Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 33
8.
ОглавлениеHasard fühlte sich alles andere als wohl, als er den Anker an der Bordwand rumpeln und dann ins Wasser klatschen hörte. Die Gesichter seiner Männer waren blaß und ernst. Wahrscheinlich sahen sich einige von ihnen bereits auf der Plaza von Valladolid und spürten die Hitze unter dem Hintern.
Die „Santa Barbara“ hatte sich dicht neben die „Barcelona“ gelegt. Hasard erhielt zum erstenmal seit zwei Tagen Gelegenheit, mit Ferris Tucker zu sprechen. Die Männer auf der „Santa Barbara“ waren völlig mit den Nerven herunter. Schließlich hatten sie nicht gewußt, was nun eigentlich gespielt wurde.
Hasard beruhigte die Männer. Er sagte ihnen, daß noch nicht alles verloren sei. Seine Worte klangen fest, aber wenn er zu den bis an die Zähne bewaffneten Kriegsgaleonen hinüberlinste, die die Reede von Cadiz abschirmten, glaubte er selbst nicht daran, was er sagte.
Hasard hätte am liebsten seine Wut laut hinausgeschrien. Die ganze Zeit über hatte der Wind ständig von Westen geweht, erst als es zu spät war, aus dem Geleitzug auszubrechen, hatte er gedreht. Seine Stärke hatte eher noch zugenommen, doch jetzt blies er aus dem Mittelmeer in den Atlantik hinaus.
Der Wind war warm, und dennoch fröstelte der Seewolf. Mit großen Augen betrachtete er das heillose Durcheinander, das auf der Reede herrschte. Boote, Barkassen und Kähne pendelten zwischen den einzelnen Schiffen hin und her. An Land waren Soldaten aufgezogen, die eine eigenartige Uniform trugen.
Hasard ging zu Ben Brighton hinüber, der mit Ferris Tukker sprach und ihm einige Anweisungen gab.
„Siehst du die Soldaten dort?“ fragte Hasard. „Was hat das zu bedeuten? Ob sie uns durchschaut haben?“
Ben Brighton schüttelte den Kopf.
„Das sind Männer der Casa“, sagte er. „Sie sorgen dafür, daß niemand von der Silberflotte an Land geht. Sie wollen verhindern, daß sich jemand seinen eigenen Anteil von der Ladung nimmt. Siehst du dort hinten die breiten Boote?“ Er wies mit der rechten Hand zur Mole hinüber.
Hasard sah ein paar Männer, die in Schwarz gekleidet waren. Sie bestiegen gerade die Boote, die von vier Rudergasten gerudert wurden.
„Das sind die Inspektoren der Casa“, fuhr Ben Brighton fort. „Sie gehen jetzt an Bord der einzelnen Schiffe und vergleichen die Ladung mit den Frachtbriefen. Wenn nicht alles haargenau stimmt, ist die Hölle los. Dann landet die gesamte Mannschaft zusammen mit ihrem Kapitän im Kerker von Cadiz, wo sie langsam verrotten, bevor ihnen der Prozeß gemacht wird. Bevor der Inspektor das Schiff nicht betreten hat, darf niemand an Land. Die Soldaten würden ihn ohne weiteres abknallen.“
Hasard biß sich auf die Unterlippe.
„Verdammt, wenn einer von ihnen die ‚Barcelona‘ oder die ‚Santa Barbara‘ betritt, sind wir geliefert!“
Ben Brighton blieb ruhig.
„Laß mich nur machen“, sagte er. „Schließlich sind wir keine Westindienfahrer. Die Casa hat auf unseren Schiffen nichts zu suchen. Ich werde ihnen erzählen, daß wir morgen früh unsere Reise nach Cartagena fortsetzen werden.“
„Und du glaubst, sie lassen sich darauf ein?“ fragte Hasard skeptisch.
Ben Brighton nickte.
