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Zur selben Zeit hockte ein gedemütigter, niedergeschlagener, ratloser Gouverneur Don Antonio de Quintanilla auf dem Rand der Koje in der Gästekammer des Achterkastells an Bord der „San José“. Das Flaggschiff des Kriegsverbandes war jetzt sein Gefängnis. Man hatte ihn unter Kammerarrest gestellt, und vor dem Schott stand ein bewaffneter Posten. Er war von seinen eigenen Landsleuten verdammt worden, war ihnen ausgeliefert und würde noch die Konsequenzen, einen Prozeß in Havanna oder anderswo, über sich ergehen lassen müssen.

Das Bordgericht der „San José“ hatte ihn unter Arrest gestellt, und Don Garcia Cubera, der Kapitän und Verbandsführer, hatte den Befehl sofort ausführen lassen. Nur zu gern, wie Don Antonio grimmig registrierte, und auch berechtigterweise mit Genugtuung, wenn man sachlich sein wollte, denn schließlich hatte man ihn töten wollen, und er war nur wie durch ein Wunder am Leben geblieben, weil zwei Männer der Kriegskaravelle „Gaviota“ ihn aus der See gefischt hatten.

Gomez Guevara – so hieß der verhinderte Meuchelmörder. Sein Messer hatte Cubera nur an der Schulter verletzt, und es war ihm letztlich zum Verhängnis geworden, denn der Erste Offizier der „San José“ hatte es nach der Tat auf den Planken des Achterdecks gefunden. Das Beweisstück hatte den Kerl überführt und zum Geständnis gezwungen. Er war gehängt, wieder von der Rah geschnitten und ohne Leichenrede in die See geworfen worden, wie es jedem Mörder oder versuchten Mörder gebührte.

Don Antonio erschauerte unwillkürlich, als er daran dachte. Immer wieder wurde er daran erinnert. Er konnte nicht mehr schlafen, und er wußte nicht, ob er sitzen oder stehen sollte. Er glaubte, seine eigene Angst zu riechen. Seine dicken, beringten Finger tasteten nach dem fetten Hals, und für einen winzigen Augenblick hatte er das Gefühl, auch um seine Kehle schnüre sich bereits die tödliche Schlinge zusammen.

Gewiß, seine Mittäterschaft hatte sich nicht nachweisen lassen. Dennoch: Guevara hatte ihn schwer belastet. Guevara war sein Kammerdiener gewesen, und es lag auf der Hand, daß er, Don Antonio, den Mordauftrag erteilt hatte.

Natürlich stritt er alles ab, und so stand Aussage gegen Aussage. Das Bordgericht konnte ihm also nichts anhängen. Aber Cubera würde ihn vor ein Gericht des Königs stellen, und der Prozeß würde keine Farce sein wie viele Verhandlungen, die in der Residenz von Havanna stattgefunden hatten, wenn es Don Antonio darum gegangen war, sich lästiger, aufmüpfiger oder unbequemer Zeitgenossen zu entledigen. Cubera war vorgewarnt und wußte, daß sich der dicke Mann wie ein Aal wand. Ein neutrales, unbestechliches Gericht mußte zusammentreten – und er würde dafür sorgen, daß es einen gerechten und unantastbaren Schuldspruch gab.

Don Antonio war davon überzeugt, daß ihm das gelang. Noch einmal hatte er das Verhängnis abwenden können, aber jeder Mann an Bord war davon überzeugt, daß er, der Gouverneur, dem Kommandanten nach dem Leben getrachtet hatte. Gründe für ein solches Handeln gab es genug, und auch die Tatsache, daß Guevara Cubera angegriffen und außenbords geworfen hatte, sprach für sich.

