Читать книгу Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 32

8.

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Am anderen Morgen war der Profos sehr angenehm berührt, als sie gleich zu einem reichhaltigen Frühstück gebeten wurden.

„Fängt ja bestens an, der Tag“, sagte er zufrieden, „kaum ist man aus der Hütte, schon wird man freundlich zum Essen gebeten. Hier kannst du eine ganze Menge lernen, Kutscher. Das wäre doch was, wenn man auf der ‚Isabella‘ von hübschen Frauen schon zum Frühstück verwöhnt würde. Hm, notfalls könntest du mir ja das Frühstück an die Koje bringen.“

„Sicher“, versprach der Kutscher, „ab sofort werde ich das jeden Montag tun.“

„Ist das dein Ernst?“

„Mein voller Ernst – jeden Ostermontag.“

Da verzog der Profos nur grämlich das Gesicht und winkte ab.

Dem Kutscher war schon am Vortag ein Indianer aufgefallen, der etwas abseits der Gruppe saß, sich nicht an der Unterhaltung beteiligte und auch kaum etwas aß. Er sah richtig unglücklich aus.

„Was hat er denn?“ fragte der Kutscher.

„Etwas Ähnliches wie der Junge“, erwiderte Coanabo. „Sein Mund ist stark geschwollen. Er traut sich aber nicht, den großen Medizinmann zu fragen.“

Noch ein Abszeß, dachte der Kutscher. Das fing ja lustig an, da konnte er gleich wieder schneiden.

Nach dem Essen nahm sich der Kutscher den unglücklich dreinblickenden jungen Mann vor.

„Das ist nicht das gleiche“, sagte er. „Der Mann hat einen stark vereiterten Zahn. Wenn der nicht gezogen wird, kann es schlimm werden. Aber das werden wir gleich haben.“

Der Kutscher ließ durch seine beiden „Assistenten“ die Kiste holen, um den Zahn zu ziehen. Inzwischen kam auch der Kleine angelaufen, der immer wieder nach der Hand des Kutschers griff und nicht mehr von seiner Seite wich. Fröhlich plappernd redete der Kleine dauernd auf den Kutscher ein.

Er habe keine Schmerzen mehr, übersetzte Coanabo, und es gehe ihm prächtig.

Wieder strömten die Indianer zusammen, um sich das Schauspiel anzusehen. Diesmal ließ sie der Kutscher nicht vertreiben, und so sahen alle gespannt zu.

Der Indianer öffnete den Mund. Der Kutscher blickte auf einen riesigen, total vereiterten Backenzahn. Auch die Wange des Mannes war stark angeschwollen und heiß. Der Mann hatte starke Schmerzen, aber er versuchte, sie mannhaft zu unterdrücken, denn Schmerz zu zeigen galt bei den Arawaks als ein Zeichen der Schwäche.

Der Kutscher nahm die Zange, fuhr in den Mund hinein und drehte sie hin und her, wobei der Indianer keine Miene verzog.

Es knirschte leise, und dann hielt der Kutscher einen mächtigen Zahn hoch. Anschließend wurde gepinselt.

Damit hatten sie sich weitere Wertschätzung errungen, denn die Indianer brachen in Jubel aus und feierten erneut den großen Medizinmann.

Weitere Dankbarkeit erwarb sich der Kutscher eine knappe halbe Stunde später, als sie einen Indianer von den Feldern brachten, der in einen Graben gefallen war und sich den rechten Knöchel gebrochen hatte. Sie trugen ihn, weil er nicht mehr laufen konnte.

„Hier gibt’s ja Arbeit in Hülle und Fülle für dich“, sagte Martin. „Du könntest dich hier glatt als Arzt niederlassen. Drei Behandlungen in nur zwei Tagen.“

„Ich freue mich, wenn ich den Leuten helfen kann“, sagte der Kutscher schlicht und einfach.

