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4.

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Die beiden schwer beschädigten Galeeren blieben schnell hinter der „Isabella“ zurück, und nach einer Stunde waren nicht einmal mehr ihre Mästspitzen zu sehen. Philip Hasard Killigrew hatte den Weinvorrat des Capitans, den er wieder in die Offizierskammer hatte sperren lassen, geplündert und jedem seiner Männer eine Flasche zugeteilt. Sie hatten schließlich nicht weniger Verdienst an dem Sieg über die beiden Galeeren als Ferris Tucker.

Der rothaarige Riese war der Held des Gefechts, und immer wieder mußte er den Männern erzählen, wie es ihm gelungen war, für sich und die Mannschaft dem Teufelsbraten von Killigrew den Wein aus den Rippen zu leiern.

Daß Hasard die Flaschen für die Mannschaft von sich aus spendiert hatte, brauchte Tucker den anderen ja nicht gerade unter die Nase zu binden. Und so erhielt der rothaarige Riese noch so manchen Schluck gratis, nachdem er seine beiden Flaschen als erster ausgetrunken hatte.

Hasard hatte sich in die Kapitänskammer zurückgezogen. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag die lederne Kassette, die ihn beinahe das Schiff und das Leben seiner Männer gekostet hätte.

Hasard Killigrew wußte nicht, was er in dieser geheimnisvollen Kassette finden würde. Er glaubte irgendwie nicht an die Vermutung Ben Brightons, daß es sich um den persönlichen Schatz Capitan Romero Valdez’ handelte. Für ein paar Schmuckstücke ging kein Mann ein Risiko ein, wie Valdez es getan hatte.

Hasard hob den Deckel der schweinsledernen Kassette an. Er sah graues Leinen. Er zog es heraus. Nichts mehr. Keine Smaragde, Diamanten oder Rubine.

Nur ein Stück zusammengefaltetes Leinen.

Hasard wischte die Kassette mit einer wütenden Handbewegung vom Tisch. Hatte er sich von Capitan Valdez zum Narren halten lassen? Hatte er das Schiff und seine Mannschaft aufs Spiel gesetzt, nur um dieses lächerliche Stück Leinen in den Händen zu halten?

Nein, es mußte noch etwas anderes in der Kassette sein.

Hasard bückte sich und hob die Lederkassette wieder auf. Er untersuchte sie sorgfältig, doch sie hatte weder einen doppelten Boden noch war etwas in vernähten Seitentaschen zu finden.

Hasard warf die Kassette gegen die Wand. Er beruhigte sich nur langsam. Dann besann er sich auf das Stück Leinen und faltete es auseinander. Es war nicht nur ein Stück. Mehrere kleinere Leinenstücke fielen ihm entgegen.

Er wußte sofort, daß es sich um Seekarten handelte, als er die feinen Linien und mit spitzer Feder geschriebenen Namen sah. Er schob die kleineren Karten beiseite und glättete die große auf dem Schreibtisch. Er kannte sich in den Gewässern an der europäischen Westküste aus, und er war überzeugt, daß er auf Anhieb erkannte, welchen Küstenabschnitt die Karte zeigte.

Er hatte sich getäuscht.

Er suchte nach vertrauten Namen, aber er fand nicht einen. Er sprach die ihm unbekannten spanischen Namen halblaut vor sich hin.

Eine innere Erregung packte ihn mit der Wucht eines Orkans. Seine Finger, die die Karte hielten, begannen zu zittern.

Ja, das war es!

Die „Isabella von Kastilien“ war aus dem spanischen Eldorado gekommen, gemeinsam mit der Flotte, mit der Hasard und seine Männer gezwungenermaßen nach Cadiz gesegelt waren.

Philip Hasard Killigrew hielt nichts anderes in den Händen als die Seekarten der Neuen Welt, aus der die Spanier ihren ungeheuren Reichtum bezogen!

Das Zittern seiner Hände hörte nicht auf. Zu groß war der Schock, der Hasard getroffen hatte. Seit den Zeiten Christopher Columbus’ galten die Seewege nach der Neuen Welt als das bestgehütete Geheimnis der Alten Welt. Spaniens Casa wollte um jeden Preis verhindern, daß die anderen europäischen Seefahrtsnationen den Weg ins Eldorado fanden und Spaniens Macht und Reichtum beschnitten.