Was also tun? Fliehen? Don Antonio schauderte allein bei dem Gedanken daran zusammen. Schwimmen konnte er nicht. Ein Boot konnte er nicht entwenden, außerdem wußte er nicht, wie er es fortbewegen sollte, wenn es erst einmal im Wasser lag. Segel, Riemen – all das waren ihm widerwärtige Begriffe, er wollte mit der Seefahrt nichts zu tun haben. Und wie sollte er im übrigen auch den Wachtposten überwältigen?

Er saß in der Falle, es gab keinen Fluchtweg. Diese Erkenntnis machte ihn regelrecht krank, und auch der süße Portwein half ihm nicht über seinen Kummer weg. Die kandierten Früchte schmeckten ihm auch nicht mehr, aber er stopfte sie sich trotzdem ununterbrochen in den Mund. Irgend etwas mußte er tun, sonst wurde er noch wahnsinnig.

Dabei hatte alles so schön begonnen. Don Antonio war als sicherer Sieger an Bord des Flaggschiffes gegangen und hatte alle Privilegien für sich beansprucht, von der Kapitänskammer bis zum Waschzuber, der eigens für ihn hatte beschafft werden müssen. Nicht den geringsten Zweifel hatte er daran gehegt, daß alles nach seiner Pfeife tanzte, daß das Gefecht gegen die Engländer mit einem glorreichen Sieg für die spanische. Krone endete und daß er, Don Antonio, sämtliche Schätze der englischen Hundesöhne geflissentlich vereinnahmen würde. Das waren seine Pläne – und nur deshalb hatte er sich entschlossen, mitzusegeln.

Aber das Leben war voller Ecken und Kanten, und er bereute zutiefst seinen Entschluß, die Residenz verlassen zu haben. Jetzt konnte er nicht mehr zurück, und er hatte alle gegen sich.

Ausgerechnet auf einen Mann wie diesen Cubera hatte er stoßen müssen, der hart wie Eisen und unbeugsam war. Jeder Versuch Don Antonios, den Befehl über den Verband an sich zu reißen, war auf den erbitterten Widerstand dieses Kommandanten gestoßen, der sich nur seiner Obrigkeit, der Admiralität, verpflichtet fühlte und sonst niemand anderem Rechenschaft ablegte.

An einem gewissen Punkt des Kriegsmarsches auf die Schlangen-Insel angelangt, hatte Don Antonio den Verdacht zu hegen begonnen, die Black Queen habe ihn in eine Falle gelockt oder wolle ihm einen üblen Streich spielen. Denn was hatten die nächtlichen Angriffe auf den Verband zu bedeuten, bei dem nun schon mehrere Schiffe Schaden erlitten hatten?

Der Verdacht hatte Angst hervorgerufen, und Don Antonio hatte Don Garcia Cubera gedrängt, umzukehren und nach Havanna zurückzusegeln. Doch auch in diesem Punkt blieb der Kommandant stur: Er behielt seinen Kurs bei und war mehr denn je davon überzeugt und darauf bedacht, den Angriff auf die englischen Piraten durchzuführen.

Es war ein altes Prinzip von Don Antonio de Quintanilla, daß ein Mann so rasch wie möglich verschwinden mußte, wenn er unbequem zu werden begann. Viele Männer hatten im Laufe der Jahre, die er seinen Posten als Gouverneur versah, die Residenz von Havanna betreten und nie wieder verlassen, höchstens mit den Füßen zuerst. Im Kerker hatte er so manchen Gegner weichgeklopft, und unter den Qualen des peinlichen Verhörs waren auch die härtesten Kerle lammfromm geworden. Hatte ein Mann dann seine Geheimnisse preisgegeben – welcher Art sie auch immer sein mochten –, konnte er getrost den Weg ins Jenseits nehmen. Starb er nicht an den Folgen der Folter, half Don Antonio gern mit einer Prise Gift nach.

Aber nicht nur im Kerker, auch in den prunkvollen Sälen und Gemächern seines Allerheiligsten hatten schon Männer ihr Leben gelassen. Zuletzt Don Ruiz de Retortilla, der Stadtkommandant von Havanna.

