Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 55
6.
ОглавлениеSchon bald nachdem die „Isabella“ bei der anderen Beutegaleone längsseits gegangen war, bat Hasard Ben Brighton, Smoky und Ferris Tucker in seine Kammer.
Er wartete, bis die drei Männer erschienen. Dann entkorkte er eine Flasche Wein, schenkte ein, und trank ihnen zu.
„Ich habe einiges auf dem Herzen“, begann er dann. „Ich möchte euch und allen Männern dieses Schiffes meinen Dank sagen. Wir hatten viele Hindernisse auf unserer Reise zu überwinden. Die gesamte Mannschaft hat sich die ganze Reise über hervorragend geschlagen. Ich sage das hier in kleinem Kreis mit der Bitte, es weiterzugeben, weil ich vermeiden möchte, daß allzuviele fremde Ohren davon erfahren, was wir hinter uns gebracht haben. Ich halte es nicht für ratsam, auf Deck die Mannschaft zu versammeln, das würde eine Menge von Gaffern anlocken. Sagt es jedem einzelnen weiter, und bittet ihn, über die Vorfälle dieser Reise strengstes Stillschweigen zu bewahren.“
Er prostete den drei Männern zu.
„Ich wißt alle, welche Ladung wir im Schiff haben. Wir liegen zwar in einem englischen Hafen, aber das besagt nicht viel, jedenfalls was die Sicherheit der Ladung betrifft. Wenn sich herumspricht, daß wir dreißig Tonnen Silberbarren an Bord haben, dann ist auf diesem Schiff der Teufel los, und wir kommen aus den Schwierigkeiten nicht mehr heraus. Und nun zum Wichtigsten: Ab sofort verstärkte Wachen auf dem Schiff. Besonders abgesichert wird der Laderaum, in dem das Silber liegt und alle Niedergänge, die dorthin führen. Du, Ben, bist mir dafür voll verantwortlich. Weiter ordne ich an: Kein Fremder betritt das Schiff ohne meine ausdrückliche Erlaubnis, gleichgültig, wer er ist. Wenn nötig, wird das Betreten der „Isabella“ auch mit Gewalt verhindert. Haben wir uns in diesem Punkt verstanden?“
Die drei Männer nickten, und Hasard prostete ihnen zu. Dann fuhr er fort: „Wachen ebenfalls an Backbord zur Wasserseite. Von dort erlebt man zumeist die übelsten Überraschungen. Jeweils vier Männer erhalten für zwölf Landurlaub. Teilt die Wachen also entsprechend ein. Alle Männer, die Wachdienst haben, werden mit Musketen bewaffnet. Ich hoffe, unser Pulver reicht noch aus.“
Ein fragender Blick traf Ferris Tucker.
„Reicht – nur fünf Karavellen, die sind nicht mehr drin ...“
Ein befreiendes Lachen schallte durch die Kammer. Doch dann wurde Hasard wieder ernst.
„Es wird schwierig sein, die Kontakte zur „Santa Cruz“ zu unterbinden oder zumindest auf ein Minimum zu beschränken, das ist mir klar. Achtet bitte trotzdem darauf, soweit das möglich ist. Richtet es so ein, daß immer einer von euch an Deck ist. Außerdem werden Smoky, Batuti und Blacky als Wachführer fungieren. Sollte ich von Bord gehen, werde ich immer hinterlassen, wo ich zu finden bin. So, das wär’s. Und wer etwas über unsere Silberladung ausplappert, dem ziehe ich persönlich die Haut vom Hintern.“
Ben Brighton, Smoky und Ferris Tucker grinsten. Sie hoben ihr Glas und tranken Hasard noch mal zu, ehe sie seine Kammer verließen.
Anschließend ging Hasard daran, für Francis Drake einen ausführlichen Bericht zu verfassen. Lediglich die Kassette und deren Inhalt sowie alles, was damit zusammenhing, erwähnte er aus Sicherheitsgründen nicht.
Es war später Nachmittag, als er seine Kammer verließ und auf Deck trat. Er wußte nicht, daß er dabei sogleich von vier scharfen Augen beobachtet wurde.