Hasard kannte die Bulle des Papstes Alexander von 1493 genau. Der oberste Kirchenfürst hatte der spanischen Krone alles Land, das mehr als hundert Meilen westlich der Azoren lag und von den Spaniern entdeckt und erobert wurde, zugesichert. Und die Casa hatte seitdem das ihre getan, um zu verhindern, daß andere Nationen den Weg in die Neue Welt fanden.

Nur die größten und sichersten Schiffe führten Seekarten mit sich, und die spanischen Kapitäne waren angehalten, Bordbücher und Karten sofort zu vernichten, wenn Gefahr bestand, daß ein Schiff von Korsaren gekapert wurde.

Fasziniert betrachtete Hasard immer wieder die. einzelnen Karten. Vor ihm eröffnete sich in diesem Augenblick tatsächlich eine „Neue Welt“. Er sah zum erstenmal die Formen der westindischen Inseln, von denen er bisher nur gehört hatte.

Eine Karte verzeichnete den Seeweg an der Ostküste des neuen Kontinents, bis hinunter zur Südspitze, die Magalhaes umsegelt und so den Weg von Osten in den Pazifik gefunden hatte.

Die nächste Karte zeigte die Umrisse, Buchten und Häfen der Westküste. Hasard versuchte, die in Spanisch abgefaßten Bemerkungen am Rand der Karten zu übersetzen, aber seine Kenntnisse der spanischen Sprache reichten dazu nicht aus. Er überlegte, ob er Ben Brighton hinzuziehen sollte, der des Spanischen mächtig war, aber dann schüttelte er den Kopf. Je weniger Männer wußten, was die Kassette enthielt, desto besser. Hasard entschloß sich in diesem Moment, den Leuten zu erzählen, die Kassette hätte Juwelen des Capitan enthalten. Er würde ihnen ein Prisengeld versprechen.

Langsam faltete Hasard die leinenen Karten wieder zusammen. Seine Erregung flaute nur allmählich ab. Er war sich darüber im klaren, daß er der erste Engländer war, der den Schlüssel zur Neuen Welt in den Händen hielt – vielleicht außer ein paar Freibeutern in Westindien, von denen in der Alten Welt gemunkelt wurde. Aber soviel Hasard gehört hatte, waren die nur auf die fette Beute der spanischen Schatzschiffe aus und nicht darauf erpicht, ihre Nasen in unbekannte Meere zu tunken und neues Land zu entdecken.

Hasard war entschlossen, niemandem als Francis Drake persönlich etwas von diesen Seekarten zu sagen. Von seinem Alten hatte Hasard genug über die gelackten Lords gehört, die sich anmaßten, als einzige befähigt zu sein, etwas für Englands Ruhm und Ehre zu tun.

Nein, ihnen wollte er den Triumph nicht gönnen, mit den Karten bei Hof zu erscheinen, nur um persönliche Vorteile herauszuschinden.

Francis Drake war genau der Mann, der dieses Geschenk des Himmels richtig einsetzen konnte. Hasard kannte keinen besseren Seefahrer als ihn. Und als einzigen Lohn für die Beschaffung der Karten erhoffte sich Hasard, daß er dabei sein durfte, wenn Francis Drake die Segel setzte, um in die Neue Welt aufzubrechen.

Hasard erhob sich und ging zur Koje hinüber, vor der die schweinslederne Kassette lag. Er hob sie auf und legte die Karten wieder hinein. Dann stopfte er die Kassette unter die Matratze seiner Koje und verließ die Kammer.

Auf dem Gang stand Batuti. Mit dem Rücken hatte er sich gegen die Tür der Offizierskammer gelehnt, in der Capitan Valdez gefangengehalten wurde.

„Hol den Bootsmann und O’Flynn her“, sagte Hasard. „Ich möchte euch drei sprechen.“

„Aye, aye“, sagte der Neger und lief los.

Hasard Killigrew konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der große Mann aus Gambia war erst seit kurzem an Bord seines Schiffes, aber er bewegte sich darauf, als hätte er bereits zwanzig Jahre Dienst auf einer britischen Kriegsgaleone hinter sich.

