Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 54
5.
ОглавлениеStunden waren vergangen. Unangefochten hatte die „Isabella“ die offene See erreicht. Rund hundertfünfzig Meilen lagen bis Plymouth noch vor ihr.
Hasard stand auf dem Quarterdeck. Er hatte sich eigentlich ein wenig Ruhe gönnen wollen, aber das Wetter gefiel ihm nicht. Er kannte diese Ecke des Kanals gut und wußte, wie schnell in dieser Gegend Stürme losbrechen konnten.
Der Wind hatte in den letzten beiden Stunden aufgebrist, den über der See hängenden Nebel verjagt und nahm immer noch zu. Er sang in der Takelage der „Isabella“ und blähte die Segel wie Ballons. Das Schiff lief gute Fahrt, denn der Wind wehte nach Nordost – eine Richtung, wie sie besser gar nicht hätte sein können.
Trotzdem gefiel dem Seewolf das Wetter nicht. Immer wieder musterte er den aufklarenden Himmel, die achteraus bleibenden Seen, die inzwischen weiße Schaumköpfe zeigten. Eine lange Dünung stand von der Biskaya her in den Kanal, aber auch sie wurde steiler und steiler.
„Ben!“
Die Stimme des Seewolfs dröhnte über Deck, und Ben Brighton beeilte sich, aufs Quarterdeck zu kommen.
„Ben, alle Niedergänge sichern, alle Luken verschalken, besonders die Stückpforten. Geschütze kontrollieren, die Brooktaue verstärken. Alles, was an Bord nicht absolut fest ist, sichern. Wir kriegen schweres Wetter, und zwar innerhalb der nächsten beiden Stunden, wenn mich nicht alles täuscht.“
Ben Brighton warf ebenfalls einen Blick zum Himmel, der sich vom Blau mehr und mehr ins Bleigraue verfärbte.
„Ben, laß die Zurrings der Silberbarren kontrollieren. Spann jetzt jeden Mann ein, der verfügbar ist. Und beeil dich!“
Ben Brighton sauste los. Gleich darauf hallten seine Befehle über Deck, und Smoky, der jetzt auf der „Isabella“ wieder Decksältester war, scheuchte die Freiwachen aus den Hängematten.
Im Nu herrschte an Bord der „Isabella“ emsige Betriebsamkeit. Die Männer spürten, daß Hasard sich auf einen Kampf vorbereitete, der vielleicht noch schlimmer werden würde, als der gegen die bretonischen Karavellen. Denn gegen die Elemente halfen keine Kanonen und auch keine Entermesser.
Ferris Tucker leistete ganze Arbeit. Der rothaarige Hüne war einfach nicht totzukriegen. Er hatte seit ihrem Einlaufen in die Piratenbucht kaum eine Stunde geschlafen, aber er schuftete unentwegt, trieb seine Männer dabei noch an. Sie verschalkten die Luken, sicherten die Kanonen und Drehbassen durch weitere Brooktaue und zusätzliche Augbolzen, die sie mit wuchtigen Schlägen in das starke Holz des Hauptdecks trieben. Eine andere Gruppe sicherte die Silberbarren im Rumpf des Schiffes. Jedermann wußte, daß es das Ende der „Isabella“ bedeuten würde, wenn diese dreißig Tonnen während des Sturms verrutschten und übergingen.
Hasard hatte sich nicht verschätzt. Fast auf die Minute genau pfiff die erste Sturmbö von achtern heran. Sie heulte durch das Rigg, ließ die Wanten und Pardunen unter dem plötzlichen Druck ächzen und trieb die Galeone mit solcher Gewalt durch die Wogen, daß das ganze Vorschiff von den gischtenden Wassermassen begraben wurde.
Dieser ersten Bö folgte eine zweite, und mit ihr jagten die ersten schweren Regenwolken heran.
Auf dem ganzen Schiff hatte Ben Brighton Strecktaue spannen lassen, an denen die Männer bei plötzlich über die Galeone hereinbrechenden Seen Halt fanden.
Hasard blickte skeptisch achteraus. Er fürchtete die grobe, von achtern anlaufende See fast noch mehr als die Gewalt des Sturmes, der nun über sie hereinbrach. Er wußte, solange die „Isabella“ genügend Fahrt lief, konnte dem Schiff nicht allzuviel passieren. Ihr massiger Rumpf, ihre starken Verbände würden den Seen und Brechern trotzen. Aber wenn das Schiff aus dem Ruder lief, wenn es sich querlegte zur achterlichen See – dann wurde es dort gefährlich. Flüchtig dachte er daran, daß die dreißig Tonnen Silber tief unten im Rumpf der „Isabella“ eine Menge Stabilität verliehen.
