Читать книгу Seewölfe Paket 7 - Roy Palmer, Fred McMason - Страница 19
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ОглавлениеEs war der erste März 1585, als die „Isabella VIII.“ unter dem Seewolf Philip Hasard Killigrew nach fast tausend Meilen, die sie von Manila über Palawan geführt hatten, die Rieseninsel Kalimantan erreichte.
An diesem frühen Morgen hockte der schwarzhaarige, schlaksige Moses Bill im Ausguck, der Bengel, wie er an Bord von allen genannt wurde.
Außer Wasser hatte er tagelang nichts gesehen, und so war er für jede noch so kleine Abwechslung dankbar, die diesmal in Gestalt des Kutschers erschien.
Er schlurfte aus dem Mannschaftsraum an Deck, gähnte laut und ausgiebig, reckte seine magere Brust heraus und angelte dann mit einer Lederpütz nach Wasser.
Bill schaute ihm aus seiner luftigen Höhe zu und grinste, als der Kutscher zum zweiten Mal gewaltig das Maul aufriß und gähnte, als wolle er die „Isabella“ einschließlich der überlangen Masten verschlingen.
Er trug nur eine Hose, und die wurde jetzt klatschnaß, als er sich die Pütz mit Meerwasser kurzerhand über den Schädel stülpte, daß es an allen Seiten von ihm hinuntertroff. Danach schüttelte er sich wie ein nasser Hund und verschwand in der Kombüse, wobei er das Schott offenließ.
Bill fand Gefallen daran, die Seewölfe zu mustern, wenn sie an Deck erschienen, manche frisch und ausgeschlafen, andere knurrig und verpennt. Inzwischen kannte er von jedem einzelnen die morgendlichen Angewohnheiten.
Batuti, der alte O’Flynn, Gary Andrews, der ehemalige Schmied von Arwenack, Big Old Shane und Al Conroy schliefen in diesen tropischen Breiten bei ruhiger See meist an Deck, und als der Kutscher jetzt in seiner Kombüse verschwunden war, schliefen sie alle noch weiter.
Der Schiffszimmermann Ferris Tucker, zum Beispiel, überlegte Bill gerade, hatte immer die Angewohnheit nach dem Aufstehen zuerst eine ganze Weile schweigend am Schanzkleid zu stehen und ziemlich grimmig auf das Wasser zu blicken.
Matt Davies und Pete Ballie begrüßten sich meist immer mit: „Na, du alter Affenarsch!“ Smoky verschwand regelmäßig und ziemlich schnell auf dem Bordklo.
Carberry hingegen, der Zuchtmeister und Profos, ließ meist gewaltige Blähungen ab und unternahm nach der Morgenwäsche seine Wanderung durch das Schiff.
Land war immer noch nicht zu sehen, als der Kutscher mit einem Abfallkübel auf dem Deck erschien.
Entweder hatte er noch nicht ausgeschlafen, oder er war in Gedanken versunken, denn er wanderte mit dem Eimer direkt nach Luv, um ihn auszuleeren.
Der Kutscher würde den ganzen Dreck um die Ohren kriegen, überlegte der Bengel, denn er kannte den Bordspruch der „Isabella“, der von Big Old Shane stammte, und den auch der Profos gern gebrauchte, und der da hieß: „Wer gegen den Wind pißt, kriegt nasse Hosen.“
Das wollte er dem Kutscher gerade zurufen, doch der hatte es jetzt ebenfalls bemerkt, schüttelte den Kopf und ging nach Lee hinüber.
Er holte weit aus – und warf den Abfallkübel einschließlich Inhalt über Bord. Dann beugte er sich ungläubig über das Schanzkleid, blickte dem entschwindenden Kübel nach und begann laut und lästerlich zu fluchen.
Der Bengel amüsierte sich köstlich, denn nach dem lautstarken Gefluche des Kutschers erwachten Batuti und ein paar andere.
„Was is, Kutscher“, schrie der Gambia-Neger, „warum groß schreien mitten in Nacht? Du besoffen, he?“
„Quatsch keinen Quatsch, du triefäugige Miesmuschel!“ rief der Kutscher erbost. „Es ist heller Tag, Zeit, daß du endlich mal ausgepennt hast und die anderen auch.“
„Müßt ihr lausigen Meermänner morgens immer so schreien?“ begann der alte O’Flynn zu wettern und erhob sich grummelnd. Er hatte ebenfalls ziemlich laut geschrien, und so blieb es nicht aus, daß auch die letzten Schläfer erwachten und sich gegenseitig anbrüllten, was denn los sei und weshalb es, verdammt noch mal, schon wieder Krach gäbe.