„Sie wissen, daß sie große Schwierigkeiten kriegen, wenn sie ihre Kompetenzen überschreiten“, sagte er. „Die Casa hat in Spanien viele Feinde, und die anderen Städte warten nur darauf, Sevilla etwas am Zeuge flicken zu können.“
„Verdammt harte Sitten“, sagte Hasard. „Und ich dachte immer, die Senores stoßen sich gesund, wenn sie eine Fahrt hinter sich haben.“
„Das tun sie auch“, sagte Ben Brighton grinsend. „Sie müssen nur die richtigen Männer schmieren. Auch mit den Inspektoren läßt sich reden, nachdem sie erst einmal den Anteil des Königs an der Ladung gesichert haben. Dann erst wird der Rest der Ladung versteuert. Ein spanischer Kapitän, der es wissen muß, hat mir mal erzählt, daß eine ganze Horde von Beamten, Funktionären und Inspektoren wie die Geier darauf warten, sich ihren Teil an der Silberflotte zu sichern. Und wenn man dann noch eine einflußreiche Persönlichkeit am Hofe kennt, unter deren Schutz man sich stellen kann, ist man in zwei, drei Jahren ein reicher Mann und hat für den Rest seines Lebens ausgesorgt.“
„Lassen sich die Bücher denn nicht nachprüfen? Es gibt doch sicher auch ehrliche Männer unter den Dons, oder nicht?“
Ben Brighton lachte.
„Die Kerle sind raffiniert genug, die Sache so zu drehen, daß sie so schnell nicht überführt werden können“, sagte er. „Als ein mißgünstiger Neider einmal den Tenedor de Prastimentos anzeigte – das ist der Proviantmeister, der sämtliche nach der Neuen Welt auslaufenden Schiffe ausrüstet –, er würde in die eigene Tasche wirtschaften, da brauchten die Beamten der Casa allein ein ganzes Jahr, um die komplizierte Buchhaltung des Mannes vom vorigen Jahr zu überprüfen. Außerdem scheint er einen Teil seines bereits erworbenen Vermögens den Prüfern zugesteckt zu haben, so daß er voll rehabilitiert wurde und auch weiterhin die Casa betrügen konnte.“
Hasard blickte dem Boot nach, das die Inspektoren zu den einzelnen Schiffen brachte. Inzwischen waren weitere Boote vom Ufer abgestoßen und wurden über die Reede gepullt. Eins näherte sich den beiden Galeonen, die von den Engländern gekapert worden waren.
Hasard sah, wie sich die Hände seiner Männer zu Fäusten ballten. Einige von ihnen hielten bereits ihre Waffen in den Händen. Hasard hoffte, daß niemand die Nerven verlor.
Er selbst hatte auch ein flaues Gefühl im Magen, aber er durfte es sich nicht anmerken lassen. Trotzdem tastete seine rechte Hand langsam zum Gürtel, in dem er eine Pistole stecken hatte.
Zum Glück wurde das Boot von der Backbordseite auf die „Barcelona“ zugepullt. Ben Brighton wartete nicht ab, bis die Rudergasten ihr Boot an die Bordwand der „Barcelona“ anlegten.
Er rief hinüber, daß die „Barcelona“ und die „Santa Barbara“ Schiffe aus Cartagena seien, die sich dem Geleitzug aus Neu-Spanien nur angeschlossen hätten, weil sie englische Piraten in der Nähe der Azoren gesichtet hätten. Er gab die Namen der Kapitäne und die Ladung der beiden Schiffe bekannt.
Zu Hasards Erstaunen nickte der Mann der Casa nur und befahl den Rudergasten, das nächste Schiff anzusteuern.
Als es sich entfernt hatte, atmete Hasard heftig aus.
„Verdammt, ich hätte nicht geglaubt, daß sie das schlukken“, sagte er mit heiserer Stimme.
„Sie wissen genau Bescheid“, erwiderte Ben Brighton ruhig, „welches Schiff zur Flota gehört und welches nicht. Bevor sie von Havanna auslaufen, geben sie Bescheid nach Sevilla, welche Schiffe im Geleitzug mitfahren, welche Ladungen sie an Bord haben und wann sie ungefähr in der Heimat eintreffen.“
Hasard blickte Ben Brighton mit zusammengekniffenen Augen an.
„Und weshalb hast du das nicht vorher gesagt?“
Ben Brighton grinste.
„Ich wollte euch nicht die ganze Spannung versauen“, sagte er.
„Das ist dir vollauf gelungen.“ Hasard hätte dem Bootsmann am liebsten einen Belegnagel an den Kopf geworfen. Aber er beherrschte sich. Er hatte jetzt an etwas anderes zu denken. Er glaubte einfach nicht daran, daß die Kriegsgaleonen die beiden Schiffe am nächsten Morgen weiterfahren lassen würden, ohne sie zu kontrollieren.
