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8.

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Auch nach dem Essen saßen sie noch an Deck zusammen und palaverten, während die Rumflasche von Hand zu Hand ging. Die Zwillinge durften – fingerhutweise – mitziehen. Das war Old O’Flynns Order. Er vertrat die Ansicht, die Junioren müßten sich frühzeitig daran gewöhnen, ihre Kehlen zu benetzen.

Jetzt, bei Dunkelheit, warf nur noch eine Bordlampe, die sie entfacht hatten, einen gelblichen Lichtschein über das Deck. Es wurde ein bißchen gruselig. Genau das war die Atmosphäre, die der Kutscher für seine Geschichtchen brauchte.

Hin und wieder mischte sich in die Geräusche, die aus dem Urwald herübertönten, das Kreischen eines Vogels. Und den Männern und den beiden „Junioren“ entgingen auch die Schatten nicht, die über die „Empress“ hinwegsegelten.

„He, was ist denn das?“ fragte Sven Nyberg.

„Na, Fledermäuse“, erwiderte Nils Larsen. „Ist doch logisch.“

„Ist es nicht“, brummte Carberry. „Kannst du etwa erkennen, daß es Fledermäuse sind?“

„Nein“, erwiderte Nils.

„Na bitte. Was man nicht genau weiß, soll man nicht behaupten“, sagte der Profos. Der Rum hatte sein Hirn schon ein wenig umnebelt – aber wirklich nur ein ganz kleines bißchen.

„Es könnten auch Vampire sein“, sagte der Kutscher.

„Was für Dinger?“ fragte Old O’Flynn.

„Hast du noch nie etwas von den berüchtigten Blutsaugern gehört?“ fragte der Kutscher.

„Doch“, entgegnete der Alte. Er nahm schnell noch einen Schluck aus der Flasche, die gerade wieder zu ihm zurückkehrte. „Du meinst – die gibt es hier?“

„Auf Andros ist alles möglich“, erwiderte der Kutscher. „Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu. Vielleicht sind es auch die Chickcharnies, die durch die Nacht geistern.“

Old O’Flynn sah sich unwillkürlich nach allen Seiten um.

„Red doch keinen Quatsch“, sagte er.

Wieder überrieselte es ihn eiskalt. Er konnte nichts dagegen tun, er war für solche Spuksachen nun mal sehr empfänglich.

„Die Chickcharnies sind bahamische Elfen“, sagte der Kutscher seelenruhig. „In den Erzählungen der Eingeborenen heißt es, daß sie mit den Menschen gern ihren Schabernack treiben. Sie sollen drei Finger, drei Zehen, furchtbare rote Augen, Federn und Bärte haben.“

„Schockschwerenot“, sagte Old O’Flynn. Sein Blick huschte wieder hin und her. „Ich hab’s geahnt. Ich kenne das doch. Sie sind überall. Aber hoffentlich greifen sie die ‚Empress‘ nicht an. Jetzt, da wir hier festsitzen.“

„Kobolde“, sagte der Kutscher. „Drachen und polypenähnliche Ungeheuer – all das soll es auf Andros geben.“

„Nord-, Mittel- oder Südandros?“ fragte Martin Correa vorsichtshalber.

„Ach, einfach überall.“

„Das stand in deinem dicken Wälzer?“ fragte Carberry.

„Ja“, entgegnete der Kutscher. „Das und noch mehr. Und denkt mal an den Namen der Insel, die die Spanier ihr gegeben haben. Insel des Heiligen Geistes.“

Martin erhob einen Einwand. „Damit ist aber doch der Heilige Geist aus der Bibel gemeint.“ Er sah, daß die anderen grinsten, begriff, grinste selbst und schwieg.

Old O’Flynn hatte überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, was Martin gesagt hatte. Er nahm nur die Worte des Kutschers auf. Elfen, Kobolde, Geister und Dämonen, grausige Hexen und gräßliche Zerberusse, Polypen und Drachen, er sah sie überall. Sie krochen durch den Dschungel, glitten in die Fluten, segelten durch die Lüfte. Entsetzlich! Wieder schaute er sich hastig nach allen Seiten um.

Irgendwo stieß ein Nachtvogel jaulende Laute aus. Unter Deck der „Empress“ waren rätselhafte Laute zu vernehmen. Jetzt verging auch Carberry das Grinsen. Richtig unbehaglich wurde ihm zumute.

„Was, zum Teufel, ist das?“ fragte er.