Don Antonio verzog das Gesicht, wenn er an ihn zurückdachte. Dieser Narr, dachte er. Er hatte versucht, seinem Gouverneur zu drohen und ihn zu erpressen. Er hatte sich dadurch sein eigenes Grab geschaufelt.

Don Juan de Alcazar hatte einen ähnlichen Weg gehen sollen. Er war, so hatte Don Antonio es dargestellt, der Mörder der Señora Samanta de Azorin. Daß in Wirklichkeit ein gedungener Mörder des Don Antonio und Don Ruiz die Señora auf dem Gewissen hatten, wußte niemand.

Aber Don Juan war geflohen, und seitdem wußte kein Mensch mehr, wo er sich versteckt hielt. Don Antonio gab sich Mühe, nicht mehr an ihn zu denken, aber gerade durch Cubera wurde er immer wieder an diesen hartnäckigen und unbestechlichen Mann erinnert, der seine Prinzipien vor alles andere setzte. Auch Cubera war so ein Mensch, der Kühnheit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und den Kampf fürs Vaterland an die Stelle persönlicher Interessen stellte.

Zum Teufel, der ist imstande und läßt sich für die Krone töten, dachte Don Antonio. Unbegreiflich! In seinen Augen waren solche Männer Narren oder Idioten, denn sie brachten es im Leben zu nichts, höchstens zu einem Orden, den sie mit ins Grab nehmen konnten.

Doch man mußte das Leben genießen. Genuß war nur durch Reichtum gesichert, und reich wurde man weder durch Prinzipien noch durch Heldenmut. Spanien hatte Gold und Silber im Überfluß – warum also nicht wenigstens einen Teil davon für den Gouverneurspalast von Havanna beiseite schaffen?

Don Antonio hatte es getan. Er lebte im Luxus und verfuhr nach einem einfachen Grundsatz: Was dein ist, ist auch mein, und was mein ist, bleibt mein.

Reichtum und Besitz – und all das sollte durch einen fanatischen Capitán namens Cubera aufs Spiel gesetzt werden? Nein, auf gar keinen Fall durfte er sich geschlagen geben. Er mußte reagieren und sich zur Wehr setzen. Wenn er Cubera nicht beseitigen konnte, mußte es einen anderen Weg geben, sich zu befreien und für den nötigen Respekt seitens des Achterdecks zu sorgen. Er, Don Antonio, beging einen gewaltigen Fehler, wenn er sich jetzt von seiner Niedergeschlagenheit und seinem Selbstmitleid übermannen ließ.

Was sollte er unternehmen? Er verlieh sich einen innerlichen Ruck und zwang sich dazu, angestrengt nachzugrübeln. Wieder verschwanden drei, vier kandierte Früchte in seinem Mund, und er spülte kräftig mit Portwein nach.

Plötzlich fiel ihm etwas ein. Hatte er nicht eine Waffe in seinem Gepäck? Hatte er kurz vor dem Verlassen der Residenz nicht ausdrücklich befohlen, auch eine Pistole in seinen Sachen zu verstauen, damit er, der Hochwohlgeborene und Erlauchte, im Falle höchster Gefahr nicht ganz wehrlos dastand?

Er wollte bereits zu dem Glöckchen greifen, mit dem er seine Dienerschaft herbeizuklingeln pflegte, zog die Hand aber rechtzeitig genug wieder zurück. Guevara, sein Kammerdiener, war ja nicht mehr am Leben. Benachrichtigte er die übrigen Lakaien, schöpfte die Wache selbstverständlich Verdacht.

Es gab nur den einen Weg: Er mußte selbst suchen. Aber das war mit Arbeit verbunden. Mühsam erhob er sich, kippte auf den leicht schwankenden Planken fast um, hielt sich an der Koje fest und ließ sich auf die Knie sinken. Er begann, in seinen Gepäckstücken herumzukramen, aber die Suche brachte nicht den gewünschten Erfolg.

