Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 51

1.

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Auf einer langen Dünung segelte die „Isabella von Kastilien“ mit schäumender Bugwelle auf Nordwestkurs in den Atlantik hinaus.

Die Belle Ile lag schon weit hinter der Galeone, vor achterlichem Wind lief das Schiff gute Fahrt.

Philip Hasard Killigrew stand auf dem Quarterdeck. Der Wind zerrte an seinen schwarzen Haaren. Seine eisblauen Augen blickten prüfend auf den schmalen hellen Streifen, der an Steuerbord der „Isabella“ den nahenden Morgen ankündigte. Dann sah er Ben Brighton, seinen Bootsmann, an.

„Ich traue dem Frieden nicht, Ben“, sagte er. „Irgendwo lauern die Karavellen auf uns. Diese Schlappe schlucken die Kerle nie.“

Ben Brighton nickte. Noch einmal zogen die vergangenen Stunden in seiner Erinnerung vorbei: Das plötzliche Auftauchen der fünf bretonischen Karavellen, der heimtückische Trick, mit dem die bretonischen Freibeuter ein Kommando auf die „Isabella“ schleusten, der erbitterte Kampf, in dessen Verlauf Hasard und seine Crew eine der Karavellen zu den Fischen schickten, eine andere schwer beschädigten. Dann ihr tollkühnes Unternehmen auf der Belle Ile, durch das sie sich das verlorengegangene Trinkwasser wiederbesorgten. Nein, Hasard hatte recht: Diese Schlappe würden die Bretonen niemals hinnehmen.

Auch Ben Brightons Blick wanderte jetzt zu dem hellen Streifen an Steuerbord.

„Wir müssen mit vier Karavellen rechnen“, sagte er dann. „Sie sind schneller als wir, besonders bei diesem Wind. Eine gute Chance, ihnen zu entwischen, hätten wir nur bei schwerem Sturm, aber danach sieht es noch nicht aus. Vielleicht wird der Wind noch steifer – aber diese Bastarde haben wir im Nakken, das ist auch meine Meinung. Und ich glaube, sie werden sich nach Sonnenaufgang an uns heranpirschen.“

Hasard wußte, wie recht sein Bootsmann hatte. Die vier Karavellen waren für die Galeone eine geradezu tödliche Gefahr. Sie waren wesentlich schneller und beweglicher als die schwere, dickbauchige „Isabella“, die außerdem noch dreißig Tonnen Silber in ihrem Rumpf mit sich schleppte.

Hasard preßte die Lippen zusammen, bis sie nur noch ein schmaler Strich waren.

„Ben, du weißt, daß wir Plymouth auf jeden Fall erreichen müssen. Nicht nur wegen des Silbers, sondern vor allem wegen der Kassette, die wir dem Don abgenommen haben. Ihr Inhalt ist für uns und England wertvoller als alles Gold und Silber, was wir den Dons noch irgendwann abjagen. Los, Ben, schick Dan in den Hauptmars. Er hat von uns allen die schärfsten Augen. Er wird die Karavellen entdecken, noch bevor sie uns ausmachen können.“

Ben Brighton nickte nur kurz, dann wandte er sich um. Gleich darauf dröhnte seine mächtige Stimme über Deck:

„Dan, raus aus der Koje und rauf in den Ausguck. Und der Teufel wird dich lotweise holen, wenn du da oben weiterpennst!“

Der Seewolf grinste. Ben Brightons Stimme konnte wirklich Tote erwecken. Gleich darauf sah er den schlanken Jungen wie ein Schemen über das Deck huschen und die Wanten hochentern.

Der Seewolf sah ihm nach, bis er im Hauptmars verschwand. Er hatte diesen Jungen in sein Herz geschlossen, und es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn er aus Dan nicht einen Kerl machte, der später einmal als Kapitän mit seinem Schiff quer durch die Hölle segelte, wenn es sein mußte.

„Ferris!“ brüllte er dann und beugte sich gleichzeitig zum Rudergänger Pete Ballie hinab, der unter dem Quarterdeck am Kolderstock stand.

„Kurs weiterhin Nordwest, Pete, bis ich einen anderen Befehl gebe, klar?“

„Klar“, sagte Ballie nur und seine riesigen Fäuste umklammerten den Kolderstock noch fester.

Ferris Tucker, der hünenhafte Schiffszimmermann, tauchte auf dem Quarterdeck auf.

„Ferris, stell jeden verfügbaren Mann an die Kanonen. Sorg dafür, daß Backbord und Steuerbord feuerbereit sind. Laß jedes einzelne Geschütz sorgfältig überprüfen. Schick mir ein paar Leute aufs Vor- und aufs Achterkastell, ich kümmere mich mit ihnen um die Drehbassen. Laß alle verfügbaren Musketen laden.“

Ferris Tucker schob die schrankbreiten Schultern vor. Und der Seewolf wußte, was diese Bewegung bedeutete: Kampfeslust und die Entschlossenheit, sich eher in Stücke schießen zu lassen, als aufzugeben.

„Wieviel Kartuschen haben wir noch, Ferris?“ fragte Hasard.

„So viel, daß wir die Bastarde damit zur Hölle schicken können, wenn sie es noch mal mit uns versuchen.“

Hasard hob fragend die Brauen, aber der riesige Schiffszimmermann grinste ihn an.

„Ich habe im Ballast noch einen Posten Segeltuch entdeckt, der uns bisher entgangen war. Meine Leute sind seit Stunden damit beschäftigt, neue Kartuschen herzustellen. Und glaube mir, daß sie es gern tun. Wenn diese Kerle wirklich wieder mit uns anbändeln, dann gnade ihnen Gott!“

Damit drehte sich Tucker um und war gleich darauf verschwunden.

Der Seewolf hob unwillkürlich die Oberlippe hoch. Bei allen Stürmen der sieben Weltmeere – das war eine Bande, mit der sich etwas anfangen ließ.

Wieder ließ er seine Blicke über die Kimm hinter der „Isabella“ gleiten. Aber er vermochte keine Mastspitze zu entdecken, obwohl sich inzwischen die Morgendämmerung den Horizont hinaufgeschoben hatte und erstes, fahles Licht über die schwarze See warf.

Um dieselbe Zeit trieb Capitain La Roche, den die bretonischen Freibeuter wegen seiner Habgier und Grausamkeit „den Hai“ nannten, seine Leute an. Der Hai kochte vor Wut. Er konnte es nicht fassen, daß die fünf Karavellen, die unter seinem Kommando standen, von einer einzigen Galeone geschlagen worden waren. Daß offenbar auch die Männer, die er mit soviel List an Bord dieses verdammten schwarzen Teufels geschmuggelt hatte, so jämmerlich versagt hatten und allesamt getötet worden waren.

Vom Hauptdeck vernahm er die brüllende Stimme seines Bootsmanns, dann Schreie. Gleich darauf dumpfe, klatschende Schläge.

„Ich mache euch Beine, ihr verdammten faulen Hunde!“ hörte er den Bootsmann brüllen. „Los, bewegt euch, ihr Affen. Ist das Großsegel noch nicht klar? Wollt ihr hier anwachsen?“

La Roche verfolgte die Arbeiten vom Achterdeck aus schmalen Augen. Er sah, wie sich das Großsegel im Wind blähte, spürte, wie die Karavelle an Fahrt gewann.

Er warf einen flüchtigen Blick auf die drei anderen Schiffe, die achteraus an Backbord und Steuerbord aufstaffelten.

Nein, dieser schwarze Teufel mit den weißen, blitzenden Zähnen, der das Schiff seines Bruders vernichtet hatte, sollte ihm nicht entkommen. La Roche wußte, daß sie die schwerfällige Galeone schon bald eingeholt haben würden. Der achterliche, steife Wind war für seine Karavellen geradezu ideal. Im Gegensatz zu ihrem unheimlichen Gegner hatten die Karavellen nur wenig Tiefgang, liefen wesentlich schneller und manövrierten besser und leichter. Und genau das war ihre Stärke. Allerdings – La Roche wußte, daß ihnen diesmal kein Fehler mehr unterlaufen durfte. Beim ersten Angriff waren sie sich ihrer Beute zu sicher gewesen. Aber dieser Engländer verstand zu kämpfen. Der Hai kannte Männer dieser Art, und er wußte, daß dieser große Mann mit den tiefschwarzen Haaren beißen und kämpfen würde, solange noch ein einziger Funke Leben in ihm war.

