Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 42

5.

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In der Nacht hatten sie ihren Kurs auf Nord geändert. Der steife Wind wehte immer noch aus südöstlicher Richtung. Sie segelten mit vollem Zeug unter Backstagswind. Hasard war aufgeblieben und hatte Ben Brighton unter Deck geschickt, damit auch der Bootsmann eine Mütze voll Schlaf nehmen konnte. Der vierschrötige Blacky schob Wache am Niedergang zum Lagerraum, wo die gefangenen Spanier untergebracht waren. Ab und zu holte er etwas unter seiner Segeltuchjacke hervor und setzte es an den Mund. Hasard vermutete, daß er sich etwas von dem Wein für die kühle Nacht aufgehoben hatte.

Vor der Offizierskammer, in der sich der Capitan befand, war niemand mehr. Hasard hatte die Tür abschließen lassen. Das Fenster zur Heckgalerie hatte Ferris Tucker so verschalkt, daß Valdez nicht einmal mit einer Axt hindurchgekommen wäre Außerdem glaubte Hasard nicht, daß Valdez noch einmal den Mut fand, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Der Mann war zerbrochen. Die Gewißheit, daß er einen steifen Arm behalten würde, der seine Karriere als Seeoffizier der spanischen Marine beendete, setzte ihm sicher schwer zu.

Im ersten Morgengrauen ließ Hasard Ben Brighton wecken. Der Bootsmann tauchte wenig später mit wehender Jacke und offenem Hemd neben dem Seewolf auf. Sein Gesicht war schuldbewußt.

„Ich habe geschlafen wie eine Ratte. Ich …“

Hasard winkte ab.

„Du hast den Schlaf dringend gebraucht, Ben“, sagte er. „Du hättest dir auch noch die Zeit nehmen können, deine Hose zuzubinden und das Hemd am Kragen zu schließen.“

„Entschuldigung …“ Brighton wurde tatsächlich noch rot. Aber Hasard wußte, daß es weniger seine Verlegenheit als seiner Wut zuzuschreiben war, daß er sich von einem grünen Jungen so etwas sagen lassen mußte.

„Ich werde mich jetzt hinlegen, Ben“, sagte Hasard, ohne sich weiter um den Bootsmann zu kümmern, der hastig an seinem Gürtel herumfummelte. „Wenn die Sonne zwei Strich über der Kimm steht, weck mich bitte. Ich möchte dann alle Mann an Deck sehen. Bereite die Männer darauf vor, daß es heute was zu schwitzen gibt.“

„Aye, aye“, brummelte Ben Brighton hinter Hasard her, der unter der Poop in dem Gang verschwand, der zu seiner Kammer führte. Fluchend riß er an dem Band, das vorn seine Hose zuhalten sollte und sich verheddert hatte, bis er die Geduld verlor und es einfach mit einem Messer auftrennte. Er war wütend bis in die Zehenspitzen. Schon lange hatte ihn keiner mehr so auf die Mastspitze gebracht wie dieser junge Teufel, der das unverschämte Glück hatte, von Francis Drake bemerkt worden zu sein.

Lamgsam beruhigte sich Ben Brighton, und bald konnte er schon wieder grinsen. Es mußte wahrlich ein erhebender Anblick für den jungen Killigrew gewesen sein, wie der altgediente Bootsmann Ben Brighton mit halb heruntergelassener Hose vor ihm stand.

Es war ein Tag wie Hasard ihn liebte.

Der Wind blies nach wie vor kräftig genau aus der Richtung, die er sich wünschte. Weiße, zu mächtigen Bergen getürmte Wolken jagten unter einem strahlenden Himmel dahin. Die See ging hoch, und manchmal hatte Hasard das Gefühl, daß die Wellen seinem Schiff davonliefen.

An Bord der „Isabella“ hatten sich alle Männer aufgereiht. Nur einer von ihnen stand unter dem Quarterdeck am Kolderstock und hielt die Galeone auf Kurs.