Neil Griffith stieß eine Verwünschung aus, als er den Seewolf sah. Längst hatten sich die beiden vom Wirt der „Mill Bay Inn“ eine zum Hafen gelegene Kammer zuweisen lassen, denn schließlich konnten sie nicht, ohne aufzufallen, ständig in der Kneipe am Fenster sitzen und zu den beiden Galeonen hinüberstarren.
„Es ist wie verhext – sie bewachen diesen verdammten Kasten wie einen Kronschatz. Wenn das so weitergeht, möchte ich gern mal wissen, wie wir uns die Kassette schnappen sollen?“
O’Moore wiegte den Kopf.
„Nur mit der Ruhe, Neil“, sagte er. „Dieser Killigrew entwischt uns nicht. Er hat keine Ahnung, daß wir auf ihn lauern. Und wenn ich es mir recht überlege, würde ich an seiner Stelle ebenfalls verdammt aufpassen, wenn ich außer der Kassette noch obendrein dreißig Tonnen Silberbarren an Bord hätte.“
Er sagte das beinahe in sanftem Tonfall, aber der Tonfall täuschte Neil Griffith nicht. Er kannte seinen Partner, mit dem er schon oft derartige Aufträge erledigt hatte, gut genug. O’Moore war mindestens so nervös und gereizt wie er selber, nur vermochte er sich wesentlich besser zu beherrschen.
Trotzdem war diese stundenlange Warterei, dieses ständige Lauern, ermüdend. Und gerade wollte Neil Griffith aufstehen und sich aus der Kneipe etwas zu trinken holen, als plötzlich O’Moore aufsprang. Wie weggeblasen war seine eben noch zur Schau getragene Beherrschung.
Mit einem Satz war Neil Griffith neben ihm.
„He, was gibt es?“ fragte er und starrte aus dem Fenster.
O’Moore deutete auf die Pier, an der die beiden Galeonen nebeneinander vertäut lagen. Eine prachtvoll verzierte Kutsche, die von vier Pferden gezogen wurde, rollte eben aus der Mill Bay Road heraus und bog auf die mit Kopfsteinpflaster bedeckte Pier.
„Hier, nimm das Spektiv und beobachte alles, was an Bord der „Isabella“ geschieht. Ich werde mir die Sache aus der Nähe betrachten. Ich ahne, wer da eben eingetroffen ist. Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es da unten gleich Schwierigkeiten.“
Neil Griffith wollte noch eine Frage stellen, aber O’Moore hatte den Raum bereits verlassen. Er hörte seinen Gefährten die Treppe hinunterpoltern, dann erschien er auch schon auf der Straße.
Es war ein leichtes für ihn, sich unter die Gaffer zu minschen und sich mehr und mehr nach vorn zu schieben. Als die Kutsche endlich vor den beiden Schiffen hielt, hatte er schon einen Platz eingenommen, von dem aus er alles nicht nur überblicken, sondern auch jedes Wort, das gesprochen wurde, recht gut verstehen konnte. Denn Patrick O’Moore, der Agent der spanischen Krone, hatte extrem scharfe Ohren.
Ziemlich bald nach dem Einlaufen und Festmachen der „Isabella“ in der Mill Bay hatte sich Hasard bei dem Kapitän der „Santa Cruz“ melden lassen, neben der sein Schiff lag. Zu seiner Überraschung hatte er erfahren müssen, daß sich Kapitän John Thomas gegenwärtig nicht an Bord befinde, sondern für einige Tage zu seiner Familie nach Exeter gereist sei.
Das war für Hasard eine üble Überraschung, denn er hatte mit Kapitän Thomas, der diese Prise auf Befehl von Francis Drake nach Plymouth gesegelt hatte, eine Lagebesprechung abhalten wollen. Und Hasard war am Rat dieses erfahrenen Mannes eine Menge gelegen. Denn immerhin hatte ihm Drake aufgetragen, Schiff und Ladung nach seiner Ankunft in Plymouth an Kapitän Thomas zu übergeben.
