Читать книгу Seewölfe Paket 7 - Roy Palmer, Fred McMason - Страница 22

7.

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Als sich am anderen Morgen immer noch nichts rührte, wurden die Arbeiten fortgesetzt.

Diesmal arbeiteten fast alle mit. Da wurde gekratzt, gestoßen, gehämmert, abgebrannt – was immer Ferris Tucker persönlich übernahm –, kalfatert und gestrichen.

Das kleine Fäßchen Schießpulver ging zur Neige. Tucker mußte ein neues holen, um den Holzbohrwurm zu vernichten.

Mitunter hatte es den Anschein, als würde die „Isabella“ lichterloh in Flammen stehen. Dann züngelten riesige, blutrote Flammen an dem Schiffskörper hoch, dann wurde Pech so flüssig wie Wasser, und dann rannten Seewölfe mit Pützen voller Seewasser umher, um den vermeintlichen Brand zu löschen.

Doch immer wieder sahen sie Ferris Tuckers heimliches Grinsen. Der Schiffszimmermann kannte genau die Menge, die er verwenden durfte, die Menge, die das Pech flüssig werden ließ und den Holzbohrwurm vernichtete, so daß er sich zusammenzog, in den Gang, den er gebohrt hatte, blitzartig verschwand und dort verendete.

Ganz selten sahen sie einmal eins der winzigen Tierchen.

Es hatte einen Kopf der in verblüffender Weise einem von Tuckers Holzbohrern ähnelte, die in der großen Holzkiste lagen, die meist unter der Nagelbank auf Steuerbord lag.

Ferris hatte einige von ihnen herausgebohrt, kleine Dinger, bei denen man zweimal hinsehen mußte, ehe man sie einmal sah. Er ließ sie auf der Kuppe seines hornigen Zeigefingers laufen und zeigte sie herum.

„Verrenkt euch nicht die Klüsen“, sagte er, „der Bursche ist so klein, daß man ihn kaum sieht, aber er ist ein emsiger Arbeiter, an dem ihr euch ein Beispiel nehmen könnt. Er bohrt und bohrt, und alles, was er braucht, ist nur Holz und Salzwasser. Dann beginnt er seine verdammt gründliche Arbeit.“

„Genau wie du“, sagte Tuckers bester Freund Carberry. „Ich überlege gerade, ob wir dich nicht umtaufen sollen. Ferris, der Holzbohrer, klingt doch nicht schlecht, was, wie?“

„Untersteh dich“, sagte Tucker grollend, „sonst bist du die letzte Zeit mein Freund gewesen.“

Mittags gab es große Stücke von dem Fleisch, das sie gestern erwischt hatten, und damit war auch schon fast die Hälfte wieder weg.

„Hoffentlich sind wir bald fertig“, sagte der Kutscher mißmutig. „Was wir gestern gefunden haben, reicht vorn und hinten nicht. Und weitersuchen können wir auch nicht mehr, wenn wir nicht heimlich ein paar vergiftete Pfeile ins Kreuz kriegen wollen. Keine Beeren, keine Kräuter, nur ein paar lausige Nüsse und zwei Schildkröten.“

„Wenn du nicht soviel meckern, sondern statt dessen kräftig mithelfen würdest, werden wir viel schneller fertig“, sagte der Profos.

Der Kutscher zog sich zurück, aber als er seine Kombüse aufgeklart hatte, war er dabei und hieb wie ein Wilder auf die Muscheln und den Tang ein.

Der größte Teil der Unterseite war abgekratzt, mit Pech verklebt und abgebrannt worden. Im Rumpf gab es eine ganze Menge dieser winzigen Löcher. Tucker hatte also mit seiner Behauptung recht gehabt, nur war es nicht so schlimm, wie er es darstellte.

Hasard hatte ständig einen Mann im Ausguck, dessen Blick bis weit aufs Meer reichte, und der auch einen Teil des Urwalds überblicken konnte.

Diesmal war es der Schwede Stenmark. Er war noch keine halbe Stunde oben, als er an Deck rief: „Deck! Ein Spanier! Zweimaster! Er segelt ziemlich dicht an der Küste entlang. Himmel, wie der Don segelt, da scheinen nur Verrückte an Bord zu sein.“

Während die anderen ihre Arbeit unterbrachen, enterte der Seewolf schweigend in die Wanten, bis er den Ausguck erreichte.