Hasard warf noch einen Blick auf die Kammertür, hinter der Capitan Valdez hockte. Er glaubte nicht, daß Valdez jetzt noch an Flucht dachte. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und verloren. Wahrscheinlich verfluchte er sich jetzt, daß er die Kassette in der Nacht, als er geflohen war, nicht einfach über Bord geworfen hatte.

Hasard ging in seine Kammer zurück. Gleich darauf tauchten Ben Brighton, Dan O’Flynn und Batuti auf.

Hasard kam sofort zur Sache.

„Es geht um die Kassette von Valdez“, sagte er. „Die Mannschaft wird wissen wollen, was für Valdez so wichtig war, daß er sein Leben dafür riskierte. Es war sein Familienschmuck, Ich glaube, er ist ziemlich kostbar. Ihr könnt den Männern sagen, daß sie ein gutes Prisengeld erwarten können.“

Daniel O’Flynn und Batuti grinsten. Ben Brighton blieb ernst. Ihm schien diese Erklärung nicht ganz geheuer zu sein. Hasard sah es ihm an. Er nickte Batuti zu und sagte: „Ferris Tucker soll das Fenster der Offizierskammer von der Galerie aus verschalken, und Blacky soll ein Tau herrichten, mit dem wir Valdez so an seine Koje fesseln können, daß er sich selbst mit einem Enterbeil nicht befreien kann.“

Batuti brüllte sein „Aye, aye!“ und verschwand mit dem Blondschopf Dan O’Flynn.

Ben Brighton wollte sich ebenfalls abwenden.

„Bleib hier, Ben“, sagte Hasard leise und wartete, bis sich der Bootsmann umgedreht hatte.

In Brightons Gesicht spielte kein Muskel. Es war völlig ausdruckslos. Hasards Achtung vor dem Bootsmann wurde noch größer. Er wußte, daß er Brighton nichts zu erklären brauchte. Der Bootsmann würde zwar seine Zweifel am Inhalt der Kassette hegen, aber er würde niemandem gegenüber seine Zweifel laut äußern. Hasard fühlte sich irgendwie verpflichtet, diesem Mann die Wahrheit zu sagen.

„In der Kassette war nicht der Familienschmuck der Valdez’ und auch kein Gold oder sonstige Edelsteine“, sagte er leise. „Du hast nicht einen Moment daran geglaubt, nicht wahr?“

Ben Brightons Gesicht blieb ausdruckslos.

„Nein“, sagte er aufrichtig. „Ich dachte mir, daß es etwas viel Kostbareres sein müsse als Schmuck, wenn ein spanischer Capitan sein Leben dafür aufs Spiel setzt.“

„Du hast recht, Ben“, sagte Hasard und legte dem Bootsmann die Hand auf die Schulter. „Wenn ich es richtig einschätze, ist der Inhalt der Kassette um ein beträchtliches wertvoller als die Silberladung in den Frachträumen der “Isabella“. Es ist von einer solchen Bedeutung, daß ich nur Kapitän Drake persönlich über den Inhalt informieren möchte.“

„Das verstehe ich“, erwiderte Brighton, und Hasard spürte, daß es keine leeren Worte waren.

„Ich möchte dich bitten, Ben, der Mannschaft gegenüber bei der Schmuckversion zu bleiben. Achte bitte darauf, daß niemand in die Nähe des Capitans kommt – außer Batuti. Ihn werde ich noch persönlich instruieren.“

Sie sprachen noch eine ganze Weile miteinander und stimmten den Kurs ab, den sie nehmen wollten. Hasard befahl, daß sich die Männer nach der knochenbrechenden Arbeit in der Nacht und dem Kampf gegen die beiden Galeeren am Morgen abwechselnd ausruhen sollten.

Noch waren sie nicht in England. Auf der Fahrt an Portugals Küste vorbei und dann durch die Biskaja konnte noch so manches passieren. Mit sechzehn Mann war die Galeone zwar gut zu segeln, aber bei einem Gefecht mit einem gleichstarken Gegner war die „Isabella“ hoffnungslos unterbemannt.

Als Ben Brighton die Kapitänskammer verlassen hatte, haute sich Hasard ebenfalls in die Koje. Er wußte, daß das Schiff bei Brighton in guten Händen war.

