Читать книгу Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 21

6.

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Die „Empress of Sea II.“ lief auf ihrem südlichen Kurs gute Fahrt – bei handigem bis frischem Wind aus Nordosten. Rasch stellten sich Carberry, Nils Larsen und Sven Nyberg sowie der Kutscher auf die Besonderheiten des Schiffes ein. Die Zwillinge kannten sich ebenfalls bereits aus, sie fuhren ja nicht zum ersten Male auf der „Empress“.

Plymmie richtete es sich in der Nähe des Bugs gemütlich ein – nicht allzuweit von der Pantry entfernt. Sir John schien der einzige zu sein, der sich mit der neuen Umgebung noch nicht richtig zurechtfand. Er verließ die schützende Profos-Schulter vorläufig nicht und nervte Carberry mit seinen englischen und spanischen Flüchen und hektischer Ohr-Zwackerei.

In einem Punkt aber behagte die „Empress“ dem Profos doch nicht ganz.

„Hör mal zu, Donegal“, sagte er zu dem Alten, der selbst die Ruderpinne übernommen hatte. „Die Räume unter Deck sind verdammt eng. Ich fürchte, da stoße ich mir irgendwo den Kopf oder sonst was.“

„Sonst was wäre schlecht“, sagte Old O’Flynn mit fröhlichem Grinsen. „Aber mach’s wie ich. Schlaf an Deck.“

„Das werde ich auch tun. Es ist ja warm genug, und regnen wird es wohl auch nicht.“

„Heute nacht nicht“, sagte der Alte. „Sonst würde ich den Wetterumschwung schon in meinem Beinstumpf spüren.“ Seine Augen verengten sich etwas. Er fixierte Sir John, der immer noch krächzte und fluchte und am Profos-Ohr herumknabberte. „Aber was wird aus deinem Vogel? Wenn er weiter herummeckert, kriegen wir heute nacht kein Auge zu.“

„Ich sperre ihn unter Deck ein“, sagte Carberry.

„Ach? Und da kleckert er dann alles voll, wie?“

Der Profos rückte etwas näher auf den Alten zu. „Du verwechselst da was. Sir John ist keine Legehenne, sondern ein Papagei, und zwar ein wohlerzogener. Ich hab’ ihm schon früh beigebracht, daß man anderer Leute Schiffe nicht einfach vollkackt.“

„Soso“, sagte Old O’Flynn mit listigem Grinsen. „Und darauf kann ich mich verlassen?“

„Das kannst du.“

„Jede Zuwiderhandlung wird geahndet“, sagte der Alte. „Auf diesem Schiff führe ich das Kommando, und ich dulde keine Disziplinlosigkeit und Insubordination.“

„Na, dir muß das mit dem Nachwuchs zu Kopf gestiegen sein“, sagte Carberry respektlos. „Jedenfalls hast du solche Sprüche sonst nicht geführt. Aber keine Sorge, was Sir John betrifft, achte ich selbst darauf, daß er keinen Mist baut. So wahr ich Carberry heiße.“

Während sich die beiden die üblichen Freundlichkeiten sagten und die anderen den normalen Decksdienst versahen, leisteten die Zwillinge dem Kutscher in der Pantry Gesellschaft. Der Kutscher hantierte mit Töpfen und Pfannen, heizte das Feuer ein wenig an und setzte einen Kessel mit Wasser auf. Es war dunkel geworden. Bald wurde es Zeit zum Backen und Banken.

„Im Gegensatz zu der Kombüse der ‚Isabella‘ ist die Pantry ganz schön klein, was, Kutscher?“ fragte Philip junior.

„Ja. Aber sie ist aufgeräumt und sauber“, erwiderte der Kutscher.

Hasard junior lachte leise. „Das ist bestimmt nicht Old Donegals Verdienst. Er redet zwar viel von Ordnung und Disziplin, aber selbst nimmt er’s nicht so genau.“

Der Kutscher wies eine der blitzblanken Pfannen vor, dann deutete er auf das mustergültig saubere Hackbrett, die Anrichte und die staubfreien Schapps.