Wieder warf er einen Blick auf die hinter ihm segelnden Karavellen. Sie schlossen auf.

La Roche überlegte. Er versuchte sich in die Situation des Fremden zu versetzen. Welchen Kurs hätte er an Stelle der Englänger gesegelt?

Ein böses Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.

„Signal an alle: Kurs Nordwest. Verband ausschwärmen auf Sichtweite. Keiner greift ohne meinen ausdrücklichen Befehl an, keiner nähert sich der Galeone auf Schußweite!“ befahl er.

Es war kein Problem, den Befehl zu signalisieren. La Roche und seine Schiffe waren aufeinander eingespielt. Sie verfügten über genügend Signale, um sich gegenseitig alles Notwendige zu übermitteln, ohne daß Fremde in der Lage gewesen wären, diese Signale zu deuten.

Auf dem Hauptmars der Karavelle flammte eine speziell für diesen Zweck hergerichtete Signallampe in rhythmischen Intervallen auf.

Es dauerte nur Minuten, dann hatten die anderen ihr „Verstanden“ übermittelt.

Der Hai ging unruhig auf dem Achterdeck auf und ab. Unter seinen Füßen hob und senkte sich die „Minouche“ in der langen Dünung.

Donegal Daniel O’Flynn starrte sich die Augen aus dem Kopf. Es war heller geworden. Die Kimm trat jetzt scharf und klar aus dem Morgendunst hervor. Unter ihm blähte sich das Großmarssegel im Wind. Weißer Gischt sprang über das Vorkastell, wenn die „Isabella“ eine See durchpflügte. Kommandos und Befehle schallten über Deck und drangen bis zu ihm im Großmars herauf.

Plötzlich zuckte Dan zusammen. Unwillkürlich krampften sich seine Finger um eine der zum Großtopp führenden Wanten.

Zuerst sah er eine Mastspitze, dann zwei und dann auch die restlichen beiden. Und dann erkannte er den Umriß eines Lateinersegels.

Dan beugte sich aus dem Hauptmars und legte beide Hände an den Mund.

„Masten, achteraus an Backbord und an Steuerbord! Vier Karavellen segeln in weit auseinandergezogener Formation auf!“

Der Seewolf fuhr herum.

Also doch, dachte er. Dann lief er zum Großmast hinüber und enterte auf. Er erreichte den Großmars in Rekordzeit, riß sein Spektiv aus der Tasche seiner dunkelblauen Segeltuchjacke und blickte zu den Verfolgern hinüber.

Dan stand neben ihm, verfolgte jede seiner Bewegungen voll Spannung, versuchte, in den Zügen des Seewolfs zu lesen. Aber im Gesicht Philip Hasard Killigrews zuckte kein Muskel. Endlich setzte er das Spektiv ab, schob es zusammen und ließ es wieder in seiner Tasche verschwinden.

„Sie wollen uns in die Zange nehmen, Dan. Von beiden Seiten. Gut, wir werden ihnen einen heißen Empfang bereiten.“

Er blickte nochmals zu den Karavellen hinüber. Und aus ihren Manövern erkannte er, daß auch sie die Galeone entdeckt hatten.

Er wandte sich Dan wieder zu.

„Sie werden uns gegen Mittag eingeholt haben. Du bleibst hier oben, Dan. Ich will über jede Bewegung der Karavellen sofort unterrichtet werden. Ich laß dir etwas zu essen und zu trinken heraufschicken. Wenn sie heran sind, kommst du ’runter. Und du hältst dich an meiner Seite auf, weichst mir nicht von der Pelle, ist das klar, Dan?“

Der Seewolf sah das Zucken in Dans Zügen, die Enttäuschung, die über die Züge des Jungen flog.

„Du wirst kämpfen, Dan. Jeder von uns wird kämpfen. Aber ich will, daß du an meiner Seite bleibst, Dan. Das ist ein Befehl!“

Dans Augen leuchteten auf.

„Wir werden zusammen kämpfen, wir …“

Der Seewolf nickte ihm zu. Dann enterte er ab. Und er tat es so schnell und so geschmeidig, daß selbst Dan ihm für einen Moment überrascht nachstarrte.

Doch dann wandte der Junge sich wieder den vier Gegnern zu. Er sah, daß sich die Karavellen formierten. Eine fiel etwas nach Backbord ab, eine andere scherte nach Steuerbord aus. Die beiden anderen folgten der Galeone im Kielwasser.

Als die Sonne die Mittagslinie erreichte, hatte die „Isabella von Kastilien“ fast den 48. Breitengrad erreicht und segelte etwa fünfzig Meilen westlich von der Ile de Sein unter vollem Zeug nach Norden.

Ein Umstand, der für Hasard und seine Männer noch von allergrößter Bedeutung werden sollte.

Die vier Karavellen waren auf rund tausend Yards heran. Deutlich erkannten Hasard und seine Männer die an Deck der Schiffe hin und her laufenden Männer. Dan, der neben Hasard auf dem Achterkastell stand, sah, wie eine der Karavellen plötzlich ihren Kurs änderte. Wir ein wütender Schwan mit ausgebreiteten Schwingen rauschte sie von Luv heran.

„Es ist soweit, Männer, sie greifen an!“ rief Hasard. Er wußte, daß er sich gegenwärtig in einer üblen Lage befand. Er konnte die von Luv herannahende Karavelle nicht ausmanövrieren, denn auf der Leeseite befand sich die andere.

In diesem Moment begannen auch die beiden Karavellen, die ihnen bisher im Kielwasser gefolgt waren, aufzusegeln.

Der Seewolf stand wie ein Baum. Auf Entermanöver durfte er sich nicht einlassen, das wußte er. Gegen die vier Karavellen mit ihren zahlenmäßig viel stärkeren Besatzungen hatte er nicht die geringste Chance, auch wenn sie alle wie leibhaftige Teufel kämpfen würden. Aber zusammen mit Ben Brighton, Ferris Tucker und dem dicken Lewis Pattern, dem Segelmacher der „Isabella“, hatte er sich etwas einfallen lassen. Eine böse Überraschung für die Angreifer, wie er hoffte.

Er blickte zum Hauptdeck hinunter. Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, grinste ihn an und zeigte dabei sein Raubtiergebiß. Er hockte hinter den Geschützpforten vor einer Pfanne mit glühenden Kohlen. Neben der Pfanne sah Hasard die Pfeile, die mit geteertem Segeltuch umwickelten Spitzen, den riesigen Bogen, mit dem Batuti meisterhaft umzugehen wußte.

Neben dem herkulischen Schwarzen stand mit schwelender Lunte Smoky, der ehemalige Decksälteste der „Marygold“. In seinem harten Gesicht zuckte es bereits vor Ungeduld, es dem Gegner zu zeigen, ihm an die Kehle zu springen. Auch er blickte für einen Moment zum Seewolf empor, und sein Kinn stieß unwillkürlich nach vorn.

An den Brassen, zum sofortigen Manöver bereit, die besten und schnellsten Männer, eigenhändig von Ben Brighton ausgesucht für diesen Zweck.

Hasard wußte, daß er mit der Pfanne voller glühender Kohlen gegen eine der wichtigsten Regeln des Kampfes auf See verstieß: Außer an den Geschützen alles Feuer auf dem Schiff zu löschen. Aber das nahm er in Kauf – die vier Karavellen waren da ein weit größeres Risiko.

Dan starrte aus großen Augen auf die heranbrausende Karavelle. Er sah die gestikulierenden Männer auf dem Voderkastell, sah den Kapitän auf dem Achterdeck, glaubte schon, die Befehle, die er brüllte, durch das brausende Geräusch der weiß gischtenden Bugwelle zu hören.

Dann zuckten die Augen Dans nach Lee. Und trotz seines Mutes erschrak er. Auch diese Karavelle schien auf sie zuzujagen – aber das lag daran, weil der Seewolf die Galeone in diesem Moment auf einen anderen Kurs legen ließ.

Knapp fünfhundert Yards trennten die Galeone und die Karavelle an ihrer Luvseite noch. Noch immer unternahm der Seewolf nichts. Aus scharfen Augen fixierte er das Schiff. Und dann, in einer Entfernung von knapp dreihundert Yards, gab er das Zeichen.

