Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 45
8.
ОглавлениеDie Schädeldecke war noch ganz. Es war nur eine schmerzhafte Platzwunde, die Hasard am Hinterkopf davongetragen hatte. Ein Splitter hatte ihm die linke Wange aufgerissen, aber die Wunde blutete schon nicht mehr.
Sorgen bereitete Hasard sein Knie. Es schwoll immer mehr an, und er konnte es kaum noch bewegen. Er fluchte still in sich hinein. Mit allem hatte er auf dieser Höllenfahrt gerechnet, aber nicht damit, schiffbrüchige Franzosen an Bord nehmen zu müssen. Es fehlte nur noch, daß sie von ihm verlangten, er solle sie in einem französischen Hafen an Land setzen.
Batuti hatte die Kopfwunde versorgt. Der helle Verband sah aus wie der Turban eines Muselmans. Trotz der Schmerzen im Knie stand Hasard auf. Er befahl Batuti, zu jedem der Männer zu gehen und ihnen einzutrichtern, daß sie wachsam sein sollten. Sie durften kein Risiko eingehen und mußten die Franzosen im Auge behalten.
Batuti verschwand, und wenig später betrat Ben Brighton die Kapitänskammer.
„Hast du schon mit den Franzosen gesprochen?“ fragte Hasard.
Brighton schüttelte den Kopf.
„Die fünf armen Teufel stehen auf einem Haufen an Deck herum und warten wahrscheinlich darauf, daß wir uns um sie kümmern“, sagte er. Er warf einen besorgten Blick auf Hasards Verband, aber der Seewolf winkte ab.
„Halb so schlimm“, sagte er. „Nur mein Knie tut mir höllisch weh. Ich werde kalte Umschläge drumwickeln müssen, damit die Schwellung abklingt. Sag mir lieber, was du von den Franzosen hälst.“
„Wir sollten sie fragen, wie sie mit ihrem Boot mitten in die Biskaya kommen“, sagte Ben Brighton.
Hasard nickte.
„Hol sie her“, sagte er. „Aber sag Ferris Bescheid, er soll unsere Männer bewaffnen.“
„Aye, aye“, sagte Ben Brighton und lief auf den Gang hinaus, der zum Quarterdeck führte.
Hasard setzte sich hinter den Schreibtisch und fluchte leise. Selbst wenn es sich nur um harmlose Seeleute handeln sollte, die ihr Schiff verloren hatten – sie bildeten eine Gefahr für sie, wenn sie von einem französischen Schiff angegriffen werden sollten. Eine Gefahr, wie die Spanier für sie dargestellt hatten. Ein Unterschied bestand allerdings: Die Franzosen konnte er nirgends mehr loswerden. Er mußte sie mit nach England nehmen oder über Bord werfen.
Er hörte die Schritte im Gang und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Seine Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, als die fünf Franzosen die Kapitänskammer betraten und sich vor dem Schreibtisch aufbauten. Hinter ihnen erschienen Ben Brighton, Ferris Tucker, Batuti und Blacky. Sie alle hatten entschlossene Gesichter aufgesetzt. Wahrscheinlich wollten sie die Franzosen damit von vornherein einschüchtern, damit sie gar nicht erst den Versuch wagten, etwas zu unternehmen, was den Engländern nicht gefiel.
„Spricht einer von Ihnen Englisch, messieurs?“ fragte Hasard, auf den die fünf Franzosen ziemlich gerissen wirkten. Es waren durchweg kräftige Burschen, und ihre Gesichter konnte man ohne weiteres verschlagen nennen.
Einer der Männer trat vor.
„Ich spreche etwas Englisch, capitain“, sagte er mit dem singenden Tonfall des Franzosen. „Meine Kameraden und ich möchten uns aufrichtig dafür bedanken, daß Sie unter Einsatz Ihres eigenen Lebens das unsere gerettet haben. Das gilt besonders für mich. Ich war bei den letzten drei, von denen nur ich überleben konnte, dank Ihres mutigen Eingreifens.“
Hasard nickte kurz und musterte die Männer mit unverhohlener Neugier. Sie trugen ausnahmslos Bärte, in denen noch Tropfen von Meerwasser hingen.
