Читать книгу Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 28
4.
ОглавлениеDer Creek mochte jetzt etwa acht Yards breit sein. Sein Ufer ging in Brackwasser über, das offenbar durch den Einfluß der Mangroven immer weiter versandete. Überall faßten die Stelzwurzeln immer wieder Fuß und setzten ihre unzähligen Ableger in den Boden.
Die Sonne brannte jetzt noch kräftiger und schien ihnen heiß in die Gesichter, in denen der Schweiß perlte. Zum Glück zog etwas später wieder eine dunkle Wolke vorüber, die Erfrischung brachte.
Der übliche Platschregen durchnäßte sie noch einmal, aber sie empfanden diese kühlenden Schauer als herrlich.
„Ohne diese Güsse würde man hier glatt verrückt“, meinte Nils Larsen. „Das ist die einzige Erfrischung, und wenn man rechtzeitig die Futterluke aufklappt, kriegt man auch noch etwas zu trinken.“
„Himmel, diese Mangrovenröhre muß doch bald mal ein Ende haben“, schimpfte Carberry. „Die Sonne steigt und steigt, und wir paddeln wie die Verrückten. Wir befinden uns doch schon mindestens zwei oder drei Stunden in diesem stinkenden Nebenarm.“
„Höchstens eine Stunde“, schätzte der Kutscher. „Das Zeitgefühl trügt hier oft, wegen der Eintönigkeit.“
„Du weißt natürlich mal wieder alles besser.“
„Ich orientiere mich am Stand der Sonne, und demnach ist bestenfalls eine Stunde vergangen. Du solltest das auch tun, Ed.“
„Ich orientiere mich nach meinem Hunger, da weiß ich ganz genau, was anliegt. Und der ist mittlerweile sehr mächtig.“
„Bei der stickigen Hitze ist es gar nicht gut, viel zu essen. Das ermüdet nur schneller.“
Carberry holte tief Luft. Er wollte dem Kutscher gerade mal kräftig seine Meinung sagen, doch da unterbrach ihn Sven.
„Da vorn wird es jetzt ganz breit.“
Der Bach beschrieb einen kleinen Knick, und dann wurde es wirklich ganz breit dahinter. Der Profos nahm das Paddel und knallte es gereizt aufs Wasser.
„Mist, verfluchter!“ rief er.
Wieder stob ein Schwarm Flamingos hoch. Kreischend und schnatternd flogen sie aufgestört davon.
„Das ist doch wieder derselbe Saftladen“, sagte Carberry verärgert. „Und da paddelt man wie ein Beknackter.“
„Nein, das ist nicht derselbe See, der hier ist viel kleiner“, sagte Martin, „aber letztlich doch nur ein See. Hier geht es nicht mehr weiter, wir müssen wohl oder übel zurück.“
Sie blickten sich um, zornig, verärgert oder wütend, weil sie wieder in einem stehenden Gewässer gelandet waren. Das übliche Bild bot sich ihren Blicken. Der See war von dichtem Tropenwald begrenzt. Riesige Schwärme von Moskitos tanzten am südlichen Ufer auf und ab. Dann folgte der sandige Teil mit Mangroven und vermodernden anderen Pflanzen, dann der verfilzte Dschungel.
Hoch über ihnen flogen die aufgescheuchten Flamingos in einer rosafarbenen Wolke davon. Da, wo sie ihre Kolonie hatten, war alles mit weißen Exkrementen überzogen. Außerdem war der See so flach, daß man ihn überqueren konnte und nicht einmal nasse Knie kriegte.
Jetzt stieß auch der Kutscher tief und seufzend die Luft aus.
„Das bügelt einen ganz schön“, sagte er heiser. „Demnach scheint es ja doch nicht zu stimmen, daß alle Flüsse ins Meer fließen. Diese hier tun es jedenfalls nicht, die gehorchen anderen Gesetzen.“
„Das sind auch keine Flüsse, das sind Pißrinnen für Flamingos“, wetterte der Profos. Er sah sich hilfesuchend um und schüttelte den Kopf darüber, daß sie so völlig die Orientierung verloren hatten.
Nur Old O’Flynn wuchs noch einmal zu heroischer Größe auf.