„Der hat uns gerade noch gefehlt“, sagte er leise. „Wenn der uns entdeckt und in die Bucht einläuft, kann er uns eine Menge Kummer bereiten. Wir müssen sofort …“

Er unterbrach sich, denn jetzt fiel ihm selbst auf, wie eigenartig der Don an der Küste segelte.

„Da scheinen tatsächlich Verrückte an Bord zu sein“, sagte er zu dem Schweden. „Ein großes Segel steht, die anderen hängen im Gei. Diese Nachttopfsegler haben wohl noch nie etwas von Brassen und Schoten gehört.“

Er legte die Hände an die Lippen.

„Bill! Bring mir das Spektiv. Beeil dich!“

Der Moses flitzte los, holte das Spektiv aus der achteren Kammer und brachte es nach oben.

„Da wird man ja ganz schwindlig“, sagte er und deutete auf den Mast, der jetzt schief in die Luft ragte, und in dessen Ausguck es sich schlecht stehen ließ.

Hasard gab keine Antwort. Er zog das Spektiv auseinander und blickte hindurch.

Stenmark sah ihn fragend an, doch der Seewolf reichte ihm nur schweigend das Spektiv und wartete, bis der Schwede ebenfalls hindurchsah. Nach einer Weile setzte er es ab.

„Ist dir etwas aufgefallen?“ fragte Hasard.

„Ja, eine Menge sogar, und es wundert mich auch nicht, daß das Segel falsch steht. Ich habe keinen Menschen an Bord gesehen.“

„Ich auch nicht. Noch etwas?“

„Sonst eigentlich nichts weiter“, sagte Stenmark. „Den Namen konnte ich nicht entziffern.“

„Das Schiff liegt viel zu tief im Wasser“, sagte Hasard. „Und das ist sicherlich nicht auf die Ladung zurückzuführen.“

„Es ist am Absaufen?“ fragte Stenmark.

„Ja, es sieht aus, als ob es sich langsam voll Wasser säuft.“

Hasard blickte nach unten, wo auf dem schräggeneigten Deck eine emsige Tätigkeit herrschte.

Brighton ließ die Kanonen ausrichten, uni den vermeintlichen Gegner wenigstens mit einer Breitseite empfangen zu können. Ferris hatte Brandsätze geholt und steckte sie in die Halterungen.

Noch einmal blickte Hasard zu dem falsch segelnden Schiff hin, das der Wind, der jetzt fast auflandig zur Küste blies, immer näher herantrieb.

Nein, es gab keine Menschenseele an Bord, wenigstens zeigte sich keine.

Eine Falle der Spanier? überlegte er. Mit diesem Trick hatten oft schon Piraten, Spanier oder Engländer gearbeitet, und er hatte auch oft geklappt. Man lief den vermeintlich hilflosen oder verlassenen Kahn an, und schon erhoben sich hinter den Schanzkleiden bewaffnete Kerle und enterten.

Wie ein Geisterschiff trieb es dahin, unstet, von unsichtbaren Kräften gelenkt.

Hasard konnte jetzt den Namen entziffern.

„Tierra“, hieß der anscheinend verlassene Segler.

„Die Kopfjäger“, sagte der Seewolf plötzlich.

„An Bord – da drüben?“ fragte Stenmark ungläubig.

„Ich meine die Besatzung. Sie war es vermutlich, die den Kopfjägern in die Hände gefallen ist. Natürlich, es kann gar nicht anders sein. Ed hat doch vierzehn Köpfe gefunden.“

„Vielleicht gibt es doch noch Überlebende an Bord“, sagte Stenmark. „Oder Verletzte, Hilflose. Vielleicht haben die Kerle nicht alle umgebracht.“

„Ja, das ist möglich. Bleibe weiter im Ausguck, Sten.“

„Aye, aye, Sir.“

Hasard enterte ab.

„Ihr könnt die Brandsätze wieder verstauen“, sagte er, „das Schiff, das sich nähert, hat keine Besatzung an Bord und ist falsch besegelt. Außerdem wird es bald untergehen. Räumt das Werkzeug aus dem Beiboot, ich segle hinüber, Ben übernimmt solange das Kommando über das Schiff.“

Die Seewölfe hatten sich im Nu zusammengereimt, was es mit dem Spanier auf sich hatte.