Inzwischen hatte sich aber vieles geändert. Zunächst einmal war es Hasard gelungen, auf der Fahrt nach Plymouth selber ein spanisches Schiff, die „Barcelona“, aufzubringen und zur Prise zu machen. Zusammen mit der „Santa Barbara“, die Hasard befehligte, seit Drake ihm über dieses Schiff das Kommando übertragen hatte, waren sie in ein spanisches Geleit geraten. Wohl oder übel hatten sich die beiden Schiffe unter den mißtrauischen Blicken der den Konvoi umkreisenden Kriegsgaleonen dem Geleit anschließen müssen, wenn sie nicht Verdacht erregen wollten, was ihre sofortige Vernichtung zur Folge gehabt hätte.
Erst auf der Reede von Cadiz, wohin der spanische Verband gelaufen war, glückte Hasard dann jener Piratenstreich, der die Spanier aufscheuchte wie der berühmte Stich ins Wespennest. Hasard kaperte tollkühn unter Anwendung einer Kriegslist die „Isabella von Kastilien“, ein Schiff, das schon wegen seiner Ladung von dreißig Tonnen Silberbarren einen ungleich höheren Wert besaß als die „Santa Barbara“ und „Barcelona“ zusammen.
Es war Hasard jedoch völlig unmöglich, die „Santa Barbara“, die ihm von Drake anvertraute Prise, und die „Barcelona“ ebenfalls zu behalten. Im Gegenteil, er gab diese beiden Schiffe nicht nur auf, sondern setzte sie tollkühn als Brander gegen die spanischen Kriegsgaleonen ein, die der nun von ihm gekaperten „Isabella“ den Weg in die offene See versperrten. Das Unternehmen glückte. Die überraschten Spanier kamen nicht einmal dazu, eine wirksame Verfolgung einzuleiten.
Erst viel später gerieten dann durch dramatische Ereignisse jene streng gehüteten Seekarten der Neuen Welt in Hasards Hände.
Und jetzt lag er hier in Plymouth, in der Mill Bay, aber kein Mensch war da, der ihm hätte sagen können, was weiterhin mit Schiff und Ladung geschehen sollte. Für Hasard war jedenfalls klar, daß eine Übergabe der „Isabella“ samt Ladung und Seekarten nur an Francis Drake persönlich erfolgen würde. Aber auch dieser Entschluß änderte nichts daran, daß Hasard sich reichlich unwohl in seiner Haut fühlte. Und so beschloß er, zunächst einmal die Rückkehr von Kapitän John Thomas abzuwarten, um mit ihm über alles zu reden. Denn Thomas besaß das Vertrauen Drakes in hohem Grade.
Hasard stand auf dem Achterkastell und sah seinen Leuten zu, wie sie das Schiff nach der langen Reise aufklarten und es vom Kiel bis zum Topp in Schuß brauchten.
Neben Hasard stand Ben Brighton. Immer wieder schweiften seine Blicke über den Hafen und die Pier, an der sie und die „Santa Cruz“ lagen. Ben Brighton kannte sich in Plymouth aus wie kaum ein anderer. Und er war es auch, der sofort die schwere Karosse bemerkte, die eben über das Kopfsteinpflaster der Kaianlagen zu ihnen herüberrumpelte.
Seine Augen zogen sich unwillkürlich zusammen.
„Das gilt uns“, sagte er nur und musterte die reichen Verzierungen an der Karosse. „Das ist einer, der bei Hof nicht ohne Einfluß ist. Ich bin gespannt, was der von uns will!“
Hasard war herumgefahren und starrte die Karosse an. Tausend Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Er wußte um die Intrigen, die bei Hof gesponnen wurden, und er wußte auch, daß man sich vor jenen Höflingen, die oft genug über eine bedrohliche Macht verfügten, sehr in acht zu nehmen hatte.
Er sah Ben Brighton an.
„Du empfängst den Burschen, Ben. Du kennst dich mit dieser Sorte doch aus, oder nicht?“
Ben Brighton nickte und ließ dabei die Karosse nicht aus den Augen.
„Aber du läßt den Kerl oder auch seine Begleiter nicht weiter als bis aufs Quarterdeck. Ich werde mich hier auf dem Achterkastell aufhalten. Je nachdem, wie es sich ergibt, greife ich dann ein.“
Hasard hatte diese Worte hastig hervorgestoßen, denn die Karosse stoppte neben der direkt an der Pier liegenden „Santa Cruz“.