„Die Insel des Heiligen Geistes“, verkündete er mit Grabesstimme. „Kein Wunder, daß wir nicht mehr herausfinden. Die Chickcharnies haben uns an der Nase herumgeführt.“
„Genau“, sagte Carberry hinterhältig. „Ich habe vorhin zwei gesehen, wollte dich aber nicht erschrecken, weil sie neben dir aus dem Wasser blinzelten. Eine der Elfen hatte ein Tüllgardine auf dem Schädel und knallrote Augen. Die andere hat dir die Zunge rausgestreckt und eine lange Nase gemacht.“
Da schwieg Donegal erst einmal gründlich und rückte etwas näher zur Mitte hin. Die Worte hatten ihn mächtig eingeschüchtert. Vor diesen unheimlichen Chickcharnies hatte er mächtigen Bammel. Hockten hier als Kobolde im Wasser und streckten ihm die Zunge raus. Unbehaglich rieb er sich das Genick.
„Wieder zurück“, sagte Carberry erbittert. „In dem anderen Stinksee gab es sicher noch mehr Nebenarme, die wir übersehen haben. Wenn wir aus dieser Pißrinne heraus sind, markieren wir ihren Anfang, damit uns dasselbe nicht noch einmal passiert.“
„Uns wird nichts anderes übrigbleiben, als den gesamten See genau abzusuchen“, meinte Martin. „So, wie es aussieht, werden wir uns wohl noch ein paarmal verfranzen, bevor wir den Creek finden, der zur North Bight führt.“
„Und was essen wir inzwischen?“
„Kannst ja mal bei den angeblichen Kannibalen nachfragen“, sagte der Kutscher mit süß-saurer Stimme. „Vielleicht haben sie irgendwo noch einen geräucherten Missionar rumhängen. Wenn wir dageblieben und nicht getürmt wären, hätte sich jetzt bestimmt alles aufgeklärt. Wir hätten etwas zu essen und zu trinken erhalten und vielleicht ein paar neue Freunde gewonnen.“
Der Profos begann ungeniert aus vollem Hals zu lachen. Aber es war ein grimmiges Lachen.
„Das ist nicht die Insel des Heiligen Geistes“, sagte er, „das ist die Insel der Heiligen Einfalt, und du bist der Heilige Pinsel, wenn du immer noch an den Stuß von den Freunden glaubst die uns umhegt und umsorgt hätten. Einen Scheiß hätten die! Du würdest jetzt nicht mal mehr mit der Nase aus dem Kessel rausgucken, und deine Haut würde jetzt wahrscheinlich in Streifen am nächsten Baum zum Trocknen hängen und so.“
„Und was, bitte, sollten die Indianer mit Menschenhäuten anfangen, falls die Frage gestattet ist?“
Es sah wieder einmal nach einem Nahkampf zwischen Kutscher und Carberry aus, weil der eine hartnäckig das leugnete, wovon der andere restlos überzeugt war.
„Weiß ich nicht. Vielleicht gibt das Sehnen für ihre Bogen. Oder sie hängen ihre Wäsche daran auf.“
„Du hast ja sehr merkwürdige Ansichten.“
„Du auch!“ schnappte Carberry. „Du freust dich offenbar noch darüber, wenn du den Kerlen als Futter dienen kannst.“
Sven, Nils und Martin hieben die Paddel ins Wasser. Alle grinsten, auch die Zwillinge, aber jetzt war keine Zeit, um sich gegenseitig anzustänkern. Sie mußten hier heraus, so schnell wie möglich, denn hier konnten sie verhungern oder verdursten, obwohl letzteres der häufigen Regenfälle wegen ziemlich unwahrscheinlich war.
Es ging wieder denselben Weg zurück, bis sie nach einer Ewigkeit erneut in dem größeren See waren.
Kaum hatten sie denkleinen Nebenarm verlassen, da flogen wieder ganze Scharen von rosaroten Flamingos auf. Nur ein paar von ihnen blieben auf ihren Schlammnestern hocken, um ihre Eier auszubrüten. Die anderen flogen als riesige Wolke davon.
„Paddeln wir mal zu den Mangroven hinüber“, schlug der Kutscher vor. „Da scheint es nochmals einen Creek zu geben.“
Im See, der glatt und still vor ihnen lag, spiegelten sich die Wolken. Genau wie am Himmel zogen sie dahin. Die Mangroven, Dickichte, Palmen und Bäume spiegelten sich in allen Farben im Wasser.
Dicht vor dem Schlamm der Mangroven brummte das Kanu sanft auf.
