Читать книгу Seewölfe Paket 7 - Roy Palmer, Fred McMason - Страница 34
9.
ОглавлениеZurück an Bord der „Isabella“ erstatteten die Landgänger ihren Kameraden Bericht.
„Ich glaube, nicht einmal ein halbes Dutzend Schüsse könnten den Tiger stoppen“, sagte der Seewolf abschließend. „Eine Höllenflasche vielleicht, aber das wäre höchst unwaidmännisch.“
„Du willst zur Insel zurück und ihn erlegen?“ fragte Ferris Tucker.
„Nein, das habe ich nicht vor. Die Freibeuter, die wir suchen, halten sich bestimmt nicht auf Rempang auf – wegen des echten Tigers. Und ich persönlich hege keinen Haß gegen den vierbeinigen Killer. Wenn er sein Revier um jeden Preis verteidigen will, dann bin ich der letzte, der seine Kreise stört.“
„Deck!“ rief unvermittelt Bill aus dem Großmars. „Schiff im Nordwesten! Es hat das Nordufer der Insel gerundet und hält auf uns zu!“
Hasard bewaffnete sich sofort mit dem Spektiv, hastete auf die Back der „Isabella“ und nahm das Schiff im Augenschein.
„Ein Zweimaster!“ rief der Schiffsjunge.
Ben Brighton, Ferris Tucker, Smoky, Shane und die beiden O’Flynns trafen inzwischen auch auf dem Vordeck ein. Carberry überprüfte unterdessen die Gefechtsstationen. Nach dem Zwischenfall auf Rempang hatte Ben Brighton zum Kampf rüsten lassen. Es gab nichts zu bemängeln, die „Isabella“ konnte es sofort mit einem Gegner aufnehmen.
Hasard mußte zwar auch ein Erscheinen der Spanier in sein Kalkül einbeziehen, aber er rechnete noch nicht wieder mit ihnen. Ganz instinktiv dachte er eher an ein Aufkreuzen der malaiischen Piraten.
Und er wurde nicht enttäuscht.
„Der Zweimaster ist ein außergewöhnlich großer Praho“, sagte er zu den Männern. „Ich wette eins zu tausend, daß er zu dem Verband des Tigers gehört.“
„Na, dann wollen wir mal“, entgegnete Ferris grimmig.
„Ich nehme nicht an, daß er mit uns kämpfen will“, meinte Hasard jedoch. „Er signalisiert aus den Toppen.“
„Spanische Signalzeichen, Sir“, meldete Bill im Tonfall höchster Erregung. „Er erscheint als Unterhändler.“
„Akzeptieren wir das?“ fragte Ben.
Hasard ließ das Spektiv sinken und warf seinem Bootsmann einen Seitenblick zu. „Ja. Wir verhandeln. Gebt ihm zu verstehen, daß wir zu Verhandlungen bereit sind. Ich will wissen, was er von uns will.“
Kurze Zeit später wußte er es.
„Eine Unterredung zwischen beiden Kapitänen“, las der Seewolf aus den Signalflaggen, die in den Toppen des eigentümlichen Zweimasters flatterten. „Der Tiger will mich sehen, befindet sich aber an anderer Stelle.“
„Wir begleiten dich“, sagte Ben Brighton.
Hasard schüttelte den Kopf. „Der Tiger erwartet mich allein, ohne Schutzengel. Den Gefallen tue ich ihm.“
„Hasard!“ rief Dan O’Flynn. „Du gehst freiwillig in Teufels Küche. Der Malaie wird sich freuen, dir den Hals umdrehen zu können.“
„Das tut er nicht.“
„Wer garantiert dafür?“
„Keiner, aber ich halte ihn für fair.“
„Was, zum Teufel, will der Kerl von dir?“ fragte Big Old Shane.