„Das hier trägt die Handschrift von Mary, Gotlinde und Gunnhild“, erklärte er. „Unverkennbar. Ich nehme auch an, daß sie die kleine Crew gut versorgt haben.“

„Ja“, erwiderte Philip junior. „Aber Mister O’Flynn hat immer was zu meckern. Jedenfalls hat er lieber dich als Koch an Bord als Mary.“

„Warum denn das?“

„Wir haben gehört, wie er mit Dad gesprochen hat“, entgegnete Hasard junior. „Von wegen, er könne Mary wegen ihrer anderen Umstände nicht mit an Bord nehmen – und so. Aber er hat auch schon vorher darüber geredet.“

„Über was denn?“ fragte der Kutscher. „Ich kann euch jetzt nicht ganz folgen.“

„Können wir dir nicht helfen?“ fragte Philip junior.

Der Kutscher grinste. „Klar. Hier, das Gemüse muß in Stücke geschnitten werden.“

„Das übernehme ich“, sagte Philip. Schon stand er an der Anrichte und häufelte das gewaschene Gemüse auf dem Brett an. Der Kutscher drückte ihm ein Messer in die Hand.

„Anschließend wirfst du das Zeug einfach in den Kessel“, sagte der Kutscher. „Wir haben noch eine Stunde Zeit, bis dahin ist es gar.“ Er holte ein paar ansehnliche Fische hervor. Es waren zwei Zackenbarsche, ein Umber und ein Sankt-Peters-Fisch. „Hier, seht mal. Die hat Martin Correa heute früh von der Halbinsel aus geangelt. Sie sind groß genug, um uns acht Mann für heute abend satt zu kriegen. Sie müssen nur noch ausgenommen, abgeschuppt und gewaschen werden.“

„Das kann ich“, sagte Hasard junior. Er stellte sich neben den Kutscher, und gemeinsam weideten sie die frischen Fische aus. Dabei unterhielten sie sich weiter.

„Also, das ist so“, sagte Philip junior. „Old Donegal hat die ganze Weiberwirtschaft, wie er sie nennt, an Bord der ‚Empress‘ satt. Zumindest für unser Andros-Unternehmen hat er wieder ’ne richtige Männercrew haben wollen. Und er hat auch herumgenörgelt, er brauche einen guten Koch.“

„Das ehrt mich aber“, sagte der Kutscher lachend. „Ich fühle mich geschmeichelt.“

„Carberry hat das kräftig unterstützt“, fügte Hasard junior den Worten seines Bruders hinzu.

„Erstaunlich“, sagte der Kutscher. „Aber Gegensätze ziehen sich an.“

„Willst du die Fische kochen?“ fragte Philip.

„Nein, braten“, entgegnete der Kutscher. „Ich zeige euch gleich, wie.“

„Dad hat aber noch einen anderen Grund, warum er dich mitgeschickt hat“, sagte Hasard. „Du kennst dich aus, Kutscher, und du hast wohl einen alten Schinken über Andros gelesen.“

„Ach so“, sagte der Kutscher. „Ja, das stimmt. Es war ein richtiger Foliant, und darin war Erstaunliches über die Insel aufgezeichnet. An das meiste kann ich mich noch erinnern.“

„Eben“, sagte Philip. „Folglich gibt es zwei Gründe, warum du an unserer Expedition teilnimmst.“

„Der erste geht geradewegs durch den Magen“, sagte der Kutscher. „Der zweite ist theoretischwissenschaftlicher Art. Aber so ein Experte bin ich nun auch wieder nicht. Vor allem kein studierter Mann.“

„Stell dein Licht nicht unter den Scheffel“, sagte Hasard junior. „Du mit deiner klugen und besonnenen Art wirst das schon meistern. Und Dad meinte auch, unter den Hitzköpfen müsse sich einer befinden, der immer klar bei Verstand ist.“ Er grinste von einem Ohr zum anderen.

„Laßt das bloß nicht Old Donegal und Carberry wissen“, sagte der Kutscher. „Die gehen gleich in die Luft, wenn sie so was hören. Von wegen Hitzköpfe.“

„Aber recht hat Dad“, sagte Philip junior. Er grinste genauso breit wie sein Bruder.

Nachdem das Gemüse im Kessel gelandet und die Fische fertig ausgenommen, abgeschuppt und gewaschen waren, zeigte der Kutscher den Zwillingen, wie sein Bratfisch-Rezept aussah: Er zerkleinerte Zwiebeln, Knoblauch und Petersilie auf dem Hackbrett, streute die Mischung in die größte Pfanne und dünstete sie auf der Holzkohlenglut vor.

