Читать книгу Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer - Страница 39
2.
ОглавлениеPhilip Hasard Killigrew krallte die rechte Hand in die Steuerbordreling der Poop und stand breitbeinig auf den vibrierenden Planken des Achterkastells. Seine eisblauen Augen blitzten. Zwei weiße Zahnreihen leuchteten zwischen den leicht geöffneten Lippen.
Hasard war in seinem Element. Das Orgeln des steifen Ostwindes war für seine Ohren Musik. Er war froh, daß der Sturm so schnell nachgelassen hatte.
Er blickte aufs Hauptdeck hinunter, wo Ben Brighton und drei andere Männer die Fock wieder setzten. Nach seinen Berechnungen mußten sie Kap Sao Vicente bereits hinter sich gelassen haben, und niemand von den lausigen Spaniern, denen sie die „Isabella“ aus dem Hafen von Cadiz gekapert hatten, würde sie jemals wieder einholen.
Das Herz lachte Hasard im Leibe, als er an die dreißig Tonnen Silber im Laderaum des Schiffes dachte. Mit diesem Geld konnte man neue Schiffe bauen und den Spaniern noch mehr Verluste beibringen.
Hasard hob den Kopf. Der Wind hatte auf Südost gedreht. Er wollte gerade einen Befehl hinunter aufs Hauptdeck brüllen, da sah er, daß Ben Brighton schon von sich aus die Rahen so braßte, daß sie auf ihrem Nordwestkurs blieben. Die „Isabella“ lag jetzt platt vorm Wind. Der schwerfällige Rumpf tauchte seine Nase in tiefe Wellentäler, und Gischtschleier wehten über die Back und das Vorkastell.
Philip Hasard Killigrew beobachtete Ben Brighton. Der Bootsmann der „Marygold“ enttäuschte ihn nicht. Er war wirklich so gut, wie Hasard vermutet hatte. Hasard konnte sich auf Brightons seemännische Fähigkeiten voll verlassen. Das einzige, was ihn an dem Mann störte, war seine unerschütterliche Ruhe. Aber bisher hatte er auch reagiert, wenn es hart auf hart ging und eine blitzschnelle Entscheidung verlangt wurde.
Der Seewolf zog die Lippen von den Zähnen. Ben Brighton war schon in Ordnung. Alles in allem hatte er gute Seeleute an Bord. Vielleicht mit Ausnahme des Kutschers, der ebenfalls in Plymouth gepreßt worden war und behauptete, nichts mehr zu hassen als Schiffe und die See. Dabei hatte er sich dennoch bereits Seebeine wachsen lassen.
Hasard grinste. Der arme Kerl würde seinen Lord wohl nicht so schnell wiedersehen. Sicher war sein Job inzwischen schon von einem anderen Mann besetzt.
Neben Ben Brighton stand Donegal Daniel O’Flynn und schlug das Geitau der Fock um die Nagelbank. Die Augen des schlaksigen Jungen leuchteten. Für ihn war diese Prise das größte Abenteuer, das er bisher erlebt hatte. Die langen blonden Haare hingen ihm in nassen Strähnen ins Gesicht, und als Brighton etwas zu ihm sagte, brüllte er sein „Aye, aye, Sir“ so laut übers Deck, daß Hasard es gegen den Wind auf der Poop hörte.
Hasard trat noch ein paar Schritte nach vorn und blickte aufs Quarterdeck hinab.
„Ferris!“ rief er hinunter.
Der rothaarige Riese, der sich an der Lafette der kleinen Kanone an Steuerbord des Quarterdecks zu schaffen machte, drehte den Kopf.
„Ja?“
„Übernimm die Wache, Ferris“, sagte Hasard. „Ich werde mich ein paar Stunden aufs Ohr legen. Ich glaube, daß der Wind seine Stärke jetzt beibehält.“
„Aye, aye“, sagte Ferris Tucker. Er kletterte auf die Poop, während Hasard im Niedergang verschwand und auf die Kapitänskammer zusteuerte. Vor der Offizierskammer hockte Batuti auf der Erde. Der riesige Neger sprang auf die Beine.