Diesmal verlief die Prozedur anders, denn jetzt mußte der Knöchel genau untersucht und geschient werden. Das tat der Kutscher mit der ihm eigenen Akribie.

Aus der Kiste wurden Brettchen geholt, dann wurde das Bein gerichtet und geschient. Auch dieser Indianer verbiß den Schmerz und zeigte ihn nicht, obwohl es höllisch weh tat.

Der Kutscher erklärte dem Häuptling, daß der Mann längere Zeit ruhig liegenbleiben müsse. Dann zeigte er ihm noch, wie die Brettchen sachgemäß entfernt wurden.

Danach wollten sie aufbrechen. Coanabo holte das große Häuptlingskanu, in dem seine neuen Freunde Platz nehmen sollten. Er wollte sie persönlich zur Bight begleiten.

Doch noch einmal gab es einen Zwischenfall, der alle in Angst und Schrecken versetzte.

Etwas abseits vom Strand hockte ein Bürschchen am Wasser in der Nähe der Mangroven und angelte. Der Kleine hatte schon zwei Fische an Land gezogen und ging jetzt voller Eifer bis an die Hüften ins Wasser.

Nils Larsen schaute gerade in die Richtung und sah etwas durch das Wasser treiben. Es sah wie ein Ast aus, aber da hier nur eine sehr schwache Strömung ging, konnte der Ast verständlicherweise keine „Bugwelle“ vor sich herschieben. Das tat er aber.

Nils sah jetzt zwei Augen aus dem Wasser ragen und eine Schnauze, die sich unmerklich höher hob.

„Ein Kaiman!“ brüllte er entsetzt. „Er schwimmt auf den Jungen zu.“

Er hatte spanisch gesprochen, damit auch Coanabo ihn verstand.

Der Häuptling fuhr herum und starrte zu der Stelle, wo der ahnungslose Junge angelte. Der war so in die Angelei vertieft, daß er die Gefahr gar nicht bemerkte.

Coanabo rief etwas mit lauter Stimme. Der Junge zuckte zusammen, warf die Angel weg und wollte türmen.

In diesem Augenblick schlug die große Echse peitschend mit dem Schwanz durchs Wasser. Ein kochender Wirbel entstand. Der Druck riß den Jungen um, der jetzt zu brüllen begann.

Nils Larsen raste in langen Sätzen zu dem Kanu. Zum Glück hatten die Indianer nicht nur Kochtöpfe gemaust, sondern auch Musketen und Pistolen.

Im selben Augenblick reagierte auch der Profos. Er sah einen dicken Knüppel unter einem Baum liegen, hob ihn hoch und stürmte unter lautem Gebrüll zum Wasser. Auch Plymmie fegte los, als Philip ihr etwas zurief.

Inzwischen hatte Nils die Muskete in der Hand und rannte weiter. Das Bürschchen im Wasser brüllte in Todesangst, als die Panzerechse wild zuschnappte. Offenbar ist es dieselbe, die sich gestern noch hier gesonnt hat, dachte der Profos, und der man weiter keine Beachtung geschenkt hatte. Jetzt versprach sich das Vieh fette Beute.

Auch ein paar Indianer waren inzwischen losgerannt, allen voran der Häuptling.

Carberry erreichte die Stelle als erster. Mit ein paar Sätzen lief er ins flache Wasser. Das Riesenvieh riß gerade wieder den fürchterlichen Rachen auf. Der Junge lag auf der Seite im Wasser und war vor Angst wie gelähmt.

Der Profos zögerte keine Sekunden. Als das klaffende Maul sich öffnete, rammte er voller Wut und mit aller Kraft den schenkelstarken Ast in den Rachen.

Die Echse schnappte zu. Krachen und Splittern. Der Knüppel zerbrach wie ein dünnes Hölzchen. Der Kaiman begann zu toben und wild mit dem Schwanz zu schlagen.

Da war auch Nils Larsen heran. Er hob die Muskete an die Schulter, zielte kurz und drückte ab, als er den Schädel vor sich sah.