Ben Brighton brüllte seine Meldung, daß alle Männer angetreten seien, gegen den Wind. Hasard deutete mit einer Handbewegung an, daß er verstanden hatte. Er ging zur Balustrade des Quarterdecks vor und blickte aufs Hauptdeck hinunter, wo die Männer entlang der aufgedeckten Gräting standen, durch die Hasard verschwommen die Gestalten der gefangenen Spanier im Dunkeln sehen konnte.

„Ferris!“ rief Hasard dem Schiffszimmermann zu. „Kontrolliere mit allen Mann die Lafetten!“

„Aye, aye!“ Dann jagte Ferris Tuckers mächtiges Organ die Männer über das Deck der „Isabella“.

Hasard rief Ben Brighton zu sich.

„Hast du die Pulvervorräte geprüft, Ben?“ fragte er.

Ben Brighton nickte.

„Die Spanier sind unbehelligt aus der Neuen Welt zurückgekehrt“, antwortete er. „Die zweiunddreißig Pulverfässer sind unberührt – bis auf das eine, das wir angebrochen haben, als die Galeeren uns angriffen.“

Der Seewolf dachte an den Kampf vom vorigen Morgen. Da hatten sie ruhige See gehabt. Die Männer hatten die Kanonen von außenbords mit der Ladeschaufel laden können. Bei schwerem Seegang und in Eile würde das kaum möglich sein. Außerdem hatten sie die Kanonen nur einmal abzufeuern brauchen, um die Gegner kampfunfähig zu schießen. So problemlos würde ein weiterer Kampf sicher nicht ablaufen.

„Wir brauchen Kartuschen, Ben“, sagte Hasard und winkte Ferris Tucker aufs Quarterdeck. „Ich will so viele Kartuschen haben, daß wir mindestens zehn volle Breitseiten abfeuern können.“

„Aye, aye“, sagte Ben Brighton. „Ich werde erst einmal welche für zwei Breitseiten herstellen lassen. Mit den anderen können sich die Männer beschäftigen, wenn sie mit dem Probeschießen fertig sind.“

„Wissen die Männer, was ihnen bevorsteht?“ fragte Hasard.

„Sie freuen sich schon darauf“, erwiderte Ben Brighton, ohne eine Miene zu verziehen. „O’Flynn meinte, er hätte vom vielen Herumsitzen schon Beulen am Hintern.“

„Wie geht es seinem Arm?“

„Vermutlich hat er noch Schmerzen“, sagte der Bootsmann. „Er hat eine schwere Prellung an der Schulter. Sie ist blau unterlaufen. Er wollte aber unbedingt beim Probeschießen dabeisein.“

„In Ordnung, Ben.“

Der Bootsmann holte sich vier Männer und verschwand mit ihnen unter Deck. Zwei von ihnen begannen Kugeln an Deck zu schleppen. Die Männer an Deck hatten neben den einzelnen Geschützen Tauringe gelegt, in die sie die schweren Kugeln placierten. So konnten sie nicht über Deck rollen. Handspake, Ladeschaufel, Ansetzer und Wischer lagen bereit.

Der Seewolf hatte seine Augen überall. Die Männer arbeiteten schnell und geschickt. Sie schienen zu wissen, daß diese Übung nicht abgehalten wurde, um sie zu schikanieren. Es ging um ihr Prisengeld. Denn wenn sie es erhalten sollten, mußten sie jederzeit bereit sein, dafür zu kämpfen. Die meisten von ihnen waren lange genug zur See gefahren, um zu wissen, wie wichtig es war, eine eingespielte Mannschaft zu seih, wenn es hart auf hart ging.

Ferris Tucker erstattete Meldung.