Mit einemmal war er nicht mehr sicher. Hatte er nun eine Pistole, oder hatte er sie nicht? Oder hatte Cubera heimlich seine Kammer durchsuchen lassen? Auch das war möglich. Überhaupt, auf diesem Teufelsschiff waren sie zu jeder Schandtat fähig.

Erschöpft ließ sich Don Antonio auf die Koje sinken. Er mußte Kräfte sammeln. Wenn er schon nicht schlafen konnte, dann wollte er doch wenigstens ein bißchen ruhen. Und mit der Zeit kam auch der erforderliche Rat. Vielleicht, dachte er und gähnte, suche ich nachher weiter. Vielleicht ist das Glück mir armem Teufel doch noch hold.

Der spanische Kampfverband lag in den Nachtstunden des neuen Tages, des 21. Juli also, nach dem Schebecken-Angriff wieder vor Treibanker im Nicolas-Kanal. Die beschädigte Ruderanlage der einen Kriegskaravelle mußte repariert werden, wie verrückt war das Schiff nach der Attacke in den Wind geschossen. Ebenso war es einer anderen Karavelle, der „Gaviota“, ergangen. Sie war sogar derart stark ramponiert, daß sie mit einem Notruder den nächsten Hafen anlaufen mußte.

Das war Remedios an der Nordküste von Kuba. Don Garcia Cubera hatte dem Kapitän der „Gaviota“ den offiziellen Befehl erteilt, den Hafen anzulaufen und dort ins Dock zu gehen. Die „Gaviota“ schied somit aus der Unternehmung aus, hatte jedoch den Auftrag, eventuelle in Remedios liegende spanische Kriegsschiffe über den Raid gegen die englischen Piraten zu informieren und um Unterstützung zu bitten.

Der Verband – so hatte Don Garcia Cubera dem Kapitän der „Gaviota“ mitgeteilt – würde den ganzen 21. Juli über noch vor Treibanker liegen und erst am Abend mit Kurs Osten zum Süden weiter an der Küste entlangsegeln, so daß man sich auf der Höhe von Remedios treffen konnte.

Aufgrund der bösen Erfahrungen der beiden letzten Nächte und der Gewißheit, daß zumindest zwei Gegner bereits gegen den Verband kämpften, ließ Cubera auch in dieser Nacht die Jollen der einzelnen Schiffe ausschwärmen, um den Verband nach allen Seiten hin gegen etwaige neue Angriffe abzuschirmen. Immerhin war sein Verband zur Zeit um zwei Schiffe vermindert: Eine Kriegskaravelle war aus bisher noch ungeklärten Gründen gesunken, und man hatte nur Trümmerteile westlich der Cay-Sal-Bank gefunden. Das zweite Schiff war die „Gaviota“, die jetzt mit schwerstem Ruderschaden nach Remedios verholen mußte.

Don Garcia Cubera stand auf dem Achterdeck der „San José“ und dachte erneut über die bisherigen Ereignisse nach. Vieles war ihm rätselhaft, aber folgende Punkte hatte er doch recherchieren können: Bei den beiden bisher festgestellten Gegnern handelte es sich – aus seiner Sicht – um einen Zweimaster, der laut Bericht der Jollenführer, die sich bereits mit der Besatzung dieses Schiffes herumgeschlagen hatten, von einer Negerin kommandiert wurde und mit dunkelhäutigen Männern besetzt sein sollte.

Ob das wirklich stimmte? Cubera sah keinen Grund, an den Darstellungen seiner Leute zu zweifeln. Gewiß, es gab einige unter ihnen, die vieles übertrieben und besonders farbig ausgeschmückt wiedergaben. Doch die Jollenführer waren nüchterne, salzgewässerte Männer, die aufmerksam zu beobachten verstanden und nicht unter Einbildungen litten. Sie hatten von einem „Negerweib“ gesprochen, und sie täuschten sich gewiß nicht.