Die Stückpforten flogen hoch. Die Galeone schwang abermals herum, die Steuerbordkanonen brüllten auf, das Deck erzitterte unter den Füßen der Männer. Aus den Rohren der Geschütze flogen Tod und Verderben zu der schräg heranlaufenden Karavelle hinüber.

Die Wirkung der Breitseite war verheerend. Der Fockmast der Karavelle zersplitterte, Rahen, laufendes und stehendes Gut stürzten auf Deck, der Mast krachte auf das Schanzkleid an Backbord, das Focksegel deckte die schreienden Männer zu.

Das war der Augenblick für Batuti. Er sprang auf, hatte den riesigen Bogen in seinen Fäusten, zündete einen der Brandpfeile und schoß ihn auf die Karavelle ab.

Dann sofort den nächsten, dann wieder einen. Der Schwarze entwickelte dabei ein Tempo, daß Dan nur noch Mund und Nase aufreißen konnte.

Batuti traf. Nicht einer seiner Pfeile verfehlte sein Ziel, und im Nu standen die Segel der havarierten Karavelle in hellen Flammen.

Unterdessen blieb der Seewolf auch nicht untätig. Seine Kommandos gellten über Deck. Die Männer an den Brassen reagierten blitzartig, ohne zu denken. Sie taten nur das, was der Seewolf von ihnen verlangte. Ebenso der Rudergänger Pete Ballie am Kolderstock, der wieder einmal vor sich hin fluchte, weil er unter Deck stand und von dem ganzen Kampf so gut wie nichts sah.

Die Galeone schwang herum. Ihre Segel füllten sich mit Wind. Sie nahm Kurs auf die Karavelle leewärts, auf der die Entermannschaften bereits brüllend und die Entermesser schwingend in den Wanten hingen.

„Klar bei Drehbassen, klar bei Backbordkanonen!“ schrie der Seewolf und sprang selbst an die Drehbassen auf dem Achterkastell.

„Dan, hierher, die Lunte!“

Und Dan war schon neben ihm. Gleichzeitig hatte Batuti die Kohlenpfanne nach Backbord geschleppt, auch die restlichen Brandpfeile, und einer der Männer zündete sie an den glühenden Kohlen an.

Die beiden Schiffe näherten sich einander rasendschnell. Denn auch die Karavelle schwang herum und ging auf Gegenkurs. Der Kapitän hatte die Gefahr, die ihm vom Seewolf drohte, erkannt.

Die Geschütze der Karavelle brüllten auf. Dumpfe Schläge erschütterten den Rumpf der Galeone. Einer der Männer an Backbord schrie auf, dann ein zweiter.

Der Seewolf hörte das, er spürte auch die Einschläge, aber er war jetzt in seinem Element.

„Backbordkanonen Feuer!“ brüllte er und wußte, daß Ferris Tucker und seine Männer die Geschütze längst auf die Karavelle eingerichtet hatten.

Wieder brüllten die schweren Kanonen auf, wieder erzitterte der schwere Rumpf der Galeone unter den zurückrollenden Lafetten der Geschütze, unter den mörderischen Rucken, mit denen die Brooktaue diese Bewegungen stoppten. Und die Männer auf dem Hauptdeck arbeiteten wie die Teufel. Auswischer mit nassen Schwämmen fuhren in die glühendheißen Geschützrohre, Kartuschen wurden eingeschoben und verdämmt, dann Kugeln und abermals Verdämmung.

Die Drehbassen auf dem Vor- und auf dem Achterkastell entluden sich donnernd, spuckten tödliches, gehacktes Blei in die Männer der feindlichen Besatzung, zerfetzten Tauwerk und rissen Stücke aus den Masten und den Decksplanken. Dann schoß Batuti. Seine Brandpfeile zischten zum Gegner hinüber und setzten auch diese Karavelle im Nu in Brand.

Schreie der Wut, der Schmerzen, des Grauens durchbrachen den Geschützdonner.

Und wieder gab der Seewolf seine Kommandos. Erneut schwang die „Isabella“ herum. Und diesmal wußte der Seewolf, wußte jeder seiner Männer, daß es um Haaresbreite abgehen würde.

Die Karavelle auf der Luvseite, die lichterloh brannte und von der das Prasseln der weiter und weiter um sich greifenden Flammen zu ihnen herüberdrang, trieb auf sie zu. Der Seewolf mußte mit seiner Galeone abfallen, wenn er nicht gerammt werden wollte. Dadurch näherte er sich aber auch der anderen Karavelle in Lee bedenklich, die von der Breitseite der Backbordkanonen zwar schwer beschädigt, jedoch nicht so vernichtend getroffen worden war wie die andere. Auch sie brannte, aber die Männer ihrer Besatzung schossen noch mit Musketen. Klatschend fuhren die Kugeln in die Bordwand der „Isabella“, schlugen in Masten und das Schanzkleid an Backbord der Galeone.

An Steuerbord dröhnten die Kanonen abermals auf. Ferris Tucker hatte eine weitere Breitseite auf die brennende Karavelle feuern lassen. Dies war ein Kampf, bei dem es für die Männer des Seewolfs ums nackte Leben ging, und jeder wußte das. Pardon gab es nicht.

Die Breitseite lag wiederum voll im Ziel. Tucker hatte einige der Kanonen auf die Wasserlinie der Karavelle richten lassen. Seine kundigen Augen erkannten sofort, daß diese Breitseite ihr den Rest gegeben hatte.

Seine Männer brüllten vor Freude – aber dann blieben ihnen die Freudenschreie plötzlich im Hals stecken. Die Galeone lief auf die Karavelle an Backbord zu.

Hasard erkannte die Gefahr.

„Alle Mann an Backbord! Paßt auf, daß die Kerle nicht entern, laßt keinen an Bord!“ durchschnitt seine gewaltige Stimme den Kampfeslärm.

Unterdessen hatte Dan die beiden Drehbassen auf dem Achterkastell nachgeladen. Gerade wollte er die Lunte an das Zündloch halten, als ein Ruck durch die „Isabella“ ging.

Dan stieß einen Schrei aus, stürzte rücklings zu Boden und schlug schwer auf die Decksplanken.

Der Seewolf sah es aus den Augenwinkeln, aber er hatte jetzt keine Zeit, sich um den Jungen zu kümmern.

Mit gewaltigem Stimmaufwand gab er seine Befehle – und er hatte Glück: Die „Isabella“ gehorchte Ruder und Segeln, kam von der Karavelle, die sie gestreift hatte, wieder frei und gewann Raum. Ferris Tuckers Stimme donnerte durch den allgemeinen Aufruhr – und ein zweites Mal entluden sich die Kanonen an der Backbordseite. Diesmal aus allernächster Nähe. Keine der Kugeln verfehlte ihr Ziel. Die Wirkung dieser Breitseite war verheerend.

Die Karavelle legte sich unter der Wucht der Einschläge weit nach Steuerbord über. Ihre Bordwand zersplitterte unter den schweren Kugeln der „Isabella“, die Schreie an Bord der Karavelle verstummten, dann segelte die Galeone in freies Wasser.

Philip Hasard Killigrew sah sich um. Wo, zum Teufel, waren die beiden anderen Karavellen geblieben? Er entdeckte sie wenige Augenblicke später. Die eine hatte abgedreht. Die andere stand noch achteraus an Steuerbord, zu weit entfernt, um in den Kampf eingreifen zu können.

Hasard zückte sein Spektiv, richtete es auf die Karavelle, die direkt auf die beiden sinkenden Schiffe zuhielt. Und zu seinem Erstaunen sah er einen massigen Mann, der sich auf dem Achterkastell wie rasend gebärdete und drohend beide Fäuste in Richtung der Galeone schüttelte.

Dan war inzwischen wieder aufgestanden, Blut rann ihm von der Stirn. Sein Schädel schmerzte, als habe man ihm soeben einen Morgenstern um die Ohren geschlagen. Aber er grinste, wenn auch mit schmerzlich verzogenem Gesicht.

Hasard lachte.

„Die kommen sobald nicht wieder, Dan. Ich denke, die haben genug“, sagte er.

Der Junge nickte.

„Verdammt, ich könnte jetzt einen Schluck gebrauchen“, sagte er.

Hasard fixierte ihn aus schmalen Augen. Das Bürschchen gefiel ihm von Tag zu Tag besser.