„Alle Lafetten und Brooks in Ordnung.“

„Danke, Ferris“, sagte Hasard nachdenklich. Dann blickte er den rothaarigen Riesen an. „Die Spanier haben immer außenbords geladen, Ferris. Sie konnten es sich leisten, ein paar Männer dabei zu verlieren. Wir sind zu wenige. Jeder Verlust würde uns schwer treffen. Was meinst du? Wieviel Zeitverlust müssen wir in Kauf nehmen, wenn wir die Kanonen zum Laden einholen?“

„Wir können sowieso nicht alle Kanonen auf einmal wieder laden“, sagte Ferris Tucker. „Ich habe während der Nacht schon darüber nachgedacht. Ich habe stärkere Taljen an die Lafetten angebracht. Wir müssen die Geschütze nach dem Feuern sofort einziehen und schwenken, damit die Männer noch Platz genug haben, sich auf Deck zu bewegen. Ich habe alles mit den Männern schon durchgesprochen.“

„Wir werden sehen, ob es klappt“, sagte Hasard knapp. Damit war Ferris Tucker wieder entlassen. Er eilte hinunter aufs Hauptdeck, und Hasard sah, wie er eindringlich auf die Männer einsprach.

Der Seewolf grinste leicht. Er konnte sich denken, was Tukker den Leuten dort unten erzählte. Wahrscheinlich wollten sie es dem grünen Jungen von der Poop zeigen, was ein richtiger Mann zu leisten imstande war.

Hasard war es gleichgültig, als welchem Grunde sie Leistungen vollbrachten. Wichtig war nur, daß sie Plymouth erreichten, um den unbezahlbaren Schatz, den sie den Spaniern entrissen hatten, Francis Drake zu überreichen.

Nach einer Weile erschien Ben Brighton wieder an Deck. Der Kutscher und Smoky schleppten die Kartuschen zu den einzelnen Geschützen.

Hasard rief Ben Brighton zu sich.

„Du übernimmst während der Übung das Schiff“, sagte Hasard und fuhr fort, ohne den überraschten Gesichtsausdruck des Bootsmanns zu beachten: „Ich werde hinunter zur Geschützmannschaft gehen. Suche vier Leute aus, die das Schiff so trimmen, wie ich es für das Schießen brauche. In einem Ernstfall werden wir es ebenso halten, verstanden?“

„Aye, aye“, sagte Ben Brighton. Kopfschüttelnd blickte er dem jungen Killigrew nach, als er aufs Hauptdeck hinunterstieg. Wo hatte es so etwas schon einmal gegeben? Der Kapitän eines Schiffes begab sich freiwillig während eines Kampfes aufs Hauptdeck, um mit seinen Männern Seite an Seite zu kämpfen?

Ben Brighton konnte nicht umhin, den Mut des jungen Killigrew zu bewundern. Er war plötzlich dem Schicksal dankbar, daß es ihn mit diesem Jungen, der seinem Kriegsnamen Seewolf alle Ehre machte, zusammengebracht hatte. Ben Brighton dachte an die vielen jungen Lords, die er in den letzten Jahren kennengelernt hatte und die sich einbildeten, allein aufgrund ihrer Herkunft befähigt zu sein, eine Führerrolle zu übernehmen. Keiner von ihnen hatte je nur ein Wort mit einem Mannschaftsmitglied gesprochen. Die meisten hatten sich hauptsächlich in ihrer Kammer aufgehalten, vornehmlich, wenn es draußen gefährlich wurde.

Dieser Killigrew steckte sie alle in die Tasche, und Ben Brighton war weitsichtig genug, um zu erkennen, daß in dem Seewolf ein Seefahrer heranwuchs, der sich eines Tages einen Namen machen würde, der sich durchaus mit dem Ruf Francis Drakes messen konnte.

Der Bootsmann schüttelte die Gedanken ab. Er rief vier Männer zu sich und teilte sie ein. Er ließ die Blinde unter dem Bugspriet einholen und sämtliche Bonnets loswerfen, damit die Geschützmannschaften nicht behindert wurden und die Handhabung der Segel einfacher war.

Sie hatten eine Breitseite an Steuerbord abgefeuert, und jetzt kam es auf die Zeit an, die sie brauchten, die zweite Breitseite abzugeben und gleichzeitig die abgefeuerten Geschütze wieder zu laden.

Philip Hasard Killigrew stand mitten im Pulverqualm, der das ganze Hauptdeck einhüllte. Er brüllte Ben Brighton einen kurzen Befehl zu, und die Männer, die die Segel bedienten, arbeiteten wie die Irren. Brighton ließ das Schiff halsen, damit sie die Backbordgeschütze an den imaginären Feind bringen konnten.