Farbige also, die sich von einer Frau kommandieren ließen. Was für eine Bande war das? Nun, er würde es durch zähe Nachforschungen vielleicht doch noch herausfinden.

Bei dem anderen Gegner sollte es sich um die Schebecke des Don Juan de Alcazar handeln. Der Kapitän der „Gaviota“ hatte sie deutlich gesehen, und er hatte seinem Kommandanten gegenüber noch nie etwas behauptet, das er nicht belegen konnte. Bei ihrem nächtlichen Angriff hatte er sie zweifelsfrei identifiziert.

Cubera begriff die Zusammenhänge nicht. Die Schebecke war eine Prise des Don Juan de Alcazar, er hatte sie in den Hafen von Havanna überführt und dort vor Anker gehen lassen. Aber – sie war von den Soldaten des Gouverneurs unter Befehl des dann so plötzlich verstorbenen Stadtkommandanten Don Ruiz de Retortilla beschlagnahmt worden, soweit sich Cubera entsinnen konnte. Die kleine Mannschaft war ins Gefängnis geworfen worden, ganz abgesehen von der Ungeheuerlichkeit, daß ausgerechnet der Mann eine Frau ermordet haben sollte, der von der spanischen Krone beauftragt worden war, den englischen Kapitän Killigrew zur Strecke zu bringen. Don Juan ein Mörder – stimmte das denn wirklich?

Das alles war höchst verwirrend und stand nicht miteinander in Einklang. Don Garcia Cubera fuhr sich mit der Hand übers Kinn und dachte angestrengt nach. Er wägte dieses und jenes ab und stellte verschiedene Theorien auf. Wenn sich Don Juan de Alcazar wieder in den Besitz der Schebecke gebracht hatte, warum bekämpfte er dann die eigenen spanischen Schiffe, die jetzt gegen jenen Feind segelten, den er doch eigentlich vernichten sollte?

Cubera gelangte in dieser Nacht nicht zur Ruhe, denn natürlich beschäftigte ihn gleichzeitig auch der Gedanke an den Mordversuch, der an ihm vorgenommen worden war. Gomez Guevara, der Täter, war vom Bordgericht überführt worden. Und er hatte auch gestanden. Aber er hatte behauptet, von dem Gouverneur zu der Tat angestiftet worden zu sein. War es die Wahrheit?

Don Antonio de Quintanilla hatte jede Anschuldigung heftig abgestritten und den verhinderten Mörder einen Schurken und Lügner genannt. Dabei handelte es sich bei dem Mann um seinen eigenen Kammerdiener, um eine Vertrauensperson also, die niemals in seinen Diensten hätte stehen können, wenn sie wirklich so verschlagen und unehrlich gewesen wäre, wie Don Antonio sie hingestellt hatte.

Don Antonios Auftreten während der Verhandlung hatte Cubera eigentlich nur noch in seiner bisherigen Annahme bestätigt und bestärkt: daß nämlich der eigentliche Schuldige der Gouverneur war. Nur beweisen konnte er es nicht. Guevara hatte für sein Verbrechen mit dem Tod bezahlt. Don Antonio stand unter Kammerarrest, und daran würde sich auch nichts ändern. Später sollte er, seinem Rang als Gouverneur entsprechend, vor ein Gericht des Königs in Havanna gestellt werden.

Da war tatsächlich einiges zu klären und zu untersuchen – zum Beispiel der Versuch des Gouverneurs, ihm, dem Kapitän, die Kommandogewalt über den Verband zu entziehen. Oder sein plötzlicher Entschluß, das Unternehmen gegen die Engländer wieder abzublasen. Und wenn Cubera daran dachte, wie der Dicke sich an Bord der „San José“ aufgeführt hatte, stieg ihm sowieso nachträglich die Galle hoch.