„Das erfahren wir bald“, sagte Hasard lächelnd. „Männer, fiert ein Boot ab, ich setze zu dem Praho über. Und noch etwas. Ihr wartet hier, bis ich zurück bin. Ihr rührt euch nicht vom Fleck, es sei denn, ihr hört Schüsse fallen. Mister Brighton, das ist ein Befehl.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Ben widerwillig.
Nördlich der Insel Rempang fand das denkwürdige Treffen statt. Hasard durfte sich an Bord des zweimastigen Prahos frei bewegen. Er stand auf dem Vordeck und hielt die Arme vor der Brust verschränkt, als sie hoch am Wind auf den Verband des Tigers von Malakka zurauschten.
Die „Isabella VIII.“ und auch das Beiboot, auf dem Hasard übergesetzt hatte, waren ein paar Meilen achteraus zurückgeblieben. Jetzt schob sich die Inselküste zwischen beide Parteien, so daß der Seewolf sein Schiff nicht mehr sehen konnte.
Elf Schiffe warteten. Nur drei waren kleiner als der Zweimaster, auf dem Hasard fuhr, und sie führten nur jeweils einen Mast. Die anderen überragten das Schiff der Unterhändler um einiges. Der größte Segler schließlich hob sich hervor wie ein Schwan in einer Entenkolonie. Er war ein Dreimaster, dessen Segelfläche der Seewolf angesichts der langen Gaffelruten als sehr groß einschätzte, obwohl die Segel aufgegeit waren.
Der Dreimaster führte keine Ausleger, und ihm fehlte auch die einfache Hütte mittschiffs, die die Malaien Attap zu nennen pflegten. Statt dessen hatte er eine niedrige Poop und ein Vorkastell wie die Galeonen und Karavellen.
Der Zweimaster ging bei dem Dreimaster längsseits, und wenig später konnte der Seewolf auf das größere Schiff überentern. Auf der Kuhl erkannte er einige der Malaien, Bataks und Atjehs wieder, die zu der Begleiterschar des Tigers zählten. Auch die Gesichter der einfacher, weniger bunt und abenteuerlich gekleideten Männer und Frauen vor der Back waren ihm nicht neu – Eingeborene des von den Spaniern überfallenen Dorfes.
Auf dem Achterdeck schließlich erwarteten der Tiger, Otonedju und die Tochter des Stammesältesten den Seewolf. Beim Voranschreiten fragte Hasard sich unwillkürlich, wie Otonedju eine so junge Tochter haben konnte. Aber dann führte er sich vor Augen, daß bei manchen Inselvölkern die Polygamie vorherrschte und daß der alte Mann durchaus eine viel jüngere Frau geehelicht haben konnte.
Hasard betrat das Achterdeck.
Der Tiger, das sah er sofort, hatte noch immer seine doppelläufige sächsische Reiterpistole im Leibgurt stecken.
„Ich grüße dich, Seewolf“, sagte der Tiger.
Hasard blieb stehen und lächelte knapp. „So treffen wir also doch noch zusammen. Wo liegt dein Versteck? Auf einer der nördlichen Nachbarinseln von Rempang? Du brauchst es mir nicht zu verraten. Ich nehme aber an, deine Späher haben meine Galeone entdeckt, und daraufhin hast du beschlossen, dich, wenn schon, auf offener See mit mir zu treffen.“
Wider Erwarten blieb der Tiger gelassen.