„Sie haben Ihr Schiff verloren?“ fragte Hasard.
Der Franzose mit dem gestreiften Hemd und dem roten Halstuch nickte.
„Oui, monsieur“, sagte er. „Der verdammte Sturm hat uns den Vormast abgerissen, der uns das ganze Vorschiff zertrümmert hat. Ein Brecher hat ein Stück des Mastes von außenbords durch die Bordwand geschossen. Das Schiff lief voll Wasser und sank sofort. Nur acht Männer schafften es, in das Boot zu springen. Die anderen hat die See verschlungen.“
Hasard blickte den Mann an. Er fragte sich, warum er eigentlich an den Franzosen zweifelte. Die Erklärung, die er abgegeben hatte, klang plausibel. Außerdem konnte er sich nicht vorstellen, daß Männer bei dieser schweren See das Risiko auf sich nahmen, mit einer Nußschale in der Hölle der Biskaya herumzuschwimmen, um an Bord einer Galeone zu gelangen, die sie kapern wollten.
„Was hatten Sie für ein Schiff, und wohin ging Ihre Reise?“ fragte Hasard.
„Wir waren mit einer Ladung Rotwein von Porto nach Nantes unterwegs“, antwortete der Franzose, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. „Unser Schiff hieß ‚Fortune‘ und war eine 120-Tonnen-Karavelle.“
Hasard lehnte sich in seinem Sessel zurück.
„Meine Herren“, sagte er fest, „vielleicht haben Sie es schon bemerkt. Sie befinden sich auf einem ehemaligen spanischen Schiff, das wir gekapert haben. Wir können auf keinen Fall die französische Küste anlaufen, um Sie abzusetzen. Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben, als mit uns nach England zu fahren. Ich verspreche Ihnen, daß Sie in meinem Heimatland wie Schiffbrüchige und nicht wie Gefangene behandelt werden. Da wir damit rechnen müssen, daß wir den Kurs feindlicher Schiffe kreuzen, bitte ich Sie um Ihr Verständnis, daß Sie sich unter Deck aufhalten müssen und nur mit meiner persönlicher Erlaubnis das Deck betreten dürfen. Ich werde meinen Männern Anweisung geben, auf jeden von Ihnen ohne Warnung zu schießen, der sich ohne meine Erlaubnis an Deck aufhält.“
Die Franzosen preßten die Lippen zusammen und blickten Hasard grimmig an. Hasard hatte erwartet, in den Gesichtern der Franzosen einen Ausdruck ihres verletzten Stolzes zu entdecken, aber alles, was er zu sehen glaubte, war Enttäuschung und Wut.
Er zuckte mit den Schultern.
„Mir bleibt keine andere Wahl, messieurs“, sagte er. „Denn wir sind ein Kriegsschiff Ihrer Majestät Elisabeth I.“
Damit waren die Franzosen entlassen. Mit grimmigen Gesichtern schoben sie sich an den bewaffneten Engländern vorbei aus der Kapitänskammer und folgten widerstandslos dem Schiffszimmermann Ferris Tucker in den Laderaum unterhalb der Kombüse.
Während sich Ben Brighton auf das Quarterdeck begab, ließ sich Hasard von Batuti kalte Umschläge um sein geschwollenes Knie legen. Sie linderten den Schmerz, und Hasard vermeinte zu spüren, wie die Schwellung zurückging.
Der Zwischenfall geschah, als Hasard schon nicht mehr damit rechnete. Sie befanden sich auf der Höhe von La Rochelle, und sein Knie war schon fast wieder in Ordnung. Die Schwellung war zurückgegangen, nur ab und zu zog noch ein stechender Schmerz durch den Unterschenkel, wenn er das Bein zu heftig aufsetzte.
Der Sturm hatte sich ausgetobt und an Stärke verloren. Ben Brighton hatte das Focksegel setzen lassen, und die „Isabella“ stieß mit schäumender Bugwelle auf nordöstlichem Kurs auf Brest zu.
Hasard stand neben Ben Brighton auf dem Quarterdeck, als der Schuß im Bauch des Schiffes krachte.
