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4.

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Eine Ruhe von fast unnatürlicher Art herrschte auf den Decks der „Isabella“. Kaum anders ging es auf den fünf übrigen Schiffen des Bundes der Korsaren zu. Seit den Nachtstunden hatten sich die Männer in ständiger Gefechtsbereitschaft befunden, und fortwährend hatten sie damit gerechnet, daß es mit der Anspannung endlich vorbei sein würde.

Aber buchstäblich nichts war geschehen. Als sich der Nebel nach einer quälenden Ewigkeit gelichtet hatte, hatte ihnen die Sonne zwar ein Bilderbuchwetter beschert. Aber von den Dons, mit denen man immer noch rechnete, zeigte sich nicht einmal das Tüpfelchen einer Mastspitze.

So blieb nicht aus, daß die Männer wortkarg wurden, um ihre wachsende Gereiztheit nicht zu zeigen. Gespräche wollten nicht mehr aufkeimen. Unablässig starrten die Männer über die Verschanzungen und erblickten doch nichts anderes als die endlose Weite mit ihrem leuchtenden karibischen Blau und den dünnen weißen Schaumkronen, die wie symmetrisch gezogene Linien eines unsichtbaren Malers erschienen.

Auf der „Isabella“ stapfte Edwin Carberry rastlos über die Planken der Kuhl. Entgegen seinen Gewohnheiten gab er in diesen Mittagsstunden des 23. Juli nichts Lautstarkes von sich. Statt dessen brummte er bisweilen ein gepreßtes „Himmel, Arsch …“ vor sich hin, fluchte halblaut auf die „elende Lausebande“, mit der nur die Spanier gemeint sein konnten, und blieb von Zeit zu Zeit stehen, reckte sein Rammkinn vor und starrte mit mißmutigem Narbengesicht über die öde Leere der See.

Aber selbst die inbrünstigsten Verwünschungen bewirkten keine Besserung. Es blieb wie verhext. Kein spanischer Kampfverband kam in Sicht.

Dan O’Flynn hatte sich auf seinem Posten als Ausguck im Vormars vorübergehend von Bill ablösen lassen. Von allen Arwenacks verfügte Dan noch immer über die schärfsten Augen, und angesichts des Ernstes der Lage hatte er Hasard am frühen Morgen gebeten, seine alte Funktion wieder aufnehmen zu dürfen. Der Seewolf hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt. Natürlich war auch auf die übrigen Ausgucks der „Isabella“ Verlaß, doch Dan vollbrachte mit seiner außergewöhnlichen Sehkraft überdurchschnittliche Leistungen.

Nach dem stundenlangen Ausharren im Vormars hielt es Dan O’Flynn nun nicht mehr aus. Er mußte einfach die Gedanken loswerden, die sich bei ihm aufgestaut hatten. Mit langen, federnden Schritten eilte er über die Kuhl, vorbei an den Männern, die angesichts der plötzlichen Hast in ihrer dumpfen Monotonie stutzten. Verblüfft schauten sie ihm nach, wie er mit einem Satz über den Steuerbord-Niedergang zum Achterdeck aufenterte.

„So geht das nicht weiter“, sagte er ohne Einleitung, indem er sich vor Hasard und Ben Brighton aufbaute. „Seit Stunden tut sich überhaupt nichts. Dabei müßten wir längst im schönsten Feuerzauber stecken.“

„Freu dich nur nicht zu früh“, entgegnete der Erste Offizier der „Isabella“ trocken, „den Schlamassel wirst du noch rechtzeitig genug erleben.“

Dans Kopf ruckte herum, und er sah Ben Brighton funkelnd an.

„Woher willst du wissen, daß ich das Gegenteil von dem gemeint habe, was ich sagte?“

„Kein Mensch kann sich im Ernst ein Seegefecht herbeiwünschen.“

„Das wollte ich damit auch nicht sagen“, erwiderte Dan. „Diese Tatenlosigkeit ist schlimmer, als endlich Gewißheit zu haben. Außerdem geht es ja wohl darum, daß wir die Schlangen-Insel wirksam abschirmen, nicht wahr?“

Ben Brighton nickte, scheinbar gelassen.