„Das ist im Prinzip richtig“, erwiderte er in seinem nahezu akzentfreien Spanisch. „Natürlich kann ich dich nicht in meinem Schlupfwinkel empfangen, damit hätte ich dir meinen geheimen Aufenthaltsort verraten, bevor ich dich genau geprüft habe.“
„Ah! Und was gibt mir die Ehre, von dir empfangen zu werden?“
„Du hast uns gesucht.“
„Ja, denn ich will nicht auf mir sitzen lassen, was du mir vorwirfst. Der Überfall der vier Spanier auf der Insel war nicht fingiert. Sie waren die letzten Versprengten ihres Haufens, und wir haben zäh mit ihnen ringen und fechten müssen, bis …“
„Das Mädchen Yaira hat gesehen, wie zwei dieser Kerle gefallen sind“, erwiderte der Tiger. Er legte der Häuptlingstochter die Hand auf die Schulter, und Yaira wurde sichtlich verlegen. „Sie hat es mir gesagt, als wir schon auf den Schiffen waren. Ich habe daraufhin über dich nachgedacht, Seewolf – und gewartet. Ich wußte, daß du auftauchen würdest.“
„Gib mir meine Waffe zurück.“
„Erst wenn ich völlig von deiner Ehrlichkeit überzeugt bin.“
„Was muß ich denn noch tun, um dein Vertrauen zu gewinnen?“
„Ich werte es hoch, daß du allein erschienen bist“, sagte der Tiger von Malakka. „Aber versuche, mich zu verstehen. Ich bin oft hintergangen worden. Meine eigenen Landsleute haben mich verraten, verkauft, geschlagen, den Spaniern überantwortet. Siabu, der Batak, war einer von ihnen. Er gab dem Kommandanten des Verbandes den Hinweis, ich könnte auf Otonedjus Insel Zuflucht gesucht haben.“
Hasard beobachtete ihn unentwegt, keine Regung im Gesicht des Piratenführers entging ihm. „Das begreife ich durchaus. Mir ist es in meiner Heimat ähnlich ergangen – England übrigens, nicht Spanien.“
„Ich hasse die Spanier, was ich von den Engländern halten soll, weiß ich nicht.“
„Wie kann ich dir die Gelegenheit dazu geben, mehr über unsere Zielsetzung zu erfahren?“ fragte Hasard.
Die Züge des Tigers verhärteten sich. „Du gibst vor, unser Freund zu sein. Das mußt du unter Beweis stellen. Wenn dein Herz wirklich für uns schlägt, gehst du allein auf die Insel zurück – Rempang. Kein Mann hat bisher seinen Fuß auf dieses Stück Land gesetzt, ohne dem Tiger zu begegnen. Ich spreche jetzt von Bulbas, dem grausamen Einzelgänger und Amokläufer.“
„Hast du die Explosion gehört? Wir haben ihn durch eine Pulverladung verscheuchen müssen.“
„Der Amokläufer wird dich deswegen hassen. Noch einmal läßt er dich nicht entwischen.“
Amok – dieses Wort stammte aus dem Malaiischen und bedeutete soviel wie „Raserei“. Diese und einige andere Vokabeln hatte der Seewolf während seiner Fahrten zwischen dem Reich der Mitte und den vielen Inseln dieses Erdteils erlernt, es waren aber nicht viele.
„Nicht alle Tiger hassen die Menschen“, entgegnete Hasard.
„Bulbas wurde vor einigen Jahren von Spaniern angeschossen.“
„Du auch?“
„Suche nicht nach der Gleichheit der Begebenheiten, es lohnt sich nicht“, erwiderte der schwarzbärtige Mann, und seine Miene wurde noch finsterer. „Hör mir nur zu. Die Spanier betreten Rempang nicht mehr, sie haben Angst und wissen dem Tiger nicht beizukommen. Meine Männer und ich, wir haben Bulbas’ Reich bisher auch gemieden, weil wir den Tiger als unser Kampf symbol achten und verehren. Doch vorletzte Nacht hat sich etwas Unvorhergesehenes ergeben, wie ich leider erst heute mittag erfahren habe.“
Er klatschte in die Hände. Die Decksleute entließen daraufhin einen hageren Mann aus ihren Reihen, den Hasard zuvor noch nicht gesehen hatte. Etwas geduckt enterte dieser Malaie das Achterdeck. Hasard hob die Augenbrauen, als er die kaum verheilten Wunden auf seinem nackten Oberkörper sah.