„Auch das noch!“ fluchte der Profos. Er sah den Kutscher an, der angelegentlich und ungerührt die seltsamen Pflanzen betrachtete.
„Mangroven sind sozusagen Selbstmörder-Pflanzen“, dozierte er, „obwohl sie Pioniere der Landgewinnung sind. Sie gedeihen vorzüglich in den Übergangszonen zwischen Land und Salzwasser. Seht nur, wie sich in ihren Wurzeln der Schlick fängt. Andere Blätter werden herübergeweht, fallen dazwischen und vermodern. Gleichzeitig fügen sie Nährstoffe hinzu, bis fruchtbarer Boden entsteht. Diese Keimlinge da fallen ab und bohren sich wie ein Speer in den Untergrund. Das geschieht immer direkt vor den alten Pflanzen.“
„Und das nennst du Selbstmörder-Pflanzen?“ fragte Carberry.
„Ja, letztendlich bringen sie sich selbst um. Manche Sämlinge fallen auch ins Wasser, treiben davon und streifen so lange über den Boden, bis sie hängenbleiben. Kurze Zeit später wurzeln sie und bilden wenig später eine neue Kolonie. Damit beginnt gleichzeitig der erneute Landgewinnungsprozeß.“
„Wie fein“, höhnte Carberry. „Und was haben wir davon, wenn wir das jetzt wissen?“
Der Kutscher, ein feinsinniger Mann, der immer sehr genau überlegte, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Wir haben auch etwas davon. Diese Mangroven also sammeln so lange Boden an, bis sie in der Trockenheit und Höhe gefangen sind, denn dann fehlt ihnen das lebensnotwendige Wasser. Sie sterben wieder ab, und andere Sträucher und Pflanzen nehmen ihren Platz ein. Ist doch ganz interessant, oder?“
Der Profos riß die Klappe auf und gähnte demonstrativ, um auszudrücken, wie sehr ihn das alles faszinierte.
„Sehr interessant, um damit die Zeit zu vertrödeln“, sagte er. „Die Ausführungen Euer Hochwohlgeboren haben mich sehr beeindruckt, obwohl es mich wesentlich mehr beeindruckt hätte, einen neuen Creek zu finden. Statt dessen hält der Entenarsch hier Vorträge ab.“
„Entenarsch!“ krächzte Sir John sofort. Oft plapperte er die Schimpfworte sofort nach, viele vergaß er auch wieder.
„Der sogenannte neue Creek befindet sich da drüben, wo keine Mangroven wachsen“, sagte der Kutscher kühl. „Ich habe nämlich, ausgerechnet, welchen Weg die Sämlinge übers Wasser nehmen. Infolgedessen geht da auch eine ganz seichte Strömung. Später einmal wird dieser Teil restlos versanden, aber da drüben stecken ganz junge Mangroven im Boden. Dort zieht die Strömung hin, und in ein paar Jahren ist der Teil ein einziger Mangrovenhain. Dann kann man in den Creek auch nicht mehr hineinpaddeln. Das, mein lieber Ed, werden wir jetzt feststellen. Sollte meine Annahme nicht zutreffen, bin ich selbstverständlich bereit, dir recht zu geben.“
„Da ist aber, verdammt noch mal, kein Bach zu sehen.“
Sie paddelten aber trotzdem dorthin, wo die jungen Sämlinge im Wasser standen.
Diesmal klappte dem Profos glatt der Unterkiefer weg, denn hinter einem wie getarnt aussehenden Gestrüpp zog sich ein neuer Creek dahin.
„Jaja“, sagte der Kutscher grinsend, als er Carberrys knallrot angelaufenen Schädel sah, „ne ventis verba profundam.“
„Genau“, sagte Carberry sehr bescheiden. „Und was heißt das?“
„Das heißt: Gib, daß ich nicht in den Wind spreche.“
„Ah ja.“ Carberry kratzte sich am linken Ohr und blickte sehr unbehaglich drein. Dieser Lümmel von einem Kutscher hatte es ihm wieder mal gesteckt, aber das zahlte er irgendwann einmal zurück. Immerhin hat er durch seine tiefsinnigen Betrachtungen wieder einen Flußlauf entdeckt, und das soll ihm erst mal einer nachmachen, sinnierte der Profos. Ein verdammt gescheites Bürschlein war dieser schmalbrüstige Kutscher, auch wenn ihn seine verflixten Sprüche manchmal auf die Palme trieben und er seine Überlegenheit mit einem Grinsen abtat.