Der Schuß brach sich überlaut im Dschungel, wo plötzlich jedes Geräusch schlagartig erstarb.

„Treffer!“ brüllte Carberry.

Der Riesenkörper des Kaimans begann zu zucken und zu toben und schob sich höher auf den Morast hinauf.

Das seichte Wasser färbte sich rot und schaumig. Noch ein paar zuckende Bewegungen, und die Echse lag still da. Die Kugel hatte ihr den Schädel zertrümmert.

Schnaufend holte der Profos das stocksteife Bürschchen aus dem Wasser, noch ehe die anderen heran waren. Am Strand zitterte der Kleine so stark, daß sie ihn festhalten mußten.

Mit dieser Tat hatten sie sich weitere Dankbarkeit erworben und waren wieder einmal die Helden des Tages.

Eine verstörte Mutter kam angerannt und warf sich vor dem Profos schluchzend zu Boden. Ein paar andere Männer sahen Nils und den Profos bewundernd an.

„Ohne euch würde der Junge nicht mehr leben“, sagte Coanabo. „Es passiert hier nur selten, daß einer von einem Kaiman angegriffen wird, aber es passiert eben doch hin und wieder. Das letztemal war es eine Frau, die spurlos verschwand.“

„Jetzt ist ja wieder alles gut“, sagte Carberry. „Das Biest ist erledigt.“

Eine halbe Stunde später brachen sie auf. Es war jetzt Vormittag, und vom Himmel knallte erbarmungslos heiß die Sonne. Etwas später, als sie im großen Kanu des Häuptlings saßen, ging mit der üblichen Heftigkeit ein kurzer Wolkenbruch nieder.

Die Indianer hatten alle gemopsten Sachen wieder in das Kanu gepackt. Es fehlte nichts.

Old O’Flynn packte die Schiffshauer und Messer auf die andere Seite und trennte sie von den übrigen Sachen. Auch einen großen Kochtopf packte er noch dazu.

„Die Sachen gehören euch“, erklärte er dem Häuptling. „Ihr könnt sie behalten, und wenn wir uns wiedersehen, werden wir noch mehr und andere Dinge mitbringen.“

Coanabo bedankte sich überschwenglich. Ja, eiserne Werkzeuge konnten sie gut gebrauchen, das Geschenk freute ihn ganz besonders, und das sagte er den Mannen auch.

„Ich hoffe, wir sehen uns recht bald wieder“, sagte er. „Ich möchte auch eure anderen Brüder und euren Kapitän kennenlernen. Vielleicht könnt ihr uns auch genau erklären, wo ihr euch niedergelassen habt, für den Fall, daß wir den großen Medizinmann einmal ganz dringend brauchen.“

„Wir haben Karten an Bord“, erwiderte der Kutscher. „Mit ihrer Hilfe werden wir dir die Lage genau erklären. Aber wie wollt ihr zu unserer Insel gelangen?“

„Für den Besuch der umliegenden Inseln haben wir kleine Auslegerboote mit Mattensegeln“, erklärte Coanabo. „Aber wir segeln die Strecken nur nachts, um fremden Schiffen ausweichen zu können. Wir wollen ja nicht zur See fahren.“

Die Abfahrt begann. Auf den Plattformen der Hütten standen winkende Gestalten, die ihnen fröhliche Worte nachriefen. Der kleine Junge winkte und schrie so lange, bis sie ihn aus den Augen verloren. Hasard und Philip hatten ihn vorhin noch auf Plymmie reiten lassen, zum großen Gaudium der anderen Zuschauer.

Dann war das Pfahldorf ihren Blicken entschwunden, und es ging in den Creek hinein, wo die Arawaks ihnen unvermutet aufgelauert hatten.

„Jetzt bin ich gespannt, wie es weitergeht“, sagte Sven Nyberg. „Gestern um die Zeit haben wir uns ganz schön abgezappelt.“

Coanabo lachte leise, als er das hörte. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie ratlos sie gewesen sein mußten.

