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2.

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Der hochgewachsene Spanier zwang sich, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Wenn er aus seinen Berechnungen die richtige Folgerung zog, dann würden der spanische Kampfverband und die Schiffe des Bundes der Korsaren aller Wahrscheinlichkeit nach am frühen Morgen oder in den Vormittagsstunden des nächsten Tages aufeinanderprallen.

Es blieben also nur noch die Stunden der Dunkelheit, um etwas zu unternehmen. Auf Biegen oder Brechen mußte etwas geschehen, wenn es doch noch einen Aufschub geben sollte. Mehr denn je war Don Juan de Alcazar entschlossen, seinen Beitrag zu leisten, damit ein Blutvergießen größten Ausmaßes vermieden würde. Er mußte es einfach wagen, auch wenn durch die Schaluppen das Risiko um ein Vielfaches erhöht wurde.

Er gab sich einen Ruck und stieß sich von der Verschanzung ab. In der Formation des spanischen Verbandes schien sich nichts geändert zu haben. Zumindest deutete nichts darauf hin, daß man die Schebecke bemerkt hatte. Der erneute Überraschungsangriff mußte gelingen.

„Ramón!“ rief Don Juan halblaut. „Männer!“

Die Gesichter, die zu ihm herumruckten, waren in der Dunkelheit als helle Flecken zu erkennen.

„Es geht los“, sagte Don Juan mit metallisch klingender Stimme. „Halse nach Steuerbord. Neuer Kurs Südwest.“

Ramón Vigil wiederholte den Befehl und legte Ruder. An den Schoten bewiesen die Männer, daß sie den Dreimaster aus dem fernen Algerien bereits bestens beherrschten. Der Bug der Schebecke schwang herum, und gleich darauf standen die rot-weißen Segel prall, als der schlanke Dreimaster platt vor dem Wind auf den Verband zujagte.

Gischtschwaden stiegen von der Bugwelle auf und wehten über die Decks. Die Männer standen unerschütterlich, geduckt und mit jeder Faser ihrer Nerven zum Angriff entschlossen.

Nach und nach zeichneten sich die Umrisse der Kriegsschiffe mit schärferen Linien in der Dunkelheit ab. Aus schmalen Augen taxierte Don Juan die zusammenschmelzende Distanz, gleichzeitig lauschte er angestrengt. Jeden Moment mußten die alarmierenden Rufe der Ausgucks auf den Kriegsschiffen zu hören sein. Noch bevor dies geschah, gab er das Kommando zur Kurskorrektur nach Westsüdwest. Wie ein zupackender Falke stieß die Schebecke auf die Flanke des Verbandes zu.

Sekunden später wurde die Stille zerrissen. Gellende Stimmen ertönten, gefolgt von wildem Befehlsgebrüll. Vom Schein der Hecklaternen immer deutlicher gezeichnet, wuchsen die mächtigen Umrisse der Kriegsschiffe buchstäblich auf den heranjagenden Dreimaster zu. Don Juans Männer duckten sich hinter den Drehbassen und harrten auf den Befehl, die schwenkbaren Hinterlader im entscheidenden Moment zu zünden.

Don Juan entschied sich für die zweite Galeone, die in der Backbordkolonne des Verbandes segelte. Diesmal würde er mitten in die Formation der schwimmenden Festungen hineinstoßen und eine weitere Ruderanlage in Trümmer schießen.

Im selben Moment, als er seine Entscheidung traf, durchzuckte es ihn siedendheiß. Die Schaluppen! An Steuerbord voraus schwärmten sie aus, die Wachhunde, die Cubera von der Leine gelassen hatte. Doch es waren keineswegs nur drei, wie er angenommen hatte.

Insgesamt fünf der wendigen Einmaster warfen sich dem Angreifer entgegen. Don Juan erstarrte sekundenlang. Er mußte begreifen, daß Cubera aus den bisherigen Nachtangriffen seine Lehre gezogen und zwei und zwei zusammengezählt hatte. Natürlich hatte er damit gerechnet, daß der Gegner wieder aus der Luvposition angreifen würde. Und so hatte er auf der Steuerbordseite des Verbandes lediglich eine Schaluppe belassen, während er die beiden anderen auf die Backbordseite beordert hatte. Insgesamt fünf Einmaster waren es also, die zum Gegenangriff übergingen.