Als die Zwiebeln glasig wurden, warf er den ersten halbierten Fisch in die Pfanne und briet ihn. Er streute etwas Salz über ihn, wendete ihn und wartete, bis er gar war. Dann legte er ihn in eine andere Pfanne, die er über der Glut warm hielt. Nun kam der nächste Fisch an die Reihe.

Wenig später trat die Crew zum Backen und Banken an, und heißhungrig fielen die Männer und die beiden Jungen über die Gemüsesuppe und die gebratenen Fische her. Dazu gab es Rotwein und eine von Old O’Flynn großzügig spendierte Extraration Rum.

Old O’Flynn wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, als er seine Mahlzeit beendet hatte.

„So laß ich’s mir gefallen!“ rief er. „Gut gekocht, Kutscher! Nur weiter so!“

„Danke für die Blumen“, erwiderte der Kutscher lachend. „Aber Mary hat das sicher noch besser als ich verstanden.“

„Unsinn“, sagte der Alte. „Auf Mary lasse ich nichts kommen, aber richtig gut ist bei ihr nur Calaloo. Der Rest läßt zu wünschen übrig.“

Carberry wandte ihm sein narbiges Gesicht zu. „Das kannst du mir nicht erzählen, Donegal. Sag lieber, daß du sie auf Great Abaco zurückgelassen hast, damit sie dir nicht dauernd auf die Zehen tritt.“

Gespannt warteten die anderen auf Old O’Flynns Erwiderung. Zuerst sah es so aus, als wolle er wie ein Pulverfaß explodieren. Es fehlte nur noch die Lunte, die das Pulver in die Luft jagte. Dann aber bezwang er sich.

„Mister Carberry“, sagte er sehr beherrscht. „Bist du jemals verheiratet gewesen?“

„Nicht, daß ich wüßte.“ Carberry grinste wieder.

„Dann kannst du auch nicht beurteilen, was so eine Ehe bedeutet“, sagte der Alte.

„Nur Gemecker?“ fragte der Profos. Er griff nach Sir John, der immer noch auf seiner linken Schulter herumturnte, aber der Papagei zwackte ihm kräftig in den Finger.

„Das Gemecker gehört mit dazu“, erklärte Old O’Flynn. „Aber das Schönste ist, wenn du erfährst, daß Nachwuchs unterwegs ist. Und nun mal genauer: Welcher Hundesohn würde seine Frau Gefahren aussetzen und sie mit auf eine Fahrt mit ungewissem Ausgang nehmen? Und noch was. Allein die Schwankungen eines Schiffes können sich störend auf eine Schwangerschaft auswirken, aber davon hast du natürlich keine Ahnung.“

„Ach?“

„Es wird keinen Stammhalter geben, der das Fortbestehen der Carberry-Sippe garantiert“, sagte Old O’Flynn. „Aber die O’Flynns werden niemals aussterben, dafür hab’ ich gesorgt. Und damit es keine Schwierigkeiten gibt, ist Miß Snugglemouse auf Great Abaco geblieben. Klar?“

„Klar“, erwiderte Carberry. Er war jetzt viel zu verdutzt, um etwas Schlagfertiges zu äußern. Carberry-Sippe? Ja, wer hatte denn daran jemals gedacht?

Die anderen lachten. Ehe es Streit zwischen Old O’Flynn und Carberry gab, rief Sven Nyberg: „Kutscher! Was weißt du eigentlich über die Insel Andros? Raus mit der Sprache! Wir sind schon neugierig! Es hat sich herumgesprochen, daß du ein dickes Buch darüber gelesen hast!“

Der Kutscher trank noch einen Schluck Wein, dann sagte er: „Andros ist eine von Geheimnissen umwitterte Insel. Die Spanier nennen sie ‚Isla del Espiritu Santo‘.“

„Insel des Heiligen Geistes“, sagte Martin Correa. „Ja, so wurde sie von meinen Landsleuten getauft. Sie ist sehr groß, nicht wahr?“

„Der Koloß unter den Bahamas“, erwiderte der Kutscher. „Soviel ist bekannt. Im Schnitt soll die Insel an die fünfundzwanzig Meilen breit und über hundert Meilen lang sein. Und von der Ost- zur Westküste ist sie von kräftigen Meeresarmen durchzogen. Das sind die sogenannten Creeks oder Bights.“

„Aber das sind doch englische Ausdrücke“, warf Martin Correa ein.