Hasard hörte die angstvollen Schreie aus dem Lagerraum. Er grinste. Die Spanier dachten wohl, die „Isabella“ sei in ein Gefecht verwickelt.

Neben ihm löste Blacky das mächtige Brooktau einer Kanone, um sie schwenken zu können. In diesem Augenblick krängte die „Isabella“.

Das Geschütz begann zu rutschen. Blacky schrie auf und stieß den Kutscher zur Seite, der hinter der Lafette gestanden hatte. Der dünne Mann wurde auf den Rücken geschleudert. Nur ein paar Zoll an seinem Kopf vorbei rollte eines der massiven Lafettenräder.

Der Seewolf erfaßte die Situation mit einem Blick. Wenn die schwere Kanone ihre Richtung beibehielt, mußte sie im nächsten Augenblick durch die Gräting krachen, unter der die gefangenen Spanier im Frachtraum saßen. Das Geschütz würde nicht nur ein paar Spanier töten. Es würde mit seinem Gewicht bis zur Bilge durchschlagen und mit aller Wahrscheinlichkeit ein großes Loch in den Rumpf reißen.

Hasard packte den Richtkeil, der zu seinen Füßen lag, und warf sich nach vorn. Mit einem kräftigen Stoß hieb er den Keil unter das linke Hinterrad der Lafette.

Einen Moment lang sah es aus, als würde die Lafette umstürzen. Die Beschläge der Schildzapfen schienen sich zu biegen. Hasard betete, daß sie hielten.

Blacky und zwei weitere Männer stürzten herbei und packten das lose Brooktau. Sie zerrten mit aller Kraft daran, und sie schafften es, die Lafette wieder auf alle vier Räder zu bringen.

Die Galeone hatte die Halse beendet.

Der Seewolf sprang auf und schrie die Männer an, die atemlos zugeschaut hatten.

„An die Backbordgeschütze! Bei drei wird gefeuert! Eins – zwei – drei! Feuer!“

Die „Isabella“ bebte unter den Kräften, die frei wurden, als die schweren Geschütze ihr Eisen aus dem Rohr fauchten, Wieder hüllten Pulverdampf Schwaden das Hauptdeck ein.

Hasard packte mit an, um die losgerissene Kanone an die Stückpforte heranzubringen. Bei den anderen Kanonen waren die Männer bereits dabei, die Läufe mit der Handspake und dem Rohrwischer von glimmenden Pulver- und Kartuschenresten zu reinigen. Dan O’Flynn schob ein paar Yards von Hasard entfernt einen mit Seewasser getränkten Schwamm in das Rohr und stieß ihn hinein, um es zu säubern und abzukühlen. Ein anderer Mann kratzte mit dem Zündlochbohrer den Zündkanal aus.

Während O’Flynn zum nächsten Geschütz hastete, um das Rohr zu reinigen, führte ein Mann die halbzylindrische Ladeschaufel, die mit Pulver gefüllt war, in das saubere Rohr, bis sie den Seelenboden berührte. Dann drehte er die Schaufel vorsichtig, um das Pulver in die Kammer des Stückes zu entleeren. Er zog die Ladeschaufel darauf fast bis zur Mündung wieder heraus und führte sie dann erneut ein, um die losen Körner aufzunehmen, die beim ersten Einführen verlorengegangen waren.

Hasard wurde sich in diesem Augenblick klar, daß sie sich diesen Ladevorgang mit nur sechzehn Mann Besatzung, von denen einige noch das Schiff manövrieren mußten, nicht leisten konnten, wenn es zu einem Gefecht kam. Wenn sie ihr Probeschießen beendet hatten würde er alle verfügbaren Männer daran setzen, Kartuschen aus Segeltuch herzustellen, um das Pulver schneller in die Kammer zu bringen.

Für die schweren Geschütze mußte der Mann die Ladeschaufel dreimal einführen, um die Kammer mit Pulver zu füllen.