Ihre Türen klappten auf, und zwei Männer entstiegen der Karosse, die respektvoll einem dritten heraushalfen.
„Ach du heiliger Satan!“ entfuhr es Ben Brighton unwillkürlich, als er den dritten Mann erkannte.
Dieser Mann war schlank, hatte ein farbloses, glattes Gesicht, einen Spitzbart und war tadellos gekleidet. Seine Füße steckten in sogenannten „Kuhmäulern“, breiten Schuhen, die von den Vornehmen und Reichen bevorzugt wurden. Er trug eine beinenge, seidene Strumpfhose, darüber eine kurze Hose – eine der sogenannten Kürbishosen kostbarster Ausführung in Kugelform und mit Roßhaar gepolstert. Sein Leib wurde von einem Schoßwams umschlossen, darüber befand sich ein saloppes kurzes Cape und auf dem Kopf saß ein schmalkrempiger Filzhut, an dem eine Straußenfeder im Wind wippte. An der Hüfte hing in einem Wehrgehänge ein zierlicher Stoßdegen. Der Mann erweckte durchaus den Eindruck, als wisse er mit dieser Waffe auch umzugehen.
Seine beiden Begleiter trugen ebenfalls Degen. Auch sie waren gut gekleidet, aber deutlich erkennbar minderen Ranges.
Hasard war der Ausruf seines Bootsmanns nicht entgangen.
„Du kennst ihn?“ fragte er. „Wer ist das, Ben?“
„Sir Thomas Doughty. Einer der Eigner der ‚Marygold‘, ein geschniegelter, aalglatter Lackaffe, aber ein intriganter, gefährlicher Bursche, vor dem man sich hüten muß.“
Hasards Stirn umwölkte sich. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
„Und die beiden anderen, wer sind die?“ fragte Hasard.
„Seine Kettenhunde. Man erzählt sich von ihnen, daß sie in dunkler Nacht schon manchen abgemurkst hätten, der ihrem Herrn und Gebieter im Wege war oder nicht so tat, wie Sir Doughty wollte.“
Hasard spürte ein leichtes Ziehen im Nacken. Er kannte das – ein untrügliches Zeichen dafür, daß es Ärger geben würde.
„Also los, Ben, tu jetzt, wie ich gesagt habe. Bis aufs Quarterdeck, keinen Schritt weiter. Alles andere überlasse dann mir.“
Ben Brighton ging los. Er war aber durchaus nicht der einzige, der die Ankunft der Karosse bemerkt hatte.
Batuti, der herkulische Schwarze, der an Steuerbord Wache ging, war ebenfalls stehengeblieben und starrte zu der kostbaren Karosse hinüber. Andere Männer der Besatzung kletterten in die Wanten, bis sie genügend Überblick hatten, um sich von dem Schauspiel ja nichts entgehen zu lassen.
Niemand achtete durch die konzentrierte Aufmerksamkeit, die den hochgestellten Ankömmlingen zuteil wurde, auf Patrick O’Moore, den das Gehabe Sir Doughtys keineswegs beeindruckte. Er schwang sich behende an Bord der am Pier liegenden „Santa Cruz“ und verschwand gleich darauf hinter einer Taurolle. Dabei witterte er bereits eine Gelegenheit, endlich in seiner Sache einen Schritt weiterzukommen, und in seinem Kopf reifte ein teuflischer Plan.
Langsam, immer darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden, schob er sich an der Backbordseite der Galeone weiter, bis er sich in Höhe des Quarterdecks der „Isabella“ befand. Hinter einem auf dem Hauptdeck festgezurrten Beiboot fand er eine ideale Deckung. Dann harrte er der Dinge, die da kommen würden. Und daß sie kamen, das wußte er noch genauer als Ben Brighton oder sogar Hasard, denn er besaß eine Menge Informationen über Sir Thomas Doughty.
Sir Thomas Doughty musterte die beiden Galeonen mit Wohlgefallen. Immerhin waren sie Prisen, die Francis Drake mit der „Marygold“ erjagt hatte, mit dem Schiff also, zu dessen Eignern er, Doughty, gehörte. Deshalb würde er an diesen Prisen auch einen ganzen Batzen Geld verdienen. Und Sir Thomas Doughty hatte absolut nichts gegen Geld, auf diese Weise mühelos und ungefährlich verdient, einzuwenden.
