Stufen des Niedergangs hinunter. Brackiger, fauliger Geruch stieg zu ihm auf, irgendwo hörte er das hastende Rascheln von Ratten, ihr widerliches Gequieke.

„Ihr werdet euch wundern“, murmelte er, und er dachte daran, wie ihn die Ratten auf der „Marygold“ in der Vorpiek fast aufgefressen hatten.

Hasard erreichte die Bilge. Er stieß die Tür zu einem der Ballasträume im Vorschiff auf. Im Schein sah er die dicken Spanten, das schwere Holz, aus dem diese Karavelle erbaut worden war, und wie Bedauern huschte es über seine Züge. Mit den Augen des Kenners erkannte er, daß dies hier ein ausgezeichnetes Schiff war – stabil, äußerst seetüchtig, schnell und wendig. Aber er wußte, daß sie dieses Schiff nicht kapern konnten, sondern vernichten mußten, wenn sie ungeschoren die Bucht verlassen wollten.

Er stellte das Faß ab, rollte die Zündschnur auf und legte sie aus. Er schätzte ihre Länge ab. Sie würde knapp drei Minuten brennen, bevor sie die Pulverladung des Fasses zündete.

Hasard warf einen letzten Blick in den Raum. Er wußte, daß hinter ihm nur noch die Vorpiek lag. Einen Moment zögerte er, überlegte, ob er das Pulverfaß nicht doch besser in die Vorpiek schaffen sollte, aber dann schüttelte er entschlossen den Kopf. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Der tote Kapitän konnte entdeckt werden, außerdem tat die Pulverladung hier, zwei Yards unter der Wasserlinie, bestimmt ihre Wirkung.

Hasard nahm das Entermesser zwischen die Zähne, packte die blakende Öllampe und hielt deren Flamme an die Zündschnur.

Ein paar Funken sprühten auf, gleich darauf begann sich eine kleine, bläuliche Flamme zischend auf das Pulverfaß zuzufressen.

Hasard wartete nicht länger. Er nahm die Lampe, feuerte sie in den Ballastraum und turnte blitzartig die Stufen zum Vorkastell und zur Back hinauf.

Er schaffte es in knapp einer Minute.

„Zünden!“ schrie er und hechtete über Bord. Sein nackter Körper verschwand aufklatschend in der See.

Hasard blickte nicht rechts und nicht links. Er sah zu, sich schleunigst von der Karavelle abzusetzen.

Irgendwo vom Heck des Schiffes antworteten ihm Dan und die anderen. Aber Hasard hörte nur noch einen Teil dessen, was sie schrien. Er tauchte, und zwar so tief, wie er konnte.

Dann erschütterte eine Explosion das Wasser. Hasard glaubte, ihm würden die Trommelfelle platzen. Eine Druckwelle traf ihn und beförderte ihn ruckartig an die Oberfläche.

Als er auftauchte, war hinter ihm die Hölle los. Von Bord der Karavelle vernahm er Schreie. Aus dem Vorschiff der „Minouche“ stach eine riesige Stichflamme hoch, erfaßte den Fockmast und setzte ihn augenblicklich in Brand.

Männer hasteten über Deck, Kommandos, Flüche erschallten – und dann zerriß eine weitere Explosion die Nacht.

Am Heck der Karavelle stieg eine Feuersäule empor, ein schwerer Stoß hob das schwere Schiff einige Fuß aus dem Wasser, das Achterkastell wurde in Stücke gerissen.

Schreie erfüllten die Nacht, Flammen loderten auf, erfaßten das Rigg, sprangen auf die gerefften Segel über.

Hasard hörte, wie hinter ihm Menschen in panischer Angst ins Wasser sprangen, sah, wie die Besonneren unter ihnen daran gingen, ein Boot zu Wasser zu bringen.

Hasard wandte sich ab. Er mußte auf sein Schiff. Er schwamm, so schnell er konnte.