Ein dritter Mann begann danach, Werg und altes Tauwerk mit dem Ansetzer auf das Pulver zu rammen. Ferris Tucker hatte seinen Daumen in den Zündkanal gesteckt, damit das grobe Pulver nicht hineingepreßt wurde und ihn verstopfte.

Ein Mann hob eine Kugel aus dem Grummet und schob sie in die Mündung. Langsam ließ er sie ins Rohr rollen. Der Mann mit dem Ansetzer stopfte abermals Dämmaterial nach und rammte es mit kräftigen Stößen fest. Dabei stand er seitlich vom Rohr. Zu oft schon war es passiert, daß im Kampfeseifer eine Kanone einmal zu früh losging und der Mann, der sie gerade lud, in alle Winde geblasen wurde.

„Schneller, ihr Lahmärsche!“ brüllte der Schiffszimmermann und jagte die Leute zur nächsten Kanone, während er selbst aus einem Pulverhorn, das er an einem Seil um den Hals hängen hatte, das feine, „scharfe“ Pulver in den Zündkanal füllte. Kaum war er damit fertig, brüllte O’Flynn rechts von ihm: „Geschütz klar!“

Jetzt ging es Schlag auf Schlag.

Hasard lachte das Herz im Leibe, als er die Männer beobachtete. Ferris Tucker hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Sie waren aufeinander eingespielt, als hätten sie schon zehn Jahre lang auf einem Batteriedeck zusammengearbeitet.

Ben Brighton hatte bereits wieder gehalst, und er war mit dem Manöver noch nicht ganz fertig, da brüllte Ferris Tucker: „Steuerbord bereit zur Breitseite!“

Hasard wartete ab, bis die Galeone am Wind lag, dann schrie er: „Feuer!“

Die Geschütze brüllten auf.

Der Seewolf kniff die Augen zusammen, um durch die Pulverdampfschwaden den Einschlag der Eisenkugeln erkennen zu können. Dann sah er die Wasserfontänen in kurzen Abständen nacheinander hochspritzen.

Hasard beglückwünschte sich dazu, daß er einen Mann wie Ferris Tucker an Bord hatte. Der Mann war nicht nur ein ausgezeichneter Schiffszimmermann – er war der geborene Stückmeister. Wenn Hasard nicht alles täuschte, lagen die Einschläge der Kugeln in der Entfernung kaum zehn Yards auseinander. Das Schiff, das diese Ladung hätte schlucken müssen, wäre in zwei Teile gerissen worden.

Ben Brighton fuhr die nächste Halse. Die Backbordgeschütze waren bereits wieder gereinigt. Das Laden begann.

Hasard winkte Ferris Tucker zu. Das Gesicht des rothaarigen Riesen glühte vor Eifer.

„Genug, Ferris!“ rief Hasard hinüber. „Das war schon sehr gut. Wenn die Männer sich im Gefecht noch steigern, brauchen wir uns vor niemandem zu fürchten.“

„Aye, aye!“ brüllte Ferris Tucker. Er wandte sich an die Männer, die die Geschütze bedient hatten und nun in ihrer Arbeit innehielten. Ihre Gesichter waren geschwärzt vom Pulverrauch, Schweiß rann ihnen in Bächen von der Stirn. Dan O’Flynns Hemd war zerrissen. Der riesige blutunterlaufene Fleck auf seiner linken Schulter war deutlich zu sehen. Er mußte noch höllische Schmerzen haben, aber in diesem Augenblick dachte er nicht daran.

Neben ihm stand Batuti, der große Gambia-Neger. In seinem Gesicht waren die schneeweißen Zähne und die leicht geröteten Augäpfel zu sehen, die er wild rollte.

Der vierschrötige Blacky hatte sich auf seinen Ansetzer gestützt. Sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich unter tiefen Atemzügen. Smoky, der frühere Decksälteste der „Marygold“, hatte eine blutende Schmarre quer über der linken Wange. Er hatte es noch nicht bemerkt.

Selbst der schmächtige Kutscher, dem nichts mehr zuwider war als harte Arbeit, hatte sich als ganzer Mann bewiesen. Als er das erstemal die Ladeschaufel mit dem Pulver in das Rohr eingeführt hatte, hatten seine Hände noch gezittert – dann hatte er schnell und sicher gearbeitet wie alle anderen. Niemand wunderte sich jetzt mehr darüber als der Kutscher selbst.