Er dachte an die letzte Nacht, in der der Mond wiederum eine Flucht verhindert hatte. Ben Brighton hatte vorgeschlagen, die Kanonen der „Barcelona“ außenbords zu hieven, die Männer von der „Santa Barbara“ herüberzuholen und abzuhauen. Bei der steifen Brise hätten sie mit der leichten Galeone eine Chance gehabt, den Kanonen der Kriegsgaleonen zu entkommen.
Hasard hatte sich geweigert, die Kanonen aufzugeben. Verdammt, er wollte um die Prise kämpfen, die Kapitän Drake ihm anvertraut hatte. Und dazu brauchte er die Kanonen.
Sie hatten in der Nacht ein paarmal versucht, sich mit Ferris Tucker zu verständigen, der nur darauf lauerte, daß die „Barcelona“ endlich etwas unternahm. Aber eins der Kriegsschiffe, die „El Bravo“, war die ganze Zeit so dicht hinter ihnen gesegelt, daß sie es nicht gewagt hatten, englische Worte zu wechseln.
Am Nachmittag des folgenden Tages hatten sie dann die spanische Küste erreicht. Den Männern auf den gekaperten Schiffen wurde es immer mulmiger, und Hasard schloß sich da nicht aus. Er hatte versucht, die „Barcelona“ abfallen zu lassen und weit hinter den anderen Galeonen am Tampen des Geleitzuges herumzubummeln, um irgendwann die Gelegenheit zu nutzen und abzuhauen. Aber die „El Bravo“ hatte sie weitergescheucht und ihnen befohlen, gefälligst Anschluß zu halten.
Hasard hatte überlegt, ob er es nicht trotz der Kriegsgaleone wagen sollte, den Kurs zu ändern und nach Norden abzudrehen. Er hatte gesehen, daß die „El Bravo“ alles andere war als ein feuerbereites Kriegsschiff. Die Decks wimmelten von Menschen. Hasard schätzte, daß sich dort mindestens vierhundert Menschen aufhielten, die im Grunde nichts auf einem Kriegsschiff zu suchen hatten. Bevor die Männer der „El Bravo“ ihre Kanonen ausgefahren hätten, wären die „Barcelona“ und die „Santa Barbara“ sicher längst außerhalb ihrer Reichweite gewesen.
Aber leider war die „El Bravo“ nicht das einzige Begleitschiff, und Hasard wußte nicht, ob die anderen Kriegsgaleonen in dem gleichen erbarmungswürdigen Zustand waren wie die „El Bravo“.
Nein, wenn sie sich absetzen wollten, dann mußte es unbemerkt geschehen, oder aber sie konnten sich gleich selbst versenken.
Ben Brighton hatte aufgeatmet, als der Befehl des Admirals der Flota von Schiff zu Schiff weitergegeben wurde, daß die Flota auf der Reede von Cadiz vor Anker gehen würde. Er hatte schon befürchtet, daß die kleineren Schiffe, zu denen auch die „Barcelona“ und die „Santa Barbara“ gehörten, ohne Aufenthalt den Guadalquivir hinauffahren und erst in Sevilla ankern sollten.
Die Männer hatten ihre Zuversicht schnell wiedergefunden. Sie hofften, daß die Aufmerksamkeit auf der Reede von Cadiz nachlassen würde. Die Dons würden sicher nicht damit rechnen, daß zwei ihrer Schiffe plötzlich verschwanden. Wenn der Wind seine Richtung beibehielt, würden sie eben weiter nach Osten fahren und versuchen, an der afrikanischen Küste wieder den freien Atlantik zu erreichen.
Kurz vor Cadiz hatte dann der verdammte Wind um einhundertachtzig Grad gedreht, aber es war zu spät gewesen. Sämtliche Kriegsschiffe hatten sich inzwischen ans Ende des Geleitzuges sacken lassen, um später, nachdem alle Schiffe vor Anker lagen, die Reede abzuschirmen, indem sie sich quer davorlegten – und zwar breitseits zum Ostwind. Die schweren Schiffe zerrten an den Bug- und Heckankern. Hasard vermutete, daß die Kriegsgaleonen zur See hin ihre Kanonen ausgefahren hatten, um jeden nur möglichen Feind von vornherein abzuschrecken. Allein das mußte der Grund sein, daß sie nicht wie jedes der anderen Schiffe im Wind lagen, sondern quer davor.