Der Kutscher lächelte. „Es war ja auch ein englischer Foliant, in dem ich herumgeschmökert habe. Also, diese Creeks oder Bights sollen ein wahres Verwirrspiel für Nautiker sein.“

„Wie schön“, sagte Old O’Flynn ironisch. „Da haben wir ja was Feines vor uns.“

„Die drei Bights heißen Nord-, Mittel- und Süd-Bight“, fuhr der Kutscher unbeirrt fort. „Sie unterteilen die Insel in natürliche Regionen, nämlich Nord-Andros, Mittel-Andros, Mangrove-Cay und das zersplitterte Süd-Andros. Wenn ich mich recht entsinne, soll der Urwald im Inneren der Insel ziemlich dicht sein. Fast undurchdringlich.“

„Das wird ja immer schöner“, sagte Old O’Flynn. „Ach, wie schade, daß Mary nicht mit dabei ist. Sie hätte sicherlich gern ein paar bunte Blumen gepflückt.“

„Ein Tropenwald aus Pinien und Palmetto“, sagte der Kutscher. „Ja, so stand es in meinem Wälzer. Und natürlich mangelt es auch am Mangrovengestrüpp und am Spanischen Moos nicht.“

Carberry stieß einen dumpfen, grunzenden Laut aus. „Ha, wie sollte es auch! Ich hätte es glatt vermißt, das Moos, meine ich.“

„Ihr seid unvorstellbar witzig“, sagte der Kutscher. Er schoß einen Blick auf Old O’Flynn und den Profos ab, dann sprach er weiter. „Auf Andros gibt es eine Menge Binnenseen. Unzählige, stand in meinem Buch. Weiter Wasseradern, die in die Seen fließen, und überall Inselchen.“

„Ein feuchtes Paradies“, sagte Nils Larsen. „Und überall lauert das Wechselfieber, was? Nun mal ehrlich, Kutscher, hältst du das für einen besonders positiven Bericht?“

„Es soll keine positive Darstellung sein“, erwiderte der Kutscher. „Denn Andros ist eine abweisende Insel. Die Westküste wird ‚Schlammküste‘ genannt. Andros, die dunkle Insel. Ach ja, richtig, das hätte ich fast vergessen – Geister soll es dort auch geben.“

„Potzblitz!“ stieß Old O’Flynn hervor. „Das habe ich mir gedacht! Und ausgerechnet wir müssen zu der verfluchten Schlamm-Insel segeln? Das hat sich Hasard ja fein ausgedacht!“

Carberry atmete tief durch. „Wir haben unseren Auftrag, und den führen wir auch aus. Wir erkunden diese Andros-Insel, und die Geister scheren mich einen Dreck.“

„Habe ich gesagt, daß ich vorher umkehren will?“ fragte der Alte brummig. „Ich melde nur meine Bedenken wegen der Geister an. Die Dämonen und Gespenster in dieser Gegend sind nicht zu unterschätzen, laß dir das gesagt sein.“

„Ach, dir liegt nur der Bratfisch zu schwer im Magen“, sagte Carberry, dann leerte er seine Muck Wein in einem Zug.

Die Unterhaltung schlief allmählich ein. Old O’Flynn teilte Martin Correa und Sven Nyberg noch als Deckswachen ein, dann begab er sich zur Ruhe. Ihm folgten Carberry und Nils Larsen und machten es sich auf dem Deck, unter freiem Himmel, bequem.

Die Zwillinge halfen dem Kutscher noch, die Pantry aufzuklaren.

„Erzähl uns noch mehr über die Andros-Geister“, bat Philip junior.

„Die Indianer nennen sie Chickcharnies“, erwiderte der Kutscher. „Rotäugige Buschgeister. Sie turnen durch das Geäst und ärgern jeden Besucher, der sich nach Andros verirrt. Auch soll es im Inneren der Insel einen unentdeckten Indianerstamm geben. Kurz, auf Andros geht es nicht mit rechten Dingen zu. Aber all das sind natürlich reine Legenden. Märchen für Erwachsene.“

„Glaubst du nicht an Übersinnliches?“ fragte Hasard junior.

„Nein, das weißt du doch“, erwiderte der Kutscher.