„Das unter Deck ist Sir. John“, erwiderte Hasard junior. Er hatte Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen. „Du hast ihn selbst nach unten verbannt, Ed, hast du das vergessen?“

„Gar nichts habe ich vergessen“, brummte der Profos. Er ging nach unten und holte den Papagei. Sir John flatterte sofort zu ihm auf die Schulter und kniff ihn mit dem Schnabel ins Ohr.

„Entenärsche, lausige!“ schnarrte er. „Anbrassen und hoch an den Wind!“

„Sag mal, mußt du hier unten herumkrakeelen?“ fragte ihn sein Herrchen. „Immer mußt du für Ärger sorgen. Das nächste Mal laß ich dich gleich in den Urwald fliegen, du Rabenaas.“ Carberry ging wieder an Oberdeck. Einmal blieb er stehen und blickte sich um. War da nicht was hinter ihm? Ein Schatten? Nein, er hatte sich getäuscht. Aber unheimlich war es doch, verdammt unheimlich sogar.

Nils, Sven und Martin grinsten sich immer noch eins, weil die Zwillinge gerade mehr vom Kutscher wissen wollten. Verständlich – sie waren geradezu süchtig auf alles, was den Schleier des Geheimnisvollen hatte.

„Kutscher, erzähl uns mehr“, drängte Hasard junior. „Alles, was du über die Insel-Geister weißt.“

Da legte der Kutscher so richtig los und packte an eigener Phantasie einiges dazu. „Ach, wißt ihr, ich habe ja nicht nur den einen dicken Wälzer gelesen. Es gibt noch mehr Bücher, die sich mit den Gespenstern und den Mächten der Finsternis in der Neuen Welt befassen. Beispielsweise habe ich in einem lateinischen Werk, das ein spanischer Geistlicher verfaßt hat, höchst Erstaunliches gelesen.“

„Was, du kannst Latein?“ fragte Martin Correa. „Was kannst du eigentlich noch alles, Kutscher?“

„Dies und jenes“, erwiderte der Kutscher bescheiden. „Aber ich habe ja bei Doc Freemont so einiges gelernt. Das zahlt sich manchmal aus.“

„Der Geistliche“, sagte Philip junior. „Was war mit dem Geistlichen und seinem lateinischen Buch?“

„Der Geistliche segelte seinerzeit mit Kolumbus in der Karibik herum“, erklärte der Kutscher. Er registrierte Old O’Flynns betroffene Miene und Carberrys irritiertes Gesicht und wußte, daß er mit seinen Anekdoten auf dem richtigen Kurs lag. „Und da hat er natürlich einiges gesehen, unter anderem auch Andros. Na ja, und er schreibt eben, daß es hier Geister gäbe: Flugdrachen mit feurigen Augen, Elfen mit Bärten, drei Zehen und drei Fingern, die mit ihren Schwänzen an den Bäumen hingen und boshafte Streiche verübten.“

„Toll“, sagte Hasard junior. „Was für Streiche denn?“

„Dem Menschen, der sie auslacht, drehen sie den Hals um“, erwiderte der Kutscher. „Oder sie ziehen ihm die Ohren so lang, daß der Betreffende sie als Schal um den Hals tragen kann. Jawohl, das stand in dem lateinischen Wälzer.“

Old Donegal begann zu ächzen. Er trank noch einen Schluck Rum, aber die Flasche war schon wieder leer. Außerdem nutzte der Rum gegen das Gruseln wenig.

„Rum her“, sagte Carberry. „Kutscher, die Flasche ist leer.“

„Hasard“, sagte der Kutscher. „Würdest du die Güte haben, noch eine Flasche zu holen?“

„Klar, Sir, ich weiß auch, wo sie ist“, sagte Hasard junior. „Aber warte mit dem Weitererzählen, bis ich wieder hier bin.“

„Ja, das geht in Ordnung“, sagte der Kutscher.

Hasard junior lief zur Pantry. Old O’Flynn stieß indessen noch einen Ächzer aus. Dann legte er los: „Kutscher, halt jetzt die Klappe, verflucht noch mal, das genügt!“

„Ich berichte doch nur, was ich …“

„Davon will ich nichts mehr hören!“ tobte der Alte. „Schnickschnack! Warum hast du mir das mit den Geistern nicht schon auf Great Abaco gesagt?“

„Ich wußte ja nicht, ob es dich interessiert“, sagte der Kutscher gelassen.