Carberry nickte gedankenvoll.

„Das waren vierzehn Besatzungsmitglieder, die wir gestern fanden“, sagte er gepreßt, „auf Pfähle gespießt. Das Schiff hat sich wahrscheinlich losgerissen, oder die Kopfjäger haben es auf See geschickt.“

„Mit einem Segel am Großmast?“ zweifelte Hasard. „Mit dem Schiff stimmt etwas nicht. Ich glaube nicht, daß Kopfjäger sich in der Takelage eines Seglers auskennen. Vermutlich befindet sich doch jemand an Bord und ist verletzt. Willst du mit, Dan?“

Fast alle wollten mit, aber Hasard wehrte ab.

„Drei, vier Mann genügen völlig, die anderen passen auf, daß wir nicht hinterrücks überfallen werden.“

Er nahm Carberry, Dan und Smoky mit, und steckte zwei Brandsätze in sein Hemd. Dem Profos bedeutete er, Stahl, Flintstein und eine Lunte mitzunehmen.

„Wollen wir den Kahn denn versenken?“ fragte Ed.

„Das nicht, aber man sollte keine Möglichkeit außer acht lassen. Wenn es eine Falle ist, werden die Kerle ihr blaues Wunder erleben, deshalb nehmen wir das Zeug mit.“

Sie stiegen in das große Beiboot, das einen Mast und ein Segel hatte. Brighton reichte den Männern noch zwei Musketen.

Gegen den auflandigen Wind, der nur schwach wehte, segelten sie los, durchkreuzten die Bucht und erreichten etwas später das Meer.

Von hier aus war der Spanier deutlich zu sehen. Wie ein welkes Blatt trieb er der Küste entgegen, schwerfällig im Wasser liegend.

„Ich glaube, er ist noch tiefer abgesackt“, sagte Hasard.

„Dann kann es auch keine Falle sein“, meinte Dan. „Was wollen die denn mit einem untergehenden Schiff noch angreifen?“

„Vielleicht hast du recht.“

Carberry änderte leicht den Kurs, bis sie in fast spitzem Winkel dem Spanier entgegensegelten.

„Die Ankertrosse hängt im Wasser“, sagte Dan, der Augen wie ein Seeadler hatte. „Der Anker fehlt, wahrscheinlich haben die Wilden die Trosse durchgeschnitten und den Kahn einfach treiben lassen, als er leck war.“

„Oder sie haben ihm dieses Leck selbst verpaßt“, meinte Carberry.

Hasard legte die beiden Brandsätze auf die Ducht.

„Entzündet die Lunte“, sagte er. „Wir segeln auf Lee achtern heran, ich springe hinüber und enter am Hennegat auf. Ihr legt sofort wieder ab, bis der Abstand mindestens hundert Fuß beträgt. Sollte jemand auf mich lauern oder mich überwältigen, dann jagt ihr dem Kahn die beiden Brandsätze an Deck, ohne Rücksicht auf mich. Das ist ein Befehl, und ich hoffe, jeder hat ihn gut verstanden.“

Es gab keinen Widerspruch, wenn Hasard in diesem Tonfall sprach, und es dachte auch keiner daran, zu widersprechen.

Hasard wollte kein Risiko eingehen, nicht das geringste, und das verstanden sie.

Carberry segelte das Beiboot so dicht heran, daß der Seewolf mit einem Satz aufsprang.

Dann drehte Carberry hart ab und segelte weiter, bis er die von Hasard vorgeschriebene Distanz erreichte. Dort holte er das Segel ein und sah Smoky an, der die Lunte entzündet hatte.

Hasard enterte auf, flink und behende und zog sich an der umlaufenden Heckgalerie auf das Deck des abschüssigen Achterkastells.

Seine Augen suchten das Deck ab.

Nichts regte sich, niemand war zu sehen, kein Mann hatte sich hinter dem Schanzkleid versteckt.

Das Schiff ächzte und stöhnte. Tief im Leib des spanischen Seglers hörte Hasard es gurgeln, wenn das eingedrungene Wasser hin und her schwappte.

Er ging über den Niedergang in die Kuhl und öffnete das Schott eines hölzernen Aufbaus.