„Wir können alle einen gebrauchen, nicht nur du, Dan“, sagte er dann. „Aber erst werden wir uns jetzt mal um das Schiff kümmern, ich denke, wir haben einiges abgekriegt. Los, ab mit dir, melde dich bei Ferris Tucker, der wird jetzt jede Hand brauchen können.“

Damit verließ er selbst das Achterkastell und stieg zum Quarterdeck hinab.

Die Ahnungen Hasards trogen nicht: Es sah sogar noch etwas schlimmer aus, als er angenommen hatte. Der Wind hatte gedreht. Er blies jetzt aus Südwest und trieb dunkle schwere Regenwolken vor sich her.

Philip Hasard Killigrew war wieder in den Großmars aufgeentert. Durch sein Spektiv beobachtete er die beiden Karavellen, die nicht mehr am Kampf teilgenommen hatten und daher auch unbeschädigt geblieben waren. Sie lagen jetzt an der Stelle, wo vor wenigen Minuten die tödlich getroffene Karavelle gesunken war. Auf der anderen Karavelle, die die „Isabella“ von der Leeseite her hatte angreifen und entern wollen, kämpften die Bretonen verbissen gegen das immer noch lodernde Feuer. Auch diese Karavelle sah böse aus. Die letzte Breitseite hatte die Backbordseite der Karavelle mittschiffs zerschmettert. Das Schanzkleid hing zerfetzt zwischen zerrissenem Tauwerk. Aus den Stückpforten drang der Qualm. Manchmal leckten lange Flammen an der Bordwand empor. Weißer Wasserdampf vermischte sich mehr und mehr mit dem schwarzen Rauch, der sowohl aus dem Schiffsinneren als auch aus der Takelage aufstieg.

Hasard setzte das Spektiv ab. Die Bretonen waren wirklich zähe Burschen. Verbissen kämpften sie um dieses Schiff, und daran erkannte der Seewolf, daß sie den Verlust einer weiteren Karavelle mit allen Mitteln verhindern wollten. Sie brauchten also jedes einzelne Schiff.

Er warf einen letzten Blick auf die Stätte des Kampfes. Nein, um die „Isabella“ würden die Bretonen sich vorerst nicht mehr kümmern. Sie hatten jetzt ganz offensichtlich andere Sorgen. Außerdem waren sie gebrannte Kinder.

Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Ja, verdammt noch mal, denen hatten sie nun wirklich eine harte Lektion erteilt!

Die ersten Regentropfen fielen. Die Karavellen verschwanden plötzlich hinter dichten Regenschleiern, die sich wie Vorhänge zwischen sie und die Galeone legten.

„Gut“, murmelte Hasard, „das ist gut. Der Regen kommt uns wie gerufen, er nimmt ihnen die Sicht.“ Und wieder dachte er an jenen merkwürdigen massigen Mann, der sich wie rasend auf dem Achterkastell seiner Karavelle gebärdet und ihnen mit den Fäusten gedroht hatte. Er spürte instinktiv, daß sie in diesem Mann einen unversöhnlichen Gegner gefunden hatten, der sie seiner Niederlagen wegen bis aufs Blut haßte. Und Hasard ahnte in diesem Moment noch nicht, wie bald er diesem Mann wieder gegenüberstehen sollte.

Lautes Rufen schreckte ihn aus seinen Gedanken hoch. Er sah Ben Brighton unten auf dem Quarterdeck stehen.

Der Seewolf beugte sich aus dem Großmars.

„He, Ben, was gibt’s denn?“ fragte er.

„Diese verdammten Bretonen haben uns ein paar üble Löcher in das Schiff geschossen. Die Verankerung vom Großmast ist von einer Kugel schwer angeknackst worden, das Ruder hat einen bösen Treffer, und aus zwei Löchern strömt Wasser ins Schiff. Ferris glaubt nicht, daß er diese Schäden auf See beheben kann. Er will mit dir sprechen.“

Schon während der letzten Worte des Bootsmanns hatte sich der Seewolf aus dem Mars geschwungen und enterte ab. Er kannte Ferris gut genug, um genau zu wissen, daß dieser rotmähnige Hüne so etwas nicht sagen würde, wenn er dazu nicht gewichtige Gründe hätte.

Hasard stieß eine Verwünschung aus, als er an Deck sprang. Auf dem Hauptdeck, unweit eines Niederganges, prallte er mit dem riesigen Schiffszimmermann fast zusammen. Tuckers Oberkörper war nackt, Schweiß bedeckte seine mächtige Brust, rann an seinen Armen herab. Sein Gesicht war noch vom Pulverdampf verschmiert. Der rothaarige Riese sah geradezu furchterregend aus.

Als er den Seewolf sah, blieb er am Niedergang stehen. Dann schüttelte er den Kopf.

„Nichts zu machen. Die Lecks kann ich bei diesem Wetter nur von innen her dichtschlagen. Wenn der Wind aber stärker wird, dann ist der Großmast in Gefahr. Außerdem könnte uns das angeschossene Ruder brechen. Wir müssen irgendwo an Land. Nur dort kann ich das Schiff wieder seeklar kriegen.“

Regenschauer prasselten an Deck. Der steife Wind pfiff in den Pardunen. Der Regen ließ die Segel brettsteif werden. Im ganzen Rigg knirschte und knarrte es, während sich das schwere Schiff in der höher gehenden See stampfend vorwärts bewegte.

Ferris Tucker verschwand im Niedergang. Er war kein Mann, der viele Worte machte. Hasard folgte ihm. Aus den Tiefen des Rumpfes hörte er die dumpfen Schläge, mit denen die Männer Rundkeile in die Lecks trieben und die Keile anschließend mit Balken sicherten. Unter ihnen, in der Bilge, schwappte das Wasser. An Deck trieb Ben Brighton die Männer an die Pumpen.

Hasard sah sich die Bescherung an. Eine der feindlichen Kugeln hatte die Bordwand durchschlagen und dann den Großmast dicht über seiner Verankerung schwer demoliert. Der Mast war fast auf Yardlänge völlig zersplittert. Hasard war sofort klar, wie gefährlich dieser Treffer werden konnte, sobald Sturm aufkam – und das war gerade im Kanal, den sie noch durchqueren mußten, keine Seltenheit.

„Und das Ruder?“ fragte er und konnte dabei nur mühsam seinen Grimm verbergen.

„Von einer Kugel durchschlagen, einige der Scharniere wahrscheinlich verzogen. Pete Ballie schafft es schon nicht mehr allein, den Kolderstock zu bewegen. Das Ruder klemmt, und ich fürchte, es wird brechen, sobald es mehr Druck kriegt.“

Hasard stieß einen Fluch aus.

„Los, tut, was ihr könnt! Ich muß erst mal sehen, wo wir eine Stelle finden, an der wir das Schiff vor Anker legen können. Diese Küste ist verdammt gefährlich!“

Hasard stürmte davon. Es war das erste Mal auf dieser Reise, daß er sich ernstlich um sein Schiff sorgte. Um sein Schiff, um die dreißig Tonnen Silberbarren in seinem Bauch und um die kostbaren Seekarten, die unter allen Umständen in die Hände von Kapitän Francis Drake gelangen mußten – koste es, was es wolle!

Auf dem Weg in seine Kammer griff sich Hasard Ben Brighton.

„Sorge dafür, daß immer ein Mann im Großmars ist, Ben. Ich rechne zwar nicht damit, daß die Bretonen uns auch weiterhin verfolgen, aber auszuschließen ist das nicht. Und laß jetzt nicht zuviel Zeug auf dem Großmast stehen, auf den müssen wir aufpassen.“

Der Bootsmann sah Hasard nach. Er spürte, daß sich der Seewolf sorgte.

Hasard brütete in seiner Kammer eine ganze Weile über den Karten, die er von der französischen Küste besaß. Er kannte sich einigermaßen aus, weil er schon mehrfach mit dem Schiff seines Vaters dort gewesen war. Aber immer hatte es Schwierigkeiten gegeben, besonders mit den Bretonen, die ein ganz verdammt stures Volk waren. Und verbissene Kämpfer dazu. Aufgeben war für die ein Fremdwort.

Seine Augen wanderten über die Karte und musterten das Gebiet, in dem die „Isabella“ sich befand. Und dann fiel sein Blick auf eine Insel, die er zwar nicht kannte, von der er aber schon mehrfach gehört hatte. Sie hieß Ile de Sein, war der bretonischen Küste in Höhe von Audierne etwa sechs bis sieben Meilen vorgelagert, selbst höchstens zwei Meilen lang, eine halbe Meile breit und besaß an ihrer Südseite eine tiefe Bucht, die für ihre Zwecke geeignet sein konnte. Unter Umständen war sie sogar wie geschaffen, denn auf der Ile de Sein wohnten zumindest keine Fischer, es gab keine Ansiedlung – die Insel war zu klein und zu felsig.