„Gut. Dann drück dich nächstes Mal bitte so aus, daß man nicht um drei Ecken denken muß, um es zu verstehen.“

Dan O’Flynn wollte aufbrausen, aber der Seewolf griff mit einer beschwichtigenden Handbewegung ein.

„Es reicht jetzt“, sagte er energisch. „Gegen ein bißchen Wortgeplänkel ist nichts einzuwenden. Wenn es hilft, der Nervosität Luft zu verschaffen, ist es gut. Aber wir sollten es nicht übertreiben.“ Er wandte sich Dan O’Flynn zu. „Was glaubst du, über was Ben und ich uns die ganze Zeit den Kopf zerbrechen?“

„Ist mir schon klar“, entgegnete Dan und preßte für einen Moment die Lippen aufeinander. Mit einer ausladenden Geste deutete er auf die übrigen Schiffe des Verbandes, die in fächerförmiger Formation segelten. „Auch da drüben gibt es kein anderes Thema.“

Hasard und Ben konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Besonders augenfällig war die Behandlung des „Themas“ auf dem Schwarzen Segler. Auf dem Achterdeck thronte Thorfin Njal in seinem Sesselchen, und in beinahe regelmäßigen Abständen durchbrach sein Gebrüll die Stille, wenn er vom Ausguck wissen wollte, ob nicht endlich etwas zu sehen sei.

Auf der „Le Vengeur“ war Jean Ribault sogar selbst in den Vormars gestiegen, um mit dem Spektiv nach Westen und Nordwesten die Lage zu peilen. Und nicht minder aufmerksam waren die Ausgucks der „Pommern“, der „Tortuga“ und der „Caribian Queen“.

„Also heraus damit“, forderte der Seewolf, „welche Lösung des Problems hast du oben im Mars ausgebrütet?“

Dan lächelte kaum merklich.

„Vielleicht ist es tatsächlich eine Lösung. Weiß der Teufel, aber dieser verdammte Nebel von heute morgen hat mir immer mehr zu denken gegeben. Was ist, wenn wir den spanischen Verband in der Milchsuppe einfach verpaßt haben?“

Hasard und Ben Brighton wechselten einen Blick. Diese Möglichkeit hatten auch sie schon erwogen. Aber sie hatten sich mit einem solchen Gedanken noch nicht abfinden können.

„Wenn es so wäre“, erwiderte Hasard gedehnt, „dann hätten die Spanier eine Menge Vorteile auf ihrer Seite.“

„Ja, die Dons wären verdammt fein raus“, sagte Dan grimmig, „und mit jeder Meile, die wir uns voneinander entfernen, könnten sie mehr frohlocken. Kurz gesagt: Die Dons hätten längst in Sicht sein müssen. Aber sie sind’s nicht. Also? Wenn wir nicht bis nach Havanna durchsegeln wollen, sollten wir schleunigst umkehren.“

Hasard nickte bedächtig, und auch Ben Brighton wurde nachdenklich. Wenn es sich tatsächlich so verhielt, wie Dan andeutete, dann waren sie im Begriff, einen verhängnisvollen Fehler zu begehen.

Wie Dan den Platz im Vormars hatte auch Pete Ballie schon vor Stunden den Posten des Gefechtsrudergängers übernommen – in Erwartung der Auseinandersetzung, die längst überfällig war. Mit Fäusten so groß wie Ankerklüsen legte Pete Ruder, als Hasard Order gab, zwei Strich abzufallen und zu der an Backbord segelnden „Caribian Queen“ aufzuschließen.

Dan O’Flynns klare, von Wenn und Aber ungetrübten Überlegungen hatten für den Seewolf den Ausschlag gegeben. Ihm selbst war die Angelegenheit schon seit geraumer Zeit nicht mehr geheuer. Es mußte eine Entscheidung getroffen werden. Auf der Stelle.

Auf dem Achterdeck der „Caribian Queen“ leuchtete die rote Bluse Siri-Tongs über der Verschanzung, als sich die „Isabella“ heranschob und in Rufweite auf Parallelkurs ging.