Abgestandene Luft schlug ihm entgegen. Es roch nach modrigem Tauwerk und Farbe. Acht hölzerne Stufen führten hinunter.

Als der Seewolf unten ankam, fiel nur noch schwach das Tageslicht herein.

Die Kammer diente dazu, Werkzeug, Taue, Farbe und allen möglichen Bedarf aufzunehmen. Auch ein paar Eisenkugeln lagen herum, daneben leichtsinnigerweise ein Pulverfaß.

Ordnungsliebend waren die nicht gerade, dachte Hasard und verließ den Raum wieder.

Von der Kuhl aus winkte er das Boot heran, warf die Jakobsleiter über Bord und nahm das Tau entgegen, das Ed ihm zuwarf.

„Keine Falle“, sagte Hasard. „Wir werden das Schiff noch genau durchsuchen, aber hängt zuerst das Segel ins Gei, damit wir nicht an der Küste zerschellen.“

Es war ein eigenartiges Gefühl, auf einem langsam sinkenden, verlassenen Schiff zu stehen, auf dem sich keine Besatzung befand, das sich seinen Weg selbst suchte, das rollte und schlingerte und sterbend durch das Meer zog.

Das Segel wurde ins Gei gehängt, dann erst sahen sich die Männer genauer um.

„Was ist das denn?“ fragte Ed und deutete auf die hüttenartige Erhebung in der Kuhl. „Ein Logis?“

„Ich habe schon nachgesehen. Dort drin befindet sich nur Tauwerk und Kram. Laßt uns achtern mit der Kapitänskammer beginnen, vielleicht erhalten wir einen Hinweis.“

„Seekarten vielleicht“, sagte Dan. „Die Spanier halten sie doch immer so geheim. Roteiros nennen sie die, und es sind die besten Karten, die es gibt.“

Vor der Kapitänskammer gab es noch eine andere, ähnlich der auf der „Isabella“.

Sie warfen einen Blick hinein. Die Kammer war sauber aufgeräumt, hatte eine in die Wand eingelassene Doppelkoje und eingebaute Schränke. Zwei Stühle bewegten sich, wie von Geisterhänden bewegt, ständig hin und her.

In der Kapitänskammer sah es ganz anders aus. Wie bei den Spaniern üblich, war sie großräumig angelegt und geschmackvoll eingerichtet.

Dan öffnete die eingebauten Schränke und suchte nach Roteiros, aber er fand nur ähnliche Karten, wie sie sie auch hatten. Sie waren das Mitnehmen nicht wert.

Ziemlich enttäuscht verließen sie die Kapitänskammer und gingen nach vorn. Hinweise hatten sie keine gefunden, aber jeder von ihnen konnte sich ausmalen, was hier passiert war.

Entweder hatte man das Schiff nachts überfallen, oder die Mannschaft war an Land gegangen und dort den Kopfjägern in die Hände gefallen, denn hier gab es keine Spuren, die auf stattgefundene Kämpfe hinwiesen.

Andererseits war es unwahrscheinlich, daß eine Crew geschlossen an Land ging und das Schiff sich selbst überließ. Das paßte nicht zusammen. Vielleicht hatte man die Mannschaft auch nacheinander von Bord gelockt.

„Was hier passiert ist, werden wir wohl nie erfahren“, sagte Carberry, als er vor dem Schott auf dem Vorschiff stand, das weit geöffnet war und in den Angeln quietschte.

„An Deck ist jedenfalls nicht gekämpft worden“, sagte Smoky, „sonst würde man Blut oder andere Spuren sehen.“

Die „Tierra“ blieb für sie ein Rätsel.

Als sie den Niedergang hinunterstiegen, blieben sie wie angewurzelt stehen, stumm, ohne vorerst ein Wort zu sagen.

Auf den Dielen, vor einem aufgerissenen verschimmelten Schrank, lagen zwei Spanier.

Jemand hatte ihnen die Köpfe vom Rumpf getrennt und sie mitgenommen.

Es dauerte lange, bis Hasard Worte fand.

„Entsetzlich“, sagte er leise. „Was sind das nur für Menschen, die so etwas tun?“

Niemand gab Antwort. Stumm sahen sie auf die beiden menschlichen Leichen, denen der Kopf fehlte.