Hasard konnte lange nicht einschlafen. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu den Karten, die er vorhin eingesehen hatte. Farbenprächtige Bilder von fremden Küsten tauchten vor seinem geistigen Auge auf, dunkelhäutige Menschen, die mit schwerem Goldschmuck behängt waren.

Es schwirrten viele Gerüchte von der Neuen Welt bei den Seefahrern der westlichen Nationen herum. Hasard hatte mehr als einmal den Geschichten von graubärtigen Seefahrern gelauscht, und schon als Halbwüchsiger hatte er die Sehnsucht verspürt, eines Tages in diese Neue Welt zu segeln und Länder zu entdecken, die vor ihm noch nie der Fuß eines weißen Mannes betreten hatte.

Hasard hatte sechs Stunden geschlafen, und dennoch fühlte er sich wie gerädert. Er brauchte eine ganze Weile, bis er zu sich fand. Er rief Batuti, der auf dem Gang vor der Offizierskammer wachte und überhaupt keinen Schlaf zu brauchen schien, zu sich herein.

Der Schwarze grinste Hasard strahlend an. Von jedem anderen der Mannschaft hätte sich Hasard das Grinsen verbeten, aber er wußte, daß Batuti nur ein halber Mensch war, wenn er nicht grinsen und seine prächtigen Zahnreihen dabei zeigen konnte. Hasard hatte schon vor Tagen beschlossen, das impertinente Grinsen des schwarzen Mannes aus Gambia einfach zu ignorieren.

„Hol mir einen Eimer Wasser, Batuti“, sagte er und schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden. „Und ruf den Bootsmann zu mir. Ich will noch mal mit dem Capitan sprechen.“

„Aye, aye!“ brüllte der Schwarze.

Hasard zuckte regelrecht zusammen.

„Hier drinnen wird nicht gebrüllt, du schwarzer Höllenhund“, sagte er scharf.

„Aye, aye, Sir, nicht brüllen“, sagte Batuti grinsend, und seine Stimme war nur unbedeutend leiser als beim erstenmal.

Hasard hob drohend den Stiefel, den er gerade anziehen wollte.

„Hau ab, bevor ich dich kielholen lasse!“

Wie der Blitz sauste der Schwarze aus der Kammer und kehrte wenig später mit einem Ledereimer voll Wasser zurück.

„Stell ihn hierher auf den Tisch“, sagte Hasard. „Hast du dem Bootsmann Bescheid gesagt?“

„Aye …“ begann Batuti zu brüllen, aber er verstummte sofort, als Hasard den Ledereimer hob und Anstalten traf, den Inhalt über den Schwarzen zu leeren.

„Hast du dich inzwischen auch mal aufs Ohr gelegt?“ fragte Hasard.

Batuti schüttelte grinsend den Kopf.

„Ich brauche nix Schlaf. Ich immer gut wach.“

„Du legst dich jetzt hin“, sagte Hasard scharf. „Das ist ein Befehl, du Rabe. Wenn ich dich in den nächsten Stunden auch nur mit einem offenen Auge erwische, lasse ich dich an der Rahnock aufknüpfen, verstanden?“

Batuti klappte erschrocken beide Augenlider zu. Er drehte sich um und tastete sich mit vorgestreckten Armen aus der Kapitänskammer.

Ben Brighton, der gerade erschien, blickte dem Schwarzen erstaunt nach. Dann betrat er Hasards Kammer.

„Du wolltest mich sprechen?“

Hasard nickte.

„Wie geht es dem Capitan?“ fragte er. „Kann ich mit ihm reden?“

„Ich habe seinen Arm verbinden lassen“, sagte der Bootsmann. „Die Kugel hat sein Ellbogengelenk zerschmettert. Er wird einen steifen Arm behalten.“

Hasard zuckte mit den Schultern.

„Tut mir leid für ihn“, sagte er. „Aber er hat es sich selbst zuzuschreiben. Schließlich konnte ich es nicht zulassen, daß er den Jungen mit dem Riemen erschlägt.“

„Er kann froh sein, daß er überhaupt noch lebt“, sagte Ben Brighton. „Wenn ich bedenke, daß wir durch ihn fast das Schiff wieder verloren hätten, könnte ich ihm jetzt noch eine Kugel durch den Schädel jagen.“

„Was hättest du denn an seiner Stelle getan?“ fragte Hasard lächelnd.

