Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 52
3.
ОглавлениеDonegal Daniel O’Flynn saß übelster Laune auf einer der Felsklippen vor der Bucht. Neben ihm hockte Gary Andrews, der Fockmastgast der „Isabella“, und sah Dan von der Seite her an.
Der drehte sich plötzlich herum.
„He, du Blödmann, was gaffst du mich dauernd an? Sieh lieber zu, daß du da draußen in der Suppe den verdammten Kahn entdeckst, auf den wir jetzt schon seit unserer Ankunft in der Bucht warten.“
„Was hast du eigentlich, Dan? Hasard hatte recht, wenn er uns hierher schickte. Immerhin sind da draußen auf dem Atlantik, immer noch ganz in unserer Nähe, zwei Karavellen, vielleicht sogar noch eine dritte, denn es sah verdammt nicht danach aus, als wenn wir den Kahn auch zu den Fischen geschickt hätten. Glaubst du, Hasard ist so blöd und läßt sich von diesen Banditen in der Bucht überraschen, noch dazu, wenn sein Schiff jetzt so gut wie wehrlos ist?“
Sie waren insgesamt vier Mann. Zwei auf dieser Seite der Einfahrt, zwei auf der anderen. Es war praktisch unmöglich, daß sich auch nur ein Ruderboot der Einfahrt nähern konnte, ohne daß sie es bemerkten. Allerdings hatte der Nebel, der mit jeder Minute dichter wurde, ihnen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.
Dan war aufgesprungen. Giftig starrte er Gary Andrews an.
„Hör mal, du Decksaffe: Falls es dir entgangen sein sollte, es ist inzwischen nicht nur dunkel draußen, sondern auch noch neblig dazu. Meine Augen nutzen mir gar nichts. Wenn wirklich eine Karavelle die Bucht ansegeln sollte – und bei diesem Nebel wird sie sich hüten, das zu tun –, dann können wir sie bestenfalls rechtzeitig genug hören. Und das kann ein Mann allein. Ich hätte also ruhig mit Ferris Tucker zum Wrack hinüberfahren können. Klar?“
Gary Andrews, ein hagerer, aber sehr starker und zäher Mann mit hellblondem Haar und nordischem Langschädel, grinste Dan an. Er wußte genau, daß Dan keins seiner Worte wirklich ernst meinte, aber er wußte, wie sauer es dem Jungen geworden war, dem Seewolf zu gehorchen und auf das große Abenteuer in der Piratenbucht zu verzichten.
„Nun reg dich endlich ab, Dan. Damit erreichst du auch nichts. Du kannst Hasard ja später sagen, was für ein Dummkopf er war, weil er nicht gleich gewußt hat, daß es später Nebel geben würde und wir auf deine scharfen Augen also gut hätten verzichten können. Mal sehen, was er dann mit dir anstellt, ich schau es mir bestimmt an.“
Dans Augen blitzten, und gerade wollte er zu einer geharnischten Antwort ansetzen, als sein scharfes Gehör plötzlich etwas wahrnahm, was ihn auf der Stelle zur Salzsäule erstarren ließ.
Er vernahm ein feines Rauschen, hin und wieder ein leichtes Knarren, so wie er es schon oft gehört hatte, wenn schwacher Wind ein Segelschiff langsam durchs Wasser gleiten ließ.
Dann hörte er plötzlich durch den Nebel den fernen Singsang einer Stimme, die in fremder Sprache etwas aussang.
Dan brauchte nur wenige Sekunden, um zu begreifen. Er starrte Gary Andrews aus großen Augen an.
„Gary – eine Karavelle. Die Kerle haben uns gefunden. Jeden Augenblick werden sie in die Einfahrt zur Bucht einlaufen ...“
Er verstummte, horchte in die Dunkelheit hinaus, vernahm wieder jenes hohle Rauschen der Bugwelle. Diesmal schon näher, deutlicher. Und wieder die Stimme des Lotgasten auf der Back, der die Wassertiefe aussang.
Gary Andrews packte Dan an der Schulter.