In dem Mannschaftsraum waren Kampfspuren zu sehen, überall herrschten

Unordnung und Durcheinander.

Bei einem der beiden Toten lag ein langes Messer, mit dem er sich allem Anschein nach gewehrt hatte.

Hasard ging hinaus an Deck. Er brauchte frische Luft. Die anderen folgten beklommen und verunsichert.

Der Seewolf lehnte am Schanzkleid und hatte die Hände auf den Handlauf gestützt. Gedankenverloren hielt er nach der „Isabella“ Ausschau, die ihnen jetzt fast gegenüberlag, aber man sah nicht einmal die Masten des Schiffes vom Meer aus, obwohl man von der „Isabella“ aus einen Teil der See überblikken konnte.

„Zwei Tote an Bord“, sagte er, „zwei, die es wahrscheinlich geschafft hatten, den Wilden zu entwischen. Doch man hat sie aufgestöbert und umgebracht.“

Dan O’Flynn versuchte, das Geschehnis zu rekapitulieren.

„Den beiden gelang es, entweder an Bord zu bleiben oder sich von Land aus auf das Schiff zu flüchten. Dann haben sie wahrscheinlich die Ankertrosse gekappt und das Großsegel gesetzt. Die Wilden müssen ihnen hinterhergefahren sein mit Booten, sind aufgeentert und haben die beiden nach heftigem Kampf umgebracht. Dann, so nehme ich an, haben sie das Schiff leckgeschlagen, damit es für andere keine Spuren gab.“

Er sah sich um und deutete an Deck.

„In zwei, höchstens drei Stunden geht die ‚Tierra‘ auf Tiefe und niemand wird je wieder etwas von ihr und der Besatzung hören.“

„So könnte es durchaus gewesen sein“, pflichtete der Seewolf dem jungen O’Flynn bei. „Jedenfalls spricht alles dafür. Suchen wir weiter, sehen wir uns einmal die Laderäume an.“

Carberry brach den Raum kurzerhand mit einem Hebeleisen auf, das unter der Nagelbank lag.

Wasser stand bis auf halber Höhe in dem Raum. In den Fluten schwammen Kistenteile, Säcke, zwei tote Ratten und Sachen, von denen man nicht mehr sagen konnte, was sie einst gewesen waren.

„Vielleicht haben sie Gold- oder Silberbarren unten liegen“, sagte Smoky, „oder anderes wertvolles Zeug.“

„Wenn du scharf darauf bist, kannst du ja in die Dreckbrühe tauchen und dich unten umsehen“, antwortete Carberry, „ich bin jedenfalls nicht wild darauf.“

„Ich auch nicht.“

Noch einen weiteren Raum suchten sie auf. Die Pulverkammer, in die noch kein Tropfen Wasser gedrungen war. Massenhaft waren hier Fässer gestapelt. Die vielen Eisenkugeln, die in dem Raum lagerten, ließen sich kaum zählen.

„Junge, das sind ja Siebzehn-Pfünder“, sagte Dan erstaunt, „unser Kaliber.“

„Stimmt“, sagte Carberry, „an Deck stehen Culverinen, das fällt mir erst jetzt auf.“

„Kugeln und Pulver nehmen wir mit“, entschied der Seewolf, „wir haben ohnehin nicht mehr viele Kugeln, und unsere Pulvervorräte schrumpfen auch zusammen.“

Die „Tierra“ sackte weiter ab. Langsam zwar, aber unaufhaltsam. Wo sich das Leck befand, ließ sich nicht feststellen. Wenn sie es wußten, würde das auch nichts mehr ändern.

„Fangen wir gleich damit an“, sagte Hasard und reichte eine der Kugeln an Smoky weiter.

Das Schiff war herrenlos und dem Untergang geweiht. Sie konnten nehmen, was sie wollten, später würde ohnehin alles die See gierig verschlingen. Pulver und Kugeln konnte man immer gebrauchen, und hier hatte ihnen der Zufall Siebzehn-Pfünder beschert.

Eine Kette wurde gebildet. Kugel um Kugel wanderte nach oben, bis an Deck alles schwarz war.

Dann folgten die schweren Fässer mit Schießpulver.

Etwas später wurde es ins Boot verladen, bis es beängstigend tief im Wasser lag.