Hinter sich hörte er die Stimme Dans. Er antwortete ihm, gleich darauf meldeten sich auch Ben Brighton und Ferris Tukker. Der Baß des Schiffszimmermanns grollte über die See wie ein Unwetter.

Unangefochten erreichten sie die „Isabella“ und enterten an Bord. Hasard fuhr in seine Hose. Dann blickte er zu der Stelle hinüber, von der lautes Schreien und das Prasseln von Flammen zu ihnen herüberdrang. Aber außer einem gelblich-roten Zucken hinter der dichten Nebelwand sahen sie nichts. Sie sahen nicht, wie sich die „Minouche“ auf die Seite legte, wie ihr Rumpf tiefer und tiefer ins Wasser der Bucht eintauchte, wie Männer um ihr Leben schwammen oder pullten, oder wie sie mit weitaufgerissenen Augen gurgelnd versanken.

Sie hörten das Klatschen, als die „Minouche“ kenterte, hörten, wie das Rigg zersplitterte, wie das Prasseln der Flammen erstarb. Und sie hörten, wie die stolze Karavelle in den Fluten der Bucht versank, wie Wrackteile zur Oberfläche emporschossen und klatschend aufs Wasser zurückfielen.

Siebzig Yards sank die „Minouche“, bis ihr zerborstener Rumpf und ihr toter Kapitän, den der Fluch der Zigeunerin in dieser Bucht, am Ort seiner Untaten, ereilt hatte, auf dem felsigen Grund die ewige Ruhe fanden.

Hasard und seine Männer gönnten sich keine Ruhe. Sie wußten, daß die beiden anderen Schiffe erscheinen würden, aber sie wußten nicht, wann sie in der Einfahrt auftauchen und ihnen den Weg versperren würden.

Hasard ließ das kleine Beiboot, das sie den Bretonen auf der Belle Ile abgenommen hatten, bemannen. Auf der Back und auf der Poop holten zwei Gruppen von Männern die Anker ein. Auch das war ein hartes Stück Arbeit, denn der Buganker hatte sich im Seeboden verfangen.

Aber es gelang, ohne daß sie gezwungen waren, die Ankertrosse zu kappen.

Ben Brighton befestigte die Schleppleinen, dann legten sich die Männer auf den Duchten in die Riemen.

Die Galeone reagierte überhaupt nicht, sie trotzte den Anstrengungen der acht Männer. Erst nach und nach, als der Schweiß bereits in Strömen über ihre Körper lief, bewegte sie sich. Langsam und widerwillig nahm sie Fahrt auf.

Hasard stand auf dem Vorkastell. Neben ihm Dan, der mit seinen Adleraugen den dichten Nebel zu durchbohren versuchte.

Die „Isabella“ kam nur langsam vorwärts. Und während das kleine Boot und die Kraft von acht Rudergasten – Hasard ließ sie alle halbe Stunde ablösen und packte selbst auch mit zu –, die Galeone der Einfahrt entgegen schleppte, arbeitete der riesige Schiffszimmermann mit einigen Männern von Bootsmannsstühlen aus an der endgültigen Einpassung und Befestigung des neuen Ruders.

Es wurde eine stundenlange, schweißtreibende Prozedur. Die Männer der „Isabella“ bissen die Zähne zusammen, während ihre harten Fäuste im Takt die schweren Riemen schwangen.

Als der Morgen graute, passierte die „Isabella“ die beiden Klippen, auf denen noch Stunden zuvor die Beobachtungsgruppen gesessen hatten.

Aber Hasard ließ sie weiterrudern. Sie mußten sich von der Ausfahrt der Bucht erst noch ein ganzes Stück nach Steuerbord absetzen, denn irgendwo von der Backbordseite her erwartete Hasard die beiden Karavellen.

Immer noch hing dichter Nebel über der Bucht, und auch draußen auf See betrug die Sicht keine fünfzig Yards.