Don Juan stieß einen Fluch aus. In der Dunkelheit hatte er die Umgruppierung der Schaluppen nicht bemerkt, und auch seinen Männern war dies entgangen. Doch jetzt war es zu spät, eine neue Taktik zu entwickeln. Unversehens hatte sich das Blatt gewendet. Die Männer auf der Schebecke gerieten von der Rolle des Angreifers in die des Verteidigers.

Zwei der Schaluppen lösten sich aus dem Pulk und stießen im Direktkurs auf den Dreimaster zu. Gleichzeitig schwärmten die drei anderen nach Ostnordost aus. Don Juan begriff sofort, während er in Gedanken blitzartig die möglichen Gegenmaßnahmen durchspielte. Ziel der beiden ersten Schaluppen war es, seinen Angriff zu verhindern. Von den drei übrigen Wachhunden sollte er inzwischen in die Zange genommen werden.

Währenddessen setzte sich das Gebrüll an Bord der großen Kriegsschiffe fort. Stückpforten wurden geöffnet, und die ersten Bronzemäuler der Geschütze lugten heraus. Gefechtsbereitschaft hatte wahrscheinlich ohnehin geherrscht. Diesmal wollte es Cubera wissen. Nur noch Minuten, schlimmstenfalls Sekunden konnten vergehen, bis die Galeonen und Karavellen ihre ersten Breitseiten abfeuerten.

Noch lag die Schebecke mit rauschender Fahrt auf Kurs Westsüdwest. Don Juan zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern und preßte die Lippen fester zusammen. Konnte er es trotz allem schaffen, in die Backbordflanke des Verbandes vorzustoßen?

Die Schaluppen, die sich von Steuerbord näherten, waren schnell, viel zu schnell. Auf fast eine Kabellänge war die Distanz zusammengeschrumpft, als Don Juan einsehen mußte, daß sich seine Erfolgsaussichten wie eine Gischtfahne verflüchtigten.

Grellrotes Feuer zuckte an Steuerbord auf. Das unverkennbare trockene Krachen von Drehbassen begleitete die Mündungsblitze. Auf beiden Schaluppen feuerten sie ihre Hinterlader in gut abgestimmter Folge ab. Orgelnd rasten die Eisenkugeln heran und rissen weißschäumende Säulen aus dem Wasser.

„Ramón!“ brüllte Don Juan. „Vier Strich Steuerbord! Und dann Feuer frei! Heizt ihnen ein!“

Zustimmendes, fast begeistertes Gebrüll ertönte von der Kuhl der Schebecke. Die Männer hatten begriffen, in welche Lage sie geraten waren. Ihr Kapitän hatte nicht anders entscheiden können. Unmöglich, noch in die verwundbare Flanke des Verbandes vorzudringen und gewissermaßen im Vorbeigehen ein Ruder zu Klump zu schießen. Jetzt hieß es, sich schleunigst zu verdrücken. Das wiederum war nur möglich, indem man nach Nordwesten hin durch die beginnende Umklammerung der Schaluppen entwich.

Hart krängte der Dreimaster nach Backbord, als Ramón Vigil Ruder gelegt hatte. Bei halbem Wind über Backbord segelnd, gewann die Schebecke doch im Handumdrehen wieder beachtliche Fahrt. Wenn man in dieser Situation überhaupt bestehen konnte, dann nur dank der Wendigkeit dieses Schiffes.

Für einen Moment geriet das Drehbassenfeuer der beiden Schaluppen ins Stocken. Verwirrung breitete sich aus – offenkundig.

„Damit haben sie nicht gerechnet!“ schrie Ramón Vigil.

In der Tat mußte es den Besatzungen der Einmaster so erscheinen, als wolle sich ihnen der fremde Dreimaster in einer Art Verzweiflungstat frontal entgegenwerfen.

„Bugdrehbassen Feuer!“ brüllte Don Juan.

Eine Sekunde später wummerten die Hinterlader los und schickten den Schaluppen ihre Eisenladung entgegen. Ein schwaches Bersten verkündete einen Treffer, wenn auch sicherlich nicht nennenswert.