„Könnte nicht etwas Wahres an den Gerüchten dran sein?“

„Ach wo“, versetzte der Kutscher. „Du darfst nur das glauben, was du mit deinen Sinnen wahrnimmst. Hast du jemals ein richtiges Gespenst gesehen?“

„Im Traum“, erwiderte Hasard junior.

„Das zählt nicht“, sagte sein Bruder. „Träume sind Schäume. Ich habe schon geträumt, ich sei der König von England.“

„Träume sind Visionen“, sagte der Kutscher. „Viele Menschen haben Tagträume, und je abergläubischer sie sind, desto mehr Unfaßbares glauben sie zu sehen.“

„Wie Granddad“, sagte Philip junior.

„Das ist nun mal sein Spleen“, sagte der Kutscher. „Aber ich finde, so schlimm ist es nicht. Jeder von uns hat nun mal sein persönliches Steckenpferd. Er lebt mit seinen Geistern und Kobolden, aber seine Unkereien haben uns auch schon vor mancher Falle bewahrt.“ Eben: Old O’Flynn war ein uriges, wunderliches Rauhbein, doch auf seine ausgeprägten Sinne konnte man sich verlassen.

Am Morgen des neuen Tages, des 26. April, stand die „Empress of Sea II.“ vor der Nordspitze von Andros. Mit einiger Skepsis, aber auch mit großem Interesse blickten die Männer und die beiden Jungen auf die Strände und das tiefgrüne Dickicht. Mehr war vorläufig nicht zu erspähen, auch durch das Spektiv nicht.

Der Kutscher wies plötzlich auf einen Vogelschwarm, der im Inneren der Insel aufstieg. Durch das Spektiv erkannte er, um welche Art von Tieren es sich handelte.

„Flamingos“, sagte er. „Sie bevölkern die Binnenseen.“

„Sehr hübsch“, sagte Old O’Flynn nach einem Blick durch den Kieker. „Aber kann man die Viecher auch essen?“

„Nein“, antwortete der Kutscher. „Ihr Fleisch ist nicht genießbar.“

„Dann haben sie für uns keinen Wert, diese Flamingos“, sagte der Alte. Die Logik, die er anwendete, war wieder einmal unwiderlegbar.

„Vielleicht helfen sie uns aber bei der Orientierung“, sagte der Kutscher. „Mal sehen.“ Er holte eine Karte zum Vorschein. Diese Karte hatte ihm der Seewolf mitgegeben. Er hatte sie ihm anvertraut, weil er überzeugt war, daß der Kutscher der richtige Mann für das Erkunden dieser neuen Insel war.

Hasard hatte absolut nichts dagegen, daß sich der Kutscher auf der „Empress“ einschiffte. Er schätzte ihn als scharfen und dabei nüchternen Beobachter – ein guter Gegenpol bei Old Donegals wuchernder Phantasie. Im übrigen war Mac Pellew als zweiter Koch auf der „Isabella“. Die Meinungen der Männer über Macs Küchenkünste gingen zwar stark auseinander, aber sie waren sich zumindest einig, daß er sie nicht vergiften würde.

Der Kutscher sollte Bürge für das Auskundschaften der neuen Ufer sein. Martin sollte ihm dabei als Navigator und Steuermann behilflich sein. Die Karte würde ihnen gute Dienste erweisen, und alles, was bemerkenswert erschien, sollte der Kutscher entsprechend auf ihr aufzeichnen.

Anhand dieser Karte törnte die kleine Crew mit der „Empress“ entlang der Ostküste von Andros südwärts. Den Zwillingen fiel dabei die Aufgabe des Auslotens der Wassertiefe zu. Alle Viertelstunde sangen sie die Tiefe aus, und der Kutscher trug die Werte sorgfältig und gewissenhaft samt Kurs und Abstand von der Küste auf der Karte ein.

Der Wind wehte nach wie vor aus Nordosten. Oben in den Backbordwanten des Fockmastes stand Nils Larsen als aufmerksamer Beobachter. Immer, wenn er Verfärbungen des klaren Wassers erkannte, gab er dies an die Männer an Deck weiter. Wo es heller wurde, kündeten sich Untiefen und Riffs an. Rechtzeitig wichen sie diesen Untiefen aus und verhinderten, irgendwo aufzulaufen.

An Steuerbord wechselten weiße Sandstrände mit bis ins Wasser reichenden Waldstücken ab. Scharen von Seevögeln hatten sich inzwischen eingefunden und begleiteten kreischend die kleine Karavelle.