„Gehen wir. Sehen wir uns einmal an, was uns die „Isabella von Kastilien“ zu bieten hat“, sagte er und setzte sich sogleich in Bewegung.
Gefolgt von seinen beiden Begleitern betrat er die Galeone von Kapitän Thomas. Keiner der Männer an Bord der „Santa Cruz“ hinderte ihn daran, aber sie grinsten schon in der Vorfreude auf das, was diesen geschniegelten Kerl auf der „Isabella“ erwarten würde. Denn sie wußten, wie streng dieses Schiff von seiner Crew bewacht wurde, daß es unmöglich war, auch nur einen Fuß bei ihnen an Bord zu setzen. Und das, obwohl man sich schließlich verdammt gut kannte.
Verdutzt blieb Sir Doughty stehen, als er Batuti entdeckte. Er musterte den riesigen Neger wie ein seltenes Insekt, und um seine Mundwinkel zuckte es unwillig, als sich Batuti in seiner vollen Größe vor ihm aufbaute.
„Nix Besuch, Sir“, radebrechte er in seinem schauderhaften Englisch. „Kapitän jeden Besuch verboten. Gehen wieder, ich lasse nicht durch Sir.“
Sir Thomas Doughty glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
„Gib den Weg frei, du Affe“, sagte er mit leiser Stimme. „Ich bin es nicht gewöhnt, daß mich ein Kerl wie du daran hindert, ein Schiff zu betreten, wenn ich es betreten will.“
Er wollte schon seinen beiden Begleitern einen Wink geben, den Schwarzen aus dem Weg zu schaffen, und die Hände der beiden fuhren bereits zum Wehrgehänge, zu den Stoßdegen an ihrer Seite, aber da hatte Batuti plötzlich einen Belegnagel in der Rechten – in einer Faust, die fast so groß war wie Sir Doughtys feinstrukturierter Schädel.
„Versuchen, Sir. Dann tot, Sir. Alle drei, ganz schnell.“
Batuti grinste ihn an und schwang den Belegnagel drohend empor. Unter seiner dunklen Haut spielten die Muskeln, und unwillkürlich zuckten die beiden Begleiter zurück.
In diesem Moment betrat Ben Brighton die Szene.
„Schon gut, Batuti“, sagte er und musterte die Ankömmlinge scharf. „Vorsicht mit dem Belegnagel, ich will keinen Ärger an Bord.“
Er trat auf Sir Thomas Doughty zu und grüßte knapp.
„Was kann ich für Sie tun, Sir?“ fragte er höflich.
Doughtys Gesicht entspannte sich. Er zauberte ein Lächeln auf seine glatten Züge.
„Das hört sich schon viel besser an, mein Sohn“, sagte er. „Aber da du mich schon fragst – ich wünsche den Kapitän dieses Schiffes zu sprechen. Führe mich zu ihm.“
Ben Brightons Blicke blieben auf den beiden Begleitern Sir Doughtys hängen.
„Und die beiden da?“ fragte er, und diesmal klang seine Stimme schon weniger höflich.
Sir Doughty entging das nicht. Also hatte sich der Mann da geärgert, daß er ihn geduzt hatte. Interessant, dachte er, und er nahm sich vor, bei passender Gelegenheit dem Mann eine Rüge zu erteilen.
„Meine Begleiter kommen mit“, sagte Doughty deshalb kurzangebunden und schritt über die Gangway, die die beiden nebeneinanderliegenden Schiffe miteinander verband.
Ben Brighton ließ ihn gewähren, denn er sah, daß Hasard sich bereits auf dem Quarterdeck der „Isabella“ befand.
Als Sir Doughty jedoch in Richtung Achterkastell weitergehen wollte, vertrat Ben Brighton ihm den Weg.
„Bitte da hinauf, Sir“, sagte er nur und wies auf den Aufgang, der zum Quarterdeck hinaufführte.
Unwillig runzelte Sir Doughty die Brauen.
„Seit wann ist es üblich, daß der Kapitän eines Schiffes hochgestellte Gäste auf dem Quarterdeck empfängt?“ fragte Sir Doughty, und diesmal gab er sich keine Mühe, die Schärfe in seiner Stimme zu verbergen.