Hasard wischte sich den Schweiß von der Stirn, als die ablösende Rudermannschaft kam. Es war der fünfte Turn, den er hinter sich hatte, und er spürte alle Knochen einzeln in seinem Körper. Er enterte auf und ging zum Quarterdeck hinüber, von dort zum Achterkastell und durch seine Kammer auf die Heckgalerie.

Er beugte sich weit über die Reling.

„He, Ferris, wie weit bist du?“ fragte er.

Der rothaarige Hüne wandte ihm den gewaltigen Schädel zu.

„Noch einen Bolzen muß ich einschlagen, dann ist alles in Ordnung.“

Und damit hob er den schweren Hammer und trieb den Eisenbolzen Schlag um Schlag in das harte Holt des Rumpfes.

Der Seewolf grinste.

„Wenn du fertig bist, Rum für alle. Dann setzen wir Segel, und nichts wie ab nach Plymouth.“

Er verschwand in seiner Kammer. Im nächsten Moment tauchte er auf dem Quarterdeck auf.

„Kutscher!“ brüllte er. „Bring ein paar Pützen kaltes Wasser. Ich stinke wie ein toter Wal. Los, beeil dich! Und dann hol eins von den Rumfässern raus, Rum für alle!“

Die Männer, die das gehört hatten, begannen zu johlen. Der Kutscher erschien mit den Pützen, einige der Männer halfen ihm, und im Nu hatten sie den Seewolf auf dem Hauptdeck mit ihren harten Fäusten abgeschrubbt. Es war die einzige Methode, auch die allerletzten Spuren des Fettes, mit dem er seinen Körper vor Stunden eingerieben hatte, zu entfernen.

Anschließend war Dan an der Reihe, und je wütender er protestierte, desto härter packten die derben Fäuste der Männer zu. Hasard stand wenige Yards entfernt und beobachtete die Prozedur. Er lachte und fing sich von Dan empörte Blicke dafür ein.

Ben Brighton und Ferris Tucker schlossen sich an. Gegenseitig schrubbten sie sich das Fett aus den Poren, und hinterher fühlten sie sich wie neugeboren.

Unterdessen jagte Hasard die Männer an die Brassen und in die Wanten. Ein leichter Wind war aufgekommen. Segel um Segel blähte sich, und langsam nahm die „Isabella von Kastilien“ Fahrt auf.

Die Rumbecher kreisten an Deck, das Beiboot lag festgezurrt auf dem Mitteldeck. Einer der Männer begann zu singen, die anderen fielen ein. Sie alle wußten, daß sie neben ihrem Mut, ihrer Tüchtigkeit und Ausdauer auch eine gute Portion Glück vor dem sicheren Untergang bewahrt hatte.

Es wurde fast Mittag, ehe die anderen beiden Karavellen in die Bucht der Ile de Sein einliefen. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet, die Sicht betrug gut zweihundert Yards. Die havarierte Karavelle lag tief im Wasser. Selbst das intensive Pumpen nutzte auf die Dauer nichts. Das Schiff mußte zur Reparatur auf den Strand gelegt werden. Hohläugig starrten die Männer in die Bucht, in der Gewißheit, die „Minouche“ vorzufinden. Doch so sehr sie auch Ausschau hielten, von der „Minouche“ war nichts zu sehen.

Eine Viertelstunde später rammte die eine Karavelle den zerfetzten und zersplitterten Großmast der „Minouche“, in dem verkohltes Takelwerk hing.

Der Kapitän des Freibeuterschiffes starrte aus schmalen Augen auf das Wrackteil. Und dann, als sie sich dem Strand näherten, auf dem sich das Wrack der Galeone und die zerfallenen Hütten ihrer einstigen Behausungen befanden, sahen sie den Schein mehrerer lodernder Feuer. Lautes Geschrei empfing die beiden Karavellen. Ein Boot löste sich vom Strand und steuerte die noch intakte Karavelle an, während die andere mit letzter Fahrt das Ufer erreichte und mit dem Vorschiff im sandigen Boden steckenblieb.