„Kann sein, daß wir die Spanier im Nebel verfehlt haben!“ rief der Seewolf. „Was hältst du davon, wenn wir auf Gegenkurs gehen?“

Die Rote Korsarin antwortete ohne Zögern.

„Am besten sofort, Hasard. Ich bin dafür.“

Er hob die Hand und signalisierte damit, daß er verstanden hatte. Siri-Tongs Ansicht kannte er ohnehin bereits. Nach ihren Berechnungen hätten sie schon gestern auf den Gegner stoßen müssen, wenn nicht sogar noch früher. Was sich abgespielt hatte, war in höchstem Maße rätselhaft. Für einen Kampfverband konnte es Verzögerungen unterschiedlicher Art geben, soviel war klar. Andererseits aber würde sich ein zu allem entschlossener Verbandsführer bestenfalls von einer Flaute aufhalten lassen. Und die hatte es bei den derzeitigen Wetterbedingungen nicht gegeben.

Hasard ließ wieder anluven und hatte sich bald darauf auch mit den übrigen Kapitänen verständigt.

Jean Ribault war ebenfalls sofort einverstanden, auf Gegenkurs zu gehen. Jerry Reeves stimmte nach kurzem Überlegen zu, und Oliver O’Brien gab zu verstehen, daß man seiner Meinung nach schon am frühen Morgen hätte umkehren sollen. Thorfin Njal fluchte über die „dämlichen Torfköppe aus Havanna, diese Blindfische, die wohl dicke Klüsen vom vielen Rotwein hatten, daß sie einen Verband von sechs ausgewachsenen Galeonen glatt übersahen“. Von der umgekehrten Rechnung erwähnte Thorfin nichts, aber Hasard wertete sein Gebrüll als eindeutiges Ja zum Gegenkurs.

Eine Viertelstunde später war die gemeinsame Entscheidung in die Tat umgesetzt. Jeder Fetzen Tuch war gesetzt worden, und die sechs Schiffe des Bundes der Korsaren lagen auf Südostkurs.

Der Seewolf und seine Gefährten hatten beschlossen, alles an Fahrt herauszuholen, was nur möglich war. Daraus folgerte naturgemäß, daß sich ihre, geschlossene Formation auflösen mußte. Eins stand jedoch fest: Derjenige, der als erster auf den spanischen Verband stieß, würde unverzüglich angreifen und die Dons beschäftigen, damit die Freunde aufschließen konnten.

Schon sehr bald war es die „Pommern“, die deutlich zurückfiel. Oliver O’Brien und die Mitglieder der Crew Arne von Manteuffels wußten, daß sie gegenüber den übrigen Schiffen des Bundes in puncto Geschwindigkeit benachteiligt waren. Denn bei der zum deutschen Handelssegler umgebauten „Pommern“ handelte es sich um die ehemalige spanische Perlen-Galeone „Santa Clara“. Und die Spanier mußten seit einigen Jahren neidvoll zusehen, wie sie von den Engländern im Schiffbau immer mehr übertrumpft wurden.

Der alte Ramsgate hatte dafür auf seiner Werft in Plymouth ein leuchtendes Beispiel gegeben. Die Schiffe, die nach seinen Konstruktionsplänen gebaut worden waren, suchten auf den Weltmeeren ihresgleichen. Indessen waren es die Mißachtung seiner Leistungen und die gegen ihn gesponnenen Intrigen gewesen, die Hesekiel Ramsgate veranlaßt hatten, sich dem Bund der Korsaren anzuschließen und England den Rücken zu kehren.

Einen augenfälligen Beweis für die Genialität des Schiffsbaumeisters aus Plymouth lieferten in diesen Mittagsstunden des 23. Juli denn auch die „Isabella“, die „Le Vengeur“ und die „Tortuga“. Mit schäumender Bugwelle setzten sie sich von den übrigen Schiffen des Verbandes ab und gewannen einen beträchtlichen Vorsprung. Fast Bord an Bord mit der „Isabella“ segelte die „Le Vengeur“, gefolgt von ihrem Schwesternschiff „Tortuga“ unter dem Kommando von Jerry Reeves.