Hasard sah, wie die ersten Inspektoren die Schiffe verließen und sich an Land zurückpullen ließen. Er kannte den Befehl des Admirals, daß die größeren Schiffe erst am nächsten Morgen entladen werden sollten. Alles, was über zweihundert Tonnen hatte, konnte es nicht wagen, über die Sandbänke von San Lucar vor der Mündung des Guadalquivir zu fahren.
Die Ladungen der großen Galeonen wurden auf kleine Kähne gehievt – alles unter Bewachung durch die Beamten der Casa. Die kleineren Galeonen fuhren den Guadalquivir hinauf und legten an den Kais von Sevilla an – direkt unter dem Torre del Oro, dem Goldturm, in dem die Schätze der Neuen Welt lagerten.
Die Sonne versank glutrot im Meer. Von Osten her schoben sich mächtige Türme von weißen Wolken heran, deren Spitzen von den Strahlen der untergehenden Sonne in ein purpurnes Rot getaucht wurden.
Obwohl sie hier auf der Reede von Cadiz in einer riesigen Falle hockten, genoß Hasard das Bild, das sich seinen Augen bot. Mehr als hundert Schiffe dümpelten auf dem bewegten Wasser. Die ersten Ankerlaternen wurden gesetzt. Etwa eine Kabellänge von der „Barcelona“ entfernt lagen zwei riesige Galeassen. Hasard hatte von den Schiffen gehört, die vor fünf Jahren die Schlacht von Lepanto entschieden hatten, als die päpstliche Flotte, vereinigt mit den Spaniern, Genuesen und Venezianern die Türken vor der Küste Griechenlands vernichtend schlugen.
Der Rumpf der Galeassen war bedeutend kräftiger und widerstandsfähiger als bei den Galeeren. Sie hatten nicht nur Bugkanonen, sondern auch Geschütze an Steuerbord und Backbord. Sie waren wendig wie eine Galeere, doch ihre Hochsee-Eigenschaften waren nicht sehr gut.
Auf den Galeassen blieb es dunkel, während auf den Galeonen der Flota ein reges Leben herrschte. Auf fast allen Schiffen war inzwischen ein Inspektor der Casa gewesen, und wahrscheinlich begann man, nachdem der Anteil des Königs festgelegt war, jetzt darum zu feilschen, was in die eigene Tasche und was in die Lagerhäuser der Casa wandern sollte.
Die Kähne und Barkassen der Casa-Inspektoren waren verschwunden. Dafür setzte ein reger Verkehr unter den einzelnen Schiffen ein. Überall wurden Boote zu Wasser gelassen. Wahrscheinlich waren viele Kapitäne miteinander befreundet und nutzten die erste Gelegenheit, sich nach der sechzigtägigen Fahrt wiederzusehen und eine Flasche Wein miteinander zu trinken.
Hasard war so in Gedanken versunken, daß er regelrecht zusammenzuckte, als Ben Brighton ihn am Arm herumzog.
„Da!“ sagte er nur und wies auf ein kleines Boot, das von zwei spanischen Seeleuten direkt auf die „Barcelona“ zugepullt wurde.
Hasard kniff die Augen zusammen. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und die Dunkelheit senkte sich schnell über das Land. Hasard erkannte am Heck des Bootes einen Mann in eleganter Kleidung. Der weiße Spitzenkragen leuchtete.
„Was mag der von uns wollen?“ fragte er verblüfft.
Ben Brighton atmete schneller als gewöhnlich. Seine breiten Schultern hoben sich. Hasard wartete seine Antwort nicht ab. Er lief zur Quarterdecksbrüstung und rief Dan O’Flynn leise zu, er solle Ferris Tucker und die anderen Männer von der „Santa Barbara“ herüber auf die „Barcelona“ holen. Carter solle als Ankerwache drübenbleiben und einen Stummen markieren, falls jemand ihn ansprechen sollte.
„Aye, aye, Sir“, flüsterte Dan. Er hatte genau wie die anderen das Boot ebenfalls entdeckt und wußte, was jetzt auf dem Spiel stand.
Dicht vor dem Bug der „Barcelona“ hielt das Boot an.
„Hola, nave!“ rief der Mann, der aufgestanden war. „Hier ist Capitan Romero Valdez von der ‚Isabella von Kastilien‘. Wo ist denn Señor Juan Descola, mein alter Compadre? Hat er seine Saufnase schon in einen Krug Wein getaucht?“
Ben Brighton übersetzte die Worte hastig und blickte den Seewolf fragend an.