Wieder heulte eine Sturmbö heran. Unwillkürlich klammerte sich Hasard an einem der Strecktaue fest. Er sah, wie die Bö in die Takelage fuhr, wie sich unter ihrem Druck die Segel weit nach vorn wölbten – dann gab es über ihm ein berstendes Geräusch. Sein Kopf flog in den Nacken – und er sah gerade noch, wie das Großsegel knallend aus den Lieken riß, wie es knatternd an den Rahen hing.
Kommandos gellten über Deck, Männer enterten die Wanten auf. Der Sturm zerrte an ihrer Kleidung, drückte sie immer wieder in die Wanten zurück, machte es ihnen fast unmöglich, auf die Großrah zu gelangen und die Überreste des zerfetzten Segels zu bergen.
Die „Isabella“ stampfte durch den Aufruhr der Elemente. Manchmal, wenn eine See sie seitlich packte, holte die Galeone weit über. Brecher überfluteten das Mitteldeck, sprangen bis zum Quarterdeck hinauf, überschütteten sogar das Achterkastell. Das Vorschiff tauchte immer wieder tief in die See ein, die Seen schlugen in die Blinde und begruben den Bugspriet unter ihren Wassermassen.
Dan kauerte zusammen mit anderen Männern auf dem Quarterdeck. Er gehörte zur Backbordwache Smokys, während Ben Brighton die Steuerbordwache befehligte. Pete Ballie, der zusammen mit einem anderen Mann am Kolderstock stand, spuckte fluchend Seewasser, wenn eine der Wogen die „Isabella“ überrollte.
Die einzelnen Sturmböen hatten sich längst zu einem pausenlos aus Südwest heranheulenden Orkan vereinigt. Hasard hatte alles an Segeln bergen lassen, was nicht unbedingt für die Manövrierfähigkeit der „Isabella“ benötigt wurde. Die Galeone lenzte vor dem Sturm und lief mit der Fock immer noch gute Fahrt.
Die Männer an Bord waren todmüde, total überanstrengt und hungrig wie die Wölfe. Der Kutscher in seiner Kombüse bemühte sich redlich, etwas für die Männer zu tun, aber er konnte es nicht riskieren, bei diesem Wetter Feuer in der Kombüse zu entfachen. Er gab lediglich kaltes Salzfleisch und salzwassergetränkten Schiffszwieback aus.
Aber die Männer murrten nicht. Irgendwie hatte sich jeder von ihnen einen einigermaßen windgeschützten Platz hinter dem Schanzkleid gesucht. Sie hockten in ihren nassen Sachen da und warteten, daß der Sturm nachließ. Die meisten von ihnen wußten, daß Stürme im Kanal ebenso schnell wieder gingen, wie sie kamen.
Hasard stand seit Stunden in der Nähe des Kolderstocks. Immer wieder gab er Pete Ballie und seinem Gehilfen die notwendigen Kommandos. Schon glaubte er, ein Nachlassen des Sturms zu spüren, als er von achtern eine turmhohe Woge heranrollen sah. Weiß leuchtete ihre Gischtkrone zu ihm herüber. Ihm erschien es in diesem Moment, als blecke die See ihre Zähne, als bereite sie sich eben genüßlich darauf vor, die „Isabella“ und ihre Mannschaft endgültig zu verschlingen.
Hasard schrie eine Warnung über Deck. Der Sturm trug seine Stimme zu den Männern hinüber. Hasard sah noch, wie Dan zu einem der Strecktaue hechtete und sich festklammerte.
Dann war die Woge heran. Ihr Brausen erfüllte das ganze Schiff, machte jede Verständigung unmöglich. Hasard wußte, wer jetzt nicht festhielt, der war verloren.
Er sah den gläsernen grünen Berg auf sich zurollen und spürte, wie die Woge das Schiff anhob, wie dann ihre Wassermassen das Achterkastell unter sich begruben, wie sie über das ganze Schiff sprangen und es tief in die See drückten.
Dann war um Hasard nichts mehr als die zerrende, wirbelnde, brüllende grüne Hölle, die ihn mit sich fortreißen wollte, die ihm den Atem nahm.