„Leider kann ich keine Garantie dafür übernehmen, wo wir landen“, sagte der Kutscher. „Aber vorerst ging es ja nur darum, in dieser Wildnis ein neues Bächlein zu entdecken. Das haben wir.“
„Ja, das haben wir“, murmelte Carberry und merkte verärgert, daß es ihm fast so ging wie dem Stör, der immer die letzten Worte des Wikingers Thorfin Njal nachquatschte.
Auch dieser Creek war nicht sehr ergiebig, wie sie bereits nach einer Viertelstunde feststellten. Auch hier brummten sie plötzlich ganz sanft auf, wie das vorhin der Fall gewesen war. Aber durch eine einfache Gewichtsverlagerung wurde das Kanu wieder flott.
„Hier ist der Fahnenmast zu Ende“, verkündete Old O’Flynn, als ob das noch einer Feststellung bedurfte. Vor ihnen war alles zugewachsen und ging in morastigen Brei über. Noch weiter vorn wurde es sumpfig und matschig, das Wasser des Creeks teilte sich in unzählige kleine Rinnsale. Aber überall wuchsen die Sämlinge der Mangroven.
Es war zum Haareausraufen – sie mußten wieder zurück.
Jetzt allerdings war es mit der Laune des Profos endgültig zu Ende. Er fluchte erbittert und wurde immer biestiger.
„Das gibt es doch nicht!“ wetterte er. „Wenn dieses Pfahldorf einen Zufluß hat, dann muß es auch wieder zurückgehen. Das ist völlig absurd und widersinnig.“
„Es hat auch einen“, meinte Martin, „aber den müssen wir erst einmal finden. Das ist hier sehr schwierig.“
„Vielleicht finden wir den richtigen, wenn der Kutscher erneut ein paar kluge Sprüche abläßt“, sagte Carberry. „Aber dann laß bitte solche klugen Sprüche los, daß wir auch im Meer landen.“
„So kluge Sprüche gibt’s gar nicht“, erklärte der Kutscher. „Das hier ist ein einziges Labyrinth aus Tropenwald, Seen, Sümpfen, Flußläufen und kleinen Bächen. Wenn man da mitten hineingesetzt wird, ist es wohl etwas viel verlangt, sich auf Anhieb zurechtzufinden.“
„Kluge Sprüche fallen dir wohl keine mehr ein, was, wie? Jetzt bist du auch mit deiner Weisheit am Ende.“
„Nehmt es nicht so schwer“, meinte der Kutscher, „bisher haben wir noch aus jeder Lage herausgefunden. Genießt den Anblick des herrlichen Sees und der lieblichen Tiere. Ille terrarum mihi praeter omnis angulus ridet, was soviel bedeutet wie: Lacht mir doch kein Fleckchen Erde wie dieses.“
„Jetzt ist er übergeschnappt“, sagte Carberry. „Das sind die Hitze und die stickige Luft. Mein Gott, ausgerechnet der Kutscher, und wir können ihm nicht mal helfen.“
Ziemlich besorgt, aber auch mißmutig sah er den Kutscher an, der wieder aufmerksam über den See spähte. Er entdeckte auch noch vor den Zwillingen einen Flußlauf.
Was den Profos so ärgerte, war die Gelassenheit des Kutschers. Der schien das als einen Spaziergang zu betrachten, glaubte nicht an Menschenfresser, schien keinen Bammel zu haben und gab sich ganz gelassen großen Sprüchen hin. Und er schien diese lausige Irrfahrt durch den Modder und Dreck regelrecht zu genießen.
Noch einmal paddelten sie in einen Flußlauf, der seiner Breite wegen einiges versprach. Doch auch diese Hoffnung erwies sich recht bald als trügerisch und endete wiederum in einer Sackgasse.
Ein winziger Brackwassersee tat sich auf, dem sich das übliche und sattsam bekannte Bild anschloß: ein paar Mangroven, undurchdringliches Dickicht, verfilzter Urwald und ein paar Reiher, die sich an den Anblick der Menschen nicht gewöhnen konnten. Kreischend und flatternd verschwanden sie.
Der Profos sah direkt gefährlich aus, als sie wieder umkehrten. Wenn ihn jetzt einer anmosert, dann frißt er das Kanu, überlegte der Kutscher. Der war so in Braß, daß er alle Augenblicke aufgeregt und tief Luft holte, die er dann schnaubend ausstieß.