Hasard überlegte fieberhaft. Entweder ließ er den Capitan der „Isabella“ an Bord und nahm ihn als Gefangenen mit, oder aber er versuchte, den Mann abzuwimmeln, indem er erklärte, der gute Juan Descola läge seit einem halben Jahr krank darnieder, und er, Alfonso Sowieso, hätte jetzt die „Barcelona“ unter seinem Kommando. Die Wahrscheinlichkeit, daß Valdez in Westindien von Descola gehört hatte, war gering, aber vielleicht war Valdez ein mißtrauischer Mensch. Andererseits würde die Mannschaft der „Isabella“ sicher Alarm schlagen, wenn die „Barcelona“ am nächsten Morgen auslief, ohne daß ihr Capitan auf die „Isabella“ zurückgekehrt war.
„Hola! Was ist los?“ rief der Spanier ungeduldig.
Ben Brighton blickte Hasard fragend an.
„Hol ihn an Bord“, sagte Hasard entschlossen. „Sag ihm, daß Kapitän Descola schon in seiner Kammer sitzt und seinen Madeira säuft.“
Ben Brighton fand keine Zeit, Einwände zu erheben. Hasard hatte sich bereits umgedreht und Blacky einen Wink gegeben, die Jakobsleiter hinunterzulassen. An der anderen Seite des Schiffes kletterten gerade Ferris Tucker, Pete Ballie und die anderen Männer der „Santa Barbara“ über das Schanzkleid an Bord.
Ferris Tuckers schwarze Lockenperücke hing ihm schief ins Gesicht, und er knurrte etwas, als er Dan O’Flynns Grinsen bemerkte. Mit einer kurzen Handbewegung scheuchte Hasard die Männer über Deck. Er zog Ferris Tukker am Ärmel und stieg den Niedergang zum Quarterdeck hinauf. Hasard wollte sich in der Kapitänskammer auf die Lauer legen.
Ben Brighton war inzwischen in die Kuhl hinabgestiegen, um Capitan Romero Valdez in Empfang zu nehmen. Er zischte Blacky und den anderen etwas zu, und die Männer mimten spanische Seeleute, die beim Aufklaren des Decks waren. Dan O’Flynn begann sogar damit, ein paar spanische Brocken zu palavern, und Ben Brighton hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, so scheußlich klang das.
Zum Glück war Capitan Romero Valdez nicht mehr ganz nüchtern. Außerdem war er völlig sorglos. Während der zweimonatigen Fahrt von Westindien herüber in die Heimat hatte er Tag und Nacht mißtrauisch das Meer beobachten müssen. Hier, im sicheren Hafen von Cadiz, brauchte er nichts mehr zu befürchten.
Ben Brighton half dem Capitan die Stufen zum Quarterdeck hoch und führte ihn durch den Gang in die Kapitänskammer.
Romero Valdez öffnete die Tür selbst. Sein Gesicht strahlte vor Wiedersehensfreude. Er wollte schon die Arme ausbreiten, als er den fremden jungen Riesen vor dem Schreibtisch stehen sah.
Er blickte in zwei eisblaue Augen, die aus einem Gesicht schauten, das von Wind und Wetter gezeichnet war. Ein Gesicht, das Härte und Wildheit verriet. Dieser große junge Mann strahlte etwas aus, das Romero Valdez zusammenzucken ließ.
Daß er nicht Juan Descola war, hätte selbst ein Blinder gemerkt. Romero Valdez aber hatte einen Instinkt, der ihn vor einer drohenden Gefahr warnte.
Dieser Mann dort vor dem Schreibtisch war eine Gefahr für ihn, das merkte er trotz des Alkohols, den er schon an Bord seines Schiffes getrunken hatte. Er griff zur Hüfte, an der sein Toledo-Degen hing. Gleichzeitig wollte er einen Schritt zur Seite treten, um aus dem Wirkungskreis des Mannes zu kommen, der hinter ihm stand.
Eine riesige Pranke legte sich um sein rechtes Handgelenk. Romero Valdez schrie leise auf. Er wollte den Degen herausreißen, aber die Faust, die seinen Arm gepackt hatte, war wie ein Schraubstock.
Der Capitan drehte den Kopf. Er sah einen grimmig dreinblickenden Riesen mit einer schwarzen Lockenperücke, die zu ihm paßte wie eine Wollmütze zu einer Hafenratte.