Das lockte schließlich den Profos an Deck, Edwin Carberry, der sein gewaltiges Amboßkinn vorreckte und die Kerle einen nach dem anderen, ungnädig musterte.
„Hoppauf, ihr karierten Affenärsche“, sagte er und blickte nach oben, dem grinsenden Bengel genau in das Gesicht.
„Hast du im Ausguck auch nicht gepennt?“ rief er hinauf.
„Nein, Mister Carberry!“
Bill wartete darauf, daß der Profos das übliche Geräusch von sich gab, doch diesmal gähnte er nur, begann seinen Inspektionsgang und ging nach achtern.
„Die Schoten etwas dichter holen“, sagte er kurz, als er zurückkehrte. „Seht ihr das denn nicht von selbst, ihr lausigen Kanalratten, was, wie?“
Die Schoten, das am meisten beanspruchte Tauwerk an Bord, wurden dichter geholt, und der Profos nickte zufrieden. Er vergaß auch nicht, einen Blick in die Kombüse zu werfen, wo der Kutscher in zwei riesigen eisernen Pfannen Speck ausbriet.
„Ist dir eine Laus über die Leber gekrochen?“ fragte Carberry, als er des Kutschers mißmutiges Gesicht sah.
„Nee, aber ich habe aus Versehen den Abfallkübel über Bord geschmissen.“
„Das tust du doch jeden Tag.“
„Dann würde ich jeden Tag einen neuen Kübel brauchen. Nicht den Inhalt, doch den auch, aber den Kübel gleich mit.“
„Sei froh, daß du an dem Kübel nicht auch noch mit drangehangen hast“, sagte Ed grinsend. „Sonst brauchen wir jeden Tag einen neuen Kutscher.“
Der Kutscher, dessen eigentlicher Name der ganzen Crew bis heute ein ungelöstes Rätsel war, fand das gar nicht witzig.
„Kein Mensch versteht mich“, beklagte er sich, „von euch lausigen Kerlen kriegt man nur dämliche Antworten. Wo, zum Teufel, soll ich denn jetzt den Abfall aufbewahren? Ich kann doch nicht mit jeder Handvoll Dreck über das Schiff laufen.“
Carberry klopfte ihm mit seiner mächtigen Pranke auf die Schulter, daß der Kutscher fast in die Knie ging.
„Ferris hat da totsicher eine Lösung“, sagte er ernst. „Ich werde nachher mit ihm reden. Er wird dir ein Loch bis zum Kielschwein bohren, und dann kannst du den Abfall direkt von der Kombüse aus unters Schiff ins Meer werfen.“
Der Kutscher stutzte, dann griff er hitzig nach der Pfanne.
„Wenn das Ding nicht so schwer wäre“, sagte er grimmig, „würde ich es dir über den Schädel donnern.“
„Dann brauchst du jeden Tag eine neue Pfanne“, sagte Ed grinsend und ging davon, einen Kutscher zurücklassend, der in übelster Weise die unschuldigen Ahnen des Profos beleidigte.
Das Bordleben nahm seinen normalen Verlauf.
Vor einer Weile war der Seewolf auf dem Achterdeck erschienen, ebenso Ben Brighton, der nur ein paar Stunden geschlafen hatte.
Aus dem Meer schob sich langsam das Flammenrad der Sonne, die gelbe und rötliche Strahlen über das Wasser warf, das an einigen Stellen wie Silber aussah.
Dieser frühe Morgen war immer der schönste Teil des Tages, das jedenfalls empfanden die meisten.
Dann duftete es aus der Kombüse, daß ihnen das Wasser im Mund zusammenlief. Dann hing der Geruch nach Teer, Holz und Salzwasser über dem Schiff, dann war noch deutlich das Knarren, Ächzen und Stöhnen des Schiffes zu hören, dann war es angenehm frisch und man freute sich auf den beginnenden Tag.
Aber das alles wurde durch eine leichte Sorge überlagert, und die ging besonders dem Kutscher an die Nieren, obwohl sie die gesamte Crew betraf.
Sie hatten schätzungsweise tausend Meilen hinter sich, ein verdammt langer Törn mit harten Stürmen, eintönigen Kalmen, in denen sie tagelang auf Wind gewartet hatten, und der ihnen wechselweise dann wieder so stark um die Ohren blies, daß sie alle Mühe hatten, das Schiff sicher zu führen.