„Scheißsee, mistiger!“ fauchte er. „Ich sauf ihn aus, und dann sehen wir ja, wo das Wasser nachfließt. Was jetzt?“ brüllte er.
„Weitersuchen“, erklärte der. Kutscher lakonisch. „Wir haben ja noch den ganzen Tag vor uns.“
„Unser ganzes Leben, meinst du wohl. Hier finden wir doch nie mehr heraus. Aber ich habe jetzt eine Idee, und die werden wir auch gleich in die Tat umsetzen, dann hat die Sucherei ein Ende.“
Ein ganz sanfter Regenschauer zog vorüber und brachte zum Glück etwas Erfrischung. Diesmal rissen sie alle die Klappen auf, um ein paar Tropfen der kühlen Flüssigkeit abzukriegen. Danach sah der Profos etwas friedlicher aus.
„Was für eine Idee hast du?“ wurde gefragt.
„Sir John wird uns helfen“, sagte Carberry zur Verblüffung der anderen.
„Und wie soll das geschehen?“
„Ich setze ihn sozusagen als Pfadfinder ein“, verkündete der Profos mit leisem Triumph in der Stimme. „Sir John kann fliegen und hat von oben einen besseren Überblick. Der kann alles mit einem Blick übersehen. Und dann folgen wir ihm einfach. Ja, daran hast du auch nicht gedacht, Kutscherlein. Ich hab’s auch hier oben, ohne lateinische Sprüche, die sowieso nicht weiterhelfen. Das ist die Idee des Jahres.“
Der Kutscher blickte den Profos fast mitleidig an, dann Sir John, der durch den Regen wieder auf Spatzengröße geschrumpft war und ziemlich zauselig und zerpliesert auf Carberrys Schulter saß.
„Idee des Jahres!“ spottete der Kutscher. „Das ist bestenfalls der Witz des Jahres. Wie willst du das tun? Glaubst du etwa, die Krachente wird dir von oben den Kurs winken? Dafür ist Sir John viel zu dämlich. Der kann zwar hervorragend die rüdesten und ordinärsten Profos-Sprüche nachplappern, aber damit hat sich’s auch. Zum Mitdenken reicht sein Gehirn nicht aus, das ist nicht viel größer als eine lausige Mücke.“
„Von wegen!“ brüllte Carberry. „Der hat Verstand, vielleicht mehr als wir alle zusammen.“
„Der hat keinen Verstand, der Schreihals!“ wetterte der Kutscher erbost zurück. „Du willst mir doch wohl nicht verklaren, daß dieser Piepmatz, der wegen seiner klatschnassen Federn ohnehin nicht fliegen kann, Verstand und Geistesgröße habe. Jetzt langt’s aber, Mann! Erzähl das deiner Großmutter, die lacht vielleicht darüber.“
Sir John reckte den Hals. Da die Federn klatschnaß waren, sah er aus wie ein hungriger Geier, bei dem der Hals nur ein Strich war.
Er krächzte ein paarmal heiser, um sich in Form zu bringen, denn er kreischte gern mit, wenn der Profos brüllte, und da mitunter auch mal passende Bemerkungen fielen, hielt Carberry das für Verstand.
„Erzähl du das deiner Großmutter, du Knödel-Admiral!“ schrie der Profos. „Dir paßt bloß nicht, daß einer mal bessere Ideen hat als du Klugscheißer.“
Die anderen hörten gespannt und wieder grinsend zu, denn die Wortgefechte zwischen Profos und Kutscher feierten wieder mal Auferstehung.
Jetzt kreischte aber auch der Papagei lauthals mit. Schrie der Profos, dann wetterte er ebenfalls los, als stünde er auf seiner Seite. Auch das hielt Carberry für reingeistigen Verstand.
„Haha, Kutscherlein!“ kreischte Sir John. „Rübenschwein!“
Der Kutscher wurde jetzt auch grantig, denn daß das schillernde Vieh so treffliche Worte wußte, paßte ihm nicht. Prompt begann natürlich auch der Profos verschwörerisch zu grinsen. Er und Sir John waren ein Herz und eine Seele. Dem Papagei gefiel es außerordentlich, wenn sein Herr und Meister in Braß war. Das spornte ihn mächtig an.