Valdez blieb nichts anderes übrig, als den Knauf seines Degens loszulassen, wenn er sich seinen Arm nicht brechen lassen wollte.
Mit der anderen Hand zog Ferris Tucker den Toledo-Degen aus der Scheide und reichte ihn Hasard.
„Durchsuch ihn nach weiteren Waffen, Ferris“, sagte Hasard und richtete die Spitze des Degens auf die Magengegend von Romero Valdez.
Ferris Tucker tastete den Spanier ab, fand aber keine Pistole und kein Messer. Er stieß den Capitan auf den Schreibtisch zu. Dabei rutschte ihm die Perücke vollends ins Gesicht. Er fluchte laut, riß sich das Ding vom Kopf und feuerte es in eine Ecke.
Der Capitan der „Isabella von Kastilien“ stand mit leicht gekrümmtem Rücken vor Hasard und Ben Brighton. Seine Benommenheit, die vom genossenen Wein herrührte, war wie weggewischt. Seine schwarzen Augen huschten durch den Raum, als ob sie einen Ausweg suchten.
Valdez hatte inzwischen begriffen, und je mehr er über diese Ungeheuerlichkeit nachdachte, desto größer wurde seine Angst. Wenn die Engländer es gewagt hatten, mit einer riesigen spanischen Flota zu segeln und rotzfrech auf der Reede von Cadiz zu ankern – unter den Kanonen von zehn großen Kriegsgaleonen! –, dann würden sie sicher nicht zögern, das Leben eines spanischen Kapitäns auszulöschen, wenn er ihren Zielen im Wege stand.
Hasard beobachtete das Mienenspiel des Spaniers. Er konnte in dem bleichen Gesicht lesen wie in einem Buch. Er sah, wie das Entsetzen des Capitans von Sekunde zu Sekunde größer wurde.
Hasard begann zu grinsen und bedeutete dem Spanier mit einer einladenden Handbewegung, Platz zu nehmen. Ferris Tucker trat hinter den Capitan und rammte ihm einen Stuhl in die Kniekehlen, daß ihm gar nichts anderes übrigblieb, als sich zu setzen.
Hasard holte eine Flasche Wein hervor und schenkte zwei Gläser voll, die auf dem Schreibtisch standen. Er schob das eine dem Capitan zu und nahm das andere hoch.
„A su salud, capitan!“ sagte er und setzte sein Glas an die Lippen. Über den Rand des Glases hinweg musterte er den Spanier, der sich nicht rührte.
„Wenn er nicht will …“, sagte die tiefe Stimme von Ferris Tucker, und ehe Hasard etwas sagen konnte, hatte der Riese das Glas geschnappt und sich den Inhalt in den Hals geschüttet.
Hasard übersah es großzügig. Er wandte sich an Ben Brighton, der die Szene grinsend beobachtet hatte.
„Frag den Don, woher er aus Westindien kommt“, sagte er.
„Vielleicht verrät er uns auch, was seine ‚Isabella‘ geladen hat.“
Ben Brighton stellte die Fragen auf Spanisch.
Romero Valdez hatte nicht vor, als Held zu sterben. Seine Worte sprudelten nur so heraus. Bis auf den Namen Porto Bello verstand Hasard gar nichts, obwohl er von Ben Brighton schon allerhand gelernt hatte.
Hasard blickte Ben Brighton an. Der Bootsmann war plötzlich ernst geworden, und Hasard hatte das Gefühl, als ob Ben nicht gern wiederholte, was der Spanier gesagt hatte.
„Nun, was hat er gesagt?“ fragte er gespannt.
„Er hat drei Monate in Porto Bello gelegen“, erwiderte Ben Brighton zögernd.
„Und?“ fragte Hasard unwillig. „Er hat doch eine ganze Weile gequatscht, das kann doch nicht alles gewesen sein, was er gesagt hat!“
Ben Brighton seufzte gottergeben. „Seine Ladung besteht aus Silberbarren.“
„Und wieviel?“ fragte Hasard, der langsam wütend wurde. „Verdammt, Ben, laß dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“
Ben Brighton holte tief Luft, bevor er antwortete.
„Dreißig Tonnen“, sagte er mürrisch.
Hasard vergaß für einen Moment das Atmen.
Dreißig Tonnen Silber!!