Neben ihm begrub sie Pete Ballie unter ihren Wassermassen und schleuderte seinen Gehilfen vom Kolderstock hinweg gegen eine Bohle.
Dann wurde es plötzlich wieder hell. Rauschend liefen die Wassermassen durch die Speigatten ab, die Galeone richtete sich langsam wieder auf, die Männer rangen verzweifelt nach Luft.
Hasard sah, wie der riesige Ferris Tucker Dan in letzter Sekunde gepackt und gegen seinen mächtigen Körper gedrückt hatte. Er schüttelte sich eben wie ein nasser Hund.
Er ließ Dan los und winkte Hasard zu.
„Ich glaube, jetzt haben wir das Schlimmste hinter uns!“ röhrte er über das Deck. „Ho, Männer, seht nach, ob die See noch etwas an unserem Schiff ganz gelassen hat!“
Das Bürschchen grinste Hasard an, und dann rannte es – immer noch Salzwasser spuckend – hinter Ferris Tucker her.
Die „Isabella“ hatte auch diese See fast ohne Schaden überstanden. Etwas Wasser war ins Zwischendeck eingedrungen, hatte die Blinde aus den Lieken gefetzt und eins der Fenster über der Heckgalerie zerschlagen.
Ferris Tucker und Ben Brighton gingen mit ihren Männern sofort an die Arbeit.
Es war, als habe der Orkan mit dieser gewaltigen See wirklich seinen letzten Versuch unternommen, die Galeone in sein nasses Reich zu holen. Innerhalb der nächsten Stunde flaute er merklich ab. Auf grober See, die sich nach und nach in eine hohe achterliche Dünung verwandelte, rollte die „Isabella“ mit schäumender Bugwelle nach Nordosten, endgültig Plymouth entgegen.
Hasard ließ Rum an die erschöpften Männer ausgeben, dann schickte er jeden unter Deck, der nicht unbedingt für das Schiff gebraucht wurde. Er selbst blieb an Deck. Er wollte die allerletzten Stunden ihrer Heimreise jetzt auch noch durchstehen.
Unter Vollzeug pflügte die „Isabella von Kastilien“ durch den Ärmelkanal. Das Schiff hatte nahezu direkten Kurs auf Plymouth, der steife und stetig wehende Wind aus Südwest ermöglichte das. Und doch ahnte keiner an Bord des Schiffes, wie sehnsüchtig die „Isabella“ bereits in Plymouth erwartet wurde.
Die Flucht der Galeone von der Reede von Cadiz hatte bei den Spaniern mächtig Staub aufgewirbelt. Mehr noch – sie hatte die Flotte Seiner spanischen Majestät, Philipp II., geradezu geschockt. Denn mit der „Isabella von Kastilien“ war nicht allein Capitan Romero Valdez verschwunden, sondern auch die äußerst wichtigen und nicht mit einer Ladung Gold aufzuwiegenden Seekarten, die Valdez der spanischen Krone hatte übergeben sollen – von den dreißig Tonnen Silberbarren, ebenfalls für die spanische Krone bestimmt, ganz zu schweigen.
Hasard, der die Wichtigkeit dieser Karten sofort erkannt hatte, hütete sie wie seine Augäpfel. Niemand an Bord der „Isabella“ wußte etwas von der Existenz dieser Seekarten von den Küsten der neuen Welt – nicht einmal Ben Brighton, Ferris Tucker oder Donegal Daniel O’Flynn. Jedermann an Bord wußte zwar, daß sie eine Kassette mit äußerst wertvollem Schmuck erbeutet hatten. Ben Brighton, der Bootsmann der „Isabella“, hatte sogar Kenntnis davon, daß die Schmuckversion nicht stimmte und der Inhalt dieser Kassette so wichtig war, daß Hasard sie nur Kapitän Francis Drake persönlich übergeben würde, aber das war auch alles.
Nachdem Hasard Capitan Valdez und seine Männer am dritten Tag nach ihrer Flucht von der Reede von Cadiz auf den Berlenga-Inseln, einer öden Inselgruppe etwa vierzig Seemeilen nördlich des Kaps da Roca, ausgesetzt hatte, war es dem Ca pitan sehr bald gelungen, das nahegelegene Festland zu erreichen. Unverzüglich hatte Valdez Meldung erstattet.