„Los, Dan, renn, was du kannst. Du mußt auf der „Isabella“ sein, bevor die Kerle in die Bucht einlaufen. Hasard und die anderen dürfen von den Bretonen nicht überrascht werden. Ein Glück, daß der Nebel in der Bucht noch dichter ist als hier. Los, Dan, hau ab, du bist schneller als ich. Ich bleibe hier, bis die Kerle an mir vorbei sind, bis ich genau weiß, daß sie die Einfahrt passiert haben.“
Dan verlor keine Sekunde mehr. Er lief los und entwickelte ein beachtliches Tempo. Er hatte sich für alle Fälle den Weg genau eingeprägt.
Er brauchte bis zur Bucht gut fünf Minuten. Einen Moment blieb er auf dem Felsen hinter der Einfahrt stehen. Er konnte die „Isabella“ nicht sehen, der Nebel in der Bucht war viel zu dicht. Aber Dan wußte, wo das Schiff lag.
Er holte tief Atem, dann sprang er. Das Wasser schlug hochaufspritzend über seinem biegsamen Körper zusammen.
Dan schwamm aus Leibeskräften. Er wußte nicht genau, wie weit die Karavelle noch von der Einfahrt der Bucht entfernt gewesen war. Im Nebel konnte man sich da ganz hübsch täuschen. Er wußte nur eins: die Zeit, die ihm blieb, das Schiff zu erreichen, war verdammt knapp bemessen. Und noch knapper würde es für Hasard werden, die Steuerbordkanonen für den Augenblick feuerbereit zu haben, wenn die Karavelle vor ihre Mündungen lief.
Dan war ein zäher Bursche, aber bei dem Tempo, das er vorlegte, ging sogar ihm die Luft aus.
Aber er hielt durch. Er sah den mächtigen Rumpf der „Isabella“ wie einen Schemen vor sich aufwachsen, nur gerade in den Umrissen zu erkennen. Dann berührten seine Hände auch schon die Bordwand.
Er schwamm am Schiff entlang, hörte, wie Ferris Tucker am Hecks Befehle gab, hörte ebenfalls die Stimme Hasards.
Er gab seine Absicht, aufzuentern, auf und schwamm zum Heck. Neben dem Boot, das unmittelbar unter dem Spiegel der Galeone lag, tauchte er auf.
„Eine Karavelle“, japste er. „Sie läuft in die Bucht ein, ich ...“
Hasard packte zu. Mit einem Ruck zog er den völlig erschöpften Jungen aus dem Wasser.
„Eine Karavelle, Dan?“ fragte er und sah, wie der Junge nach Atem ringend nickte.
Es war unnötig, daß Hasard dem Schiffszimmermann und seinen Gehilfen irgendwelche Befehle gab. Alle Gespräche verstummten sofort. Hasard griff nach einem herabhängenden Tau und enterte zusammen mit Dan auf. Ferris Tucker und die anderen folgten ihm. Eine lautlose, gespenstische Prozession. Und das Boot unter dem Spiegel sahen sie schon nicht mehr, als sie über die Reling der Galerie turnten.
Hasard verlor keine Sekunde. Er lief hinunter zum Hauptdeck und stieß auf Ben Brighton.
„Ben, alle Mann an die Steuerbordgeschütze. Bemannt die Drehbassen vorn und achtern. Eine Karavelle läuft jeden Moment in die Bucht ein.“
Aus schmalen Augen starrte er vor sich in die Dunkelheit, die durch den dichten Nebel völlig undurchdringlich wurde.
Wir können die Karavelle gar nicht sehen, wenn sie an uns vorbeiläuft, dachte er. Und nach Gehör schießen – das ist im Nebel nicht möglich. Sie wissen also gar nicht, daß wir hier sind, sondern kehren in ihren Schlupfwinkel zurück, weil sie wahrscheinlich mit der havarierten Karavelle in ihrem jetzigen Zustand nicht länger auf See bleiben können.
Er hörte die Schritte der herbeieilenden Männer.