Carberry hatte Sir John vorsichtshalber unter Deck gebracht. Aus Erfahrung wußte er, daß es mit dem Papagei Ärger geben konnte. Entweder legte sich Sir John mit den Seevögeln an, oder aber er freundete sich mit irgendeinem Weibchen an, flatterte zur Insel und ward nicht mehr gesehen. Dann begann die lange, zeitraubende Prozedur des Wiedereinfangens. All das wollte der Profos vermeiden.

In dem klaren, türkisfarbenen Wasser sahen die sechs Männer und die beiden Jungen Dornhaie, blaue Speerfische und Meeräschen – sogenannte Bonefishs. Riesige Schildkröten paddelten vor ihnen davon.

„Eine tolle Fauna“, sagte der Kutscher. „Und irgendwie erinnert mich hier alles an Florida.“

„Hör mit Florida auf“, sagte Carberry. „Davon habe ich noch jetzt die Nase voll. Hoffentlich kriechen hier nicht auch Indianer und Schnapphähne in den Sümpfen herum.“

„Rechnen muß man mit allem“, sagte Old O’Flynn. „Aber wir haben ja unsere Drehbassen. Und unsere Handfeuerwaffen. Vor Piraten habe ich keinen Bammel, vor Indianern schon gar nicht. Höchstens vor Geistern.“

„Wenn wir auf Indianer stoßen, kann es sich nur um friedliche Leute handeln“, sagte der Kutscher. „Hier leben keine kriegerischen Stämme.“

„Das sagst du“, brummte der Profos. „Aber hoffentlich wissen das auch die Wilden. Der Busch da sieht mir verdammt nach Kannibalen aus.“

Der Kutscher lachte. „Das wird ja immer schöner. Jetzt sind es schon Menschenfresser. Du übertreibst maßlos.“

„Wir werden ja sehen“, sagte der Profos. „Wir sprechen uns in dem Punkt noch wieder, Kutscher.“

„Kutscher“, sagte Sven Nyberg. „Wie ist das nun mit den Geistern? Wo sind die rotäugigen Ungeheuer?“

„Beschwör es nicht“, sagte Old O’Flynn mit wildem Gesichtsausdruck. „Sonst fallen sie heute nacht über dich als ersten her.“

Es wurden wieder einige Vermutungen über die Inselgespenster aufgestellt, und Old O’Flynn sträubten sich die Nackenhaare. Aber er äußerte sich nicht mehr dazu und hüllte sich in finsteres Schweigen. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt, dachte er.

So verstrichen die Stunden. Der Kutscher hatte die Größe der Insel richtig angegeben: Sie war riesig und schien nie enden zu wollen. Am Nachmittag öffnete sich an Steuerbord ein großer Meeresarm. Sie hatten den nördlichen Hauptwasserweg North Bight erreicht, der die Durchfahrt zur Westseite der Insel ermöglichte.

„Gut“, sagte der Kutscher. „Dieser Wasserweg ist auf unserer Karte eingezeichnet. Aber die Skizze ist doch höchst ungenau und entspricht kaum der Wirklichkeit.“

„Ich will’s wissen“, sagte Old Donegal. „Kann man hier nun durchsegeln oder nicht?“

„Man muß es ausprobieren“, sagte der Profos.

„Das tun wir auch“, sagte der Alte. „Abfallen vom Wind, Männer! Kurs Westen!“

„Abfallen und Kurs Westen!“ wiederholte Martin Correa. Er drückte die Ruderpinne herum, und die „Empress of Sea II.“ legte sich vor den Wind. Die Schoten wurden weggefiert, der Wind griff in die Segel und drückte das Schiff in den Meeresarm.

„Der Kompaßkurs ist etwa Südwest“, sagte Old Donegal, als sie dem Verlauf des Armes folgten. „Mir soll’s recht sein.“ Mißtrauisch blickte er nach Backbord. Dort erstreckten sich Inseln über Inseln. Er richtete seinen Blick nach Steuerbord. Dort zog sich buchtenreich und auch mit Inselchen bestückt die Südküste von Nordandros entlang. „Na, was haltet ihr davon?“ fragte er dumpf.