Wieder fuhren die Hände seiner Begleiter an die Wehrgehänge – aber Ben Brighton warf ihnen einen so drohenden Blick zu, daß sie abermals zögerten.
„Gäste?“ fragte der Bootsmann der „Isabella“ gedehnt – und allein schon der Tonfall, in dem er diese Frage stellte, war eine glatte Beleidigung für Doughty. „Bei uns an Bord entscheidet Kapitän Killigrew grundsätzlich selber, wer zu seinen Gästen zählt und wer nicht. Wenn Sie mir jetzt also bitte aufs Quarterdeck folgen wollen, Sir.“
Ben Brighton ging einfach voraus, und Sir Thomas Doughty fügte sich ins Unvermeidliche, zumal sich langsam, aber unübersehbar für ihn und seine Begleiter die Männer der Besatzung von allen Seiten näher an ihn und seine beiden Begleiter heranschoben.
Vergessen würde er diese Demütigung vor diesen verdammten Kerlen aber nicht, das schwor sich Sir Doughty in diesem Moment.
Doch dann siegte seine Neugier. Killigrew? Sollte es sich um einen aus der Sippe der Killigrews aus Falmouth handeln? Jener Sippe, die in der alten Seeräuberfeste Arwenack hoch über dem Hafen hauste? Dann war dieser Kapitän ja ein Mann von Stand, ein Adeliger wie er!
Sir Thomas Doughty beschleunigte seine Schritte. Er wollte, nein, er mußte diesen Mann sehen.
Und er sah ihn. Philip Hasard Killigrew stand breitbeinig auf dem Quarterdeck. Eine schlanke, hohe Gestalt. Schmal in den Hüften, breit in den Schultern. Schwarzes Haar flatterte im Wind, eisblaue Augen blitzten ihn an.
Der geborene Kämpfer, dachte Sir Doughty und nahm sich in diesem Moment vor, sich auf keinerlei Händel an Bord der „Isabella“ einzulassen. Doughty hatte scharfe Augen, und er besaß einen Blick für Männer wie Philip Hasard Killigrew.
Sir Thomas Doughty stieg die letzten Stufen zum Quarterdeck empor. Dann blieb er stehen und erwartete einen Gruß, eine Geste Killigrews – vergeblich.
Hasard sah ihn aus seinen eisblauen Augen an und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Instinktiv erkannte er sofort die Gefährlichkeit dieses Mannes, seine Neigung zu Intrigen und Ränkespiel. Da half auch das wohlwollende Lächeln nichts, das der Spitzbart in seine Züge zauberte, während seine beiden Begleiter sichtlich nervös an ihren Degen herumfingerten.
Innerlich kochte Sir Doughty, auch wenn ihm die Haltung dieses jungen Kapitäns imponierte, aber äußerlich trachtete er seine wahren Gefühle sorgfältig zu verbergen.
Er ging auf Hasard zu.
„Nun, mein lieber junger Freund“, brach er das Schweigen. „Ich freue mich, einen der tüchtigen und tapferen Kapitäne des von uns allen sehr geschätzten und verehrten Francis Drake kennenzulernen. Allerdings will mir scheinen, daß Sie, lieber Freund, für ein solches Kommando doch wohl ungewöhnlich jung sind, nicht wahr? Besonders, wenn es sich um eine so wertvolle Prise handelt wie die „Isabella von Kastilien“. Von Ihrer Tapferkeit und von der Ladung Ihres Schiffes erzählt man sich ja geradezu Wunderdinge, sogar Ihre Majestät, Königin Elisabeth von England, ist auf Sie aufmerksam geworden.“
Bei Hasard lösten diese Worte auf der Stelle etwas aus, das er selbst am ehesten mit dem Kommando „klar Schiff zum Gefecht!“ verglichen hätte. Der Kerl ging ja auf unerhört raffinierte Weise zum Frontangriff über!
Hasard verstand innerhalb von Sekunden. Mit einem Lächeln, das Sir Thomas Doughty noch weniger gefiel als alles Bisherige, was er auf diesem Schiff erlebt hatte, deutete Hasard eine Verneigung an.