„Ben, geschossen wird nur auf meinen ausdrücklichen Befehl. Wenn die Karavelle an uns vorbeiläuft, ohne uns zu bemerken, dann verhalten wir uns ruhig. Absolutes Redeverbot im Schiff. Haltet die Lunten so, daß sie uns nicht verraten.“
Ben Brighton sah Hasard verständnislos an.
„Es wird nicht geschossen?“ vergewisserte er sich. „Aber die Brüder laufen uns doch genau vor die Rohre, und wir ...“
Hasard war mit einem einzigen Schritt bei ihm.
„Ben, ich diskutiere meine Befehle nicht“, erwiderte er scharf. „Aber damit es auch der letzte Mann an Bord kapiert: Der Nebel und die Dunkelheit verhindern ein genaues Zielen. Wenn wir die Karavelle verfehlen, dann haben wir die Kerle auf dem Hals, so oder so. Und vielleicht hat sie so viele Schiffsbrüchige von dem versenkten Schiff an Bord, daß sie uns entern können. Wenn sie aber von unserer Anwensenheit in der Bucht nichts ahnen, dann haben wir die Möglichkeit, das ankernde Schiff im Lauf der Nacht zu überfallen und zu vernichten. Hat das jetzt jeder begriffen?“
Zustimmendes Gemurmel ertönte. Und dann herrschte sofort wieder absolute Stille an Bord der „Isabella“.
Hasard gab Dan einen Wink, ihm zu folgen. Zusammen liefen sie zum Achterkastell, weil man von dort den besten Überblick hatte und die herannahende Karavelle am besten hören konnte.
Dan und Hasard standen auf dem Achterkastell. Keiner der beiden bewegten sich. Sie wußten, daß die nächsten Minuten über ihr Schicksal entscheiden würden.
Gary Andrews horchte angestrengt in die wattige Dunkelheit. Immer deutlicher drang das Rauschen der Bugwelle zu ihm herüber, immer lauter die Stimme des Lotgasten. Andere Geräusche kamen hinzu, Knarren von Tauwerk, Kommandos, die über Deck schallten. Und dann glitt plötzlich ein kaum wahrnehmbarer Schemen an ihm vorbei.
Unwillkürlich krampften sich die Finger von Gary Andrew fester um den Felsklotz, auf dem er kauerte. Die Kerle, die da eben an ihm vorbeisegelten, mußten sich hier verdammt gut auskennen, wenn sie es wagten, bei diesem Nebel unter Segeln in die Bucht einzulaufen. Ihr übriges Verhalten deutete ebenfalls darauf hin, daß sie keine Ahnung hatten, wer in der Bucht auf sie lauerte.
Gary Andrew erhob sich. Die Geräusche verklangen. Die Karavelle entfernte sich demnach ziemlich rasch. Er wußte, daß gerade die flach gebauten Karavellen vorzügliche Flautenläufer waren.
Gary Andrew lief los. Er gehörte jetzt auf sein Schiff. Er wußte, daß auch die beiden Männer auf der anderen Seite der Bucht, die sich genau wie er mucksmäuschenstill verhalten hatten, jetzt ihren Beobachtungsposten verlassen und zur „Isabella“ zurückkehren würden.
Während er lief, horchte er unwillkürlich auf die donnernde Salve der Steuerbordgeschütze, die seiner Meinung nach jeden Augenblick über die einlaufende Karavelle hereinbrechen mußte. Aber es geschah nichts, auch nicht, als er auf dem Felsen stand, von dem Dan schon vor ihm ins Wasser gesprungen war. Es war, als hätten Dunkelheit und Nebel alles Leben in dieser Bucht verschluckt.
Der Fockmastgast der „Isabella“ blieb stehen. Einmal glaubte er Stimmen zu hören, das brandende Geräusch einer entfernten Bugwelle, dann war es wieder still um ihn herum.
Er kletterte die Felsen bis zum Wasser hinunter. Genau wie Dan wußte er, wo der Liegeplatz der „Isabella“ war. Mit kräftigen Schwimmstößen glitt er durch das nachtschwarze Wasser, und immer noch hoffte er, daß die Geschütze der „Isabella“ die Stille der Nacht zerreißen würden.