Old O’Flynn stieß einen schnaufenden Laut aus. „Du wußtest es ganz genau, du Halunke! Du kennst mich lange genug, um es zu wissen! Wenn ich von diesen Chickcharnie-Dingern rechtzeitig was vernommen hätte, hätte ich mich geweigert, hierherzusegeln!“

„Man muß den Dingen wie ein Mann ins Auge sehen“, sagte der Kutscher ungerührt. „Was sollen uns ein paar Schattenwesen anhaben können? Wir sind erwachsene Männer. Und keiner von uns glaubt, daß die Biester richtig angriffslustig sind, nicht wahr?“

„Ach was“, entgegnete der Profos. „Wer glaubt schon sowas?“

„Ich“, sagte Old O’Flynn. „Und ihr habt alle keine Ahnung. Aber ihr werdet euch noch wundern. Ganz gehörig werdet ihr euch wundern.“

„Ist ja gut, Donegal“, sagte Nils Larsen. „Wir gehen eben gewissenhaft Wache und passen auf.“

„Nichts ist gut“, brummte der Alte. Er war nun doch zutiefst erschüttert. Daß die „Empress“ auf einer Sandbank saß, kratzte ihn nicht weiter, aber vor Geistern hatte er einen heillosen Respekt. Einen Heidenrespekt, wie man sagt. Und wenn schon ein Geistlicher solche Sachen über Chickcharnies und Flugdämonen verfaßt hatte, hatte die ganze Geschichte noch mehr Gewicht.

„Die Frage ist nur, wer die zweite Nachtwache übernimmt“, sagte Martin Correa. „Um Mitternacht ist schließlich Geisterstunde.“

„Ich melde mich freiwillig“, sagte der Kutscher.

„Und ich übernehme freiwillig die erste Wache“, sagte Old O’Flynn. Daß die anderen amüsiert grinsten – bis auf Carberry – störte ihn nicht weiter.

Eine Stunde vor Mitternacht setzten die Lucayaner vom Stamm der Arawaks in ihren Kanus zur „Empress of Sea II.“ über. Coanabo leitete das Unternehmen selbst, er saß in dem vordersten der fünf Kanus. Er hatte vor, das fremde Schiff auszuschlachten und die Weißen seinerseits als Sklaven zu nehmen – als Rache für das, was man ihm zugefügt hatte. Er war immer noch überzeugt, daß es sich um Spanier handelte. Wer sonst konnte wagen, mit einer Karavelle in das Inselreich von Andros einzudringen?

Das erste, was Coanabo an Bord der „Empress“ vernahm, als er mit seinem Kanu längsseits ging, war ein tiefes, sattes Schnarchen. Etwas verwundert hob er den Kopf. Dann stand er auf und spähte über das Schanzkleid. Eigentlich hatte er erwartet, daß der Wachtposten Alarm schlug und sie das Schiff im Kampf nehmen müßten. Doch der Wachtposten schlief. Es war der alte Kerl mit dem weißen Haar.

Old Donegal Daniel O’Flynn war auf Wache eingenickt. Das Mahl war zu üppig gewesen, und der Rum trug natürlich erheblich zur Müdigkeit bei. Schließlich war er nicht mehr der Jüngste – auch als werdender Vater. So schlief er denn und träumte von Elfen und Dämonen. Er sah nicht die Gestalten, die über das Schanzkleid an Bord stiegen, und er hörte auch nicht Plymmies Knurren.

Coanabo kniete sich neben den Alten und hielt ihm das Messer an die Gurgel. Die anderen Indianer huschten zu den schlafenden Gestalten, die sie nach und nach entdeckten. Plymmie sprang auf. Ihr Kopf war gesenkt, ihr Nackenhaar sträubte sich. Sie knurrte lauter, dann gab sie ein kurzes, scharfes Bellen von sich.

Old O’Flynn fuhr, unsanft geweckt, aus seinen Geisterträumen hoch. Er sah die Gestalt des Indianers neben sich und grunzte: „O Hölle, ein Chickcharnie!“

Daß es aber doch kein Chickcharnie, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut war, begriff er erst beim nächsten Lidschlag, so benommen und verbiestert war er noch.

Im Handumdrehen hatten die Indianer auch die anderen Schläfer überwältigt. Sie bedrohten sie mit Messern, Speeren, Pfeil und Bogen.