„Es freut micht ungemein, daß man von meinen Männern und mir bei Hof eine so hohe Meinung hat, aber trotzdem würde es mich freuen, zu erfahren, mit wem ich eigentlich die Ehre habe.“
Er sah, wie es in den Zügen Sir Doughtys zuckte. Und deshalb fügte er der ersten Demütigung auch sogleich noch eine zweite hinzu. Er wollte diesen aalglatten Mann aus der Reserve lokken.
„Es ist im allgemeinen üblich, daß derjenige, der ein Schiff betritt, sich dem Kapitän vorstellt.“
Sir Doughty schluckte. Aus seinen braunen Augen traf Hasard ein scharfer, unwilliger Blick. Aber dann holte er dennoch das Versäumte nach und nannte seinen Namen.
„Sie wissen jetzt also, wer ich bin, Kapitän Killigrew. Ich gehöre zu den Eignern der „Marygold“, und aus diesem Grund gehört auch diese Prise mit den entsprechenden Anteilen mir. Ich habe Sie aufgesucht, um mir die Ladung des Schiffes anzusehen und ihren Wert zu schätzen. Also seien Sie so freundlich, und begleiten Sie mich dabei, damit Sie mir Fragen, die ich stellen werde, beantworten können.“
Hasard grinste, aber es war ein wölfisches Grinsen, das seine makellosen Zähne bloßlegte.
„Bedaure aufrichtig, Sir. Ich habe Order, diese Ladung und dieses Schiff an Kapitän John Thomas zu übergeben. Besondere Umstände verbieten es mir, außer Francis Drake und Kapitän Thomas sonst irgend jemandem Zugang zur Ladung zu gewähren. Ich kann auch in Ihrem Fall, Sir Doughty, leider keine Ausnahme gestatten.“
Bei seinen letzten Worten waren die beiden Begleiter Doughtys an den Seewolf herangetreten. Ihre Hände flogen förmlich an die Waffen, rissen sie aus den Wehrgehängen, aber Doughty stoppte sie mit einem scharfen Befehl.
Verständnislos starrten sie ihn an, aber dann verfärbten sich ihre Gesichter plötzlich. Wie von Geisterhand herbeigezaubert, schoben sich die Männer der „Isabella“ heran. Sie hielten schwere Belegnägel, Musketen, Entermesser und dicke Knüppel in den Fäusten. Ihre Mienen ließen keinen Zweifel daran, was mit Doughty und seinen Begleitern passieren würde, wenn sie auch nur noch eine Bewegung ausführten, die ihnen nicht gefiel.
Allen voran schoben sich Smoky, der hünenhafte Ferris Tukker, Batuti, Gary Andrews, Matt Davies – der Mann mit dem Eisenhaken –, Blacky und Dan heran. Letzterer trat einem der Begleiter gekonnt auf die Zehen, was der mit einem wüsten Fluch quittierte.
„Wollten Sie etwas sagen, Sir?“ fragte Dan scheinheilig und wippte provozierend mit seinem Belegnagel. Aber Hasard gab ihm einen Wink, sofort von dem Mann abzulassen.
Sir Doughty bewahrte die Fassung. Es wurde ihm höllisch schwer, aber er schaffte es. Er hatte schon ganz andere Situationen gemeistert. Und hier, an Bord dieses Schiffes, hatte er nicht die Spur einer Chance, mit Gewalt zu erreichen, was dieser junge Teufel ihm verwehrte.
Er wiegte statt dessen den Kopf.
„Nun, gut, lieber junger Freund“, sagte er schließlich, und sein Spitzbart vibrierte verräterisch dabei. „Ich gebe zu, daß mich Ihr Verhalten einem Eigner der „Marygold“ und dem besonderen Vertrauen Lord Burghleys gegenüber sehr verwundert, ja, sogar verletzt. Sie wissen doch sicher, wer Lord Berghley ist?“
Hasard verneinte.