Unterdessen stand Hasard auf dem Achterkastell. Seine scharfen Ohren vernahmen die schwachen Geräusche der sich nähernden Karavelle. lange bevor sie seine Galeone passierte. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. An den lauten Kommandos, die jetzt an Bord des feindlichen Schiffes erschallten, erkannte er, daß die Karavelle zum Ankern vorbereitet wurde. Außerdem bewies ihm die Sorglosigkeit der Bretonen, daß sie sich in der Bucht allein wähnten.
Wenn Hasard noch vor wenigen Stunden den Nebel verwünscht hatte, jetzt hoffte er inständig, daß kein Wind aufkommen möge, der ihn wieder vertrieb.
Die Karavelle lief noch einige hundert Yards weiter, dann erschallten abermals laute Kommandos an Deck, die Hasard sofort als die Kommandos zum Segelbergen erkannte. Wenig später klatschte der Anker ins Wasser, und die Männer an Bord der „Isabella“ hörten deutlich, wie das schwere Tau durch die Ankerklüse lief.
Dan, der in diesem Moment etwas sagen wollte, spürte die harte Hand Hasards auf seinen Lippen. Hasard hiel ihm wütend den Mund zu, denn das Geräusch der auslaufenden Ankertrosse war für Hasard die einzige Möglichkeit, noch rasch abzuschätzen, wo die Karavelle in der Bucht lag und wie weit sie von ihrem Schiff entfernt war.
Er wußte, daß die Männer unten auf dem Hauptdeck genauso angestrengt lauschten wie er. Nach und nach verstummten die Geräusche, noch ein paar Kommandos erschollen, dann herrschte in der Bucht wieder Stille.
„Bleib hier auf dem Achterkastell, Dan“, flüsterte Hasard, nachdem er den Jungen aus seinem harten Griff gelassen hatte. „Du paßt genau auf, ob sich da drüben bei den Bretonen noch irgend etwas tut. Ich werde jetzt mit Ferris und Ben alles vorbereiten. Wir müssen uns höllisch beeilen, die Karavelle da drüben auszuschalten. Sie ist nicht ohne Grund hier eingelaufen. Ich vermute, daß die andere und die von unseren Geschützen zusammengeschossene Karavelle ebenfalls hier einlaufen werden. Und dann wird es kritisch für uns. Bevor diese beiden Schiffe hier sind, müssen wir verschwunden sein.“
„Und das Ruder? Ferris ist noch nicht fertig, wir können gar nicht weg.“
Hasard klopfte Dan auf die Schulter.
„Wir müssen, also können wir auch. Wenn wir mit der Karavelle fertig sind, schleppen wir unser Schiff mit dem Ruderboot aus der Bucht. Das wird eine wüste Schinderei, läßt sich aber nicht ändern. Draußen kann Ferris seine Arbeit beenden, dann sitzen wir wenigstens nicht mehr in der Falle, falls die beiden anderen Karavellen aufkreuzen sollten. Kapiert, Dan?“
Dan nickte. Aber dann hatte er noch eine Frage an Hasard, die ihm auf den Lippen brannte.
„Nimmst du mich mit, wenn du diese verdammten Bastarde ...“
Hasard sah das Bürschchen an. Und trotz der herrschenden Dunkelheit meinte er, die brennenden Augen Dans zu sehen.
„Du kommst mit, Dan. Du bist einer unserer besten Schwimmer und Taucher, und darum werde ich dich brauchen.“
„Taucher?“ fragte Dan, aber Hasard winkte ab.
„Paß jetzt gut auf, Dan, ich muß wissen, ob sich da drüben noch etwas rührt.“
Damit verschwand er in der Dunkelheit. Geschmeidig turnte er den Niedergang vom Achterkastell aufs Hauptdeck hinunter.
Ben Brighton, Ferris Tucker, Batuti, Stenmark, Smoky und die anderen Männer erwarteten ihn schon. Noch immer hielten sie die glimmenden Lunten in den Händen.