Ein unermeßlicher Schatz. Hasard mochte gar nicht daran denken, wie viele Schiffe dafür gebaut werden konnten, die Englands Seemacht auf den Ozeanen vergrößerten.
Ben Brighton seufzte leise. Er hatte nicht umsonst mit der Antwort gezögert. Am liebsten hätte er dem jungen Seewolf verschwiegen, was sich in den Laderäumen der „Isabella“ befand. Der Köder war viel zu groß, als daß ein Mann wie Philip Hasard Killigrew nicht danach schnappen würde.
Der Bootsmann hatte schon gehofft, am nächsten Morgen unbehelligt von den Kriegsgaleonen von der Reede vor Cadiz verschwinden zu können. Doch jetzt sah er das Blitzen in den eisblauen Augen des Seewolfs, und er wußte, daß ihnen die größte Gefahr noch bevorstand.
Ben Brighton hatten die Haare beim Unternehmen vor der Bucht von Punta Lagens schon zu Berge gestanden, doch gegen das, was sie hier auf der Reede vor Cadiz erwartete, wenn sie es wagen sollten, die „Isabella“ zu kapern, war der Angriff auf die einzelne Kriegsgaleone vor Flores nur ein Kinderspiel gewesen.
„Frag ihn, wie viele Männer er an Bord hat.“ Hasards Stimme klang heiser. Er blickte Ben Brighton nicht an. Seine brennenden Augen waren auf den Capitan gerichtet.
Ben Brighton übersetzte die Frage ins Spanische. Als er die Zahl hörte, atmete er etwas auf. Achtundvierzig Männer! Auch dieser verdammte Seewolf mußte einsehen, daß es unmöglich war, gegen eine dreifache Übermacht zu kämpfen. Und selbst wenn sie es schafften, die Männer der „Isabella“ zu überwältigen – wie sollten sie an den Kriegsgaleonen vorbei die freie See gewinnen? Eine einzige Breitseite genügte, um die „Isabella“, die mit einer solchen Ladung sowieso nicht sehr beweglich war, auf den Grund des Meeres zu schicken.
Ben zuckte mit den Schultern.
„Keine Chance, Hasard“, sagte er. „Selbst wenn wir die ‚Barcelona‘ und die ‚Santa Barbara‘ zurücklassen, können wir mit sechzehn Mann gegen die Dons nichts ausrichten.“
„Hm“, machte Hasard und kratzte sich am Hinterkopf.
Ben Brighton stöhnte laut auf. Er wußte dieses „Hm“ genau zu deuten. Der Teufelsbraten von einem Killigrew war am Überlegen, wie er das Ding schaukeln konnte.
„Natürlich müssen wir die ‚Barcelona‘ und die ‚Santa Barbara‘ opfern“, sagte Hasard nachdenklich. „Schließlich ist das Silber tausendmal mehr wert als die beiden Galeonen mit der Ladung. Das Kapern ist keine Schwierigkeit, denn die Überraschung ist auf unserer Seite. Die Dons sind entweder besoffen oder schlafen, darauf möchte ich wetten. Die Frage ist, wie wir durch die Kette der Kriegsgaleonen entwischen.“
„Völlig unmöglich“, sagte Ben Brighton und legte seine ganze Überzeugungskraft in die Worte. „Allenfalls hat die ‚Isabella‘ zwanzig Kanonen an Bord, aber wie ich die Dons kenne, haben sie die meisten in Porto Bello gelassen, damit sie noch mehr Ladung aufnehmen können. Mit viel Glück kannst du einem der Kriegsschiffe den Großmast wegschießen, aber dann hat dich auch schon das nächste versenkt.“
Hasards Stirn lag in Falten. Er hatte die Worte des Bootsmanns gar nicht gehört.
„Man müßte …“, murmelte er, und plötzlich stand er auf. „Ja, so könnte es gehen. Los, Ferris, fessele den Capitan. Ben, du entschuldigst dich bei ihm in meinem Namen, aber wir haben keine andere Wahl. Wenn er sich vernünftig benimmt, geschieht ihm nichts. Er hat mein Wort als englischer Gentleman.“
Ben Brighton stand der Schweiß auf der Stirn. Er übersetzte Hasards Worte ins Spanische, während Ferris Tucker den Capitan fesselte und ihm einen Knebel in den Mund steckte. Dann folgten die beiden Hasard aufs Deck, wo der Seewolf bereits die anderen Männer auf der Kuhl um sich versammelt hatte.