„Nicht allzuviel“, erwiderte Carberry. „Es stimmt schon, was der Kutscher erzählt hat. Hier kann man sich leicht verirren, wenn man zwischen den Inseln herumlaviert. Und hier gibt es keinen Faden wie im Höhlenlabyrinth, der einem wieder raushilft.“

„Genau das meine ich auch“, sagte der Alte. „Aber jetzt sind wir schon mal drin und segeln hindurch.“

Der Kutscher befaßte sich wieder mit der Karte und zeichnete die Inselchen ein. Die Zwillinge hatten unterdessen nicht aufgehört, die Wassertiefe auszuloten.

„Hier wird’s flach!“ rief Hasard junior plötzlich. „Zweieinhalb Faden!“

Martin Correa wich der Untiefe durch rasches Ruderlegen aus, aber dann wurde es ihm mulmig zumute.

„He!“ rief er. „Hier ist eine starke Strömung, verdammt noch mal!“

In der Tat: ein starker Strom setzte in Südwest-Richtung. Das ging ziemlich schnell – die „Empress“ wurde voll von ihm erfaßt und mitgenommen. Allen wurde es jetzt ungemütlich. Das sind die verfluchten Geister, dachte Old O’Flynn, aber er sprach es diesmal nicht offen aus.

„Fock und Besan bergen!“ befahl er.

Die Männer packten zu und tuchten die Fock und das Besansegel auf. Gerade noch rechtzeitig genug. Der Strom nahm zu und gewann immer mehr Macht über die kleine Karavelle. Sie schoß jetzt fast dahin. Aber das Bergen der beiden Segel verringerte ihre Fahrt wieder.

Die Lotungen ergaben inzwischen widersprüchliche Tiefen. Mal wurde es beängstigend flach, mal erreichte das Lot keinen Grund.

„Achtung!“ rief Nils Larsen. „Inseln voraus!“

Alle richteten ihre Blicke voraus. Inseln und Inselchen tauchten vor der „Empress“ auf, eine nicht zu überschauende Anzahl. Old Donegal wurde es schwül, er mußte sich den Schweiß von der Stirn wischen.

„Großsegel bergen!“ rief er.

So schnell sie konnten, tuchten die Männer auch das Großsegel auf. Jetzt war es nicht mehr der Wind, der dem Schiff die Vortriebskraft verlieh. Nur noch der Strom schob. Er drückte die „Empress“ auf die vielen kleinen Inseln zu, bemächtigte sich ihrer, führte sie dorthin, wohin er wollte. Martin Correa vermochte den Kurs mit der Pinne kaum noch zu beeinflussen.

Eine Stunde später lief die „Empress of Sea II.“ auf – ganz sanft. Die Männer und die Zwillinge merkten es eigentlich erst daran, daß das Land – oder die Inseln an Backbord und Steuerbord – nicht mehr vorbeiglitt.

„Dreck!“ rief Martin Correa. „Ich habe keine Ruderwirkung mehr!“

Die Männer beugten sich über die Reling. „Da haben wir die Bescherung“, sagte der Kutscher. „Seht mal, wie an Backbord und Steuerbord das Wasser vorbeigluckert.“

„Ist ja deutlich zu sehen“, fügte Sven Nyberg hinzu, aber eigentlich war die Bemerkung überflüssig.

„Mahlzeit“, sagte Carberry. Er fühlte sich unangenehm an die Abenteuer auf dem Nil erinnert. Er versuchte aber, die Gedanken sofort zu verdrängen.

Der Kutscher, der mitgekoppelt hatte, setzte ein dickes Kreuz auf die Karte – dorthin, wo sie nach seinen Berechnungen aufgelaufen waren.

Er ging mit der Karte zu Martin Correa, und dieser konnte nur grimmig bestätigen: „Stimmt, ja, genau hier sind wir aufgebrummt.“

Gewissenhaft, wie er war, nahm der Kutscher eine Peilung nach beiden Seiten vor. An Backbord war es eine kleine Insel, auf der ein knorriger und großer, aber von einem Blitzschlag gespaltener Baum aufragte, an Steuerbord an der Südküste von Nordandros ein Creek, der sich in das Fahrwasser ergoß. Die beiden Peilungen mit ihren markanten Punkten trug er auf der Karte ein. Im Schnittpunkt der Peilungen saß die „Empress of Sea II.“ fest.

Schweigen herrschte an Bord. Old O’Flynn und seine sieben Begleiter waren konsterniert und wütend. Was sollten sie jetzt unternehmen? Noch wußte es keiner.

Seewölfe Paket 24

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