„Alles in Ordnung, Batuti?“ fragte Hasard.
„Aye, aye, Sir!“
Der schwarze Herkules aus Gambia grinste über beide Ohren.
Hasard trat an die verriegelte Tür der Offizierskammer und schob den Balken aus der Halterung.
„Mal sehen, ob unser hoher Gast noch einen Wunsch hat“, sagte er. „Schließlich müssen wir ihm dankbar sein, daß er die wertvolle Ladung für uns von Westindien hierhergeholt hat.“
Philip Hasard Killigrew stieß die Tür auf.
In der Kammer war es dunkel. Mit der Linken griff Hasard nach hinten und Batuti reichte ihm die Öllampe.
Hasard sah das herausgebrochene Fenster und wußte sofort, was los war. Abrupt drehte er sich um. Er knallte dem Schwarzen die Laterne vor die Brust und rief im Laufen: „Hol alle Männer an Deck! Der Spanier ist aus seiner Kammer ausgebrochen!“
Wie der Blitz fegte Hasard auf das Oberdeck, raste über das Quarterdeck und nahm den Niedergang zum Hauptdeck mit zwei mächtigen Sätzen. Mittschiffs am Niedergang zum Frachtraum hockte ein Mann, der sofort aufsprang, als er Hasard erkannte.
„Alles in Ordnung?“ fragte Hasard keuchend.
Der Mann nickte erstaunt.
„Klar“, sagte er.
„Der Capitan ist ausgebrochen“, sagte Hasard schnell, damit der Mann seine Befürchtungen verstand.
Die Augen des Seemannes wurden groß. Hastig drehte er sich um und verschwand im Niedergang. Hasard folgte ihm. Zu zweit überzeugten sie sich, daß die gefangenen Spanier schliefen. Ein paar von ihnen richteten sich auf. Sie waren vom Lärm, der jetzt an Deck herrschte, geweckt worden.
Hasard hastete wieder auf Deck.
Ben Brighton und Dan O’Flynn standen am Niedergang und blickten ihm fragend entgegen. O’Flynn hielt einen Degen, den er einem Spanier abgenommen hatte, in der rechten Faust.
„Hast du den Capitan gefunden?“ fragte Ben Brighton in seiner ruhigen Art.
Hasard schüttelte den Kopf.
„Er hat nicht versucht, seine Männer zu befreien“, sagte er nachdenklich. „Noch nicht. Vielleicht tut er es noch. Laß die Wachen am Niedergang verstärken, Ben. Und dann geh mit allen Männern auf die Suche nach dem Gefangenen. Wer weiß, was er im Schilde führt. Zwei Männer bewachen die Pulverkammer, damit er nicht das ganze Schiff in die Luft jagt.“
„Pff“, machte Dan O’Flynn. „Diese feige spanische Ratte wird es niemals wagen, sich selbst in die Hölle zu sprengen.“
Hasard blickte den Jungen, der sich prügeln und fluchen konnte wie ein Alter, von der Seite her an. O’Flynn hatte beide Fäuste in die Hüften gestemmt, als ob er fragen wolle, wo denn die hundert Spanier blieben, die von ihm Prügel haben wollten.
Ben Brighton sagte: „Aye, aye.“
Er teilte die Männer ein und befahl ihnen, das ganze Schiff von oberst zu unterst zu kehren. Drei Männer stellte er an den Niedergang zum Frachtraum, um jeden aufkeimenden Widerstand der Spanier sofort zu unterbinden. Die drei Wachen erhielten Musketen, die sie drohend in den Laderaum richteten. Die Spanier verkrochen sich ängstlich in einer Ecke des Laderaums, in dem es bereits zu stinken begann.