Und dann erfuhr der Kapitän von dem Ende der „Minouche“. Schweigend umstanden die Männer seiner Besatzung die Schiffsbrüchigen.

„Es waren die Geister der Ermordeten, die den Hai geholt haben!“ hörten sie einen alten weißbärtigen Freibeuter immer wieder sagen. „Die Zigeunerin hatte ihn verflucht, sie hatte ihm gesagt, daß er in dieser Bucht sterben würde. Ich habe es gehört ...“

Der Kapitän der Karavelle schwieg. Er hatte so seine eigenen Gedanken über das, was vermutlich geschehen war. Aber er empfand auch keine Trauer. Der Hai hatte zuviel Schuld auf sich geladen. Sie alle kämpften hart, wenn es sein mußte, aber sie waren keine Mörder.

„Heute ist Ruhetag“, sagte er dann. „Wir kümmern uns um die Verwundeten, morgen baut ein Teil von uns die verfallenen Hütten wieder auf, dann werden wir sehen, ob wir die andere Karavelle wieder reparieren können. Wir werden wieder hierher übersiedeln. Sobald es möglich ist, läuft eins unserer Schiffe aus und holt die Frauen und Kinder hierher.“

Die Männer schwiegen einen Moment. Dann brandeten ihre Stimmen auf. Der alte weißbärtige Pirat schwang sich auf eins der leeren Fässer an Oderdeck.

„Der Kapitän hat recht!“ rief er. „Die Geister der Toten sind versöhnt, in Zukunft werden sie uns ihren Schutz gewähren. Glaubt mir, ich kenne mich aus ...“

Am Abend dieses Tages loderten auf der Insel die Feuer. Etliche der Hütten waren neu gedeckt, Rum floß in Strömen, wilde Lieder stiegen von den Feuern auf, Betrunkene torkelten über den Strand.

Nur ein Mann stand allein auf seinem Schiff. Der hünenhafte, rotblonde Kapitän der einzigen noch völlig unversehrten Karavelle. Aus harten Augen sah er in die Bucht hinaus. Er dachte an jenen schwarzhaarigen, blauäugigen Mann auf der fremden Galeone, der wie ein Teufel zu kämpfen verstand. Und er wußte, daß dieser Mann ein Wolf war, einer jener Seewölfe, wie sie jedes Jahrhundert nur einmal gebar.

„Ich werde dich wiedersehen, Seewolf“, sagte er in die Stille hinein. „So oder so. Denn ich weiß, daß auch die „Minouche“ auf dein Konto geht!“

Sein Blick löste sich von der nebelverhangenen Bucht und wanderte zum Hauptdeck seines Schiffes hinunter. Dort unten irgendwo lag jenes Floß, das seine Männer bei der Suche nach weiteren Wrackteilen der „Minouche“ geborgen hatten. Lange hatte er sich die tief ins Holz eingeschlagenen Klampen und die Reste der durchtrennten Taue angesehen. Und schlagartig war ihm klargeworden, wie sich das Ende des Hais und seiner Karavelle abgespielt hatte.

Ob er wollte oder nicht, irgendwo tief in seinem Innern keimte Bewunderung für die Männer jener fremden Galeone auf. Fünf Karavellen hatten sie gejagt – sein Schiff war von diesen fünfen das letzte, das überhaupt noch seetüchtig war.

Er wandte sich ab. Er hörte die Gesänge, die von Land zu ihm herüberdrangen, er sah den flackernden Schein lodernder Feuer.

„Ich werde dich wiedersehen, Seewolf“, murmelte er noch einmal, während er bereits das Achterkastell seines Schiffes verließ. Und er wußte in diesem Moment noch nicht einmal, ob dieses Versprechen von ihm als Drohung gemeint war.

Seewölfe Paket 1

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