Damals in Bristol hatten es sich Jerry und seine Freunde nicht träumen lassen, daß sie einmal als Gefährten des Seewolfs ein neues Leben in der Karibik führen würden. Doch Hasard hatte ihre gute Zusammenarbeit beim Einsatz in der Bretagne nicht vergessen. So war es nur logisch gewesen, Jerry Reeves und die übrigen Männer in Bristol aufzustöbern und als Besatzung für die „Tortuga“ zu verpflichten. Jean Ribault, der auf der Werft des alten Ramsgate den Bau der „Le Vengeur“ und ihres Schwesternschiffs überwacht hatte, war mit dieser Regelung sofort einverstanden gewesen.

Schon damals, als das neue Domizil in der Karibik zunächst nur in ihren Planungen bestanden hatte, waren sich Philip Hasard Killigrew und seine Gefährten über eines im klaren gewesen: Den künftigen Lebensraum im Bereich der Schlangen-Insel würden sie gegen die schlimmsten Anfeindungen verteidigen müssen. Denn zu groß waren die Machtbestrebungen von spanischer und teilweise auch von englischer Seite, die sich gegen ihre Auffassung von Freiheit und Brüderlichkeit richteten.

Manch einer der Männer dachte heute an jene Anfänge im nebelverhangenen England zurück. Und stets hatten sie mit tödlichen Bedrohungen gerechnet, seit sie sich auf der Schlangen-Insel niedergelassen hatten. Die schlimmste Gefahr jedoch, die ihrer neuen Heimat jemals gedroht hatte, bestand in Form des spanischen Kampfverbandes aus Havanna. Das Geheimnis um die Schlangen-Insel war von der Black Queen aus Haß und Rachsucht verraten worden. Und dem Bund der Korsaren stand die größte Bewährungsprobe seit seiner Gründung bevor.

Im Verlauf der frühen Nachmittagsstunden vergrößerte sich der Vorsprung der drei Ramsgate-Schiffe zum Schwarzen Segler Thorfin Njals und auch zu Siri-Tongs „Caribian Queen“ immer mehr. Schließlich waren von den beiden letzteren nur noch die Mastspitzen an der nordwestlichen Kimm zu sehen.

Dan O’Flynn hatte wieder seinen Platz im Vormars eingenommen, und jeder einzelne Mann an Bord der „Isabella“ fieberte dem Moment entgegen, in dem Dans vertraute Stimme endlich das „Feind in Sicht“ melden würde.

Es war gegen 16 Uhr, als der Ruf des Ausgucks die Arwenacks aus ihren Gedanken aufschrecken ließ. Etliche hasteten los und wollten sich reflexartig auf Gefechtsstation begeben. Doch im nächsten Moment begriffen sie, daß Dans Beobachtung nicht das geringste mit dem spanischen Kampfverband zu tun hatte.

„Deck! Backbord voraus rot-weiß gestreifte Segel!“ Den letzten Worten gab Dan eine besondere Betonung, und mehr brauchte er nicht hinzuzufügen.

Hasard und Ben Brighton eilten an die Achterdecksverschanzung und setzten die Spektive an die Augen. In der Tat zeichnete sich der dreimastige Segler bereits deutlich in der Optik ab. Über Backbordbug rauschte das schlanke Schiff mit hoher Fahrt heran, und es bestand kein Zweifel, daß man die „Isabella“ ebenfalls bereits gesichtet hatte.

Die Geschehnisse von Great Abaco waren allen Arwenacks noch in bester Erinnerung. Dort war der Algerier Mubarak mit seiner Schebecke aufgetaucht, und Ramón Vigil und seine Mannen hatten es nach haarsträubenden Verwirrungen schließlich geschafft, den Dreimaster zu erobern. Erst kurz zuvor war Don Juan de Alcazar an Bord der „Isabella“ gesundgepflegt worden. Es war eine von mehreren Gelegenheiten gewesen, bei denen Hasard dem Spanier durch sein Verhalten Rätsel aufgegeben hatte.