Brighton blickte seinen jungen Kapitän überrascht an. Doch dann nickte er.

„Du hast recht“, sagte er. „Dieser Valdez hat sich als mutiger Mann erwiesen. Er hat es verdient, daß wir ihn wie einen Ehrenmann behandeln.“

Hasard steckte den Kopf in den Ledereimer und kam prustend wieder hoch. Das kalte Meerwasser brachte ihn vollends wieder zu sich. Er trocknete sich mit einem Leinentuch ab und setzte sich dann auf die Koje, um seine Stiefel anzuziehen.

„Es gefällt mir nicht, daß wir den Capitan und seine Besatzung immer noch an Bord haben“, sagte er. „Bei einem weiteren Zusammenstoß brauchen wir alle Leute. Dann kann niemand mehr auf die Gefangenen achten. Wenn die Spanier entschlossen sind, ist es ein leichtes für sie, aus dem Lagerraum auszubrechen und uns zu überwältigen.“

„Ich habe auch schon daran gedacht, die Spanier loszuwerden“, sagte Ben Brighton. „Aber es ist ziemlich gefährlich, nahe an die portugiesische Küste heranzusegeln.“

„Es wäre Selbstmord“, sagte Hasard kopfschüttelnd. „Es muß einen anderen Weg geben.“

Er erhob sich und trat auf den Gang hinaus. Vor der Offizierskammer stand jetzt Dan O’Flynn, der junge Blondschopf, den Hasard in Plymouth kennengelernt hatte, als er einen fürchterlichen Kampf gegen die Preßgang der „Marygold“ ausgefochten hatte. Der Junge war Hasard, ohne zu zögern, zu Hilfe geeilt, denn er hatte den Killigrew aus Arwenack, das auch seine Heimat war, erkannt. Sein Einsatz hatte allerdings nicht viel genützt. Sie waren beide auf die „Marygold“ verschleppt worden.

„Öffne die Tür, Junge“, sagte Ben Brighton.

In Daniel O’Flynns Augen blitzte es ärgerlich auf. Hasard beobachtete amüsiert, wie wütend der Blondschopf auf die Anrede „Junge“ reagierte. Aber er beherrschte sich. Er schien genau zu wissen, was es ihm einbringen konnte, wenn er sich in Gegenwart des Kapitäns mit dem Bootsmann anlegte.

Ben Brighton beachtete den Jungen nicht weiter, aber Hasard glaubte den Bootsmann gut genug zu kennen, um zu wissen, daß auch ihm die Reaktion Dans nicht entgangen war.

Brighton schloß die Tür, nachdem Hasard und er die Kammer betreten hatten.

Romero Valdez hockte zusammengesunken auf seiner Koje. Er blickte auf, als er bemerkte, daß jemand seine Kammer betreten hatte. In seinen dunklen Augen war das Feuer des Widerstandes erloschen. Er hatte hoch gespielt, und er hatte verloren.

„Was wollen Sie?“ fragte er heiser, und Brighton übersetzte es für Hasard.

„Sag ihm, daß ich kein Interesse daran habe, ihn und seine Mannschaft mit nach England zu nehmen“, antwortete Hasard ruhig. „Bei der ersten Gelegenheit werde ich ihn an Land setzen lassen. Frag ihn, ob er eine Möglichkeit sieht, ohne daß wir dabei in Gefahr geraten, daß Schiff zu verlieren.“

Ben Brighton übersetzte, und als der Spanier antwortete, hörte Hasard das Wort Berlenga heraus. Er nickte Brighton kurz zu, daß er verstanden hätte. Die Berlengas waren eine öde Inselgruppe etwa dreiundvierzig Seemeilen nördlich von Kap da Roca, das sie im Augenblick ansteuerten.

Allerdings waren die Berlenga-Inseln nicht ungefährlich. Die Küste war mit gefährlichen Klippen bestückt, an denen ein Schiff bei auflandigem Wind im Handumdrehen zerschmettert werden konnte.

Capitan Romero Valdez’ Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Schmerzes, als er sich von seiner Koje erhob und Hasard anblickte. Sein verletzter rechter Arm hing in einer Schlinge.