„Wir werden etwa drei Mal fahren müssen“, sagte Hasard zu Ed. „Sag den Leuten, sie sollen blitzartig ausladen, und kehre sofort zurück, sonst müssen wir an Land schwimmen.“

Der Profos legte ab, setzte das Segel und segelte los, der Bucht entgegen.

Die drei Männer durchsuchten das Schiff jetzt gründlich.

„Lebensmittel haben die doch sicher auch, das würde uns eine Menge Arbeit ersparen“, sagte Smoky hoffnungsvoll.

„Nimm dir doch ein paar Säcke Kastanien mit“, riet Dan. „Wenn du die alle gemampft hast, bist du ein richtiger Don.“

An Proviant fand sich jedoch nicht viel. Der Besatzung war es ähnlich ergangen wie den Seewölfen. Sie kauten auf dem letzten Rest herum.

Smoky entdeckte einen Sack Mehl, den er an Deck schaffen wollte, doch als er ihn hochhob, wurde der Sack lebendig, und eine unübersehbare Armee schwarzer Kakerlaken marschierte empört in die Dielenritzen.

Der Decksälteste stieß einen Fluch aus.

„Verdammt noch mal, so viele Kakerlaken gibt es auf der ganzen Welt nicht wie hier. Na wartet, ihr Biester, nicht mehr lange und ihr könnt auf dem Meeresgrund marschieren.“

Kleine Säcke voller Reis entdeckten sie, aber Dan verzog angewidert das Gesicht.

„Wenn man nichts mehr hat, ist er ja ganz gut, aber unser Vorrat reicht bis an unser Lebensende.“

Olivenöl in Fässern wurde gefunden, es stank so entsetzlich, daß Hasard sich die Nase zuhielt.

„Es hat den Anschein, als wäre das Schiff den gleichen Kurs gesegelt wie wir“, sagte er. „Es muß im Land des Großen Chan gewesen sein oder auf einer der Inseln, wo es Reis gibt.“

Dan O’Flynn war schon wieder verschwunden. Er hatte den Ehrgeiz, diese sogenannten Roteiros doch noch zu finden, und er war sich sicher, daß der Kapitän sie irgendwo versteckt hatte.

Die Karten entdeckte er jedoch trotz intensivster Suche nicht, dafür fand er in einem Versteck handliche Fässer bis obenhin gefüllt mit Malagawein. Daneben befanden sich andere Fässer, die scharf riechenden Schnaps enthielten.

„Nehmen wir alles mit“, sagte Hasard. „Was soll es auf dem Meeresgrund vergammeln, wo niemand etwas davon hat. Wir holen das Zeug sofort und stapeln es in der Kuhl.“

So geschah es, und gleich darauf stapelte sich in der Kuhl wieder ein ansehnlicher Berg.

„Eigentlich hätten wir das viel leichter haben können“, überlegte Dan laut. „Für uns wäre es doch eine Kleinigkeit gewesen, mit vier Mann den Kasten in die Bucht zu segeln und ihn dort auf Grund zu setzen.“

„Nein, das wollte ich nicht“, sagte der Seewolf, „unter anderem auch wegen der beiden Toten nicht. Die ‚Tierra‘ soll ihr Grab bleiben, das auf See untergeht und nicht in einer Bucht auf seichtem Sand, wo es die Kopfjäger später ausplündern. Außerdem möchte ich mir nicht nachsagen lassen, wir hätten eine spanische Mannschaft umgebracht, um uns an ihren Schätzen zu bereichern.“

„Aber wer sollte das denn sagen?“ fragte Dan.

„Es könnte uns zufällig ein Spanier entdecken, ein Portugiese oder sogar ein Landsmann von uns. Und wie willst du einem tobsüchtigen Spanier erklären, daß wir es nicht waren? Da bleibt keine Zeit für Erklärungen, und glaubhaft ist es auch nicht. Aus diesen Gründen habe ich es nicht getan.“

„Verstehe“, sagte Dan, „ist auch besser so.“

Smoky blickte über das Schanzkleid.

„Ed kehrt zurück“, sagte er. „Und wir sind wieder ein Stück tiefer abgesackt. Lange hält sich das alte Mädchen nicht mehr.“

Das Schiff lag träge im Wasser und bewegte sich kaum noch. Der schwache Wind war nicht imstande, es weiter an die Küste zu blasen. Aber es kriegte Schlagseite und wurde kopflastig, und es schwankte plump in der See.