Der Seewolf entschloß sich schnell. Er rechnete nach, wo sich die „Isabella“ zur Zeit befand, dann verließ er die Kammer und stürmte wieder an Deck.

„An die Brassen, Männer!“ dröhnte seine Stimme über Deck. „Neuer Kurs Nordost zu Ost!“

Er sprang aufs Quarterdeck hinab.

„Pete, Vorsicht mit dem Ruder. Laß langsam kommen, langsam, Pete!“

Pete Ballie nickte. Zusammen mit einem anderen Mann der Besatzung drückte er den Kolderstock herum. Über ihm ächzte und knirschte das laufende Gut, langsam schwangen die Rahen herum. Der Wind, der immer noch aus Südwest blies und an Stärke auch weiterhin zugenommen hatte, war dem Vorhaben des Seewolfs günstig. Bei fast achterlichem Wind lief die Galeone gute Fahrt, und Hasard befahl, das Großmarssegel zu reffen, um den Großmast auf diese Weise zu entlasten. Der Besan, das Großsegel, die Besegelung des Fockmastes und die Blinde unter dem Bugspriet gaben der „Isabella“ genügend Fahrt, solange sie keine Verfolger im Nacken hatten.

Aber die Karavellen schienen wirklich aufgegeben zu haben, zumindest war von ihnen auch nicht eine Mastspitze zu sehen. Hinzu kamen die dichten Regenschleier, die der Wind über die gischtende See trieb. Sie waren der beste Schutz, den Hasard sich in diesem Moment nur denken konnte.

Als das Schiff auf dem neuen Kurs lag, stieg er hinunter aufs Hauptdeck. Dort war Ben Brighton damit beschäftigt, die letzten Spuren des Gefechts mit einer Gruppe von Männern zu beseitigen.

Hasard sah ihm und seinen Leuten einen Moment lang zu. Dann runzelte er plötzlich die Stirn.

„Ben, was haben wir noch an Pulvervorräten?“ fragte er unvermittelt.

Der Bootsmann wandte sich um.

„Nicht mehr viel. Dreißig fertige Kartuschen, zwei Fässer, zwei Dutzend Kugeln. Nur für die Drehbassen achtern und vorn ist noch genügend gehacktes Eisen da.“

Hasard nickte nur. Das war vorauszusehen gewesen. Die zwei Gefechte mit den Karavellen hatten ihre Vorräte gehörig erschöpft. Und damit wurde ihre Lage um noch einiges schwieriger.

Wortlos drehte er sich um und stieg zu Ferris Tucker und seinen Leuten hinab, unter denen auch Dan sich befand.

Der Schiffszimmermann arbeitete wie besessen. Als er Hasard sah, blickte er kurz auf.

„Ferris, wie lange brauchst du für deine Arbeiten, wenn wir die „Isabella“ vor Anker legen?“ Und dann erklärte er ihm, welche Sorgen er hatte.

Ferris Tucker wiegte den Kopf.

„Vier, fünf Stunden, vielleicht sechs. Ich muß erst sehen, was mit dem Ruder los ist. Den Großmast stütze ich ab. Das kriege ich vielleicht sogar schon innerhalb der nächsten Stunden hin, wenn alles so klappt, wie ich hoffe.“

Der Seewolf sah den rothaarigen Riesen sekundenlang an.

„Wir segeln zur Ile de Sein“, sagte er dann. „Dort gibt es am Südufer eine Bucht, in der wir uns verstecken können und wo wir auch vor dem Sturm sicher sind, falls der Wind weiterhin zunehmen sollte. Nimm dir jeden Mann, Ferris, den du brauchst. Du mußt das Schiff so schnell wie möglich seeklar kriegen. Ile de Sein hin und Bucht her – wenn uns dort ein bretonischer Kaper entdeckt, sitzen wir in einer Mausefalle. Außerdem reicht unser Pulvervorrat nicht mehr zu einem langen Gefecht.“

Hasard drehte sich um und verließ das Zwischendeck, in dem Ferris Tucker mit seinen Mannen schuftete, daß ihnen der Schweiß nur so über die Körper lief.

Die Männer starrten Hasard nach. Sie hatten ihn verstanden.

„Vorwärts, Männer“, trieb Tucker sie an. „Ihr habt gehört, was los ist. Wenn wir hier fertig sind, bereiten wir die Reparatur des Ruders vor, soweit wir können. Stützt jetzt den Großmast ab, so, wie ich es euch gesagt habe. Ich sehe mir inzwischen an, was mit dem Ruder ist.“

Dan legte seine Axt zur Seite.

„Nimm mich mit, Ferris“, sagte er. „Das kannst du nicht allein tun. Einer muß dich sichern, du …“

„In Ordnung, Dan, du kommst mit. Besorge eine Leine, Junge. Wir belegen sie an der Heckgalerie. Ich denke, der Seewolf wird mit zupacken. Los jetzt!“

Er verpaßte Dan einen freundschaftlichen Knuff in die Rippen und trieb ihn vor sich her, nachdem er nochmals einen prüfenden Blick auf die Stützbalken geworfen hatte, die die Männer gerade mit schweren Eisenbeschlägen am Großmast befestigten.

An Deck pumpte immer noch eine Gruppe von Ben Brightons Männer das durch das Leck ins Schiff eingedrungene Wasser heraus. Aber die Lecks waren dicht, auch wenn die mit Eisen gesicherten und von innen in die Bordwand hineingetriebenen Keile nur als Provisorium gelten konnten.

Ferris Tucker hatte sich nicht geirrt. Hasard packte nicht nur zu, sondern seilte sich mit ihm zusammen an sorgfältig belegten Tauen zum Ruder ab.

„Aufpassen, Ferris!“ schrie er durch das Tosen der achterlichen See. Denn gerade packte ihn eine Woge und schleuderte ihn gegen das Heck der Galeone, das über ihm turmhoch in den grauen, von jagenden Regenwolken verhangenen Himmel zu wachsen schien.

Die See preßte ihn gegen das Schiff, überspülte ihn, und für einen Moment war um den Seewolf nichts als glasige, grüne Dämmerung. Dann hob sich das Heck der „Isabella“ aus der See. Hasard tauchte wieder auf und holte prustend Luft.

Er sah, daß Ferris Tucker das Ruder bereits erreicht hatte und sich am Ruderblatt festklammerte. Immer wieder verschwand der Riese unter den gischtenden Seen, aber er hielt sich eisern fest, schöpfte Luft, sooft er konnte. Dann war Hasard an seiner Seite. Auch er packte das Ruder, klammerte sich mit den Händen in den großen Scharnieren, in denen es sich bewegte, fest. Und dann sah er, welche Verwüstungen die Kanonenkugel der Karavelle angerichtet hatte. Eins der Scharniere war fast aus dem Heck der „Isabella“ herausgerissen worden. Das Ruder selbst war gesplittert, hielt aber durch Eisenbeschläge, die die Erbauer der Galeone aus irgendeinem Grund einmal angebracht haben mußten, noch zusammen. Aber die beiden Männer sahen, wie es in sich arbeitete, wie es sich unter den Beschlägen verzog, sobald eine Ruderbewegung Pete Ballies Druck auf das Ruderblatt brachte.

Hasard schüttelte den Kopf. Eine Verständigung war dort unten fast nicht möglich. Die Hecksee zerrte an ihren Körpern. Immer wieder schlugen glasgrüne Wogen über ihnen zusammen, begruben mal den einen, dann den anderen unter sich.

Hasard gab mit dem Daumen das Zeichen zum Auf entern. Wenige Augenblicke später standen die beiden Männer vor Nässe triefend wieder auf der Heckgalerie der „Isabella“.

„Wir haben Glück, Ferris, wenn das Ruder noch bis zur Ile de Sein hält. Hätte der Schuß etwas besser getroffen, etwas mehr zur Mitte, dann hätten diese verdammten Bastarde uns gehabt, weil wir uns in der Karavelle in Lee festgerannt hätten.“

Der Seewolf grinste und schüttelte sich das Wasser aus den Haaren.