„Habt ihr gehört, ihr lahmen Enten?“ schrie Ferris Tucker. „Dem Kapitän hat eure Arbeit gefallen, obwohl ihr langsam wie Schnecken gewesen seid. Das nächstemal werdet ihr euch ein bißchen beeilen, sonst ziehe ich euch die Hammelbeine lang, verstanden?“

„Aye, aye, Sir!“ donnerte es aus einem Dutzend Kehlen über das Deck der „Isabella“.

An dem Niedergang zum Quarterdeck drehte sich Hasard um.

„Laß das Deck säubern, Ferris“, sagte er. „Wenn die Männer damit fertig sind, erhält jeder noch eine Flasche Wein aus dem Vorrat von Capitan Valdez.“

Ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Die Männer ließen ihren Seewolf hochleben, daß die eingeschüchterten und ängstlich nach oben zur Gräting starrenden Spanier denken mußten, das Häuflein Engländer hätte mit der „Isabella“ ganz allein die spanische Flotte versenkt.

Ferris Tucker ließ als erstes die Geschütze festzurren, damit ihnen nicht noch so ein Mißgeschick widerfuhr wie vorhin. Er brauchte die Leute nicht anzufeuern. Jeder war darauf erpicht, so schnell wie möglich fertig zu werden, um eine Flasche Wein in Empfang nehmen zu können.

Nach kurzer Zeit blitzte das Deck, als hätte es das Übungsschießen nie gegeben. Ben Brighton, der das Kommando der Galeone wieder an Hasard abgegeben hatte, teilte den Wein aus. Die Blinde war wieder gesetzt und die Bonnets wieder angereiht.

Die Galeone hielt den Kurs Nord und segelte mit Backstagswind und Steuerbordhalsen auf Kap da Roca zu.

Der Seewolf stand auf der Poop und lehnte an der Reling. Der Wind spielte mit seinem schwarzen Haar. Er genoß die brausende Fahrt, und er dachte, daß dies einer der schönsten Tage seines Lebens sei. Er war erst kurz über zwanzig Jahre alt, und er befehligte ein Schiff. Und vor ein paar Stunden hatte Ferris Tucker ihn zum erstenmal und in Gegenwart der ganzen Mannschaft Kapitän genannt.

Es war ein großartiges Gefühl. Hasard hatte von diesem Moment ein Leben lang geträumt, und selbst der alte Killigrew hatte ihm diesen Traum nicht mit der Peitsche austreiben können.

Im Gegenteil. Vielleicht hatte die Peitsche seinen Willen, eines Tages ein Schiff zu führen, nur noch bestärkt. Hasard wußte seit diesem Tag, daß er Männer führen konnte, ohne die Peitsche zu schwingen. Heute hatten ihm erfahrene Männer nicht nur gehorcht, sondern seine Befehle mit Begeisterung ausgeführt.

Hasard war Ferris Tucker und Ben Brighton dankbar, daß sie ihm die Chance gegeben hatten, sich zu bewähren, und er schwor sich, daß er es den beiden Männern niemals vergessen würde.

Hasard war sich darüber im klaren, daß er nur eine Prise unter Befehl hatte und nicht ein Schiff Ihrer Majestät Elisabeth I. Viel Wasser würde noch die Themse hinunterfließen, ehe die Admiralität ihm das Kommando über ein Schiff geben würde. Doch Hasard war entschlossen, mit allen Mitteln darum zu kämpfen. Und zwar, ohne den Namen seines Vaters in die Waagschale zu werfen, wie es viele junge Adelige taten.

Nein, alles konnte Hasard vertragen, nur nicht, ein Verdienst wegen seiner guten Beziehungen zu erhalten. Er war jung und hatte einen klaren Verstand, eine harte Ausbildung und kräftige Fäuste. Damit mußte er es schaffen.