Der Profos legte an und enterte auf. Die Leiter brauchte er dazu nicht mehr, es war nur ein Katzensprung.

„Jeder wollte mit und sehen, was hier los ist“, sagte er. „Ich mußte die Kerle erst freundlich fragen, wie wir wohl das Zeug von Bord schaffen sollen, wenn jeder seinen neugierigen Rüssel hier an Deck steckt.“

Wie freundlich Ed ihnen das gesagt hatte, konnte Hasard sich lebhaft vorstellen. Ganz bestimmt hatte der Profos in seiner leisen bescheidenen Art zärtlich geflüstert.

Da fiel sein Blick auf die Fässer, und seine Augen wurden rund und groß.

„Sieht nach Schnapsfäßchen und Wein aus“, sagte er andächtig. „Man sollte direkt probieren, ob das Zeug noch gut ist, sonst schleppen wir es umsonst mit.“

„Probiere lieber mal, wie viele Kugeln noch ins Boot passen“, riet Hasard dem Profos, dessen liebevoll verklärter Blick die kleinen Fässer geradezu verhätschelte.

Wieder wurde das Boot vollgeladen bis nichts mehr hineinging, dann segelte Ed los.

„Der Rest gibt gerade noch ein Boot voll, uns vier eingerechnet“, überlegte Hasard. „Bis dahin wird es auch soweit sein, daß die ‚Tierra‘ auf Tiefe geht.“

Wie ein dicker Schwamm sog sich das Schiff voll. Anfangs hatte man leichtes Gurgeln und Schwappen vernommen, aber jetzt waren diese Geräusche verklungen.

Eine unheimliche Stille breitete sich aus. In den Pardunen sang kein Wind, Tauwerk und Blöcke knarrten nicht, und selbst die kleinen Wellen schienen dem Schiff auszuweichen, um es nicht in seiner Todesstunde zu stören.

„Mir tut es jedes Mal in der Seele weh, wenn so ein Schiff untergeht“, grübelte Smoky laut. „Das ist wie eine Beerdigung von etwas, das man gern hatte, das lebte und mit dem man verwachsen war.“

„Das liegt an der Seele des Schiffes“, erklärte Dan, „jedes Schiff hat eine.“

Er hatte kaum das letzte Wort ausgesprochen, als ein harter Ruck die ‚Tierra‘ erschütterte. Irgendwo im Innern barsten Planken.

Die Männer sahen sich an. Smoky kratzte mit dem Finger seine Bartstoppeln am Kinn.

„Hoffentlich müssen wir nicht noch schwimmen, denn hier an Bord gibt es kein einziges Beiboot. Die haben wahrscheinlich die Wilden geklaut.“

Das nächste Krachen ertönte. Einer der Masten erzitterte so stark, als würde er aus dem Kielschwein gerissen.

Langsam wurde Smoky nervös und hielt nach Ed Ausschau, der aber noch nicht zu sehen war. Wenn er an das haiverseuchte Wasser dachte und daran, daß sie vielleicht eine ganze Strecke schwimmen mußten, wurde ihm ausgesprochen mulmig.

Das Knacken und Krachen ertönte jetzt an mehreren Stellen, das Schiff zitterte und bebte und neigte sich weiter auf den Bug.

Die Kugeln rollten polternd über Deck nach vorn, auch die Fässer bewegten sich.

„Mist verdammter“, fluchte Dan.

Nur der Seewolf sagte nichts. Gelassen blickte er die beiden Männer an und grinste dann.

„Habt ihr Angst, daß eure Affenärsche naß werden?“ fragte er.

„Angst, daß die Haie daran knabbern“, entgegnete Smoky. „Es gibt hier verdammt viele von den Burschen.“

„Ed ist schon im Anmarsch“, sagte Hasard.

Das sinkende Schiff gab Laute von sich wie ein zu Tode getroffenes Tier. Überall ächzte, stöhnte und knarrte es jetzt, und mehrmals schien es den Versuch zu unternehmen, sich steil auf den Bug zu stellen. Aber irgend etwas verhinderte das, vermutlich ein Raum, in den noch kein Wasser gedrungen war und der Auftrieb gab.