Die zwölf Männer, die sich neben Hasard und Ben Brighton an Deck befanden, erstarrten vor Schreck. Bewegungslos blickten sie zum Niedergang. Doch von den drei Männern der Besatzung, die sich unter Deck befanden, tauchte niemand auf.
Blacky hatte die Franzosen beobachten sollen, der Kutscher war in der Kombüse gewesen, und Gary Andrews lag auf seinem Lager.
Drei Sekunden verstrichen, dann brüllte Hasard seine Befehle über Deck, während er die Stiege zum Mitteldeck mit zwei Sätzen hinuntersprang. Ein heißer Schmerz zuckte durch sein Knie, aber er ignorierte ihn.
„Ferris! Batuti!“ rief Hasard und zerrte die Pistole aus dem Hosenbund. Er nahm sie in die Linke und fing das Entermesser auf, das ihm Smoky zuwarf. „Die anderen bleiben an Deck und schnappen sich jeden, der seinen Kopf durch die Luke steckt!“
Er sprang als erster und rutschte die Stufen des Niederganges hinunter. Er rannte nach achtern auf die Kombüse zu. Hinter sich hörte er Poltern und wußte, daß Ferris Tucker, der Gambia-Neger und O’Flynn ihm gefolgt waren.
Dann sah er im schummerigen Licht des Zwischendecks das gestreifte Hemd und das rote Halstuch des Franzosen, den er aus dem Meer gefischt hatte. Der Mann schlug auf den breitschultrigen Blacky ein, der mit der rechten Hand, in der er eine rauchende Pistole hielt, herumfuchtelte und mit der linken einen anderen Franzosen im Genick gepackt hatte.
Vor der Kombüse stand der Kutscher. Er war leichenblaß. Seine Augen quollen hervor, und sein Mund war wie zu einem stummen Schrei aufgerissen.
Hasard konnte die Angst, die der schmächtige Mann ausstand, begreifen, denn der Franzose hinter ihm hatte ein breites Messer in der Hand, dessen Schneide in den faltigen Hals des Kutschers drückte.
„Aufhören, verdammt!“ brüllte Hasard wütend.
Er hieb dem Franzosen mit dem roten Halstuch die flache Seite des Entermessers ins Kreuz.
Der Franzose wirbelte herum. Er hatte die linke Faust zur Abwehr erhoben. Seine rechte Hand zuckte zur rechten Seite seiner weiten Segeltuchhose hinunter, die an dieser Stelle ziemlich ausgebeult war. Doch im letzten Augenblick hielt er inne. Die blitzenden Augen in dem wutverzerrten Gesicht sogen sich an der Spitze des Entermessers fest, die genau auf sein bärtiges Gesicht zeigte.
Hinter Hasard fegten Batuti, Ferris Tucker und Dan O’Flynn vorbei. Das Bürschchen hielt eine Pike in beiden Händen und richtete sie gegen einen Franzosen, der eine Pistole in der Hand hielt.
„Laß sie fallen!“ zischte Dan den Franzosen an, und obwohl der kein Englisch verstand, begriff er doch sofort, was gemeint war. Mit einem dumpfen Laut polterte die Pistole auf die Zwischendecksplanken.
Ferris Tucker hatte seine Pistole auf den Kopf des Mannes gerichtet, der den Kutscher mit seinem Messer im Schwitzkasten hatte.
„Wenn du französischer Bastard deinen Zahnstocher nicht sofort fallen läßt, dann blase ich dir deinen Pickel vom Hals!“ röhrte der Schiffszimmermann.
Hinter dem Rücken des Franzosen schob sich die Mündung einer Muskete aus dem Schatten eines Decksbalken hervor.
„Und ich puste euch direkt in die Hölle, ihr Schneckenfresser!“ rief die heisere Stimme Gary Andrews’.
Die Köpfe der Franzosen ruckten herum. Sie sahen deutlich die Lunte am Schloß der Muskete aufglimmen.
Das Auftauchen eines weiteren Mannes in ihrem Rücken gab den Franzosen den Rest. Widerstandslos ließen sie es zu, daß Batuti ihnen die Waffen abnahm, die sie bei sich trugen.