Carberry wollte aufspringen und seine Gegner packen, doch Coanabo stieß einen zischenden Warnlaut aus. Da sah der Profos, daß er Old O’Flynn als Geisel bedrohte, und er konnte nur noch „Ach, du dicke Eiche“, sagen.

Plymmie wollte sich auf die Indianer stürzen.

„Achtung!“ sagte Hasard junior, aber sowohl er als auch sein Bruder waren zu weit von der Wolfshündin entfernt.

Der Kutscher war es, der Plymmie gerade noch rechtzeitig genug packen konnte. Er hielt sie am Halsband zurück. Wäre sie vorgestürmt, hätte es zweifellos ein Blutbad gegeben. Sie knurrte immer noch und fletschte die Zähne. Schließlich aber näherten sich auch die Zwillinge – bedroht von den Arawaks – und halfen ihm, das wütende Tier festzuhalten.

Sir John flatterte hin und her und krakeelte, daß es nur so hagelte. „Hurensöhne“ und „matschäugige Seegurken“ gehörten noch zu den nettesten Ausdrücken, mit denen er die Arawaks bedachte.

„He!“ rief Nils Larsen. „Was ist los? Warum werfen wir diese Kerle nicht einfach über Bord, Donegal?“

„Ich hab’ ein Messer am Hals“, sagte Old O’Flynn.

„Ja, leider“, sagte der Kutscher. Er behielt die Nerven und ließ sich nicht aus der Fassung bringen. „Laßt uns lieber die Flagge streichen. Es hat keinen Zweck, daß wir jetzt um uns schlagen. Bevor wir an unsere Waffen gelangen, haben sie mindestens zwei oder drei von uns umgebracht.“

„Keinen Kampf“, sagte Sven Nyberg. „Es ist wohl besser so. Wir wissen ja auch gar nicht, was sie von uns wollen.“

„Dreimal darfst du raten“, sagte Carberry grimmig. „Entweder hauen sie uns in ihre Kochtöpfe – oder sie braten uns am Spieß.“

Coanabo hörte die Worte der Fremden und war ein wenig verwirrt. Er konnte nichts verstehen. Welcher Sprache bedienten sie sich? Das war kein Spanisch. Auch kein spanischer Dialekt. Er hätte ihn verstanden. Also waren dies keine Spanier? Aber wer dann?

Interessiert beugte sich Coanabo über Old O’Flynn.

„Hau ab“, knurrte dieser. „Solange es noch nicht zu spät ist. Du weißt nicht, was du riskierst, du Laus! Ich bin Old Donegal Daniel O’Flynn, und das hier ist mein Schiff, die ‚Empress of Sea II.‘, verstanden?“

Coanabo betrachtete im Schein der Bordlampe, die jetzt fast ganz heruntergebrannt war, Old O’Flynns Holzbein.

„Du brauchst keine großen Sprüche zu klopfen“, sagte Carberry aufgebracht. „Du hast gepennt, Mister O’Flynn, das ist ja wohl klar. Sonst hätten diese Menschenfresser sich gar nicht erst nähern können, was, wie?“

„Sie sind keine Menschenfresser“, sagte der Kutscher.

Coanabo klopfte mit seinem Messer gegen das Holzbein.

„Ein Bein aus Holz“, sagte er verblüfft.

Die anderen Indianer umringten ihren Häuptling und Old O’Flynn. Jeder von ihnen wollte jetzt das Bein aus Holz betrachten. Sie staunten, denn nie zuvor hatten sie eine solche Prothese gesehen.

„Jetzt können wir sie erledigen“, sagte Carberry.

„Nicht“, sagte der Kutscher. „Sie wollen uns nicht töten.“

„Nein“, sagte der Profos wild. „Sie wollen nur mal eben guten Tag sagen. Oder gute Nacht.“

Old O’Flynn lief zur großen Form auf. Er erhob sich, zog sich die Hose aus und schnallte das Bein ab. Er zeigte seinen Beinstumpf.

„Das ist was, nicht?“ sagte er. „Und mit dem Bein kann ich euch alle verprügeln, wenn ich will.“

„Donegal“, sagte der Kutscher. „Sei vernünftig. Es hat keinen Sinn, daß wir uns grundlos mit diesen Eingeborenen herumschlagen.“

„Na, dann eben nicht“, sagte der Alte. Er schnallte das Holzbein wieder an. Die Indianer gaben beeindruckte, anerkennende Laute von sich.