Carberry legte an und pfiff durch die Zähne.

„Die beeilt sich aber, die Tante“, sagte er und flankte in die Kuhl.

„Laß alles stehen und liegen“, sagte Smoky, „sie säuft jeden Augenblick ab oder fliegt auseinander.“

„Die Schnaps- und Weinfässer liegenlassen?“ rief der Profos mit blitzenden Augen. „Hat die Welt so was schon gehört! Das Schiff hat noch fast eine Handbreit Freibord.“

In aller Eile mannten sie weiterhin Fässer, Kugeln und die kleinen Tonnen mit Schießpulver ins Boot.

Der Profos ließ nichts liegen. Das wäre ja noch schöner, dachte er, daß die Fässer mit dem wertvollen Gesöff einfach untergingen.

Schließlich hatten sie alles verstaut und gingen von Bord.

Träge segelte das Beiboot davon, wieder schwer beladen.

„Da hätten wir noch mehr Fässer holen können“, sagte Carberry, „der Kahn hält sich noch.“

„Man sieht es“, erwiderte Smoky sarkastisch.

Der Großmast neigte sich langsam zur Seite, das Deck wölbte sich auf, Planken zerfetzten knirschend, und dann stürzte der schwere Mast um, die Rahen wirbelten wie Bäume davon und ein schmetternder Schlag überlagerte jedes andere Geräusch, als das Schanzkleid in tausend Trümmer zerschlagen wurde.

Die Wanten, die den Mast gestützt hatten, waren wie morsches Tauwerk zersprungen.

Die „Tierra“ ging auf Tiefe, den zersplitterten Mast nach sich ziehend, der sich wie ein gigantischer Finger noch einmal aufrichtete und anklagend in den Himmel wies.

Wasserwirbel schäumten, ein trichterartiger Sog bildete sich, und in dessen Riesenstrudel verschwand das spanische Schiff.

Als der Sog sich gelegt hatte, stiegen Trümmer aus dem Meer, eine Rah, ein paar Planken und Balkenteile.

Carberry schüttelte sich unbehaglich.

Auf der „Isabella“ wurden sie mit Hallo empfangen. Der Profos hatte den Männern in groben Zügen erklärt, was vermutlich an Bord des Spaniers vorgefallen war.

„Habt ihr keine Lebensmittel entdeckt?“ fragte der Kutscher besorgt.

„Ranziges Olivenöl, ein paar Säcke Reis und Mehl, in dem sich mehr Kakerlaken tummelten, als man sich vorstellen kann“, zählte Hasard auf. „Mehr befand sich nicht an Bord, leider.“

„Und dabei brauchen wir so bitter nötig Frischfleisch und alles andere.“

„Wir laufen eine andere Bucht an, sobald wir fertig sind“, versprach der Seewolf. „Irgendwo an der Küste wird es ganz sicher auch Fischerdörfer geben, wo wir etwas kriegen oder selbst etwas jagen können. Es müssen ja nicht alle Eingeborenen Kopfjäger sein.“

Mit allen verfügbaren Kräften wurden die Arbeiten am Schiff vorangetrieben. Es begann bei der morgendlichen Dämmerung und wurde fortgesetzt, bis es dunkel wurde.

Big Old Shane schlug vor, auch während der Dunkelheit zu arbeiten, später könne man sich ja ausruhen, und ein paar Tage Knochenarbeit würden keinem schaden.

Davon wollte Hasard jedoch nichts wissen.

„Sieh mal, Shane“, sagte er zu seinem väterlichen Freund, „wir wissen über die Eingeborenen gar nichts, und wenn wir nachts im Licht der Fackeln arbeiten, können sie aus dem Dschungel heraus jeden Mann töten, den sie wollen. Vielleicht haben sie uns noch gar nicht entdeckt, vielleicht trauen sie sich nachts auch nicht heraus, aber das Risiko ist mir zu groß, verstehst du?“

Klar verstand ihn Big Old Shane, er hatte daran nicht gedacht, weil sie bisher noch keinen der Eingeborenen gesehen hatten.

Nochmals vergingen zwei Tage, bis die Arbeiten beendet waren. Noch in derselben Nacht segelte die „Isabella“ los.

Seewölfe Paket 7

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