„Wenn das kein Beweis für Verstand ist“, sagte Carberry großmäulig, „dann weiß ich nicht mehr weiter. Kutscherlein – Rübenschwein, das reimt sich sogar! Er hätte ja auch einen anderen Namen nennen können, aber er weiß genau, was anliegt.“
Der Kutscher tippte sich mit dem Finger kopfschüttelnd an die Stirn.
„Das beweist nur, daß dein Mangrovenbehälter da oben ebenfalls bald zugewachsen sein wird, sobald die letzte Feuchtigkeit verschwindet. Kutscherlein hat er nur nachgequasselt, und das andere liebliche Wort kennt er seit Jahren und quatscht es bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit. Und nun laß deinen Geier doch mal aufsteigen, damit er den Stern von Bethlehem spielen kann. Dann sehen wir ja, was mit ihm los ist.“
„Was heißt hier Stern von Bethlehem?“ fragte Carberry empört. „Das hat doch damit gar nichts zu tun.“
„Der hat auch gewissen Leutchen den Weg gewiesen, und nachts hat er sogar geleuchtet. Vielleicht kann Sir John ja auch leuchten oder irgendwie Signale geben.“
„Sir John gibt keine Signale, der fliegt einfach los, und wir folgen ihm.“
„Mitten durch die Mangroven? Oder den Dschungel oder barfuß durch die Sümpfe? Laß dich nicht auslachen, Ed, das ist völlig ausgeschlossen und undurchführbar.“
„Ist es nicht!“ brüllte Carberry, dem immer mehr der Kamm schwoll. Bei ihrem Wortgefecht hatten sie gar nicht mitgekriegt, daß die Zwillinge, Martin Correa und Old O’Flynn langsam die Paddel bewegten, denn Sven Nyberg hatte Wasser schimmern sehen, und so nahmen sie Kurs auf eine andere Stelle.
Inzwischen warfen sich Kutscher und Profos lauthals noch ein paar Nettigkeiten an die Köpfe. Der Kutscher lachte und deutete auf Sir John, der nicht aufsteigen wollte oder konnte.
Aber Sir John bezog das abfällige Gelächter wohl auf sich selbst, oder er nahm es sehr ernst. Er sträubte sein Gefieder, hielt den Kopf schief und beäugte den Kutscher.
Dann sagte er deutlich und klar, zur Verblüffung der anderen: „Verlauster Entenarsch!“
Der Profos kriegte sich nicht mehr ein. Er begann laut zu lachen und hieb sich auf die Schenkel, während der Kutscher überrascht und fassungslos den bunten Vogel anstarrte. Der Kreischgeier hatte ihn genau angeblickt, als er das gesagt hatte.
„Wie hat die Krachente mich genannt?“ fragte er verdattert.
„Einen verlausten Entenarsch“, sagte der Profos mit satter Zufriedenheit. „Das war doch wohl deutlich genug zu hören. Und das zeugt nun mal einwandfrei von einer gewissen Intelligenz.“
„Intelligenz!“ ächzte der Kutscher. „Das kann man wohl sagen. Ein sehr intelligenter Vogel ist das.“
„Sag’ ich doch die ganze Zeit. Und er hat keineswegs mich gemeint, Kutscher, sondern einwandfrei dich angeblickt. Aber ich glaube kaum, daß er sich dafür entschuldigen wird. War ja auch nur ’ne ganz normale Feststellung, nicht wahr, Sir Jöhnchen?“
Fehlt nur noch, daß „Sir Jöhnchen“ jetzt den Krummschnabel aufreißt und grinst dachte der Kutscher. Dann wäre er glatt über Bord gefallen.
Der Geier gab ein Kreischen von sich, als würde er sich durch den Profos bestätigt fühlen. Er reckte den Achtersteven zurück, zog das Genick ein und ließ dem Profos was aufs Kreuz fallen.
„So wird man von den Intellektuellen beschissen“, sagte der Kutscher hämisch grinsend.
Damit endete vorerst die geistreiche Unterhaltung, denn als sie sich umsahen, bemerkten sie, daß sie wieder einen Creek erreicht hatten. Das war ihnen während ihres aufschlußreichen Gesprächs ganz entgangen.
Hier erlebten sie allerdings eine totale Überraschung.
„Donnerwetter“, sagte Carberry, „und den haben wir erst jetzt entdeckt. Der ist ja sagenhaft breit. Ich glaube, jetzt haben wir es endlich hinter uns. Das sei getrommelt und gepfiffen.“
Old O’Flynn richtete sich im Kanu auf und peilte scharf nach vorn, weil der Creek eine sanfte Krümmung beschrieb. Vielleicht sah er ja gleich die „Empress“ auf der Sandbank.