„Wir haben schon soviel Glück gehabt – wir schaffen auch noch den Rest. Und wenn ich den Teufel persönlich aus der Hölle holen müßte!“

Der Schiffszimmermann grinste ebenfalls.

„Und ob wir es schaffen“, sagte er nur. Dann stampfte er über das Achterkastell und war gleich darauf verschwunden.

Sie erreichten die Ile de Sein eine Stunde vor Sonnenuntergang. Der Wind hatte etwas nachgelassen, dafür regnete es um so heftiger. Hasard stand auf dem Achterkastell, weil er von dort den besten Überblick hatte. Dan stand seiner scharfen Augen wegen im Fockmars, auf der Back sang der Lotgast die Wassertiefe aus.

Die „Isabella“ glitt auf die Insel zu, die wie ein dunkler Koloß vor ihnen aus den Regenschleiern emporwuchs. An ihrer Südflanke, genau dort, wo sich die Einfahrt zu jener weiten Bucht befand, türmten sich Felsen zu beiden Seiten der Einfahrt auf. An Backbord fielen die Berge ab und gingen in flachere Formationen über.

Hasard musterte die Insel. Er fühlte sich nicht recht wohl in seiner Haut, denn ihm war sofort klar geworden, daß sich die Galeone innerhalb der Bucht kaum mehr aus eigener Kraft manövrieren lassen würde, weil die felsigen Erhöhungen ihr den Wind nahmen. Sie mußten also einlaufen, Anker fallen lassen und das Schiff später wieder mit dem Boot, das sie den Fischern auf der Belle Ile abgenommen und dann an Bord gehievt hatten, wieder herausschleppen. Eine Knochenarbeit, denn sie verfügten nur über ein kleines Boot von zwei Duchten, auf denen höchstens acht Männer Platz fanden.

Hasard zerbiß einen Fluch auf den Lippen. Er mußte gut aufpassen. Zumindest mußte er die „Isabella“ so legen, daß sie einen etwaigen Angreifer mit einer Breitseite und den vier Drehbassen auf dem Vorder- und dem Achterkastell abwehren konnte, falls dies notwendig werden sollte. Das bedeutete aber, daß sie zusätzlich noch einen Heckanker ausbringen mußten.

Hasard gab sofort die notwendigen Befehle, während die „Isabella“ bereits in die Einfahrt zur Bucht hineinglitt.

Und wieder hatte Hasard ein ungutes Gefühl. Die Einfahrt war nur schmal, hinter ihr öffnete sich eine Bucht, die wie ein Hafenbecken aussah. Und dann zuckte er zusammen. Vor ihnen, auf den Strand gezogen, lag das Wrack einer Galeone, die ungefähr die gleiche Größe hatte wie die „Isabella“. Aber wie sah das Schiff aus!

Unwillkürlich unterbrachen die Männer an Deck ihre Arbeit. Selbst Ben Brighton sah aus großen Augen auf das Bild, das sich seinen Augen bot.

„Verdammt“, sagte er leise, „das sieht ja fast so aus, als seien wir hier in ein Seeräubernest geraten!“

Seine Blicke flogen über die verfallenen Hütten, zwischen denen sich Kisten, Fässer und Takelwerk stapelten. Aber sonst zeigte sich keine Menscheseele.

Ferris Tucker war mit einigen Sprügen auf dem Achterkastell neben dem Seewolf.

Aus zusammengekniffenen Augen starrte er auf das Wrack.

„Das Ruder – es ist intakt. Wir holen uns das Ruder von dem Kahn, das erspart uns Stunden an Arbeit, und wir können dieses Rattenloch schneller wieder verlassen.“

Der Seewolf nickte.

„Mach das Boot fertig zum Abfieren. Für jeden Mann eine Muskete, genügend Pulver und Kugeln. Einen Trupp vorn auf die Felsen – ich will hier nicht überrascht werden. Sobald sich auch nur eine Mastspitze zeigt, sofort melden! Wir legen die „Isabella“ da hinten vor den Felsen, und zwar so, daß wir die Einfahrt mit unseren Steuerbordkanonen voll unter Kontrolle haben. Sofort alle Steuerbordgeschütze und die Drehbassen laden, Musketen bereitlegen. Verdammt noch mal, auf was wartet ihr eigentlich noch?“

Hasard hatte seine sächsische Radschloßpistole aus dem Gürtel gezogen und warf sie Ben Brighton zu.

„Laden! Paß auf, daß sie nicht naß wird. Ich fahr mit ’rüber. Du, Ben, übernimmst hier das Kommando für die Dauer meiner Abwesenheit.“

Die „Isabella“ wurde langsamer. Hasard stand bereits auf dem Quarterdeck und gab Pete Ballie die notwendigen Befehle.

Das schwere Schiff schwang herum. Einen Moment lang begannen die Segel zu schlagen, dann wurden sie von den harten Fäusten der Männer auch schon eingeholt.

„Klar bei Buganker – klar bei Heckanker!“ dröhnte Hasards Stimme durch die plötzliche Stille, die nur vom Rauschen des Regens durchbrochen wurde.

„Fallen Anker!“

Die Anker klatschten ins Wasser der Bucht. Und die „Isabella“ lag genau so, wie Hasard das haben wollte. Kein fremdes Schiff konnte die Einfahrt in die Bucht passieren, ohne in eine volle Breitseite der Steuerbordgeschütze zu laufen.

Auf dem Hauptdeck wurden Kommandos laut. Ben Brighton war mit mehreren Männern dabei, das Boot an Taljen abzufieren. Die Männer arbeiteten schnell und geschickt. Ferris Tukker hatte sich mit Werkzeug beladen. Dan half ihm, die schwere Kiste zu schleppen. Der Schiffszimmermann wußte, daß sie keine Zeit zu verlieren hatten, und deshalb gedachte er drüben beim Wrack auch sofort ans Werk zu gehen.

Hasard warf einen Blick in den Himmel. Der Regen hatte etwas nachgelassen, und es war spürbar wärmer geworden. Prüfend sog Hasard die Luft ein. Dieser plötzliche Temperaturanstieg, dazu noch am Abend, gefiel ihm nicht recht. Die Felsen, die die Bucht zum Atlantik hin abschirmten, hinderten ihn jedoch, einen prüfenden Blick zum Horizont zu werfen. Er spürte aber, daß sich hinter diesen Felsen irgend etwas zusammenbraute.

Er verließ das Achterkastell und sprang zum Hauptdeck hinunter.

„Was ist mit der Gruppe vorn auf den Felsen?“ fragte er den Bootsmann.

Ben Brighton grinste und wies über Bord.

„Da schwimmen sie. Dan hat Ferris noch geholfen, das Werkzeug an Deck und ins Boot zu schaffen. Ich habe ihn ebenfalls für diese Gruppe eingeteilt. Ich weiß, daß es ihm nicht paßt, aber er hat nun mal die schärfsten Augen von uns allen. Also, Dan – was stehst du hier noch herum? Los, ab mit dir!“

Donegal Daniel O’Flynn bedachte den Bootsmann mit einem giftigen Blick. Dann schaute er den Seewolf hilfesuchend an, aber Hasard dachte gar nicht daran, dem Jungen zu helfen. Statt dessen zog er ein grimmiges Gesicht, obwohl er innerlich beinahe lachen mußte, denn er verstand Dan nur zu gut. Ein Wrack am Strand einer Seeräuberbucht – und Dan durfte nicht mit, sein Jungenherz mußte wahrhaftig bluten. Aber wenn er jetzt nachgab, dann würde das die Autorität Ben Brightons untergraben, und das durfte nicht geschehen. Die Disziplin an Bord der „Isabella“ war die wichtigste Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren dieser Mannschaft.

Hasard sagte nichts, aber er registrierte, wie Dan die Lippen zusammenpreßte. Um seinen Mund erschien ein trotziger, wilder Zug, gleich darauf schoß sein geschmeidiger Körper über das Schanzkleid und verschwand im aufspritzenden Wasser der Bucht.

Hasard sah ihm einen Moment lang nach. Dan schwamm wie ein Fisch. Dem Jungen würde es ein leichtes sein, die anderen, die auf die Felsenküste zuschwammen, einzuholen.

„Fertig?“ fragte er Ben Brighton. Der Bootsmann nickte.