„Ramón, geh höher an den Wind!“

Der Bootsmann befolgte die Anordnung augenblicklich, und in diesem Moment war es auch mit der Verwirrung an Bord der Schaluppen vorbei. Die Spanier erkannten die Absicht des ihnen unbekannten Gegners. Hart am Wind wollte er sich an ihnen vorbeimogeln und dabei auf Gegenkurs auch die drei übrigen Schaluppen abhängen. Letztere waren eben erst im Begriff, ihren nun nutzlosen Umklammerungsversuch abzubrechen und sich auf eine Verfolgungsjagd einzustellen.

Noch einen Vorteil sah Don Juan in seinem Manöver: Solange er sich an der Luvseite der beiden Angreiferschaluppen befand, war er vor den schweren Geschützen der Kriegsschiffe halbwegs sicher. Denn sie würden nicht riskieren, ihre eigenen Leute durch ihre Breitseiten in Gefahr zu bringen.

Trotzdem blieb der tödliche Wirkungsbereich der Drehbassen, in den die Schebecke nun unweigerlich geriet.

„Backborddrehbassen Feuer!“ befahl Don Juan.

Noch während er die letzten Silben ausstieß, hastete er zur Backbordverschanzung des Achterdecks und packte den dort befindlichen Hinterlader. Mit einem Ruck schwenkte er das geladene Bronzerohr nach Backbord voraus.

Mit einem kurzen Seitenblick sah er, daß sich Ramón Vigil hinter dem Ruder duckte. Auf den Bootsmann war Verlaß. Mit eisernen Fäusten würde er sie aus dem Geschoßhagel herausbringen.

Am Schanzkleid der Kuhl brüllten die ersten Drehbassen los. José Buarcos und Jorge Matteo, die beiden Männer von der gesunkenen Karavelle, waren unter den Schützen. Es mußte ein seltsames Gefühl für sie sein, auf die eigenen Landsleute zu feuern. Aber sie hatten sich den Zielsetzungen ihres neuen Kapitäns verschrieben, und sie wußten, daß es nicht Don Juans Absicht war, Menschen sinnlos niederzumetzeln.

Auch auf den beiden Schaluppen blitzte es jetzt auf, spärlich noch. Die Männer auf der Schebecke zogen die Köpfe ein, während sie nachluden. Jaulend zischten die Geschosse über die Verschanzung hinweg, und nur eine der Eisenkugeln streifte das Steuerbordschanzkleid mit schmetterndem Klang.

Don Juan erkannte die Absicht der Schaluppenführer. Der Kollisionskurs war ihnen zu riskant. Vielmehr waren sie kaum merklich abgefallen. Mit dem Bug nach Südsüdost und in versetzter Position lauerten sie darauf, der vorbeirauschenden Schebecke die vollen Ladungen ihrer Backbordrohre zu verpassen.

Mit schmalen Augen taxierte Don Juan die Distanz. Nicht mehr als eine halbe Kabellänge würde er von den Schaluppen entfernt sein, wenn sie sich für einen Moment auf gleicher Höhe befanden. Und an Steuerbord achteraus formierten sich die ersten beiden Wachhunde zur Verfolgung.

Mit jedem Yard, den die Schebecke indessen auf Kurs Nordnordwest hinter sich brachte, vergrößerte sich die Entfernung zu den Galeonen und Karavellen des Verbandes.

Das Feuer auf den Schaluppen war jetzt eingestellt worden. Sekunden des Belauerns setzten ein. Denn nur noch Sekunden würde es dauern, bis der Dreimaster den gefährlichen Bereich erreichte. Innerlich von eiskalter Ruhe erfüllt, schätzte Don Juan die winzige Zeitspanne ab. Der Vorteil des ersten Schusses war in dieser Lage von größter Bedeutung – sinnvoll aber nur dann, wenn einem auf Anhieb ein Treffer gelang, der das Zielaufnehmen des Gegners durcheinanderbrachte. Letzteres war bei den beweglich gelagerten Drehbassen eben nur allzu leicht möglich.

„Feuer!“ rief Don Juan mit Donnerstimme und stieß im selben Moment die Lunte seines Hinterladers ins Zündloch.

Zehn weitere Drehbassen an der Backbordseite des Dreimasters ließen sprühende Funken ihres Zündkrauts aufsteigen.