„Haben Sie es entdeckt?“ fragte er heiser.

Hasard spielte den Erstaunten, als Brighton ihm die Frage übersetzte. Er zuckte mit den Schultern und antwortete: „Sag ihm, daß ich nicht weiß, was er meint.“

Während der Bootsmann dem Spanier auf seine Frage antwortete, öffnete Hasard die Tür der Offizierskammer und winkte Daniel O’Flynn herein.

„Schneide dem Capitan die Fußfesseln durch“, sagte er, und an Ben Brighton gewandt: „Erklär ihm, daß ich jeden weiteren Flucht- oder Befreiungsversuch mit unnachgiebiger Härte ahnden werde.“ Er wartete, bis Ben Brighton seine Worte übersetzt hätte und trat dann mit dem Bootsmann auf den Gang hinaus. Auf dem Quarterdeck ließ sich Hasard die steife Brise aus Südost um die Ohren wehen.

Die „Isabella“ lag prall vor dem Wind und segelte mit Steuerbordhalsen nach Nordnordwest.

Ben Brighton hatte alle Leinwand, die nur möglich war, gesetzt. Am Großsegel und der Fock waren jeweils zwei Bonnets angereiht, am Lateinersegel des Besans eines. Die Blinde unter dem Bugspriet schien das Schiff förmlich nach vorn durch die Wellen zu ziehen.

Die schwerfällige Galeone pflügte durch die höher werdende See. Sie lag gut im Wasser. Die schwere Ladung war jetzt von Vorteil. Hasard schüttelte den Kopf, als er an den Morgen dachte. So etwas hatte er noch nie erlebt. Es Wollte ihm nicht in den Sinn, wieso heute morgen auf einmal fast Windstille geherrscht hatte. Wenn der Wind hinterher umgeschlagen wäre und ihnen ins Gesicht geblasen hätte, wäre es etwas anderes gewesen. Aber er blies jetzt weiterhin aus Südost wie schon in der Nacht vorher.

Die Stimme Ben Brightons riß ihn aus seinen Gedanken.

„Wasser auf die Leinwand?“ fragte der Bootsmann.

Hasard zog die linke Augenbraue hoch und musterte Brighton mißtrauisch. Der Bootsmann schien ihm sonst nicht der Typ zu sein, der ein Schiff bis zur Grenze seines Leistungsvermögens vorwärtsknüppelte.

Wollte sich Brighton über ihn lustig machen?

Hasard verneinte diese Frage sofort. Ben Brighton war ein Seemann durch und durch. Ihm bereitete diese scharfe Fahrt wahrscheinlich ebensoviel Spaß wie dem Seewolf. Hasard glaubte es in den Augen des sonst so unerschütterlichen Bootsmanns zu erkennen. Sie hatten einen Glanz, den Hasard heute zum erstenmal in ihnen entdeckte.

„Kein Wasser, Ben“, sagte Hasard. Er mußte brüllen, denn der scharfe Südost riß ihm die Worte von den Lippen. „Die Männer sollen sich den Tag und die Nacht über noch ausruhen. Morgen will ich die Geschütze überprüfen und Probeschießen, damit wir für alle Fälle gerüstet sind.“

„Aye, aye“, sagte Ben Brighton.

Als über ihnen das Großmarssegel knatterte, brüllte der Bootsmann den Rudergänger an.

Der Mann korrigierte hastig den Kurs um einen Strich, und das Marssegel stand wieder voll.

Hasard hatte sich auf die Poop zurückgezogen. Er mußte über das enttäuschte Gesicht Ben Brightons lächeln, als er ihm den Wunsch abgeschlagen hatte, die Segel zu nässen. Das Wasser hätte die Leinwand noch luftundurchlässiger werden lassen, und der Druck des Windes auf die Segel hätte sich dadurch noch verstärkt. Gewiß, sie hätten noch schnellere Fahrt gemacht, und Hasard war wie alle anderen Mitglieder der Mannschaft daran interessiert, so schnell wie möglich in den Heimathafen Plymouth einzulaufen, aber er mußte mit den Kräften seiner Männer haushalten.

Zuviel konnte auf der Fahrt nach Hause noch passieren.

Seewölfe Paket 1

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