Eine Kriegsgaleone war kein Lustfahrzeug zur Erbauung eines Gouverneurs der spanischen Krone. O nein! Hier wurde ein harter Dienst versehen, unter der permanenten Bedrohung eines unbekannten Gegners, der nachts tollkühn und mit offensichtlichem Erfolg angriff. Was sollten die Allüren eines Don Antonio, was bezweckte er mit seinem ganzen unhaltbaren Auftreten?

Don Garcia Cubera folgte einem plötzlichen Entschluß – oder sollte er ihn lieber eine Eingebung nennen? Irgendwie hatte er das Gefühl, er könne die wahren Hintergründe noch erfahren – jetzt. Alles würde sich aufklären, man mußte nur den entsprechenden Schlüssel in der Hand haben.

Er verließ das Achterdeck der „San José“. Der Erste Offizier übernahm solange das Kommando. Cubera begab sich ins Achterkastell und suchte Don Antonio de Quintanilla auf, vor dessen Kammer wie üblich ein Posten Wache stand. Er bedeutete dem Mann, zur Seite zu treten, und öffnete das Schott.

Mit grimmiger Genugtuung stellte Cubera fest, daß auch dem Gouverneur der Schlaf abging. Er hockte auf seiner Koje und hielt einen Kelch in der rechten Hand, der zur Hälfte mit schwerem Portwein gefüllt war. Mit der Linken schob er sich nahezu ununterbrochen die kandierten Früchte in den Mund, die Cuberas Widerwillen hervorriefen. Überhaupt, er verspürte fast Ekel, wenn er sah, wie Don Antonio aß und mit Portwein nachspülte. Nie zuvor hatte er einen Mann gesehen, der derart viele Süßigkeiten in, sich hineinzustopfen vermochte.

Don Antonio ähnelte zur Zeit einer in die Enge getriebenen, allerdings sehr fetten Ratte. Dieser Vergleich drängte sich Cubera auf, als er in die Kammer trat und das Schott hinter sich schloß.

Don Antonio sah zu ihm auf. Sofort schien er zu begreifen, daß der Capitán etwas von ihm wollte, und entsprechend fiel seine Reaktion aus. Sofort richtete er sich auf, und seine alte Überheblichkeit war wieder da.

„Capitán, was fällt Ihnen ein, mein Schlafgemach zu betreten, ohne vorher anzuklopfen?“ fragte er scharf.

„Sie befinden sich an Bord eines Kriegsschiffes.“

„Oh, das hatte ich noch nicht bemerkt.“

„Auf diesem Schiff führe ich den Befehl, und meine Befehlsgewalt ist uneingeschränkt“, fuhr Cubera unbeirrt fort. „Ich bitte Sie, das endlich zur Kenntnis zu nehmen, Señor.“

Don Antonios Gesicht nahm einen tückischen Ausdruck an. „Sie haben es mir deutlich genug zu verstehen gegeben, Capitán, auf jede erdenkliche Art.“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, seine Stimme hob sich etwas. „Aber das werden Sie noch schwer und bitter bereuen.“

„Das glaube ich allerdings nicht, Señor“, sagte Cubera kalt. „Und ich bin auch nicht gekommen, um darüber mit Ihnen zu diskutieren.“

„Sie werden es aber tun müssen!“ fuhr der Dicke ihn an. „Das ist der Gipfel all dessen, was Sie sich mir gegenüber erlaubt haben! Daß Sie es gewagt haben, mich, den Gouverneur, einen Vertreter der spanischen Krone, unter derart entwürdigenden Umständen vor ein Bordgericht zu zerren! Einen Gouverneur vor ein Bordgericht! Das muß man sich mal vorstellen!“

„Sie haben es sich selbst zuzuschreiben“, sagte Cubera. „Und Sie können noch froh sein, daß Sie einigermaßen glimpflich davongekommen sind.“