Hasard schwang sich über das Schanzkleid und kletterte nach unten. Er warf einen raschen Blick auf die Männer im Boot. Batuti, Tucker, Stenmark, Blacky, Matt Davies und Smoky. Alles Männer, auf die Hasard sich nicht nur verlassen konnte, sondern die jeder für sich im Kampf Mann gegen Mann Gold wert waren.

Er warf einen raschen Blick auf Matt Davies, den Mann, dem im Kampf einst die rechte Hand abgeschlagen worden war und der nun an ihrer Stelle am Ende einer kunstvoll gefertigten Ledermanschette, die bis zum Ellenbogen geschnürt war, einen spitzgeschliffenen Eisenhaken trug. Er hatte diesen Mann kämpfen sehen, und Hasard wußte, was für eine mörderische Waffe dieser Eisenhaken war und wie gut Matt Davies mit ihm umzugehen wußte.

Hasard sprang ins Boot.

„Ablegen!“ befahl er.

Ferris Tucker stieß das Boot von der Bordwand ab, dann tauchten die Männer die Riemen ein.

„Hört zu“, sagte Hasard, als sie sich bereits in der Bucht befanden, „ich glaube nicht, daß hier in dieser Bucht Leute sind. Aus irgendeinem Grund muß dieser Schlupfwinkel einmal verlassen worden sein. Aber natürlich weiß ich das nicht genau. Sie können auch im Hinterhalt auf uns lauern. Wenn wir an Land gehen, haltet eure Musketen feuerbereit. Seid wachsam. Zwei von euch gehen Ferris zur Hand, wenn er das Ruder vom Wrack abmontiert. Du, Smoky, dringst mit mir in das Wrack ein. Ich will wissen, ob es in diesem Schiff noch irgend etwas gibt, was uns entweder von Nutzen sein oder aber Aufschluß darüber geben kann, wie es hierher kam und welches Schicksal seine Besatzung erlitt. Matt und Stenmark sehen sich bei den Hütten um. Aber geht nicht weiter, als bis zu den ersten und seid auf der Hut. Wenn Gefehr droht, feuert sofort eine Muskete ab.“

Matt Davies hob die Rechte mit dem Eisenhaken.

„Sie sollen nur aufkreuzen, diese Bastarde. Ich schlitze ihnen die Bäuche einzeln auf.“

Hasard mußte grinsen. Er kannte Matt – dieser Mann war der geborene Kämpfer. Trotzdem hielt er es für richtig, ihm einen Dämpfer zu verpassen.

„Kein unnötiges Risiko, Matt, das ist ein Befehl. Wir brauchen an Bord der „Isabella“ jeden einzelnen Mann. Wenn ihr auf Feinde stoßt, dann zieht ihr euch sofort zurück, oder ich ziehe euch später eigenhändig das Fell ab.“

Er sah die anderen ebenfalls an.

„Wir sind in dieser Bucht, um die „Isabella“ so schnell wie möglich wieder seeklar zu kriegen. Unser Ziel ist es, dieses Schiff heil nach Plymouth zu bringen. Wenn wir gezwungen werden, zu kämpfen, dann kämpfen wir, das haben wir den Bretonen bewiesen. Aber nochmals: kein unnötiges Risiko, habt ihr das endlich in euren verdammten Dickschädeln?“

Smoky, der frühere Decksälteste, knurrte irgend etwas vor sich hin. Aber dann legten sich die Männer mit aller Kraft in die Riemen, und das kleine Boot flog nur so über die Bucht.

Etwa fünfzig Yards vor dem flachen Strand, auf dem das Wrack der fremden Galeone lag, ließ Hasard das Boot stoppen. Er bedeutete seinen Männern zu schweigen. Angestrengt blickte er zum Strand hinüber – aber dort rührte sich nichts.

„Die Bucht ist verlassen“, sagte Ferris Tucker in das Schweigen hinein. „Was auch immer mit der Galeone dort geschehen ist, es befindet sich niemand mehr an Bord des Wracks, und auch in den Hütten rührt sich nichts.“

Hasard nickte.

„Weiterpullen!“ befahl er.

Noch immer war ihm diese Bucht unheimlich. Hinzu kam, daß der Ile de Sein noch mehrere winzige Inseln vorgelagert waren. Manche von ihnen hatten einen Durchmesser von nur einigen hundert Yards.

Das Boot lief knirschend auf den Strand. Hasard und seine Gefährten sprangen heraus. Gemeinsam zogen sie es noch ein Stück weiter durch den gelbbraunen Sand, bis es festlag und auf keinen Fall mehr abtreiben konnte.

Wieder blieb Hasard sichernd stehen, in der Rechten die schußbereite Radschloßpistole. Die anderen hatten ihre Musketen leicht angehoben, und die Mündungen der Waffen zeigten zu den Hütten hinüber.

Aber auch jetzt rührte sich auf der Insel nichts.

Hasard ließ seine Pistole sinken.

„Los, vorwärts!“ befahl er. „Wir verfahren wie besprochen.“

Er winkte Smoky zu sich heran und machte sich mit ihm auf den Weg zur Galeone, die etwa fünfzig Yards rechts von ihrer Landestelle lag.

Ferris Tucker lief mit dem riesigen Batuti und Blacky ebenfalls zum Wrack der Galeone hinüber. Gemeinsam schleppten sie die schwere Werkzeugkiste. Matt Davies und Stenmark gingen in Richtung der verfallenen Hütten davon. Und Matt Davies grinste unternehmungslustig, während er die schwere Muskete wie einen Spazierstock in der Linken hin und her schwang. Trotzdem täuschte diese zur Schau getragene Sorglosigkeit. Matt Davies, der Mann mit dem Eisenhaken, besaß außerordentlich scharfe Sinne, und in diesem Moment waren sie alle auf einen Punkt konzentriert: auf die Hütten vor ihm.

Hasard und Smoky erreichten die Galeone noch vor dem Schiffszimmermann und seinen beiden Gehilfen. Es war ein ziemlich großes Schiff. Der Seewolf schätzte es auf mindestens zweihundert Tonnen, damit war es also genauso groß wie die „Isabella“.

Tauwerk hing über die Bordwand herab. Hasard und Smoky fackelten nicht lange. Mit kundigen Griffen prüften sie es auf seine Haltbarkeit, dann enterten sie auf. Zwar behinderten sie die beiden Musketen, aber die beiden Männer schafften es trotzdem.

Hasard schwang sich über das Schanzkleid – und blieb ruckartig stehen. Ihm bot sich ein Bild des Grauens. Auf dem Hauptdeck des übel zerschossenen Schiffes lagen von Sonne und Wind schneeweiß gebleichte Gerippe. Die Augenhöhlen in den Totenschädeln glotzten den Seewolf an.

Hasard sog die Luft scharf ein. Sein Blick wanderte weiter über das Deck. Er entdeckte merkwürdige, beim ersten Hinsehen zusammenhanglos erscheinende Ansammlungen von menschlichen Knochen. Sie lagen auf dem Deck herum, als wären sie irgendwann einmal aus großer Höhe herabgestürzt.

Unwillkürlich glitt sein Blick am Großmast hoch, wanderte weiter zu den wenigen Rahen, die sich noch an Ort und Stelle befanden. Und dann sah er es: Taue, deren eines Ende immer noch eine Schlinge bildete, deren anderes um die Rah geknüpft worden war.

Nachdem er das gesehen hatte, war dem Seewolf alles klar. Langsam wandte er sich zu Smoky um, der aus schmalen Augen auf das grauenhafte Bild starrte.

„Irgend jemand hat dieses Schiff überfallen, es erobert, auf Strand gesetzt und die gesamte Mannschaft umgebracht“, sagte Hasard, und seine Stimme hatte einen erbitterten Klang. „Die armen Teufel, die man an die Rahen gehängt hat, fielen wieder herunter, als ihre Körper verwest waren und die Knochen nicht mehr durch Sehnen und Muskeln zusammengehalten wurden. Andere scheint man sofort an Deck getötet zu haben, und zwar erschlagen.“ Hasard hob einen der Schädel auf, dessen Hirnschale total zertrümmert war. Dann ließ er ihn fallen, und der Totenschädel rollte polternd über das nach Backbord geneigte Deck, bis er am Schanzkleid schließlich liegen blieb.

Hasard war ein harter Mann. Furcht war für ihn ein fremder Begriff, aber er wäre niemals imstande gewesen, nach einem Sieg ein solches Massaker zu veranstalten.