Jetzt wurde der Proviant knapp, und in den Wasserfässern herrschte Ebbe. Der Rest des Wassers schmeckte auch dementsprechend, als sich winzige grüne Fäden darin gebildet hatten.
Es gab Reis an Bord, tonnenweise, Reis, den sie aus dem Land des Großen Chan mitgebracht hatten, aber jetzt hing ihnen der Reis zum Hals heraus, und die verdammten Hagelkörner, wie Carberry sie nannte, verpappten einem den Magen. Und der alte O’Flynn hatte stur behauptet, wenn sie das Zeug auf ewig fressen müßten, dann würden sie alle gelb im Gesicht werden wie die Chinesen, die es auch davon hätten.
Der Kutscher warf in das kochende Wasser Teeblätter, damit sich die abgestandene Brühe besser trinken ließ, und in einem Anfall von Großmut goß er etwas Rum dazu, nicht viel, aber doch so, daß es den Geschmack spürbar anhob.
Anschließend ging der Kutscher mit einer heißen Muck voll Tee nach achtern, um sie dem Seewolf zu bringen. In der Kuhl fing Ben Brighton ihn allerdings ab.
„Du willst Hasard bloß wieder die Ohren vollmaulen“, sagte der untersetzte dunkelblonde Mann ruhig. „Aber mittlerweile weiß jeder an Bord, was los ist, und sobald Land in Sicht ist, wird sich einiges ändern. Gib mir also die Muck, ich bringe sie nach achtern, Kutscher.“
„Sag es dem Kapitän noch einmal“, drängte der Kutscher.
„Jaja, schon gut“, erwiderte Ben geduldig. „Ferris Tucker hat es mit dem Holzbohrwurm und du mit dem Proviant. Eins ist so schlimm wie das andere.“
Brighton kehrte aufs Achterdeck zurück, gab dem Rudergänger Pete Ballie eine Muck voll Tee und reichte Hasard die andere, die er dem Kutscher abgenommen hatte.
Der Seewolf trank einen langen Schluck. Über den Rand der Muck sah er Ben genau in die Augen.
„Der Kutscher, nicht wahr?“ fragte er.
„Ja, der Kutscher und Ferris. Der eine vergeht bald vor Sorge um Proviant und Wasser, und der andere träumt nur noch von diesem lausigen Holzbohrwurm.“
Ja, der Holzbohrwurm, dieses kleine ekelhafte Geschöpf der salzhaltigen Meere, hockte unter dem Rumpf, nagte, bohrte und fraß, und verwandelte das harte Holz zu feinem Staub. Das wußte der Seewolf schon seit langem. Nur hatte es sich bisher nie einrichten lassen, ein stilles Plätzchen anzulaufen, um das Schiff zu krängen, damit man diesem Höllenbiest endlich zu Leibe rücken konnte. Immer war etwas anderes dazwischengeraten, zuletzt der schwere Taifun, der die „Isabella“ knüppelhart durchgerüttelt und einige unangenehme Spuren hinterlassen hatte.
„Wir haben Kalimantan längst erreicht“, sagte der Seewolf mit einem Blick nach Backbord, wo es jedoch nur Wasser und kein Land zu sehen gab.
„Ändern wir den Kurs etwas nach Süden, dann segeln wir einen langen Umweg, behalten wir ihn bei, dann landen wir an der Spitze dieser Insel, wenn uns die Karten nicht im Stich lassen. Bis dahin vergehen aber noch ein paar Tage.“
„Die Zeit ist jedenfalls nicht gegen uns“, sagte Ben. „Vielleicht gibt es hier ein ruhiges Plätzchen, eine stille Bucht, in die wir verholen können. Der Kutscher versucht ständig, mir den Aufenthalt an Land so schmackhaft wie nur möglich darzustellen. Ein Trupp könnte Früchte sammeln, ein anderer Wasser holen, ein dritter sich nach Frischfleisch umsehen. Er brennt geradezu vor Eifer.“
Hasard lachte leise. Im Geist sah er den Kutscher vor sich, wie der mit beschwörenden Gesten glänzte und jedes seiner Worte durch alle möglichen Körperverrenkungen unterstrich.