„So?“ Don Antonio lachte höhnisch auf. „Das alles ist so absurd, als erlaubten sich irgendwelche dahergelaufenen Bauerntrampel, über Seine Majestät, den König von Spanien, zu Gericht zu sitzen. Unvorstellbar! Wahnwitzig! Verrückt!“

„An Bord eines Kriegsschiffes ist der Kommandant König“, sagte Cubera scharf. „Wer das nicht weiß, sollte besser an Land bleiben und dort seinen Amtsgeschäften nachgehen, wie es sich gehört – statt auf einem Kriegsschiff Seiner Majestät Unheil zu stiften und es offenbar mit dem Gouverneursamt zu verwechseln.“

„Was nehmen Sie sich eigentlich noch alles heraus?“

„Señor, ich warne Sie“, sagte Cubera. „Lassen Sie es nicht an dem nötigen Respekt mangeln, sonst lernen Sie mich von einer Seite kennen, die ich Ihnen bisher noch vorenthalten habe. Es könnte leicht passieren, daß Sie Ihre bisherige Kammer mit dem Kabelgatt oder der Vorpiek vertauschen, wenn Sie wieder unverschämt werden.“

Don Antonio steckte zurück. Von der Seefahrt hatte er kaum Ahnung, doch was das Kabelgatt und die Vorpiek waren, wußte auch er. Er durfte Don Garcia Cubera nicht bis aufs Blut reizen, sonst war der tatsächlich imstande, ihn in ein feuchtes, rattenverseuchtes Schiffsverlies zu stecken.

In seinem aufgedunsenen Gesicht zuckte es heftig, aber er wagte nicht mehr aufzubegehren.

„Was führt Sie zu mir?“ fragte er.

„Ich wünsche eine klare Auskunft über die Mordgeschichte, in die Don Juan de Alcazar angeblich verwickelt ist.“

„Wie bitte? Was geht denn Sie das an?“

„Eine ganze Menge, und ich kann Ihnen nur raten, mir alles zu erzählen, was Ihnen über den Fall bekannt ist.“

„Soll das eine Drohung sein?“ fragte Don Antonio mit schriller Stimme. „Nötigung?“

Cubera zwang sich zur Ruhe. „Nein. Keineswegs. Ich trage nur Fakten und Daten zusammen, um mir ein Bild von der Gesamtlage zu verschaffen. Warum, das setze ich Ihnen gleich noch auseinander. Aber vorher bitte ich Sie um klare Antworten. Don Juan ist doch angeblich ein Frauenmörder, nicht wahr?“

Jetzt fuhr der Dicke von seiner Koje hoch. „Angeblich? Das wird ja immer schöner! Es gibt Augenzeugen für die Tat – Leute, die gesehen haben, wie der Kerl die Señora de Azorin ermordet hat!“

„Und seitdem ist er verschwunden?“

„Ja! Seine sofortige Flucht nach der Tat beweist seine Mordschuld sogar zusätzlich! Leuchtet Ihnen das ein?“

„Noch nicht ganz.“

„So? Das ist mir auch egal. Sie stehen ja sowieso nicht auf meiner Seite, sondern sind gegen mich.“

„Hören Sie mit der Polemik auf“, sagte Cubera. „Eine andere Frage: Warum hat man die Schebecke beschlagnahmt, die im Hafen von Havanna geankert hat? Und warum wurde die Besatzung ins Gefängnis gesperrt?“

„Sie unterziehen mich also einem Verhör?“

„Herrgott, nein. Es ist Ihnen freigestellt, ob Sie mir antworten oder nicht.“

Don Antonio schien angestrengt nachzudenken. Er ließ seinen Besucher stehen und bot ihm keinen Platz an, auch kein Glas Portwein oder kandierte Früchte – die Cubera ohnehin abgelehnt hätte. Die Atmosphäre hätte nicht frostiger sein können, und sie gaben sich keinerlei Mühe, ihre beiderseitige Abneigung zu verbergen.