„Ein kleiner Stamm wie der von Otonedju wurde vor zwei Tagen von einer Insel vertrieben – von den Spaniern“, erklärte der Tiger. „Das Gros der Männer, Frauen und Kinder floh mit Auslegerbooten. Unwissend der Tatsache, daß Bulbas auf Rempang haust, landeten sie auf der Insel. Sie wollten sich eine neue Existenz aufbauen. Bulbas hielt grausige Mahlzeit. Dieser Mann entkam schwimmend ins Meer, wir fischten ihn auf.“
Hasard sah wieder auf den mageren Malaien, der ein paar Worte ausstieß und unverständliche Gesten beschrieb.
„Seine Brüder und Schwestern sind nicht alle gerissen worden“, erläuterte der Tiger von Malakka ernst. „Rund zwei Dutzend sind nach seiner Darstellung in die Berge geflüchtet und haben vielleicht irgendwo in Erdlöchern Unterschlupf gefunden. Bulbas umschleicht sie und wird auch sie aufstöbern. Du und deine Männer habt ihn gestört, aber jetzt nimmt er die Jagd wieder auf.“
„Und du willst, daß ich eine Mutprobe ablege?“
„Wenn du ein aufrichtiger Freund der Malaien bist, kehrst du auf die Pulau Rempang zurück und hilfst den wehrlosen Menschen aus der Klemme. Allein.“
„Ist es das, was du plantest?“
„Ja. Deswegen sind wir hier.“
Hasard blickte zu Otonedju und Yaira. Sie verstanden kein Wort Spanisch, aber der Inhalt dessen, was der Tiger von Malakka gesagt hatte, war ihnen bewußt. Ihre Gesichter waren von tiefem Ernst gezeichnet.
„Ich versuche es“, sagte der Seewolf. „Aber ich werde alles tun, um Bulbas nicht zu töten.“
Vor Anbruch der Dunkelheit kehrte Hasard mit einer Jolle in den schmalen Flußlauf der Insel zurück – allein. Der Verband von zwölf Piratenschiffen hatte sich zur „Isabella“ gesellt, unter dem heiligen Versprechen des Tigers von Malakka, sich völlig neutral und friedfertig zu verhalten.
Hasard glaubte fest daran, sich auf das Wort des Tigers verlassen zu können.
Und nun zu dir, Bulbas, dachte er, während er mit dem Boot an derselben Stelle landete wie wenige Stunden zuvor.
Der Tiger war unendlich gerissen, das hatte der malaiische Freibeuter dem Seewolf versichert, das hatte Hasard auch schon selbst festgestellt.
Statt ihn, Carberry und die vier anderen anzugreifen, hatte er sich an Jeff Bowie herangepirscht, um diesen als ersten zu zerfetzen. Und was die völlig verstörten und zutiefst eingeschüchterten Eingeborenen betraf, die irgendwo im Inselinnern hockten, so hatte er ihnen nicht nur die Boote zerstört, er schnitt ihnen auch fortwährend jeden Fluchtweg ab.
Dies alles tat Bulbas, der Amokläufer, aus abgrundtiefem Haß gegen die Menschen. Würde er sich nie ändern? Es gab keine Hoffnung, aber Hasard widerstrebte es dennoch, ihn zur Strecke zu bringen.
Zum Teufel mit der Überheblichkeit, dachte er, wie leicht kann er dich erledigen!
Hatten die auf der Insel Eingeschlossenen das Erscheinen der Schiffe verfolgen können? Hofften sie auf Rettung? Zumindest hatten sie das Detonieren der Höllenflasche vernommen. Würden die Krieger sich vorwagen, bis zum Südufer hinunter, um auf sich aufmerksam zu machen und um Rettung zu flehen?
Bulbas lauerte ihnen auf.
Diese Erwägung trieb den Seewolf voran. Nicht weit von seinem Landeplatz entfernt hörte er auf, mit dem Cutlass auf das Dickicht einzuhauen. Er hatte seinen Pfad weit genug getrieben und suchte sich einen mächtigen Baum aus, den er hochklimmen konnte.