„Der Kerl würde am liebsten die gesamte Crew zum Früchtesammeln an Land schicken. Und Ferris kann den Holzbohrwurm allein bekämpfen. Nun gut, wir haben Zeit, niemand drängt uns. Schick mir Shane und Ferris aufs Achterdeck, Ben!“
Gleich darauf erschien der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tukker. Sein verstecktes Grinsen war nicht zu übersehen, ihm schwante etwas, weshalb er aufs Achterdeck sollte.
Der riesengroße bärtige Big Old Shane, Hasards väterlicher Freund, erschien ebenfalls, und etwas später gesellte sich der Decksälteste Smoky dazu.
Nur Carberry und der junge O’Flynn hielten sich in der Kuhl auf. Sie wußten ebenfalls, um was es ging.
„Was treibt der Holzbohrwurm, Ferris?“ fragte Hasard augenzwinkernd den Schiffszimmermann.
„Den höre ich nachts in der Koje nagen, Sir“, sagte Ferris, wobei er gewaltig übertrieb. „Der frißt unsere Lady vom Vorschiff bis zum Heck. Nicht mehr lange und die Masten segeln allein weiter. Wir segeln sozusagen auf einem völlig seeuntüchtigen Wrack. Ich sage dir, Sir, dieses kleine ekelhafte Mistvieh ist das schlimmste Ungeheuer, das es gibt. Zu Millionen hat es sich in den Planken eingenistet und treibt dort sein Unwesen. Der Holzbohrwurm sieht ungefähr so aus: Er hat einen Kopf wie ein kleiner Bohrer und …“
„Geschenkt, jeder kennt das Biest. Wir segeln also auf einem Wrack, das jeden Moment auseinanderbricht, nicht wahr?“
„So ähnlich jedenfalls“, murmelte Ferris düster, der es gar nicht erwarten konnte, dieses kleine Biest zu bekämpfen. „Nachts höre ich überdeutlich, wie er nagt, bohrt, Holz frißt, es in Staub verwandelt, bis – bis …“
Tucker suchte nach einem passenden Ausdruck, und Smoky hatte ihn auch gleich zur Hand.
„Bis die ‚Isabella‘ selbst ein riesiger Holzbohrwurm ist, wolltest du sagen.“
„So ähnlich wollte ich es sagen“, meinte Ferris erleichtert. „Technisch ist das natürlich fast unmöglich.“
Hasard grinste über das „fast unmöglich“, wie der besorgte Zimmermann es ausdrückte.
Selbstverständlich steckte das kleine Vieh im Holz, welches Schiff, das die Meere befuhr, hatte ihn nicht an Bord. Aber Ferris tat dann immer so, als müßten sie damit rechnen, bald das Schiff aufzugeben und zu verlassen, weil die Holzbohrwürmer es in ihren Besitz genommen hatten wie eine Horde wilder Piraten.
Das sprach allerdings nur für den Schiffszimmermann, der der Beste war, den Hasard kannte, der sich ständig um das Schiff kümmerte, der tüftelte, überlegte und immer wieder etwas Neues ersann.
„Was gedenkst du also zu tun? Die ‚Isabella‘ aufslippen?“
„Nicht unbedingt, Sir. Wir könnten sie in einer stillen Ecke bei Ebbe stark krängen. Ich kenne den äußersten Krängungswinkel, es kann nichts passieren. Wir setzen die Gold- und Silberbarren um und schaufeln den Reis zur anderen Seite. Dazu brauche ich das Schiff nicht einmal abzustützen. Sag doch auch mal was, Shane“, forderte er den ehemaligen Schmied von Arwenack auf.
Big Old Shane fuhr sich mit der Hand durch den eisgrauen Bart und nickte in seiner bedächtigen Art.
„Ich will dir nicht widersprechen, Ferris, denn deine Idee ist gut. Ich glaube nur nicht, daß es so schlimm ist. Unser kleiner Freund hat nur ein paar winzige Gänge gebohrt, er kann nicht sehr tief im Holz stecken, aber er ist auf die Dauer gesehen, natürlich sehr gefährlich.“
„Na also, das sage ich ja dauernd.“
„Gut“, entschied der Seewolf nach einigem Nachdenken. „Dann laufen wir die Insel schon jetzt an, zumal des Kutschers Sorgen immer größer werden. Gib die Anweisungen, Ben, wir ändern den Kurs um zwei Strich nach Backbord!“
Tucker war unendlich erleichtert. Er nahm sich vor, gleich zum Kutscher zu gehen, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen, aber zuvor wollte er ihn noch ein wenig ärgern, weil der Kerl heute so sauertöpfisch wirkte wie noch nie in seinem Leben.