„Lunten aus“, sagte Hasard. Gleichzeitig winkte er Ferris Tucker und Ben Brighton zu sich heran. Aus den Augenwinkeln registrierte er die hagere, schmalbrüstige Gestalt des Kutschers, der neben dem Bootsmann gestanden hatte.
„Ferris, Ben – ich brauche zwei Fässer mit Pulver. Ihr müßt sie in geteertes Segeltuch einnähen, damit sie absolut wasserdicht sind und das Pulver nicht naß werden kann. Wenn das geschehen ist, schwimmt ihr beide und Dan mit mir hinüber zu den Bretonen. Jedes der Fässer erhält eine Zündschnur, die etwa zwei bis drei Minuten brennt, aber nicht länger. Eines der Fässer befestigen wir unter dem Spiegel der Karavelle am Ruder, das andere bringe ich ins Innere des Schiffes. Ich kenn mich auf den Karavellen aus. Los, fangt an. Wir müssen so rasch wie möglich hier weg.“ Hasard erklärte den Männern, was er für Vermutungen bezüglich der beiden anderen Karavellen hegte.
Daß er gedachte, sich den Kapitän der vor Anker liegenden Karavelle vorzunehmen und ihn nach den ermordeten Seeleuten auf dem am Strand liegenden Wrack zu befragen, davon sagte er nichts.
Ferris Tucker trat auf den Seewolf zu.
„Warum nehmen wir nicht das Boot? Wenn wie die Riemen umwickeln, werden sie uns nicht hören. Wir könnten Waffen mitnehmen, wir wären schneller, wir ...“
„Ferris, wir schwimmen. Jedes Boot verursacht Geräusche, auch wenn man noch so vorsichtig ist. Uns darf bei diesem Unternehmen keine Panne passieren, nicht eine – habt ihr das alle verstanden?“
Hasard sah sich suchend um.
„Smoky, für die Zeit unserer Abwesenheit übernimmst du das Kommando. Nur, wenn wirklich etwas schiefläuft, greift ihr ein.“
Smoky nickte.
Minuten später begann an Bord der „Isabella“ eine emsige Tätigkeit. Ferris Tucker und ein paar Mann richteten die beiden Fässer her und versahen sie mit Zündschnüren. Hasard und Ben Brighton entkleideten sich und rieben ihre Körper mit Fett ein. Sollte es trotz aller Vorsicht dennoch zum Kampf mit den Bretonen kommen, war eine solide Fettschicht auf ihren Körpern immer noch eine üble Überraschung für ihre Gegner.
Dann holte Hasard Dan vom Achterdeck, und der Junge wurde auf die gleiche Weise behandelt. Die Fettschicht würde außerdem ihre Körper vor Unterkühlung schützen. Denn niemand von ihnen wußte, wie lange sie im Wasser bleiben mußten, bis sie die beiden Pulverfässer richtig placiert hatten.
Als alle Vorbereitungen abgeschlossen waren und auch Ferris Tucker seinen hünenhaften Körper eingefettet hatte, ließen sich die drei Männer und der Junge an Steuerbord der Galeone ins Wasser gleiten.
Vorsichtig, jedes Geräusch vermeidend, fierten Smoky und ein paar Männer das kleine Floß ab, das die beiden Pulverfässer mit den Zündschnüren aufnehmen sollte. Anschließend die beiden Fässer selbst, die Hasard sorgfältig an dafür vorgesehene Klampen vertäute. Als letztes warf Smoky Hasard noch ein paar Leinen zu, die Hasard ebenfalls auf dem Boot deponierte. Dann gab Hasard seinen Gefährten ein Zeichen, und sie schwammen, das Floß vor sich herschiebend, los. Schon nach wenigen Yards hatten der Nebel und die Dunkelheit sie verschluckt.