Diese Nachricht hatte wie eine volle Breitseite bei den Verantwortlichen eingeschlagen. Es gab niemanden, der sich traute, die spanische Krone von dieser Hiobsbotschaft zu unterrichten. Statt dessen verfiel man auf einen gänzlich anderen Ausweg. Die Karten mußten wiederbeschafft werden, koste es, was es wolle. Daß Capitan Romero Valdez mit dieser Aufgabe betraut wurde, verbot sich von selbst, so sehr er auch darum bat. Statt dessen setzte man mit dem schnellsten Schiff, über das die spanische Flotte verfügte, zwei Männer in Marsch, die schon des öfteren dergleichen Aufgaben erledigt hatten.
Noch während die „Isabella“ in der Bucht Ile de Sein lag, um ihre Schäden auszubessern, landeten diese beiden zwielichtigen Ehrenmänner in einer stockdunklen, nebligen Nacht in der St. Austel Bay, unweit des gefürchteten Black Head, einem ins Meer ragenden Felsen, der schon manchem Schiff zum Verhäng nis geworden war. Sie nannten sich Patrick O’Moore und Neil Griffith.
Beide sprachen vorzüglich Englisch, beide galten als hochintelligente Männer, beide waren in Spanien bei allen Eingeweihten wegen ihrer Brutalität, ihrer Gerissenheit und Beharrlichkeit, mit der sie ihr Wild hetzten, über alle Maßen gefürchtet. Sie setzten sich unverzüglich nach Plymouth in Marsch, mieteten sich am Hafen ein, forschten unauffällig die Seeleute aus und lauerten auf die Ankunft der „Isabella von Kastilien“. Sie verfügten über genaue Beschreibungen dieses Schiff und wußten genau über Philip Hasard Killigrew und seine Besatzung Bescheid.
An diesem Morgen, an dem noch immer von See her ein kühler Wind durch die Straßen pfiff, hatten sich O’Moore und Griffith in einer Kneipe niedergelassen, von der aus sie die Hafeneinfahrt genau im Auge behalten konnten.
O’Moore war ein großer, hagerer Mann mit einem Raubvogelgesicht. Die schmalen Lippen und die vorspringende gebogene Nase verliehen seinen Zügen zusammen mit den dunklen, tiefliegenden Augen etwas Grausames, Kaltes. Seine schmalen Hände hatten lange Finger, die wie die Krallen eines Greifvogels wirkten. Alles in allem war Partrick O’Moore ein Mann, dem jeder nach Möglichkeit aus dem Weg ging. Daß er dennoch nicht besonders auffiel, hing damit zusammen, daß er sich unauffällig zu kleiden und zu benehmen wußte und daß es in der Hafengegend von Plymouth eine Menge Gelichter gab, das noch weit weniger vertrauenserweckend aussah als O’Moore.
Er hob sein Glas mit heißem Rum gerade an die Lippen, als sein Gefährte, Neil Griffith, mit dem Kopf zum Fenster deutete.
O’Moore nahm einen winzigen Schluck von dem heißen Rum, dann setzte er das Glas ab und blickte durch das Fenster nach draußen.
Im Hafen war Bewegung entstanden. Seeleute blieben plötzlich stehen und deuteten aufs Meer hinaus.
O’Moore nickte seinem Gefährten zu, anschließend winkte er dem Wirt und legte ein paar Münzen auf den glattgescheuerten Holztisch. Der Wirt, ein großer, schwammiger Mann, verneigte sich, denn O’Moore hatte das Trinkgeld wie immer auch diesmal wieder reichlich bemessen.
Er sah den beiden nach, als sie durch die schwere Holztür auf die Straße hinaustraten. Dann wischte er sich die fettigen Hände an der Schürze ab und verzog sich wieder hinter die Theke. Er hatte Angst vor diesen beiden Männern, sie waren ihm irgendwie umheimlich.
Besonders der Hagere. Der andere, den der Hagere immer mit Neil anredete, wirkte dagegen fast gutmütig. Ein Kraftpaket, stämmig, muskelbepackt, sehr wache, eigentümlich helle Augen, schwere, derbe Fäuste, die nicht so recht zu seiner einfachen, aber vorzüglichen Kleidung paßten – aber dieser Mann lachte wenigstens hin und wieder, wobei er eine Reihe blendendweißer Zähne zeigte. Während der Hagere düster wirkte, sah der Stämmige geradezu heiter aus. Der Wirt ahnte nicht, wie sehr dieser Eindruck täuschte. Wenn es darauf ankam, dann entwickelte sich Neil Griffith zu einer fast seelenlosen Kampfmaschine.