Die Zeit des beiderseitigen Rätselratens war nun aber endgültig vorbei. Erst vor wenigen Tagen war Old Donegal Daniel O’Flynn mit seiner „Empress“ der Schebecke begegnet. Arne, der sich zu jenem Zeitpunkt noch an Bord des Dreimasters befunden hatte, war gezwungen gewesen, Farbe zu bekennen. Und so hatten der alte O’Flynn und die anderen miterlebt, wie sich Don Juan vom Sonderbevollmächtigten der spanischen Krone zum Verbündeten des Bundes der Korsaren gewandelt hatte.

„Der scheint es aber mächtig eilig zu haben“, murmelte Ben Brighton, nachdem sie die heranjagende Schebecke eine Weile beobachtet hatten.

Deutlich waren mittlerweile die Männer an Bord des schlanken Dreimasters zu erkennen. Und auf dem Achterdeck sah Hasard den hochgewachsenen Spanier, wie er mit rudernden Armbewegungen winkte.

Trotz des Ernstes der allgemeinen Situation konnte sich der Seewolf eines Lächelns nicht erwehren. Wie grundlegend hatten sich die Dinge doch geändert! Die Begegnungen, die er mit Don Juan bereits gehabt hatte, waren letztlich stets von unverhohlener Feindschaft geprägt gewesen. Dennoch hatten sie sich bei diesen Anlässen zu achten gelernt. Die Ritterlichkeit, die sie gleichermaßen auszeichnete, und ihr Gedankengut, in dem es viele Parallelen gab, hatten schließlich dazu geführt, daß sie sich gegenseitig immer mehr respektierten. Den entscheidenden Einfluß auf Don Juans sich neu entwickelndes Bewußtsein mußten jedoch die Geschehnisse in Havanna und Arne von Manteuffels Mitwirkung gehabt haben.

Wenig später war die Schebecke heran. Geschickt wurde der Dreimaster auf die Backbordseite der „Isabella“ gesteuert, und Don Juan schwang sich an einem Fall behende herüber.

Die Arwenacks auf der Kuhl und auf dem Vordeck begrüßten den neuen Verbündeten mit begeistertem Beifallsgebrüll. Ed Carberry war es, der Don Juan auffing, als dieser das Fall losließ, und der Profos der „Isabella“ grinste dabei über die ganze Breite seines Narbengesichts.

Don Juan reagierte nicht etwa unwillig oder verlegen. Vielmehr erwiderte er das Grinsen und hieb dem narbengesichtigen Riesen anerkennend auf die Schulter. Erneutes Beifallsgebrüll begleitete den Spanier, als er mit eiligen Schritten auf das Achterdeck zustrebte.

Hasard empfing ihn beim Backbord-Niedergang. Don Juan war ernst geworden. Schweigend drückte er dem Mann die Hand, der eigentlich sein Todfeind sein sollte – wenn es nach dem Willen der spanischen Hofbeamten in Madrid ging. Hasard sagte ebenfalls nichts. Er erwiderte den Blick seines einstigen Gegners, und der Händedruck der beiden Männer währte lange.

Dann aber gab es keinen Grund mehr, Zeit zu verschwenden. Auch Ben Brighton begrüßte den Spanier per Handschlag, und zu dritt begaben sie sich zur Heckgalerie. Don Juan warf einen kurzen Blick zur „Le Vengeur“ und zur „Tortuga“.

„Ich bin froh, daß Sie bereits auf Gegenkurs gegangen sind“, sagte er, „aber seit ich Sie gesichtet habe, wundere ich mich, wo die anderen Schiffe geblieben sind. Wollen Sie etwa riskieren, mit nur drei Galeonen auf den spanischen Verband zu stoßen?“

„Wir haben das Gefühl, daß höchste Eile geboten ist“, entgegnete der Seewolf, „deshalb haben wir jeden verfügbaren Fetzen Tuch gesetzt. Unsere Formation mußte sich dabei zwangsläufig auflösen.“ Mit knappen Worten berichtete er darüber, warum sie sich zur Umkehr entschlossen hatten. Und lächelnd fügte er hinzu: „Im übrigen sollten wir das ‚Sie‘ weglassen. Im Bund der Korsaren gibt es solche Förmlichkeit nicht.“

Don Juan nickte.