Der Flußlauf befand sich unweit des Baumriesen. Er hatte sich an dieser Stelle zu einem verhalten dahingurgelnden Bach verengt. Das Gewässer nahm einen wesentlichen Teil in Hasards Planung ein.
Bevor er den Baum erkletterte, löste er die Taurollen, die er sich über eine Schulter geschlungen hatte. Zu beiden Seiten des Baches legte er Schlingen, die er sorgfältig knotete und nach einem ausgeklügelten System oben mit den tiefsten Baumästen verband. Nachdem er sie getarnt hatte, daß sie wie Lianen anmuteten, setzte er mit einem Sprung wieder auf das andere Bachufer zurück und kletterte in den Baum hinauf.
Die ganze Zeit über hatte er höllisch aufgepaßt, nicht von dem vierbeinigen Mörder überrascht zu werden. Aber Bulbas zeigte sich nicht. Hatte er den Feind noch nicht bemerkt? Hasard gab sich keinen Illusionen hin. Bulbas hatte seine Landung verfolgt, aus irgendeinem Versteck heraus. Er wußte, wohin sich der Feind gewandt hatte und wartete nur noch den günstigsten Zeitpunkt ab, um über ihn herzufallen, ohne eine donnernde Flasche zwischen die Läufe zu erhalten.
Die Nacht also.
Hasard kniete auf einer Gabelung, die genügend Platz bot, um es Stunden, vielleicht die ganze Nacht, auf dem luftigen Posten auszuhalten. Zwei Waffen hatte er mitgenommen: den Radschloß-Drehling und Batutis Pfeil und Bogen. Die Pfeile im Köcher waren in einer intensiven Zusammenarbeit des Kutschers und des Gambia-Mannes mit einer Substanz versehen worden, die sich beim Eindringen in den Körper eines Opfers sofort ausbreitete und in den Blutkreislauf floß.
Hasard vertraute auf dieses Wundermittel.
Die Nacht tauchte die Insel Rempang nahezu übergangslos in Finsternis. Die Umgebung des Seewolfs erwachte zu allerlei Aktivitäten. Zikaden zirpten, Frösche quakten, Nachtvögel stimmten ihr Konzert an, große Insekten summten vorbei. Es riß nicht ab.
Einmal vernahm Hasard ein Grollen wie aus weiter Ferne. Bulbas hatte sein Nahen angekündigt. Er würde sich nicht wieder melden.
Hasard packte den Radschloß-Drehling unwillkürlich fester. Sechs Schuß steckten in der Trommel, aber würden sie reichen, wenn der Tiger ihn überlistete? An den Bogen und die Pfeile war in jenem Fall überhaupt nicht mehr zu denken. Hasard fragte sich, ob er nicht zu leichtsinnig gehandelt hatte, als er es abgelehnt hatte, auch Höllenflaschen aus der Werkstatt Ferris Tuckers mitzunehmen. War das nicht wieder zu großes Selbstvertrauen gewesen? Im äußersten Notfall hatte er keine Chance, sich den Mörder fernzuhalten. Sechs Schüsse konnten genug sein, um Bulbas zu fällen, oder aber der Tiger verdaute sie, ohne ernsthaft in seinen Bewegungen behindert zu werden.
Es kam aufs richtige Zielen an.
Aber im Dunkeln ließ es sich schlecht zielen.
Ein feines Knacken im dichten Unterholz – und Hasard wußte, daß der Tiger zur Stelle war. Sehen konnte er ihn immer noch nicht. Wäre es nicht vorteilhaft gewesen, chinesischen Schnee von der „Isabella“ mitzubringen? Oder vielleicht einen Brandsatz? Hasard hätte die Umgebung in gleißendes Licht tauchen können, Bulbas wäre geblendet und verwirrt gewesen.
Das war es eben. Auch hier galt das Gebot der Fairneß. Bei allem Selbsterhaltungstrieb wollte der Seewolf dem Todfeind eine reelle Chance lassen, sich gegen ihn zu behaupten.
Bulbas zeigte sich völlig überraschend.