O’Moore holte ein teures und qualitativ sehr hochwertiges Spektiv aus der Tasche, zog es behutsam auseinander, spähte hindurch und unterzog das einlaufende Schiff einer gründlichen Musterung. Der scharfe, kühle Wind bauschte seine Pluderhosen, wirbelte um seine langen Beine, die in roten Strümpfen steckten und brachte den Degen zum Klirren, der an seiner Hüfte hing. Aber alles bemerkte der Hagere nicht. Ihn interessierte in diesem Moment einzig und allein das einlaufende Segelschiff.
Endlich setzte er das Spektiv ab. Dann schob er es zusammen und schüttelte den Kopf.
„Nicht die ‚Isabella‘“, sagte er leise. „Ein Kauffahrteifahrer, soweit ich erkennen kann, ein ziemlich großes Schiff, aber nichts, was uns interessieren könnte.“
Neil Griffith zuckte mit den Schultern.
„Die „Isabella“ ist bereits überfällig“, sagte er. „Hoffentlich kommt sie überhaupt hierher. Immerhin ...“
O’Moore schüttelte den Kopf. „Sie kommt, Neil, verlaß dich drauf. Da hinten liegt schon eine Prise von diesem Drake, also hat auch die zweite Order, Plymouth anzulaufen. Außerdem hat der neue Kapitän der ‚Isabella‘, dieser verdammte und dreimal verfluchte Killigrew, Romero Valdez gegenüber Plymouth als seinen Zielhafen erwähnt. Ob Valdez das nur erlauscht hat oder ob dieser schwarzhaarige Teufel es ihm selber gesagt hat, weiß ich nicht, es spielt auch keine Rolle.“
Er schwieg eine Weile und fuhr dann fort: „Außerdem liegt die ‚Marygold‘, Drakes Schiff, auch immer in Plymouth, wenn er sich nicht gerade auf See befindet. Nein, nein, wir sind hier schon am richtigen Ort. Warten wir also noch eine Weile. Wichtig ist nur, daß wir sehen, wann sie einläuft.“
Er steckte das Spektiv wieder in die Tasche. Anschließend sahen sie zu, wie der Segler in den Hafen einlief und an einer der Piers vertäut wurde. Und während er zuschaute, überlegte O’Moore noch einmal genau, wie er nach dem Einlaufen der „Isabella von Kastilien“ vorgehen wollte. Gewiß, das hing natürlich von den besonderen Umständen ab, aber im großen und ganzen stand sein Plan fest.
O’Moore hatte immer ziemlich konkrete Vorstellungen darüber, wie er eine Aufgabe lösen würde, bevor er ans Werk ging. Und man konnte diesem Mann nicht nachsagen, daß er dabei besonders wählerisch in seinen Methoden war. Für ihn zählte nur eins – der Erfolg. Keineswegs ein Menschenleben oder mehrere, wenn es sich nicht anders regeln ließ.
Von alledem ahnte der Seewolf nichts. Er hatte ganz im Gegenteil das beruhigende Gefühl, endgültig alle Klippen dieser gefährlichen Reise umsegelt zu haben.
Er stand wieder auf dem Achterkastell, weil er von dort aus den besten Überblick über die „Isabella“ hatte. Land war noch nicht in Sicht, aber er wußte, daß es nicht mehr lange dauern konnte. Längst hatten sie die Höhe von Kap Lizard passiert, allerdings, ohne es gesehen zu haben. Noch immer stand eine lange Dünung vom Atlantik her in den Kanal, aber nach wie vor blies der Wind in unverminderter Stärke aus Südwest.
Dan hatte er in den Großmars geschickt. Die scharfen Augen O’Flynns würden das Land zuerst erspähen. Das Wasser des Kanals hatte an diesem Tag eine grüngraue Färbung. Der hünenhafte Ferris Tucker gönnte sich eine Ruhepause. Er saß auf dem Quarterdeck, streckte behaglich alle viere von sich, und Hasard ließ ihn gewähren. Tucker hatte sich auf dieser Reise genug geschunden, eigentlich weit über die Kraft eines Mannes hinaus. Fast jeder Mann seiner Besatzung hatte das getan, und deshalb hatte Hasard an Wachen nur eingeteilt, was für das Schiff unerläßlich war.