Hasard ließ den Mann mit dem roten Halstuch nicht aus den Augen. Er wartete ab, bis die Franzosen entwaffnet waren, dann winkte er den Mann mit dem Entermesser zu sich heran. Mit der Spitze wies er auf die rechte Seite der weiten Segeltuchhose.
„Was hast du da?“ fragte Hasard scharf.
Das Gesicht des Franzosen lief rot an.
„Merde“, murmelte er wütend und spuckte aus, was ihm einen Tritt Batutis einbrachte, der erst am Morgen dieses Deck gesäubert hatte. Der Franzose wollte sich auf den Neger stürzen, aber Hasards Entermesser hielt ihn davon ab.
„Los, raus damit!“ Hasard verlor langsam die Geduld.
Der Franzose griff langsam in die weite Tasche seiner Hose und zog an zwei Fingern eine längliche Pistole heraus. Hasard griff danach und hielt sie hoch, um sie genauer betrachten zu können. So ein Ding hatte er noch nie gesehen. Es hatte zwei Radschlösser hintereinander.
Hasard steckte die Pistole ein. Er würde sie sich später ansehen. Erst einmal wollte er wissen, was hier unten vorgefallen war. Er wandte sich an Blacky, der immer noch den einen Franzosen im Genick gepackt hatte.
„Was war hier los, Blacky?“ Warum sind die Franzosen auf euch losgegangen?“
Blacky stieß den Franzosen von sich, der schon ganz grün im Gesicht war.
„Der Kerl hat hier unten herumgeschnüffelt“, sagte er brummend. „Ich habe ihn erwischt, als er drüben die Ladeluke aufbrechen wollte. Ich hab ihn hierhergebracht und wollte ihn gerade wieder hinunterschmeißen, da sind die anderen auf mich losgegangen. Ich hab die Pistole abgefeuert, aber da sind sie erst richtig wild geworden.“
Die Franzosen redeten gestikulierend durcheinander. Hasard war froh, daß er nur wenig von dem verstand, was sie sagten. Sicher waren nicht viele Worte darunter, die man in Gegenwart einer Lady hätte aussprechen dürfen.
Eine Bewegung des Mannes mit dem roten Halstuch ließ die Franzosen verstummen.
Der Mann baute sich vor Hasard auf und sagte: „Monsieur, es ist erniedrigend für uns, hier eingesperrt zu sein wie eine Ladung Sklaven. Wir sind Seeleute und müssen atmen. Meine Männer werden verrückt oder krank, wenn Sie sie länger hier unten einpferchen. Wir fragen uns, womit wir Ihr Mißtrauen verdient haben? Sie haben unser Leben gerettet, und wir sind Ihnen dankbar dafür. Wir haben auch Verständnis dafür, daß Sie uns nicht in unserer Heimat an Land setzen können. Ich möchte Sie nochmals bitten, uns nicht wie Tiere, sondern wie Menschen zu behandeln.“
Hasard kannte genügend Franzosen, um zu wissen, daß sie es verstanden, viele schöne Worte zu reden, die sie nicht meinten. Doch er wollte weitere Schwierigkeiten vermeiden.
„Gut, monsieur“, sagte er zu dem Franzosen. „Sie können sich an Deck vor der Back aufhalten. Aber eins muß Ihnen klar sein: Wenn wir ein feindliches Schiff sichten, werde ich Sie hier unten einsperren, bis wir wieder allein auf See sind.“
„Das verstehen wir, monsieur“, erwiderte der Franzose. Er blickte Hasard aus seinen dunklen Augen an. „Geben Sie mir meine Pistole zurück?“
Hasard grinste.
„Ich dachte, Sie wollten sie mir schenken, weil ich Ihnen das Leben rettete.“
Der Franzose preßte die Lippen aufeinander. Seine Augen schossen Blitze, aber er sagte nichts. Wortlos drehte er sich um und marschierte an Blacky vorbei zum Niedergang.
Hasard hielt ihn am Arm zurück.
„Lassen Sie mich vorgehen, monsieur“, sagte er lächelnd. „Sonst schießen Ihnen meine Männer den Kopf ab.“