Hart krängte die Schebecke nach Steuerbord, als die elf Geschützrohre fast im selben Sekundenbruchteil losbrüllten. Grelle Feuerzungen leckten nach außenbords. Im nächsten Augenblick mußten sich die Männer in Deckung werfen. Denn das Krachen ihrer eigenen Rohre wurde vom Feuer der Drehbassen des Gegners überlagert.

Ein Schwarm von Geschossen rauschte heran. Etliche lagen zu kurz und verwandelten das Wasser an Backbord der Schebecke in einen Fontänenwald. Weitere Kugeln rasten über Hauptdeck und Achterdeck. Berstende Einschläge gingen den Männern durch Mark und Bein. Ramón Vigil hing fast am Ruder, aber es gelang ihm dennoch, um keinen einzigen Strich vom Kurs abzuweichen.

Im verklingenden Nachhall der Schüsse begannen die Männer mit dem Nachladen. Don Juan richtete sich halb auf. Zufrieden stellte er fest, daß sie aus dem Gefahrenbereich der Schaluppen heraus waren. Doch einen Grund zum endgültigen Aufatmen gab es noch nicht. Denn jetzt jagten sie in das Schußfeld der beiden letzten Schiffe an der Backbordflanke des Kampfverbandes.

„Volle Deckung!“ befahl Don Juan mit Donnerstimme.

Ihnen blieb nur noch, ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken. Jegliches Nachladen der Drehbassen wirkte sinnlos angesichts der schweren Stücke, deren Mündungen jetzt auf sie gerichtet waren. Ein wenig Hoffnung gab ihnen indessen die hohe Geschwindigkeit des schlanken Dreimasters.

Die Breitseite des vorletzten Kriegsschiffs, einer Galeone, röhrte mit urgewaltigem Donner los. Die Mündungsblitze erhellten die Nacht mit blutrotem Schein. Das Krachen der Drehbassen, das den Männern noch in den Ohren lag, wirkte lächerlich dünn gegen den Feuerzauber, der jetzt über sie hereinbrach.

Don Juan und seine Gefährten hielten den Atem an, als die ersten zu kurz liegenden Geschosse ins Wasser rasten und an Backbord masthohe Wassersäulen aufsteigen ließen. Sollte es tatsächlich der Fall sein, daß sie schon genügend Distanz gewonnen hatten?

Noch während sie diesen Gedanken hegten, donnerte die Breitseite der in Backbord-Schlußposition segelnden Karavelle. Und wieder rauschten die Fontänen, wie von Gigantenkräften hochgerissen. Kein Bersten und kein Splittern jedoch, das den Schiffsrumpf hätte erbeben lassen.

Noch einen Atemzug lang harrten die Männer schweigend aus. Dann sprangen sie auf und brachen in wildes Freudengebrüll aus. Auch Ramón Vigil richtete sich am Ruder auf und stimmte mit ein.

Don Juan mußte ihre verständliche Freude dämpfen, indem er nach achteraus wies.

Zwei Schaluppen hatten sich auf Verfolgungskurs gesetzt. Und es war nur noch eine Frage von Minuten, wann auch die anderen die Jagd aufnehmen würden.

Auf Don Juans Anweisung hielt Ramón Vigil den Kurs, bis sie ausreichende Distanz von den beiden am Schluß des Verbandes segelnden Karavellen hatten. Dann gab er Order, die Schebecke nach Westen abfallen zu lassen. Bei raumem Wind nahm der Dreimaster sehr schnell höhere Fahrt auf. Kurz darauf hatten Don Juans Männer abermals Anlaß zu triumphierendem Gebrüll.

Die Schaluppenbesatzungen hatten das Nachsehen. Mit den hervorragenden Segeleigenschaften der Schebecke konnten sie es nicht mehr aufnehmen. Sehr bald hatte die Dunkelheit die rot-weißen Segel verschluckt. Eine dichte Wolkendecke sorgte für fast völlige Finsternis, und die Männer unter Don Juan konnten endgültig aufatmen.

„Das hätte ins Auge gehen können“, sagte der Bootsmann, und das Blitzen seiner Zähne zeigte an, daß er grinste.

Don Juan gab Order, die Schäden zu überprüfen. Er mußte erkennen, daß es mit der Zeit der tollkühnen Raids vorbei war. Der Verband hatte sich gegen böse Überraschungen gewappnet.

Seewölfe Paket 21

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