„Das müssen die reinsten Bestien gewesen sein“, murmelte Smoky. „Vielleicht war dies einmal der Schlupfwinkel jener verdammten Bretonen, die es auf die „Isabella“ abgesehen hatten.“ Er spuckte angewidert aus. „Wenn ich diese Kerle, die das hier auf dem Gewissen haben, zwischen meine Fäuste kriegen würde, ich glaube, ich könnte mich glatt vergessen. Denen würde ich die Haut in Streifen abziehen!“

Hasard nickte finster. „Versuch herauszubekommen, wie der Name dieses Schiffes war, Smoky. Ich sehe mal nach, wie es unter Deck ausschaut.“

Hasard wartete keine Antwort ab, sondern setzte sich sofort in Bewegung. Er überquerte das Hauptdeck und stieg zum Quarterdeck hinauf. Von achtern ertönten die Stimmen von Tucker und seinen beiden Gehilfen. Ferris Tucker war also schon dabei, das Ruder der Galeone abzumontieren.

Hasard erreichte den Niedergang an der Backbordseite. Auch das Quarterdeck trug die Spuren jenes erbarmungslosen Kampfes, dem die Besatzung dieses Schiffes zum Opfer gefallen war. Nicht einmal der Regen vergangener Monate hatte die dunklen Flecken jener Blutlachen abzuwaschen vermocht, die von den Decksplanken aufgesogen worden waren.

Mit der schußbereiten Radschloßpistole in der Rechten stieg der Seewolf den Niedergang hinab. Aber schon bald blieb er stehen. Es war stockdunkel im Schiff, und ein widerlicher Geruch stieg aus den Tiefen des Rumpfes zu ihm herauf.

Hasard wandte sich angewidert ab, stieg die wenigen Stufen des Niedergangs wieder hinauf und ging zum Achterkastell hinüber, wo er die Kapitänskammer zu inspizieren gedachte. Dort fiel durch ein Fenster auf der Galerie noch Licht ein, und wenn es auf diesem Totenschiff überhaupt noch etwas zu finden gab, dann dort.

Aber Hasards Erwartungen wurden auch in der Kapitänskammer enttäuscht. Er fand nichts. Sie war von den Siegern geplündert worden. Anschließend hatten diese Kerle sogar noch das gesamte Mobiliar kurz und klein geschlagen.

Hasard schüttelte den Kopf. Dann steckte er die Radschloßpistole wieder in den Gürtel. Auf diesem Schiff gab es kein Leben mehr. Sie würden wahrscheinlich niemals mehr erfahren, was sich hier für ein Drama abgespielt hatte. Und genauso wie in der Kapitänskammer würde es wahrscheinlich im ganzen Schiff aussehen – das war Hasard jetzt klar.

Er kehrte der Kammer den Rücken und trat auf die Galerie am Heck des Schiffes hinaus. Er sah, wie Tucker bereits dabei war, mit seinen Männern das schwere Ruder aus den Scharnieren zu lösen.

„He, Ferris!“ rief er hinunter. „Klappt alles?“

Der Schiffszimmermann unterbrach seine Arbeit.

„Das Ruder ist tadellos. Mit einigen unbedeutenden Änderungen werden wir es an der „Isabella“ verwenden können. Was habt ihr im Schiff vorgefunden?“

Hasard berichtete, was Smoky und er entdeckt hatten.

Ferris Tucker ließ seinen schweren Hammer sinken.

„Ich habe schon viel über bretonische Piraten gehört, und das hier würde durchaus zu ihnen passen. Diese Kerle geben kein Pardon, wenn man ihnen in die Hände fällt. Wir sollten hier so schnell wie möglich wieder verschwinden!“

Er hob den Hammer und arbeitete weiter. Batuti und Blacky starrten Hasard immer noch ungläubig an. Der Schwarze war ganz grau im Gesicht geworden. Aber dann griffen auch die beiden wieder nach ihrem Werkzeug und begannen zu arbeiten, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken.

Hasard verließ das Achterkastell. Auf dem Quarterdeck stieß er auf Smoky, der bereits nach ihm gesucht hatte.

„Man hat die Namen von diesem Schiff entfernt. Und wo das nicht ging, hat man sie unleserlich gemacht. Nur an einer Stelle habe ich ein paar der Buchstaben noch entziffern können. Dieses Schiff könnte „Hidalgo“ oder zumindest ähnlich geheißen haben – genau läßt sich das nicht mehr herausfinden.“

„Komm“, sagte Hasard nur. „Wir packen bei Ferris mit an. Ich glaube wirklich, daß wir hier so rasch wie möglich wieder verschwinden sollten.“

Er warf noch rasch einen prüfenden Blick zum Himmel empor. Und was er dort und über den Felsen der Insel sah, gefiel ihm ganz und gar nicht. An die Stelle des Graus der Regenwolken war jetzt eine bleigraue Färbung des Himmels getreten. Der Wind war fast eingeschlafen, und über die rotbraunen Felsen der Bucht schoben sich langsam, wie die wehenden Gewänder von Gespenstern, weiße Schwaden in die Bucht.

„Nebel, verdammt, wir haben in wenigen Stunden die reinste Waschküche hier!“ stieß Smoky wütend hervor. „Das kann unter Umständen Tage dauern. Ich kenne diese verdammte Küste noch von früher. Hier hält sich der Nebel lange, wenn ihn nicht ein plötzlich von der Biskaya kommender Sturm wieder vertreibt.“

Smoky sah Hasard an. Auch dessen Züge hatten sich bei dieser Entdeckung verfinstert. Er nickte nur kurz.

„Das hat uns gerade noch gefehlt“, sagte er und ging mit langen Schritten auf das Schanzkleid zu. Er konnte nicht wissen, wie nötig er und seine Männer den Nebel noch haben sollten.

Eine Viertelstunde später kehrten Matt und Stenmark von ihrem Erkundungsgang zurück. Ihre Gesichter drückten Enttäuschung aus.

„Nichts als altes, verrottetes Gerümpel überall. Halb verfaultes Takelwerk, ein paar verrostete Messer, überall leere Fässer, die irgendwann einmal Whisky enthalten haben. Diese Insel ist so leer wie ein alter Hut, aber sie war einmal ein Piratennest. Es gibt da weiter hinter eine Schmiede und außerdem bereits zugeschnittene Hölzer in Mengen, mit denen die Kerle wahrscheinlich ihre beschädigten Schiffe ausgebessert haben. Und da sind eine Reihe von großen Feuerstellen und sorgfältig angelegten Versammlungsplätzen. Aber das ist alles. Die Hütten sind bestimmt schon seit mehr als einem Jahr verlassen. Manche von ihnen weisen die Spuren eines schweren Beschusses von der See her aus. Und eine Menge Gräber befinden sich hinter den Hütten.“

Stenmark spuckte aus. Doch dann hörte er aufmerksam zu, als Smoky erzählte, was sie auf der Galeone gefunden hatten. Und noch während Smoky berichtete, während sie das Ruder aus den Scharnieren am Heck des Wracks lösten und es mit einem Flaschenzug, den sie am Achterkastell befestigt hatten, schließlich abfierten, flossen die ersten Nebelschwaden bereits um den Rumpf der Galeone und hüllten bald darauf die arbeitenden Männer ein.

Es dauerte noch bis zum Einbruch der Dunkelheit, dann pullten sie durch den Nebel, der inzwischen die Bucht schon fast bedeckt hatte, zur „Isabella“ zurück.

Das schwere hölzerne Ruder hatten sie im Schlepp, und die Männer an den Riemen fluchten verhalten, während ihre Körper im Takt vor und zurück schwangen.

Ferris Tucker verlor auch nach ihrer Rückkehr keine Sekunde. Im Licht einiger Bordlampen begann er sofort damit, das alte Ruder abzumontieren und es durch das neue zu ersetzen.

Es war ein hartes Stück Arbeit, aber Ferris Tucker kam mit seinen Männern gut voran. Wenn keine weiteren Komplikationen mehr auftraten, dann konnte er bis Tagesanbruch fertig sein.

Eine andere Gruppe unter Führung von Ben Brighton nahm sich der auf See nur provisorisch abgedichteten Lecks an. Andere enterten in die Wanten und überprüften trotz des Nebels das Rigg. Und niemand von ihnen wußte etwas von der drohenden Gefahr, die langsam aber unaufhaltsam von See her durch den Nebel heranglitt.

Seewölfe Paket 1

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