Sein Grollen flog auf den Baum zu. Hasard sah den mächtigen Leib, schwarz, braun und weiß gestreift. Bulbas mußte einen Nachbarbaum erklommen haben, nur so hatte er den Schlingen entgehen können.
Auf allen vieren landete er auf dem Ast, der von Hasards Gabel fortstrebte. Der Ast schwang bedenklich auf und ab, Hasard verlor fast den Halt. Er kämpfte um sein Gleichgewicht.
Bulbas fauchte, brüllte und glitt auf ihn zu. Er war ein zähnefletschender, krallenbewehrter Kämpfer, der auch dem hartgesottensten Mann das Fürchten beibrachte.
Schießen? Hasard besann sich auf seinen Plan. Er wich ein Stück zurück und ließ sich dann aus der Gabel zu Boden fallen. Gleichzeitig griff er nach dem Bogen und ließ den Radschloß-Drehling am Lederriemen herabbaumeln. Er landete, fing den Aufprall in den Kniekehlen ab und zog einen Pfeil aus dem Köcher.
Warum, dachte er, warum hast du das nicht eher getan?
Bulbas war grollend über ihm und schickte sich an, herabzuspringen und ihn unter seinem Gewicht, seinen scharfen Krallen zu begraben.
Hasard bewegte sich rückwärts und mußte aufpassen, nicht in die Schlinge zu geraten. Er legte den Pfeil auf die Bogensehne, spannte und schoß – der Pfeil zischte über Bulbas weg.
Der Tiger brüllte auf, Haß loderte in seinen gelben Lichtern. Er duckte sich sprungbereit. Hasard taxierte die Distanzen, drehte sich halb und sprang über den Bachlauf.
Bulbas sank aus dem Baum aufs Ufer, sein Aufsetzen geschah nahezu lautlos. Er schob sich auf den Menschen zu, flach, die Muskeln gespannt.
Dann spürte er die Nähe des Wassers und verhielt.
Hasard hatte einen zweiten Pfeil aufgelegt und ließ ihn schwirren. Die Spitze bohrte sich in Bulbas’ Schulterfleisch und hatte genug Schwung und Druck, sein Fell zu durchdringen. Grausig klang das Brüllen des Tieres in Hasards Ohren.
Bulbas flog über den Bachlauf, und nur ein gewaltiger Sprung zurück ins Dickicht rettete den Seewolf. Er fiel, rappelte sich wieder auf und nahm mit fliegenden Fingern einen dritten Pfeil.
Bulbas, der Mörder, der Amokläufer, schlich auf ihn zu.
Dann aber verfing er sich in der Schlinge.
Hasard nutzte seine Verwirrung, um den dritten Pfeil in seinen Hals zu schießen. Im nächsten Augenblick mußte er wieder ausweichen und zurückspringen, denn der Tiger wollte sich blind vor Zorn auf ihn werfen.
Eine Wurzel stoppte Hasard. Er strauchelte und fiel auf den Rücken. Der heiße, beißende Atem der Bestie war vor ihm. Eine Pranke raste auf ihn nieder und traf seine rechte Schulter. Siedender Schmerz durchzuckte den Körper des Seewolfs.
Es ist aus, dachte er, diesmal ist es wirklich aus.
Aber Bulbas konnte nicht mehr weiter. Die Schlinge hatte sich zusammengezogen und hielt seine Hinterläufe fest. Zwei Pfeile steckten in ihm, das Betäubungsmittel wirkte jetzt. Lasch setzte er seine Pranke auf den Boden und ließ ein langgezogenes Stöhnen ertönen. Dann sank er auf die Seite. Seine Läufe regten sich noch träge, aber dann hörte auch das auf.
Hasard blutete, war zerschunden und mit Schmutz besudelt. Aber die Verzweiflung glitt von ihm ab. Er sprang auf und stieß den alten Kampf- und Siegesschrei der Seewölfe aus.
„Arwenack! Ho, Ar-we-nack!“