Brighton ließ die Segel nachtrimmen, nachdem der Kurs geändert worden war, und Ferris marschierte nach vorn.
Der Kutscher hockte am Schott der Kombüse und sah dem rothaarigen Mann lauernd entgegen.
Ferris kratzte sich gelangweilt das Kinn, bis der Kutscher es nicht mehr aushielt.
„Sag mal, du rothaariger Affe, hast du plötzlich die Sprache verloren? Ihr habt doch was besprochen.“
„Klar, haben wir.“
„Und der Kurs ist auch geändert worden, he?“
„Ein wenig nur.“
„Ein wenig nur?“ Der Kutscher sah mit Kennermiene nach dem Stand der Sonne und tippte sich an die Stirn.
„Wir haben mindestens zwei Strich nach Backbord gedreht. Heißt das, daß wir Land anlaufen?“
„Die Absprachen mit der Schiffsführung gehen das gewöhnliche Deckspersonal überhaupt nichts an, schon gar nicht die Kombüsenhengste, aber weil du es bist, will ich es dir sagen!“
Der Kutscher war außer sich.
„Gewöhnliches Deckspersonal?“ brüllte er, „Kombüsenhengste, he! Ich kann schreiben und lesen, du Mastochse, und du kannst nicht mal deine verdammten Holzbohrwürmer zählen, wenn es mehr als zehn sind. Dann fängst du nämlich wieder von vorn an. Und merk dir gleich noch eins“, zischte er, „wenn ich morgen immer noch kein Land sehe, dann gibt’s wieder Reis mit Kakerlaken oder zur Abwechslung gedämpfte Holzbohrwürmer.“
„Hatten wir auch noch nicht“, sagte Ferris unbeeindruckt. „Aber ich bitte sie mir ganz zart aus und vielleicht leicht in Öl gesotten. Ist ja wieder gut“, sagte er hastig, als er das puterrote Gesicht des Kutschers sah, der die Lippen zusammenkniff und die Augen zu schmalen Schlitzen verengte. „Wir laufen Land an, und dann kannst du dir Wurzeln und Beeren holen, soviel du willst.“
Das besänftigte den Kutscher augenblicklich.
„Daß ihr mich immer verarschen müßt“, sagte er, „mich, von dem euer leibliches Wohl abhängt, ich, der ich den ganzen Tag in der Kombüse stehe, um eure hungrigen Mägen zu stopfen. Aber das erkennt ja keiner an. Wenn das Essen gut ist, freßt ihr euch die Wampe voll, und keiner verliert ein Wort darüber. Wenn ich aber nichts habe, dann reißt ihr die Schnauzen auf und meckert, elendes Schiffsvolk. Wie vornehm ging es dagegen bei Sir Freemont zu, das war ein richtiger Gentleman, aber das begreifst du nie in deinem Leben, du rothaariger Stint. Und jetzt geh mir aus den Augen!“
„Hat er sich wieder abreagiert?“ fragte Smoky den Schiffszimmermann, der das Gespräch teilweise mitgekriegt hatte.
„Ich glaube schon. Er war nur sauer, weil er den Abfallkübel über Bord geworfen hat, und da mußte er sich einfach seinen Zorn aus dem Bauch reden.“
Die beiden Männer lachten laut, weil der Kutscher ihnen finstere Blicke zuwarf.
Erst als er wieder in der Kombüse verschwand, rieb er sich vergnügt die Hände und grinste vor sich hin.
Es war kurz vor Mittag, die Sonne hatte ihren höchsten Stand noch nicht erreicht, und es war brühwarm, als der Bengel vom Großmars aus einen feinen Strich am Horizont entdeckte.
Wie elektrisiert riß er die Arme hoch, so daß der Schimpanse Arwenack, der mit ihm zusammen in luftiger Höhe hockte, einen Nasenstüber abkriegte.
„Land voraus!“ schrie er mit seiner hellen Stimme. „Deck! Land genau voraus!“
Carberry hob die Hand zum Zeichen, daß man ihn verstanden hätte, und winkelte gleichzeitig den Daumen nach unten ab. Dabei sah er den Schweden Stenmark an.
„Du bist dran“, sagte er. „Und du Zwerg kannst jetzt abentern!“ rief er nach oben.
Der Bengel enterte ab, gefolgt von dem Affen, der sogleich in der Kombüse verschwand, um beim Kutscher zu betteln.