Die Karavelle „Minouche“ lag im dichten Nebel der Bucht. An Deck des Schiffes konnte man nicht von einem Mast zum anderen sehen. Weißgraue Schwaden trieben träge durch das Licht der wenigen Deckslaternen, die an Bord der „Minouche“ brannten. Die Männer der Besatzung lagen total erschöpft unter Deck. Sie alle hatten schlimme Stunden hinter sich. Um die angeschossene Karavelle ihres Verbandes zu retten, hatten sie pausenlos an den Pumpen des Schiffes gestanden, während die Feldschere versuchten, die stöhnenden und fluchenden Verwundeten dieses Kampfes zu versorgen.
Erst nach und nach war es gelungen, den Rumpf der Karavelle, die von der „Isabella“ aus allernächster Nähe eine volle Breitseite der Backbordkanonen hatte einstecken müssen, soweit abzudichten, daß sie schwimmfähig blieb. Und dann hatte die schwere Arbeit im Rigg begonnen. Großmast und Besan waren von den Kanonenkugeln der „Isabella“ zerschlagen worden. Sie mußten gekappt werden. Der Fockmast stand noch, aber Segel und Tauwerk waren den Brandpfeilen Batutis zum Opfer gefallen. Außerdem loderten trotz der Löscharbeiten im Rumpf immer wieder Brände auf, dichter, schwarzer Qualm wölkte durch die Decks und erschwerte alle Arbeiten.
Dann kamen die Überlebenden der gesunkenen Karavelle, die sich auf das nächstgelegene Schiff zu retten trachteten. Es hatte an Bord der drei Karavellen, die diesen erbarmungslosen Kampf überstanden hatten, entsetzliche Szenen gegeben. Diejenigen, die die Feldschere nicht zu behandeln vermochten, warf man über Bord. Capitain La Roche, den seine Leute wegen seiner Grausamkeit und seiner Gier nach Beute fast nur den „Hai“ nannten, hatte an Bord der Schiffe gewütet wie ein Wahnsinniger. Er schob den Kapitänen der beiden Karavellen, die die „Isabella“ angegriffen hatten, die Schuld der Niederlage zu. Es hatte Streit gegeben, und der Hai hatte den Kapitän der zusammengeschossenen Karavelle im Duell getötet. Erst als die Männer an Bord der Schiffe zu murren begannen, als sich die Besatzungen der beiden Schiffe zusammenrotteten, die der Seewolf so vernichtend geschlagen hatte, gab der Hai Ruhe.
Anschließend hatten sie beschlossen, ihren früheren Schlupfwinkel, die Bucht der Ile de Sein, anzulaufen und dort die beschädigte Karavelle wenigstens so weit wieder zu reparieren, daß sie die Reise zu ihrem derzeitigen Seeräubernest wagen konnten. Denn La Roche konnte es sich nicht leisten, auch noch das dritte Schiff seines Verbandes zu verlieren. Wenn sie auch weiterhin gute Beute erwerben wollten, mußten sie wie bisher zusammen ihre meist größeren und oft auch stärkeren Gegner stellen und angreifen. Mochten die anderen den Hai hassen und auch fürchten – sie erkannten seine Führerqualitäten dennoch an und ordneten sich ihm deshalb unter.
Capitain La Roche wußte, wie erschöpft seine Männer waren. Aber er selbst schloß kein Auge. Unruhig wälzte er sich auf seinem Lager hin und her. Immer wieder zuckten die Szenen dieses entsetzlichen Kampfes durch seine Erinnerung, und sie peinigten ihn. In ohnmächtiger Wut ballte er die Hände und preßte sie gegen die Stirn. Was war das nur für ein Mann, der so mit zwei kriegsstarken Karavellen umsprang, die ihn schon in der Zange hatten? Was für eine Besatzung mußte diese verdammte Galeone an Bord haben, die so zu kämpfen verstand?
La Roche hatte dergleichen in seinem langen Seefahrerleben noch nie gesehen. Er konnte einfach nicht begreifen, daß die Galeone es geschafft hatte, seinen vier Karavellen abermals zu entwischen, nachdem sie vorher ohnehin schon schon eins seiner Schiffe vernichtet hatte.