„Hm – das freilich ändert die Sache erheblich.“ Sir Doughty warf ihm einen forschenden Blick aus seinen braunen Augen zu und bemerkte, daß Hasard den Lord wahrhaftig nicht kannte. „Ihr Verhalten imponiert mir, Kapitän. Es mag von Kapitän Drake vielleicht ein Fehler gewesen sein, einen so jungen Mann seiner Besatzung mit diesem Kommando betraut zu haben – aber ich habe dennoch den Eindruck, daß die „Isabella von Kastilien“ bei Ihnen und Ihren Männern in ausgezeichneten und sicheren Händen ist. Ich werde mich mit Kapitän Thomas in Verbindung setzen, dann werden sich, denke ich, alle Mißverständnisse leicht klären lassen.“
Er legte eine Pause ein und sah Hasard nachdenklich an.
„Wir beide jedoch, lieber junger Freund, sollten die Zeit, die verstreicht, bis Kapitän Thomas eintrifft, dazu benutzen, einander etwas besser kennenzulernen. Ich werde mir erlauben, Ihnen noch heute eine Einladung zu einem Galadiner im „Queen’s Hotel“ schicken zu lassen. Eine Kutsche wird Sie hier abholen. Es gibt eine ganze Reihe von Herren und Damen, die darauf brennen, diesen jungen Draufgänger kennenzulernen, der es fertigbrachte, mitten aus einem Verband von Kriegsschiffen Ihrer katholischen Majestät von Spanien die „Isabella von Kastilien“ samt ihrer Ladung und Besatzung zu entführen. Ich halte es sogar für möglich, daß Ihre Majestät, die Königin von England, Sie später nach der Rückkehr von Kapitän Drake zu einer Audienz bitten wird. Ich hoffe, Sie schlagen mir diese Einladung nicht ab?“
Hasard erkannte erst in diesem Moment, wie gefährlich Sir Thomas Doughty tatsächlich war. Er hatte seine Einladung so raffiniert formuliert, daß Hasard gar nicht absagen konnte, ohne Sir Thomas Doughty und andere hochgestellte Persönlichkeiten aufs Schwerste zu brüskieren. Das aber wäre ganz gewiß etwas gewesen, was auch Francis Drake keineswegs gutgeheißen hätte, denn auch er war darauf angewiesen, daß die Krone weiterhin finanzielle Mittel zur Verfügung stellte, um mit ihnen neue Schiffe und neue Reisen ausrüsten zu können.
„Ich nehme Ihre Einladung an, Sir Doughty. Ich freue mich, daß Sie Verständnis für meine Situation haben“, erwiderte Hasard, und diese beiden Sätze kosteten ihn erhebliche Überwindung.
Er spürte die Gefahr, die sich hinter der Einladung dieses aalglatten Mannes verbarg. Aber er konnte genausowenig wie Sir Thomas Doughty wissen, daß durch diese Einladung noch eine ganz andere, weitaus schlimmere Gefahr auf ihn zukam – aus dem Hinterhalt.
Sir Doughty nickte.
„Gut, gut, mein lieber junger Freund. Wir sehen uns also heute noch. Und ich verspreche Ihnen, daß Sie den Abend in allerbester Erinnerung behalten werden. Ich kenne da eine junge Lady, eine Schönheit, möchte ich meinen, die darauf brennt, Sie kennenzulernen. Viel Glück, junger Freund. Ich werde dafür sorgen, daß diese junge schöne Lady Ihre Tischdame sein wird.“
Sir Doughty zwinkerte Hasard vertraulich zu. Dann winkte er seinen beiden Begleitern und verließ mit ihnen das Schiff.
Hasard begleitete ihn bis zur anderen Galeone, die Höflichkeit verlangte diese Geste von ihm. Dann kehrte er zum Quarterdeck und zu seinen Männern zurück. Er hörte, wie die Karosse mit Sir Thomas Doughty davonfuhr, und gleichzeitig grübelte er darüber nach, woher dieser Mann seine umfassenden Informationen haben mochte. Wußte Doughty, daß die „Isabella“ dreißig Tonnen Silberbarren in ihrem Bauch hatte? Hatte er auch von den Karten Kenntnis erhalten?
Hasard dachte den Gedanken nicht zu Ende. Er ging in seine Kammer im Achterkastell der „Isabella“ und tauchte erst nach gut zwei Stunden wieder an Deck auf.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Jetzt konnten sie tun, was sie wollten – die Karten würden sie nur noch entdecken, wenn sie die „Isabella“ auseinandernahmen.