Hasard enterte den Niedergang zum Quarterdeck hoch und stieß fast mit dem großen Neger zusammen, der seine gestreifte Wollmütze, die er einem Spanier abgenommen hatte, verlegen zwischen den Händen drehte. Er hatte ein schuldbewußtes Gesicht.
„Ich habe nichts gehört, Sir“, sagte er zerknirscht. „Capitan war leise wie ein Klabautermann. Er war auch in Kapitänskammer und hat Fenster gebrochen. Alles durcheinander. Alles kaputtgemacht.“
Hasard legte die Hand auf die Schulter des Schwarzen, um ihm zu zeigen, daß er ihm nichts vorwerfe.
„Komm mit“, sagte er. „Das will ich mir ansehen. Vielleicht hat er sich irgendwo in der Kammer verkrochen.“
Batuti hatte die Tür der Kapitänskammer offen gelassen. Sie schlug klappernd gegen die Wand. Hasard zündete die beiden Lampen auf dem Schreibtisch an. Ein Windstoß fuhr durch das zerschlagene Fenster und blies die eine Lampe wieder aus. Hasard entzündete sie erneut.
Der Schwarze hob unterdessen die Karten vom Boden auf und legte sie auf den Schreibtisch. Mit dem Finger wies er auf den Schrank, aus dem der Capitan wahllos alles herausgerissen hatte, um an die Kiste mit der Medizin und dem Verbandszeug heranzukommen.
„Alles kaputt“, sagte Batuti.
Hasard schüttelte den Kopf. Er fragte sich, was der Capitan hier gesucht hatte. Vielleicht hatte er etwas für ihn persönlich Wertvolles in dem Schrank versteckt gehabt und wollte nicht, daß es den Engländern in die Hände fiel.
Er sah die Blutspuren auf dem Boden und folgte ihnen mit den Augen. Neben der Koje war ein dunkler Fleck auf dem Boden. Dort mußte der Capitan, der sich wahrscheinlich an der zersplitterten Fensterscheibe verletzt hatte, eine Weile gestanden haben.
Hasard ging zur Koje hinüber. Sein Blick fiel auf die getäfelte Wand neben der Koje. Eine der Platten warf einen längeren Schatten als die anderen. Im ersten Moment glaubte Hasard, daß er sich getäuscht hätte, aber als er nach der Holzvertäfelung griff, merkte er, daß die Platte sich bewegen ließ.
Überrascht trat er einen Schritt näher.
„Bring eine Lampe her, Batuti“, sagte er erregt. Er wartete, bis der Schwarze die Lampe so hielt, daß der Lichtschein in die Öffnung fiel. Das kleine Geheimfach war leer. An der Kante des Fachs entdeckte Hasard Blutspuren.
Capitan Romero Valdez war in die Kapitänskammer eingedrungen, um dieses Fach zu leeren. Das war Hasard plötzlich sonnenklar. Aber was war so wertvoll, daß der Spanier ein solches Risiko einging? Er mußte doch wissen, daß er keine Chance hatte, an Bord des Schiffes unentdeckt zu bleiben.
Schritte waren draußen auf dem Gang zu hören. Ben Brighton und O’Flynn erschienen in der Tür der Kapitänskammer.
„Wir haben das ganze Schiff durchsucht“, sagte Brighton. „Gefunden haben wir ihn nicht.“
„Sucht noch einmal“, sagte Hasard brummig. „Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!“
Der Bootsmann gab den Befehl an O’Flynn weiter, und der Junge lief zurück aufs Quarterdeck, wo der Schiffszimmermann Ferris Tucker immer noch in aller Seelenruhe seine Wache schob. Bis jetzt hatte ihm Hasard noch keinen anderen Befehl gegeben, und solange er diesen nicht erhielt, würde er auf seinem Posten bleiben.