Der Hai sprang auf. Die Bilanz war und blieb vernichtend. Er hatte zwei seiner kostbaren Schiffe verloren. Das dritte war zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht mehr viel wert, und es blieb fraglich, ob die schweren Schäden, die besonders der Rumpf dieses Schiffes durch die Breitseite aus allernächster Nähe erlitten hatte, wirklich wieder ausgebessert werden konnten.
Unruhig lief der Hai in seiner Kammer im Achterkastell der „Minouche“ hin und her. Und jetzt noch dieser Nebel, kaum Wind. Die beiden anderen Schiffe würden noch Stunden benötigen, bis sie diese Bucht erreichten. Es würde eine ganze Weile dauern, ehe sie die anfallenden Reparaturen durchgeführt hatten und wieder auslaufen konnten. Er wollte in dieser Bucht nicht länger bleiben als unbedingt nötig, denn der Hai war bei aller Brutalität ein abergläubischer Mann.
Er trat an eines der Fenster seiner Kammer und starrte in die Richtung, wo das Wrack der einst von ihm geenterten Galeone lag. Und wieder hörte er die Schreie und Flüche der Sterbenden, das Röcheln derjenigen, die seine Leute auf seinen Befehl hin an den Rahen aufgeknüpft hatten. Und er dachte an jenen Abend in einem kleinen bretonischen Hafen, an dem ihm eine Zigeunerin die Handlinien gelesen hatte. Wieder sah er, wie sie plötzlich zurückzuckte, wie sie ihn aus ihren kohlschwarzen Augen anstarrte.
Er hatte sie – betrunken wie er war – angeschrien, zu reden. Und als sie nicht wollte, hatte er sie bei ihren langen schwarzen Haaren gepackt und das Entermesser aus dem Gürtel gerissen.
„Rede!“ hatte er gesagt und ihr die scharfe Klinge an den Hals gesetzt.
Die Zigeunerin hatte ihn angestarrt, Angst und Schrecken in den Augen.
„Du hast gemordet, Hai“, hatte sie dann gesagt. „Die Geister der Ermordeten jagen dich. Sie werden dich an die Stätte ihres Todes zurückholen, und dort wird ihr Rächer auf dich warten. Hüte dich vor der kleinen Insel und ihrer Bucht, in der du das Blut von Männern und Frauen vergossen hast ...“
Den Hai hatte die Wut gepackt, er hatte ausgeholt und mit seinem Entermesser zugestoßen. Doch die Zigeunerin war schneller gewesen, hatte sich zur Seite gedreht und sich aus seinen Armen gewunden, bevor der Hai zum tödlichen Stoß ansetzen konnte. Sein Entermesser schlitzte ihr nur noch die rechte Seite auf. Er sah, wie dunkles Blut ihr Kleid verfärbte, und er hörte, wie sie ihn verfluchte.
„Du wirst sterben, Hai, dort, in jener Bucht ...“
Das waren die letzten Worte gewesen, die er von jener Zigeunerin gehört hatte. Er hatte sie nie wiedergesehen.
Das alles war lange her – und dennoch trieb es ihm immer noch den Schweiß auf die Stirn. Er hatte es stets vermieden, die Ile de Sein anzulaufen, und diesen Schlupfwinkel gegen den Protest der anderen aufgegeben. Aber jetzt war er hier. Genau, wie die Zigeunerin es ihm vorausgesagt hatte.
Der Hai fuhr sich über die Stirn. Dann stieß er die Tür zur Galerie des Achterkastells auf. Er brauchte Luft, er mußte diese verfluchten Gedanken aus seinem Gehirn vertreiben. Er krampfte seine Hände um die Reling und stieß ein gequältes Lachen aus.
„Sterben“, murmelte er. „Ich sterbe noch lange nicht. Der Teufel holt seinesgleichen nicht zu sich in die Hölle ...“
Er sah die große Gestalt, die plötzlich von der anderen Seite der Galerie auf ihn zuschnellte.
Seine Rechte fuhr zur Hüfte, gleichzeitig warf er sich zurück, riß sein breites Entermesser heraus und stieß seine Linke dem Gegner entgegen. Er spürte, wie seine Faust wirkungslos auf einer fettigen, aalglatten Haut abglitt ...