„Das ist großer Zauber“, sagte Coanabo. „Eine große Medizin.“

„Was für Männer sind das?“ fragte einer seiner Stammesbrüder ratlos.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Coanabo. „Aber wir bekommen es noch heraus, woher sie stammen und was sie hier wollen. Wir nehmen sie mit.“

„Reicht das als Vorführung?“ fragte Old O’Flynn. „Oder soll ich’s noch mal abschnallen?“

„Sie können dich nicht verstehen“, sagte Martin Correa. „Gib dir keine Mühe.“

Old O’Flynn reichte Coanabo die Hand. „Also dann – auf Wiedersehen, Kamerad. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen.“

Coanabo wies auf die Kanus. „Dort hinein! Wir nehmen euch mit!“

„Was sagt er?“ fragte der Alte.

„Daß er dich zu einem Umtrunk einlädt“, erwiderte der Profos wütend. „Was denn sonst? Er will ganz groß mit dir feiern, bei sich zu Hause.“

Den Mannen der „Empress“ blieb keine andere Wahl. Sie mußten in die Kanus steigen. Auch Plymmie mußten sie mitnehmen. Die Kanus legten ab, die Indianer paddelten zum südlichen Ufer von Nordandros. Sir John begleitete sie schimpfend, doch von ihm waren die Arawaks keineswegs so beeindruckt wie von Old O’Flynns hölzerner Beinprothese.

Die Kanus stießen in den Creek vor, den der Kutscher am Nachmittag als Peilpunkt genommen hatte, und den ging es nun mit kräftigem Paddelschlag aufwärts.

In dem Gewirr der nun folgenden, weiteren Flußläufe verloren Old O’Flynn und seine kleine Crew die Übersicht. Das hatte Andros mit der Tropfsteinhöhle von Great Abaco gemeinsam: Auch hier war man in einem richtigen Irrgarten gelandet, aus dem man nicht wieder herausfand – nicht ohne Hilfe.

Die Zeit verstrich, es wurde Mitternacht. Die Kanus landeten in einem versteckten Pfahlbaudorf. Coanabo sprang als erster an Land, es war erstaunlich, wie gewandt und gelenkig er war. Seine Befehle waren kurz. Die Arawaks ließen ihre Gefangenen aussteigen, dann führten sie sie zu einer der Hütten.

„Stämmige Hütte“, sagte Carberry. „Wir sind schnell drin und kommen nicht wieder raus. Na, das war’s dann wohl.“

Ein Indianer öffnete die Tür der Hütte. Die anderen halbnackten Gestalten dirigierten die sechs Männer und die Zwillinge ins Innere. Dann rammten sie die Tür hinter ihnen zu. Deutlich war zu hören, wie von außen ein Riegel vorgeschoben wurde.

„So“, sagte der Profos. „Ende der Feier. Heute nacht oder morgen früh landen wir in den Fleischtöpfen der Indianer.“

„Unsinn“, sagte der Kutscher. „Das sind doch keine Kannibalen.“

„Ach? Haben sie dir das gesagt?“

„Nein. Aber sie sind Arawaks, schätze ich.“

„Schätzen ist nicht wissen“, sagte Carberry.

„Hölle und Satan“, sagte Old O’Flynn. „Die verdammten Geister! Ich hab’s ja gewußt. Geahnt hab’ ich’s! Sie haben mich betäubt! Deswegen habe ich es nicht gemerkt, als sich die Indianer mit ihren Kanus angeschlichen haben!“

„Die Chickcharnies haben dich benebelt, was?“ zischte Carberry.

„Ja.“

„Seit wann verstecken die sich in Rumflaschen?“

„Wie meinst du das?“ fragte Old O’Flynn den Profos.

„Das weißt du ganz genau!“ stieß Carberry hervor. „Bei dem vielen Rum, den du gesoffen hast, konntest du ja nichts merken!“

„Wer ist hier der Kapitän, du oder ich?“

„Das spielt keine Rolle mehr“, entgegnete Carberry. „Wir sitzen alle in einem Boot. Und im Schlick. Es geht uns an den Kragen. Macht euch bloß keine falschen Hoffnungen. Du am allerwenigsten, Mister O’Flynn!“

„Du willst dich wohl unbedingt mit mir anlegen, was?“ fragte der Alte gereizt.

„Jawohl“, erwiderte der Profos. „Denn du hast eisern gepennt, du alte Seegurke …“

ENDE

Seewölfe Paket 24

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