„Gut“, sagte Don Antonio schließlich. „Ich will Sie zufriedenstellen. Ich habe nach Don Juans Flucht sofort die Möglichkeit einkalkuliert, daß er versuchen könne, mit der Schebecke zu fliehen, die ja eine Prise von ihm war. Weiterhin war damit zu rechnen, daß seine kleine Mannschaft zu ihm hielt. Also habe ich entsprechende Vorsorge getroffen. Oder was hätten Sie an meiner Stelle getan?“

„Lassen wir das einmal dahingestellt“, entgegnete Cubera. Trocken fuhr er fort: „Im übrigen scheint Don Juan wider Erwarten größten Erfolg gehabt zu haben.“

„Wie meinen Sie das?“ fragte Don Antonio, und jäh erwachte Mißtrauen in ihm. Was wollte der Capitán? Ihn zum Narren halten? Ihn auf die Probe stellen? Was wußte er über Don Juan? Mehr als er? „Wie soll ich das verstehen?“ stieß er hervor.

„Es ist eindeutig die Schebecke Don Juan de Alcazars gewesen, die um Mitternacht die Ruderanlagen der beiden letzten Schiffe des Verbandes zerschossen hat.“ Cubera wartete nach diesen Worten ab und beobachtete, welche Wirkung sie auf den Dicken hatten. Es entging ihm nicht, wie dieser kaum merklich zusammenzuckte.

Don Antonio griff nach seinem Glas, füllte es mit Portwein und führte es an die Lippen. Er trank einen Schluck, verschluckte sich und begann zu husten und zu röcheln. Er lief dunkelrot im Gesicht an und schien keine Luft mehr zu bekommen, aber Cubera dachte nicht daran, ihm hilfreich auf den Rücken zu klopfen.

Völlig ungerührt stand er da und betrachtete sein Gegenüber. Don Antonios Getue und Gehabe vermochte ihn nicht im geringsten zu beeindrucken.

Don Antonio ließ das Glas wieder sinken, und fast verschüttete er dabei den Rest des Inhalts. Er keuchte und schöpfte japsend Atem, dann ließ er sich wieder auf den Rand seiner Koje sinken.

„Was erregt Sie eigentlich so?“ fragte Cubera.

„Ach, es ist nichts.“

„Vielleicht ist es doch besser, wenn Sie endlich mit der Wahrheit herausrücken. Denn daß hier einiges faul ist, habe ich längst begriffen.“

„Faul? Ich verstehe Sie nicht.“

„Das ist nicht weiter schlimm“, sagte Cubera gelassen. „Ich bin aber sehr gespannt darauf, die volle Wahrheit über Don Juan zu erfahren.“

„Gut, die sollen Sie wissen“, sagte Don Antonio, und er keuchte immer noch. „Dieser Frauenmörder ist ein Verrückter, ein Lustmörder und Sittenstrolch, dem es offenbar gelungen ist, mit der Schebecke aus Havanna zu fliehen.“

„Ja, das ist offensichtlich.“

„Und jetzt?“ stieß Don Antonio mit schriller, kreischender Stimme hervor. „Jetzt fällt er in seiner Mordlust auch noch über die eigenen Schiffe her, über die Schiffe Seiner Majestät!“

„Eben“, sagte Cubera in aller Ruhe und verschränkte die Arme vor der Brust. „Genau das will mir nicht in den Kopf. Es leuchtet mir einfach nicht ein. Nie wäre ein Mann wie Don Juan zu so etwas fähig.“

„Kennen Sie ihn denn?“

„Nur flüchtig, aber …“

„Er zeigt jetzt sein wahres Gesicht“, unterbrach ihn der Dicke. „Oder er hat total den Verstand verloren. Eins von beiden.“

Cubera fixierte ihn kühl. „Das glaube ich Ihnen nicht, Señor Gouverneur.“

Seewölfe Paket 21

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