Hasard überlegte indessen. Wenn Batuti nicht geschlafen hatte, war es dem Capitan kaum möglich gewesen, seine oder die Kapitänskammer ungesehen zu verlassen. Und selbst, wenn das der Fall war, hätten er oder Ferris Tucker, die sich auf dem Quarterdeck und der Poop aufhielten, den Mann entdekken müssen.
Hasard drehte sich ärgerlich herum, als ein Windstoß in die Kammer fuhr und die Karten wiederum vom Schreibtisch wirbelten.
„Was ist …“ sagte er und stockte, als er Brighton auf die Heckgalerie hinaustreten sah. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen.
Das Dinghi!
Sie hatten die ganze Zeit von Cadiz her das Dinghi nachgeschleppt, mit dem Ferris Tucker und Batuti zur „Isabella“ gepullt waren, nachdem sie ihren Auftrag, die beiden Galeonen auf Rammkurs gegen die zwei spanischen Kriegsgaleonen zu bringen, ausgeführt hatten.
Ben Brighton, der auf der Heckgalerie verschwunden war, tauchte wieder auf. Hasard kniff die Augen zusammen. Wenn er jetzt etwas sagt, haue ich ihm eine rein, dachte er. Aber Brighton nickte nur, denn er hatte die stumme Frage Hasards verstanden.
„Verdammter Mist“, sagte Hasard.
Der Bootsmann blickte ihn an und zuckte mit den Schultern.
„Er mußte wissen, was er tut“, sagte er ruhig. „Er wird viel Glück brauchen, wenn er mit dem Boot nicht absaufen will. Vielleicht hat er gedacht, daß wir direkt auf Kap Sao Vicente zugehalten haben.“
Der Seewolf erwiderte nichts. Er dachte angestrengt nach. Es gefiel ihm nicht, daß ihm der wichtigste Gefangene dieses Schiffes entflohen war – auch wenn er es wahrscheinlich mit dem Leben bezahlen mußte. Einem Killigrew entfloh kein Feind! Der alte John hätte ihm eine Rahe um die Ohren geschlagen, wenn ihm das auf dem Schiff des Alten passiert wäre.
Und dann war da noch dieses kleine Geheimfach.
Valdez hatte den Inhalt für so wichtig erachtet, daß er sein Leben dafür aufs Spiel gesetzt hatte.
Ben Brighton war dem Blick Hasards gefolgt. Jetzt sah auch er das kleine Fach, das hervorragend getarnt war. Er trat an die Koje heran und blickte hinein.
„Valdez hat es ausgeräumt, nicht wahr?“ sagte er.
Hasard nickte.
„Ja“, sagte er. „Und ich will um jeden Preis wissen, was so wertvoll ist, daß ein spanischer Kapitän sein Leben dafür aufs Spiel setzt.“
Ben Brighton drehte sich erschrocken herum.
„Soll das heißen …“
„Ja, Ben“, sagte der Seewolf hart. „Das soll heißen, daß ich die Absieht habe, den ehrenwerten Capitan Romero Valdez aus der See zu fischen – mitsamt dem Zeug, das er aus diesem Geheimfach herausgeholt hat.“
„Aber …“ sagte Brighton, und das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Denk doch an unsere Ladung! Vielleicht sind die Spanier hinter uns her. Außerdem wissen wir nicht, wann Valdez abgehauen ist und welche Richtung er eingeschlagen hat! Bei dem Inhalt des Faches kann es sich doch nur um etwas Persönliches von Valdez handeln. Vielleicht wertvollen Familienschmuck oder etwas, was er von Westindien mitgebracht hat und sich unter den Nagel reißen wollte. Auf keinen Fall kann es auch nur in etwa den Wert unserer Prise ausmachen.“
Hasard hatte den Bootsmann aussprechen lassen, aber dann sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete: „Klar zum Halsen, Ben!“
Ben Brighton starrte seinen Kapitän einen kurzen Moment an. Doch dann strafften sich seine Schultern, und er sagte laut und klar: „Aye, aye!“