„Hab ich nicht gute Augen, Sir?“ fragte der Moses stolz den Profos. „Von Deck aus sieht man es nicht, nicht mal als feinen Strich.“
Carberry sah ihn erstaunt an.
„Was, das Land sieht man nicht?“ fragte er. „Wir dachten schon, du würdest dort oben pennen, weil wir doch schon vor Stunden den Kurs änderten, eben weil Land in Sicht war. Man sieht doch jetzt schon ganz deutlich die Palmen, die, kleinen Brandungswellen und den saftigen Urwald. Oder sieh dir den weißen Sand an, Junge, ganz feinkörnig, und die beiden schlafenden Schildkröten, die in der Sonne dösen. Naja, für den Anfang war das nicht schlecht, du bist ja noch nicht lange im Ausguck.“
Der Bengel guckte sich die Augen aus, aber er sah weder den Landstrich noch die Palmen, von den Brandungswellen und den Schildkröten ganz zu schweigen.
Er kriegte spitze Lippen und schüttelte den Kopf. Aber da war der Profos schon gegangen, Bill erblickte nur noch den riesigen breiten Rükken, und als Carberry ihm das Profil zuwandte, da sah er den Profos grinsen, und es sah verdammt nach Anerkennung aus dieses Grinsen.
Verdammt, dachte der Bengel, der Profos hatte es gar nicht ernst gemeint, aber warum mußten diese Erwachsenen eigentlich immer ihre Überlegenheit demonstrieren und gaben nicht zu, daß er erstklassige Augen hatte?
Nein, er hatte sich noch nicht so weit nach oben gekämpft, daß sie es offen zugaben, überlegte er, obwohl sie es gut mit ihm meinten. Er war eben der Moses, der Bengel, und keiner wollte es wahrhaben, daß er älter wurde. Sie brauchten einen Moses, ein Moses gehörte zu jedem Schiff wie die Masten und Rahen, der Kompaß oder das Ruder, und daher würde er auch noch für eine verdammt lange Weile der Moses bleiben.
Macht nichts, dachte er, ich fühle mich wohl, und jeder ist nett zu mir. Ich habe sogar einen eigenen Schatz, und wer von den anderen Schiffsjungen hatte das schon, die auf anderen Schiffen jeden Tag bis aufs Blut kujoniert wurden.
Das Land rückte näher, und an Bord der „Isabella“ herrschte eitel Freude und Sonnenschein. Die meisten lehnten am Schanzkleid und sahen hinüber, als die „Isabella“ wieder leicht den Kurs änderte, diesmal etwas nach Steuerbord, bis sie mit dem Land parallel lag und weitersegelte.
Der Abstand mochte etwa zwei Meilen betragen, aber noch schob sich das Schiff unmerklich näher heran.
Langgestreckte Hügel waren zu sehen, davor wuchs undurchdringlicher Dschungel bis an das Wasser heran. An manchen Stellen gab es keinen Strand, da stand verfilztes Gebüsch mit riesigen schlangenähnlichen Wurzeln, die wie Geisterfinger ins Meer tasteten.
„Ob die Insel bewohnt ist?“ fragte Matt Davies seinen Nebenmann, den alten Segelmacher Will Thorne, der die Hände über dem Bauch gekreuzt hatte und andächtig zum Land blickte.
„Keine Ahnung, Matt. Dieser Teil ganz bestimmt nicht, da kann niemand hausen. Aber wie ich hörte, soll dies eine sehr große Insel sein. Warten wir es ab.“
Je mehr sich die „Isabella“ dem Land näherte, desto größer wurde die Hitze. Es war drückend und schwül. Der leichte Wind, der sie vorantrieb, brachte keine Kühlung, weil er ebenfalls fast heiß war.