Hasard nahm sich vor, bei Francis Drake zu versuchen, für seine Leute eine Sonderprämie herauszuschlagen. Das hatten sie wirklich verdient.
Eine Stunde verging und noch eine halbe. Dann scholl aus dem Großmars Dans Stimme herab: „Land in Sicht!“
Hasard hörte den Ruf und gleich darauf das Gebrüll seiner Männer, die diesen Ruf O’Flynns ebenfalls gehört hatten. Einige von ihnen vollführten an Deck einen wahren Freudentanz.
Hasard enterte in den Großmars auf. Er zog sein Spektiv aus der blauen Segeltuchjacke und sah lange hindurch.
„Da, Dan“, sagte er endlich, und sein Gesicht strahlte Befriedigung aus. „Plymouth an Steuerbord voraus.“
Er enterte wieder ab, das Spektiv überließ er dem Jungen, mochte Dan schauen, soviel er wollte. Das Bürschchen hatte sich wacker gehalten.
Er trat an den Kolderstock.
„Neuer Kurs Ostnordost, Pete“, sagte er.
Ein gebrummtes „Aye, aye“, tönte ihm entgegen, dann schwang der Bug der „Isabella“ schon langsam herum.
Es war nur eine geringfügige Kurskorrektur, die Pete Ballie vornehmen mußte. Hasard warf einen Blick in die Segel. Sie standen gut, eine Änderung der Segelstellung war vorerst noch nicht nötig.
Immer noch unter Vollzeug liefen sie dem Plymouth Sound entgegen, der die Einfahrt zum Kriegshafen bildete.
Hasard blieb auf dem Quarterdeck. Er beobachtete, wie sich die Umrisse der Küste und dann auch die der Stadt nach und nach aus dem Dunst schälten. Unsägliche Erleichterung erfüllte ihn, aber davon ließ sich der Seewolf nichts anmerken. Er hatte es geschafft. Die Silberbarren und vor allem die kostbaren Karten waren endlich in Sicherheit.
„Alle Mann an die Brassen!“ kommandierte er dann, und die Männer flogen förmlich über Deck.
Sie näherten sich rasch der Hafeneinfahrt. Laute Kommandos von Ben Brighton und Smoky schallten über Deck.
Patrick O’Moore und Neil Griffith standen in der Nähe der Galeone „Santa Cruz“, die Francis Drake zuerst erobert hatte und die schon seit einiger Zeit im Hafen von Plymouth lag. Von dort konnten sie den Plymouth Sound und damit auch die Hafeneinfahrt hervorragend überblicken.
Wieder hatte O’Moore sein Spektiv vor dem rechten Auge. Eine ganze Weile stand er so da. Dann reichte er es Neil Griffith.
„Das ist sie, Neil. Unser Warten hat sich gelohnt. Der Junge segelt unter Vollzeug herein. Alle Achtung, der versteht sein Handwerk.“
Neil Griffith blickte durch das Spektiv, und dann nickte er. Er war ein seebefahrener Mann und wußte zu beurteilen, wie ein Schiff geführt wurde und wie nicht. Was ihm Hasard da allerdings vorexerzierte, das grenzte für seine Begriffe schon an Hexerei. Fasziniert starrte er dem Schiff entgegen, und als es nahe genug heran war, setzte er das Glas wieder ab.
Dann schüttelte er den Kopf.
„Der Kerl rauscht in die Mill Bay herein, als wenn es gar nichts wäre“, sagte er bissig. „Bin mal gespannt, wie er die Fahrt aus dem Schiff kriegt, wenn er an die Pier gehen will!“
O’Moore sagte nichts. Ihn interessierte das gekonnte Manöver der „Isabella“ nicht so sehr, wohl aber faßte er es als eine sehr nachdrückliche Warnung vor jenem Mann auf, der an Bord dieses Schiffes das Kommando führte. Er nahm sich vor, bei der Lösung dieses Auftrags ganz besonders auf der Hut zu sein.
Die „Isabella“ hatte ihren Kurs geändert. Die Rahen schwangen herum, das Schiff lag jetzt auf Steuerbordbug. Laute Kommandos erschallten an Deck. Abermals schwangen die Rahen herum, wurden mittschiffs gebraßt, und dann packten die Männer auf den Rahen zu und refften die Segel. Nur der Lateinerbesan und die Fock nebst Blinde blieben stehen.