„Einverstanden, Hasard. Es tut gut, keine Vorbehalte zu spüren. Obwohl ich es dir nicht einmal verdenken könnte.“

Der Seewolf schüttelte den Kopf.

„Ich meine, wir kennen uns lange genug.“

„Allerdings.“ Don Juan gab sich einen Ruck. „Dann halten wir uns mit diesem Teil der Vergangenheit nicht länger auf. Es gibt im Augenblick Dinge von größerer Wichtigkeit.“ Kurz und bündig, wie es auch die Art des Seewolfs war, berichtete er über die Ereignisse im Zuge der Verfolgung des Kampfverbandes.

Während Don Juan sprach, wurde dem Seewolf und seinem Ersten Offizier einiges klar, was ihnen in den zurückliegenden Stunden und Tagen noch Rätsel aufgegeben hatte. Wenn sie davon erfuhr, würde auch Siri-Tong wissen, daß ihre Berechnungen im Grunde richtig gewesen waren. Normalerweise hätte man dem spanischen Kampfverband schon viel früher begegnen müssen.

Hasard und Ben mußten grinsen, als sie davon hörten, daß der Verbandsführer Cubera gezwungen gewesen war, vor Cardenas zu ankern, damit der sehr ehrenwerte Gouverneur nicht länger auf sein gewohntes Bad verzichten mußte. Die Schilderung der nächtlichen Störangriffe veranlaßte die Männer indessen zu einem anerkennenden Nicken.

Don Juan berichtete auch von José Buarcos und Jorge Matteo, den beiden Überlebenden jener Karavelle, die die Black Queen in den Korallenriffs der Cay-Sal-Bank versenkt hatte.

„Beide sind Landsleute von mir“, sagte Don Juan, „Buarcos war Sargento, Matteo einfacher Decksmann. Aber sie standen im Dienst der Admiralität, und ich hätte es ihnen nicht verdenken können, wenn sie auf die Rettung durch uns verzichtet hätten – oder darauf bestanden hätten, im nächsten Hafen abgesetzt zu werden.“

„Sind sie Mitläufer?“ fragte Hasard. „Oder hast du sie von euren Zielen überzeugt?“

Don Juan schüttelte den Kopf.

„Weder das eine noch das andere. Die beiden sind anständige Burschen, die auch genügend Grips haben, um sich ihre eigene Meinung zu bilden. Ich habe nicht etwa auf sie eingeredet. Ich habe ihnen lediglich erklärt, wer ich bin und was dazu geführt hat, daß ich mich dem Bund der Korsaren anschloß. Das genügte. Buarcos und Matteo waren sofort bereit, sich meinem Kommando zu unterstellen.“

Hasard wechselte einen Blick mit Ben Brighton. Es war frappierend, mit welcher Offenheit und Ehrlichkeit Don Juan seine Absichten verfolgte. Aus seinen neugewonnenen Erkenntnissen machte er keinen Hehl. Und wenn andere hörten, auf welche Weise er sich zu besserem Wissen durchgerungen hatte, dann verfehlte das seine Wirkung nicht. Das Beispiel Buarcos und Matteo bewies es.

„Und die Black Queen?“ fragte Ben Brighton gespannt. „Ist sie von den Schaluppen des Verbandes noch aufgespürt worden?“

„Nicht von den Schaluppen“, entgegnete Don Juan mit hintergründigem Lächeln, „sondern von uns.“ Er schilderte den Überraschungsangriff in der Dunkelheit, den er und seine Männer mit der Schebecke gefahren hatten. Noch vor Anker liegend, war der Zweimaster in seinem Versteck in einer Inselbucht der Cay-Sal-Bank versenkt worden.

Hasard und Ben konnten ihn sekundenlang nur ungläubig ansehen.

„Hat es Überlebende gegeben?“ fragte der Seewolf schließlich.

Don Juan zog die Schultern hoch.