„Mangrovenwälder“, sagte Old O’Flynn mißmutig. „So nennt man diese komischen Bäume, glaube ich. Wurzeln wie Riesenschlangen und dazwischen lauern gefräßige Bestien. Ich möchte da keinen Fuß an Land setzen.“
„Versuch’s doch erst mal mit deinem Holzbein“, riet Gary Andrews grinsend. „Wenn ihnen das nicht schmeckt, lassen sie dich ganz sicher in Ruhe.“
„Ich werde dir das Holzbein gleich übers Kreuz tanzen lassen, du junger Hüpfer“, sagte Old O’Flynn drohend. „Zu meiner Zeit, auf der ‚Empress of Sea‘, da hatten die jungen Kerle noch Respekt vor dem Alter, und es setzte jeden Tag Prügel, wenn sie nur das Maul öffneten, ohne gefragt zu sein.“
„Das würde dir so gefallen, was? Mann, was sind wir heilfroh, daß du nicht der Kapitän bist, Donegal!“
„Ha! Ich würde euch Rotznasen jeden Tag ein paar Stunden zum Trocknen in die Wanten hängen, wenn ihr nicht pariert. Aber heutzutage lobt euch sogar der Kapitän noch, wenn ihr ausnahmsweise mal etwas Richtiges bei der Arbeit tut.“
Andrews grinste. Er unterhielt sich gern mit dem Alten, denn O’Flynn meinte es nicht unbedingt so, wie er es sagte, obwohl die Seefahrt zu seiner Zeit ein klein wenig anders ausgesehen hatte.
Aber diese „Empress of Sea“, das mußte ein wahres Wunderschiff gewesen sein, mit dem der Alte die nördlichen Meere befahren hatte, als er noch ein hitziges Rauhbein gewesen war.
„Wo ist der alte Kahn eigentlich abgesoffen?“ fragte Gary und starrte weiterhin zum Land hinüber.
„Abgesoffen? Die schwimmt in tausend Jahren noch, die ‚Empress of Sea‘ säuft nicht ab, meine Junge. Die hätte sich in dem lausigen Taifun kürzlich nur einmal trotzig geschüttelt, und dann wäre sie über den Wellen gesegelt. Sie war ein schönes Schiff“, schwärmte der Alte. „Unglaublich stark und schnell, und in ihrer Takelage hockte der Windgott persönlich. Nachts schlichen sich die Meermänner an Bord und trieben Schabernack mit uns. Ja, das war eine gute Zeit. Aber die alte Lady, die segelt noch irgendwo, das ist sicher, an die trauten sich nicht einmal die Holzbohrwürmer heran.“
Jetzt war der Alte in seinem Element. Er erzählte und erzählte, und als Gary Andrews nach einem diskreten Hüsteln, weil der Alte so maßlos übertrieb, heimlich verschwinden wollte, mußte er feststellen, daß O’Flynn seitlich am Kopf Augen hatte, denn jedes Mal ergriff ihn die knochige Hand des Alten und hielt ihn fest, damit er sich anhörte, was für ein Schiff die alte Lady war, und daß sie das beste, schnellste und härteste Schiff überhaupt war, das die Nordmeere befuhr.
Wenn Old O’Flynn einmal loslegte, dann bogen sich die Planken und im Kielschwein begann es protestierend zu pfeifen. Da beschwor der Alte Seegeister, Meermänner, riesige Kraken, die sich in das Nordmeer verirrt hatten, übelwollende Kobolde, die die Mannschaft ärgerten, und versunkene Städte, in denen tief auf dem Meeresgrund golden gekleidete Leute spazierten.
Dabei wurde er nicht einmal rot, ihn packte höchstens der Zorn, wenn Andrews es wagte, ganz besonders dick aufgetragene Geschichten anzuzweifeln.
„Eines Tages“, schloß der Alte, „wirst du dieses Schiff mit eigenen Augen sehen, und es wird dir die Sprache verschlagen, und du wirst den Himmel anflehen, nur einmal auf diesem Schiff fahren zu dürfen, mein Sohn. Und wenn du die Planken dann wirklich mal betrittst, wirst du dir vor lauter Achtung und Respekt in die Hose kacken, das sagt dir der alte Donegal.“
„Ich glaub’s ja“, sagte Gary kleinlaut. „Mir läuft es jetzt schon heiß und kalt über den Rücken, wenn du davon erzählst.“
„So geht es jedem, der von dem Schiff hört“, versicherte der Alte stolzgeschwellt, und in seine hellen Augen trat ein fast überirdisches Leuchten.
Das Land beschrieb einen starken Bogen, und eine Bucht tat sich auf, so groß und gewaltig, daß man sie nicht übersehen konnte.
Der junge O’Flynn, der sich vornehmlich um die Navigation kümmerte und es darin schon fast bis zur Perfektion gebracht hatte, hantierte mit dem Jakobsstab und rechnete.
Sie hatten gute Seekarten, aber die einzelnen Buchten dieser Insel waren nicht genau bezeichnet, und Dan stellte schließlich eine Menge Abweichungen fest. Aber er wußte, über den Daumen gepeilt, wo sie sich befanden.