Die „Isabella“ glitt in die Mill Bay, von den lauten Jubelrufen der zuschauenden Fahrensleute begrüßt.
Hasard stand auf dem Quarterdeck wie ein Baum. Längst hatte er die gekaperte Galeone an der weit in die Mill Bay hinausragenden Pier entdeckt.
Wieder ein kurzes Kommando, Fock und Blinde und Lateinerbesan verschwanden. Mit letzter Fahrt rauschte die „Isabella“ heran. und ging an der anderen Galeone längsseits.
Leinen flogen von Bord zu Bord, harte Seemannsfäuste packten zu, holten die Leinen durch und belegten sie an den Klampen.
Das Tauwerk knirschte, die Fahrt kam aus dem Schiff. Langsam und majestätisch legte sich die „Isabella“ neben die „Santa Cruz“.
Neil Griffith stand wie erstarrt.
„Alle Achtung“, sagte er dann. „Das macht diesem Killigrew so leicht keiner nach!“ Prüfend schnupperte er in den Wind, der immer noch in beachtlicher Stärke durch den Hafen und die Straßen von Plymouth pfiff. „So einen Mann kannst du suchen, Patrick, aber du wirst ihn kaum finden.“
Er reichte seinem Gefährten das Spektiv, und dieser schob es in die Tasche.
„Schon gut“, sagte er dann und wandte sich der Wirtschaft zu, in der sie schon oft gesessen hatten. „Wir werden jetzt etwas essen und trinken. Dabei können wir die „Isabella“ im Auge behalten. Verläßt dieser Killigrew die „Isabella“, können wir ihn packen. Verläßt sie ein anderer, werden wir ihm folgen und knöpfen uns den Mann vor. Du weißt schon, was ich meine. Ich habe einen Plan, aber ich muß erst einmal abwarten, was sich an Bord des Schiffes tut.“
Griffith nickte, dann betraten sie die alte Seemannskneipe, und der schwimmige Wirt empfing sie wie stets dienernd und mit tiefen Bücklingen.
„Was zu essen und zu trinken. Aber was Ordentliches, oder wir ziehen dir das Fell ab“, sagte O’Moore, und der Stämmige nickte dem Wirt bedeutsam zu.
„Sofort, die Herren, nur ein wenig Geduld. Sie erhalten das Beste, was meine Küche zu bieten hat. Wünschen die Herren eine Flasche Wein? Oder soll es wieder heißer Rum sein?“
„Wein diesmal, aber vom besten.“
Der Wirt dienerte abermals, dann verschwand er in einem der Nebenräume.
Außer O’Moore und Griffith befanden sich noch ein paar andere Gäste in der Wirtschaft. Sie kannten die beiden Fremden schon und schenkten ihnen kaum noch Beachtung.
„Ich vermute, daß dieser Killigrew irgendwann dem dicken Plymson in der „Bloody Mary“ einen Besuch abstatten wird. Ich jedenfalls an seiner Stelle würde es tun. Wenn das der Fall sein sollte, werden wir leichtes Spiel mit diesem blauäugigen Satan haben. Also aufgepaßt!“
Der Wirt erschien und stellte einen dickbauchigen Krug mit Wein auf den Tisch.
O’Moore probierte, während sich der Wirt vorsichtig ein paar Schritte zurückzog.
„In Ordnung. Beeil dich mit dem Essen, wir haben Hunger!“
Er goß sich ein und schob den Krug Griffith zu. Während sie tranken, beobachteten sie unauffällig die beiden Galeonen, die nebeneinander – von der Kneipe aus gut zu überblicken – an der Pier lagen. Doch vorerst tat sich auf den Schiffen nichts, und Griffith stieß schließlich eine Verwünschung aus.
„Warten“, sagte sein Komplice lediglich. „Geduld muß man bei unserem Geschäft schon haben. Das Schiff ist hier, alles andere erledigt sich fast von selbst.“
Neil Griffith kratzte sich den Kopf.
„Von selbst?“ meinte er dann und sah den Hageren zweifelnd an. „Also das würde ich lieber nicht sagen. Du weißt, daß ich selbst den Teufel nicht fürchte, aber diesen Satan da, das ist, glaube ich, etwas ganz anderes.“
Und damit sollte er zweifellos recht behalten. Aber seine und die Geduld seines Gefährten wurden bis dahin noch auf eine harte Probe gestellt.