Vielleicht war da noch etwas, das viel mehr wert war als alles andere. Er besaß die Sympathie Francis Drakes. Er wußte, daß Drake nur die Leistungen achtete, und es machte ihn Stolz, daß Drake gerade ihm, dem jungen Killigrew, die Aufgabe übertragen hatte, eine Prise in den Hafen von Plymouth zu bringen.

Hasard dachte mit Schaudern daran, was geschehen wäre, wenn er in Cadiz mit seinen Männern den Spaniern in die Hände gefallen wäre. Er schüttelte den Kopf. Er wollte nicht daran denken. Das Glück ist mit dem Tüchtigen. Ohne Glück konnte ein Mann keine Siege erringen, und wenn er noch so klug und stark war.

Hasard hatte in seinen jungen Jahren schon viele Kapitäne kennengelernt. Die meisten von ihnen wurden von ihren Mannschaften gehaßt und gefürchtet. Die Angst trieb sie zu außergewöhnlichen Leistungen.

Hasard verachtete die Männer, die andere mit der Peitsche beherrschten. Auf seinem Schiff wollte er freie Männer haben, die einen Befehl ausführten, weil sie seinen Sinn verstanden oder den Mann, der sie gab, akzeptierten – und nicht, weil sie sich vor Strafe oder dem Tod fürchteten.

Hasard wußte, daß auf einem Schiff, das mitten auf dem Meer auf sich allein gestellt war, nur ein Mann befehlen konnte. Er würde es auch entschlossen tun. Er konnte nur hoffen, daß er dabei nie so weit gehen würde, daß er sich vor sich selbst schämen müßte.

Auf dem Quarterdeck erschien Batuti, der den Capitan bewacht hatte. Der Schwarze schüttelte den kantigen Wollschädel und schlug sich mit der flachen Hand gegen das linke Ohr. Wahrscheinlich hatte er die Nachwirkungen des donnernden Geschützlärms noch nicht überwunden.

Batuti grinste breit, als er den Seewolf auf der Poop entdeckte.

„Hast du deinen Wein schon ausgetrunken?“ fragte Hasard ihn.

Der Schwarze entblößte seine strahlenden Zahnreihen.

„Aye, aye!“ brüllte er. „Ein Schluck – Wein ist alle. Flasche viel zu klein für Mann wie Batuti.“

„Warte ab, bis wir in Plymouth sind“, erwiderte Hasard grinsend, „dann werden dir die anderen zeigen, was ein englischer Seemann vertragen kann.“

Batuti nickte.

„Kleines O’Flynn hat schon erzählt. Batuti wird saufen wie ein Ochse.“

Hasard hätte beinahe lauthals gelacht. Die Männer erzählten dem gutmütigen Schwarzen wahrscheinlich reine Schauermärchen, wie es im alten England in den Hafenstädten zuging. Hasard nahm sich vor, ein Auge auf Batuti zu halten, wenn sie daheim waren. Der Schwarze war das ideale Opfer für eine raffinierte Preßgang.

Der Schrei einer Möwe lenkte Hasards Aufmerksamkeit zum Himmel, an dem sich unverändert hohe weiße Wolkenberge türmten. Er blickte nach Osten und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, aber er konnte über der Kimm kein Land entdecken. Nach seinen Berechnungen mußten sie zehn Meilen von der portugiesischen Küste entfernt sein. Es war gut möglich, daß sie von einem feindlichen Schiff entdeckt wurden. Einige Franzosen, die sich sonst in der Biskaya mit ihren schnellen Schiffen herumtrieben, waren auch schon an dieser Küste gesichtet worden. Für sie wäre eine einzelne Galeone eine willkommene Beute.

Hasard schickte Batuti in den Mars. Sie konnten nicht vorsichtig genug sein. Nicht nur die Ladung von dreißig Tonnen Silber stand auf dem Spiel, sondern etwas viel Wichtigeres. Hasard mußte die kostbaren Seekarten von der Neuen Welt um jeden Preis zu Francis Drake bringen, denn sie konnten den Beginn einer großen Epoche der englischen Flotte einleiten.

Davon war Philip Hasard Killigrew fest überzeugt.

Seewölfe Paket 1

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