„In dieser Riesenbucht gibt es jede Menge kleine, völlig abgelegene Buchten“, sagte er zu Hasard. „Wie es den Anschein hat, wird hier kaum jemals ein Schiff anlegen. Ich schlage vor, wir laufen die einzelnen Buchten einmal an und sehen uns um.“
„Hoffentlich bestehen die nicht auch nur aus Mangrovenwäldern“, meinte der Seewolf. „Laufen wir also ein paar Buchten an, bis wir etwas Geeignetes finden.“
„Ferris kann dann endlich seine Holzbohrwürmer aus den Planken polken“, sagte Pete Ballie lachend. „Ich bin gespannt, wie er das anstellt.“
Ferris Tucker, der am Niedergang stand, drehte sich um, als er die Worte hörte.
„Das ist ganz einfach“, sagte er, „dünne lange Nadeln werden erhitzt, bis sie glühen. Dann blickt einer in die Löcher, am besten du selbst, und lockt den Holzbohrer heraus. Sobald er sich rückwärts bewegt, piekst du ihm die Nadel in den Hintern, und er ist erledigt. Und wenn wir damit fertig sind, dann werde ich dir die Nadel in deinen Affenarsch pieken“, versprach Ferris.
Zum dritten Mal änderte die „Isabella“ an diesem Tag den Kurs. Der Wind wurde schwächer, weil die Berge in der Riesenbucht ihn eindämmten und seine Kraft brachen. Auch das Wasser hatte seinen Rhythmus verloren, es gab keine Wellen mehr, die gleichmäßig anrollten, sondern nur noch kleine durcheinanderlaufende Seen, die lässig gegen den Rumpf klatschten.
Die Tiefe wurde von nun an ständig gelotet und ausgesungen. Der alte O’Flynn übernahm das mit monotoner leiernder Stimme, die sich nur dann hob, wenn sich die Wassertiefe veränderte.
An der Lotspeise klebte ausnahmslos Sand, feinkörnig und hell, fast so dünn wie der, der sich in den Sanduhren befand.
„Ideale Buchten gibt es hier“, sagte Hasard. „Das einzige, was mich stört, sind diese undurchdringlichen Wälder. Wenn wir dort kein Wasser finden, verschieben wir die Arbeit und segeln weiter, denn ohne Wasser ist uns auch nicht geholfen.“
„Aber der Holzbohrwurm“, wandte Ferris ein.
„Der kann dann auch noch ein paar Tage warten, die Algen und Muscheln ebenfalls. Es bleibt dabei, was ich gesagt habe.“
Ferris Tucker maulte vor sich hin, aber er sah selbst ein, daß es Wahnsinn war, mit den Arbeiten zu beginnen, wenn man nicht gleichzeitig Wasser und Proviant mannen konnte. Das kostete nur eine Menge Zeit.
In der ersten Bucht regte sich kein Leben. Schweigend und von einem brühheißen Sonnenglast umlagert, bot sie sich den Blicken dar. Im klaren Wasser tummelten sich schillernde Fische.
Der Seewolf ließ weitersegeln, und gegen Abend, bevor die kurze Dämmerung einsetzte, hatten sie das gefunden, was, ihren Vorstellungen entsprach: eine von See her uneinsehbare Bucht, an deren Ufer das Dickicht teilweise stark zurücktrat. Da gab es einen breiten Sandstreifen, da standen schiefgeneigte Kokospalmen, an denen runde braune Früchte hingen.
„Sechs Faaaden, Saaand“, sang der alte O’Flynn laut, und als die Wassertiefe nur noch fünf Faden betrug, gab Hasard den Befehl zum Ankern.
Der schwere Buganker rauschte aus, eine riesige Wasserschildkröte, die der Kutscher mit hungrig-lüsternen Blicken verfolgte, suchte eiligst das Weite und schwamm verstört davon.
Die Entfernung bis zum Ufer betrug knapp fünfzig Yards. Alles Weitere sollte sich morgen finden. Sie fierten nur noch das Beiboot ab, ruderten an Land und markierten den Sandstreifen mit dünnen Hölzern, damit sie einen Anhaltspunkt hatten, welche Unterschiede es hier zwischen Ebbe und Flut gab.
Dann brach nach einer sehr kurzen Dämmerung schnell die Nacht herein.
Auf der „Isabella“ wurde es ruhig. Nur die eingeteilten Deckswachen gingen ihre Runden.