„Oh, da sind ja wieder Hütten“, sagte er, „ein Pfahldorf. Richtig malerisch sieht das aus. Und kein Mensch zu sehen. Da können wir Studien treiben, wie ich meine Rutsche bauen soll. Das müssen wir uns unbedingt mal ansehen.“
Während Old O’Flynn noch brabbelte, war den anderen zumute, als hätte man ihnen einen Hammer auf die Schädel gehauen.
Gerade paddelten sie um die Biegung herum – da sahen sie das Pfahldorf im Wasser stehen.
Selbst der Kutscher war so fassungslos, daß er die Maulsperre kriegte und sekundenlang zu keiner Reaktion fähig war.
Carberry kriegte Augen wie Siebzehnpfünder. Die anderen blickten fassungslos auf die Hütten. Die Zwillinge ächzten leise.
Nach der Schrecksekunde fing sich der Kutscher als erster wieder. Nur Old O’Flynn kapierte noch nicht ganz und sah sich die Vorbilder für seine „Rutsche“ an, die er auf Abaco zu bauen gedachte.
„Na, bitte sehr“, sagte der Kutscher etwas gefaßter. „Da sind wir ja wieder. Da hätten wir auch gleich hierbleiben können, statt sinn- und planlos in der Gegend herumzupaddeln. Ich glaube, mich trifft der Schlag.“
„Oh, Himmelkreuzdonnerwetter!“ fluchte der Profos. „Das ist doch alles nur ein Traum, verdammt! Ich könnte mir in die Ohren beißen! Jetzt stehen wir wieder vor unseren Kochtöpfen, und alles war umsonst! Das halte ich nicht aus!“
Old Donegal war so in den Anblick der verlassen wirkenden Pfahlhütten versunken, daß er immer noch nichts kapierte. Hm, so ähnlich sollte einmal seine Kneipe aussehen, mit schönen stabilen Stämmen, sicher vor allem Ungeziefer im Wasser gebaut. Der malerische Anblick der Hütten gefiel ihm außerordentlich. Im Geiste sah er sich schon über dem Wasserspiegel hocken und kühles Bier trinken. Und er sah auch schon den Profos durch die Rutsche sausen und Vierkant im Wasser landen. Diese Vorstellung zauberte sogar ein Grinsen auf sein wettergegerbtes Gesicht.
„Seht mal“, sagte er, „so ungefähr stelle ich mir … He! Was ist denn mit dir los?“
Aber da hatte ihn schon eine harte Hand ins Kanu gerissen, und er hörte den Profos jetzt ganz bewußt und sehr gotteslästerlich fluchen.
„Da waren wir doch heute nacht!“ brüllte Carberry.
Sir John kreischte wieder begeistert mit und gab Laute von sich, die sich nach Ziegengemecker anhörten.
„Los, nichts wie zurück“, sagte Martin, „noch haben sie uns offenbar nicht gesehen.“
Das dachten die anderen auch, denn das Dorf im See lag wie ausgestorben da, als sei es nicht bewohnt oder längst verlassen worden.
In aller Eile drehten sie das Kanu, um durch den Creek wieder ungesehen in den See zu gelangen und türmen zu können.
Doch dazu war es viel zu spät. Fassungslos sahen sie, daß überall um sie herum Kanus aufgetaucht waren und sie eingekreist hatten.
Sie waren wie aus dem Nichts erschienen, urplötzlich waren sie da. Natürlich hatten sie sich geschickt in dem undurchdringlichen Gestrüpp verborgen und waren dann aufgetaucht doch diese Erkenntnis nutzte ihnen nicht viel.
In den zahlreichen Kanus, die sie von allen Seiten umgaben, standen Arawaks, und die schauten recht grimmig drein. In den Fäusten hielten sie ihre Bogen. Die Bogen waren schußbereit und gespannt, gefiederte Pfeile lagen auf den Sehnen.
Da gibt es nichts mehr zu türmen, dachte der Profos. Auch jeglicher Widerstand war zwecklos und wäre absolut unsinnig gewesen.
Kerzengerade blieben sie in ihrem Kanu hocken und blickten die Indianer an. Deren Gesichter verhießen allerdings nichts Gutes.