„Es sah nicht danach aus. Ich kann es aber nicht mit Bestimmtheit sagen. Wir haben uns nicht vergewissert. Wichtig waren für uns vor allem die nächsten Störangriffe auf den Kampfverband. Ein paar Überlebende von einem versenkten Zweimaster können der Schlangen-Insel wohl nicht so gefährlich werden wie ein vollständiger spanischer Flottenverband.“

„Allerdings“, sagte Hasard. „Auf jeden Fall ist die Black Queen erst einmal außer Gefecht gesetzt, und dafür sind wir dir zu großem Dank verpflichtet. Genauso wie für die übrigen Aktivitäten gegen den Verband des Gouverneurs.“

Don Juan grinste.

„Ich meine, auf Dankesfloskeln kann man im Bund der Korsaren auch verzichten, wie?“

Der Seewolf mußte zustimmen. Ihm erging es nicht anders als Ben Brighton: Trotz der gefährlichen Lage, in der sie sich alle befanden, erfüllte sie der Bericht ihres neuen Gefährten mit einer Stimmung von fast beschwingter Heiterkeit. Sicherlich lag es an dem wohltuenden Gefühl, mitzuerleben, wie sehr dieser aufrechte Mann ihre eigenen Idealvorstellungen zu schätzen gelernt hatte.

„Und anschließend hat auch euch der Nebel einen Strich durch die Rechnung gemacht“, sagte Ben Brighton nachdenklich. „War es nicht so?“

Don Juan nickte.

„Erst dieser Wolkenbruch in den Nachtstunden und dann der Nebel. Es war zum Verrücktwerden.“ Kurz und bündig schilderte er das Geschehen, das schließlich zu seinem Entschluß geführt hatte, auf Gegenkurs zu gehen.

Zur augenblicklichen Situation brauchten die Männer nicht viele Worte zu verlieren. Die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ mußten jetzt alles daran setzen, den Kampfverband zu erreichen und in Gefechte zu verwickeln. Aufgabe der „Tortuga“ würde es zunächst sein, zurückzufallen und die Verbindung zu den langsameren Schiffen des Bundes der Korsaren aufrechtzuerhalten.

„Es ist die einzig denkbare Taktik“, sagte Don Juan zustimmend. „Wenn ihr einverstanden seid, werde ich meinen bisherigen Kurs wieder aufnehmen und eure nachfolgenden Schiffe verständigen.“

„Sehr gut“, sagte Hasard und nickte, „für Siri-Tong, Thorfin und die anderen ist es ebenfalls wichtig, auf dem laufenden zu sein. Das gilt vor allem für die neue Zusammensetzung des Kampfverbandes. Von den sechs Schaluppen hätten wir natürlich nichts geahnt.“

„Laß dir von unserem Nordmann keinen Schreck einjagen“, sagte Ben Brighton lächelnd. „Thorfin sieht schlimmer aus, als er ist. Und wenn er herumbrüllt, ist das nur die rauhe Schale über dem weichen Kern.“

„Ich werde es mir merken“, versprach Don Juan. „Sobald alle Kapitäne informiert sind, gehen wir mit der Schebecke wieder auf Gegenkurs und versuchen, so schnell wie möglich aufzuschließen, damit wir aktiv eingreifen können.“

„Bei den guten Segeleigenschaften eures Dreimasters dürftet ihr das spielend schaffen“, sagte Hasard.

Don Juan winkte ab. „Deine ‚Isabella‘ und die beiden Schwesterschiffe sind auch nicht zu verachten.“

Sie verloren keine weiteren Worte. Don Juan verabschiedete sich, setzte wieder über und jagte kurz darauf mit der Schebecke weiter nach Nordwesten. Hasard übernahm es, Jean Ribault anzupreien und ihn über die Neuigkeiten zu informieren.

Mit nur zwei Schiffen würden sie gegen neun ebenbürtige Gegner zu kämpfen haben. Allen Männern auf der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ war klar, was ihnen damit bevorstand.

Es entsprach ihrem eisernen Willen, die Schlangen-Insel zu verteidigen, daß sie dem Augenblick der Konfrontation um so mehr entgegenfieberten.

Seewölfe Paket 21

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