„Ja, es ist sehr schwierig, sich hier zurechtzufinden. Selbst wenn man die Strecke schon ein paarmal gefahren ist, kennt man sich noch nicht genau aus.“

Zur Verblüffung der Männer ging es nach knapp hundert Yards creekabwärts auf der linken Seite in eine schmale und enge Einfahrt hinein. Sie war so gut getarnt, daß man sie übersah.

Es war ein kleiner natürlicher Kanal, der sich mitten durch ein Mangrovendickicht schlängelte. Sie befanden sich kaum darin, als die Einfahrt auch schon wieder unsichtbar wurde.

„Den hätten wir selbst bei intensiver Suche kaum gefunden“, sagte Martin, „so vorzüglich getarnt ist er.“

Die Indianer paddelten zielsicher und sehr geschickt durch das Mangrovengestrüpp. Es sah so aus, als sei die Fahrt jeden Augenblick zu Ende, aber das war nicht der Fall.

Das winzige Bächlein mündete in einen größeren Creek.

„Wir paddeln jetzt in südlicher Richtung“, sagte Coanabo, „ihr aber seid fast in die entgegengesetzte Richtung gepaddelt. Aber dort versanden viele Creeks oder münden in kleinere Seen.“

„Stimmt genau“, sagte der Kutscher beeindruckt. „Hier findet sich kein Fremder mehr zurecht. Falls die Spanier das mal irgendwann versucht haben, dann sind sie steckengeblieben oder haben sich hoffnungslos in dem Labyrinth verirrt.“

Der Kutscher nahm an, daß es auf diesem breiteren Creek längere Zeit geradeaus ging, doch auch darin sah er sich getäuscht. Schon bald darauf verließen die Kanus – weitere neun folgten dem großen Häuptlingskanu – den Creek und bogen nach links ab. Auch diesen winzigen Kanal hätten die Arwenacks glatt übersehen, denn er war ebenfalls auf ganz natürliche Weise getarnt.

„Jetzt geht’s nach Norden, was, wie?“ fragte der Profos erstaunt.

„Ja, aber nur ein kurzes Stück. Dieser Kanal holt etwas nach Norden aus, schwenkt dann aber ganz plötzlich wieder südwärts.“

Der Narbenmann grinste über das ganze Gesicht.

„Da hätten wir ja tage- und wochenlang unseren Spaß gehabt“, gab er unumwunden zu. „Inzwischen wären wir glatt verhungert.“

„Das wäre sehr wahrscheinlich gewesen. Das Wasser ist kaum trinkbar, weil es meist Brackwasser ist. Ihr hättet ein paar Fische fangen können, die Vögel hättet ihr nicht gekriegt, denn die streichen sofort ab, wenn sie jemanden sehen.“

Das bestätigte sich kurze Zeit darauf. Aber sie hatten es ja selbst schon erlebt.

Bald darauf begann eine langgezogene Krümmung. Der kleine Kanal schwenkte nach Süden und mündete in einen See, in dem es eine kleinere Insel gab.

„Paßt jetzt auf“, sagte der Häuptling. „Gleich werden unsere Wächter in großen Scharen aufsteigen.“

Sie hatten den flachen See kaum erreicht, als auch schon wieder riesige Vogelschwärme hochflatterten. Da war ein Kreischen und ein Geschnatter und Krächzen zu hören, das über weite Entfernungen schallte. Eine Wolke von rosafarbenen Flamingos flatterte auf. Die Tiere rannten über das Wasser und erhoben sich verschreckt in die Luft.

Auf der Insel gab es Reiher, und die folgten augenblicklich dem Beispiel der Flamingos. Auch sie stiegen unter nervtötendem Gekreische und Krächzen auf.

Der Papagei, der auf Carberrys Schulter hockte, schrumpfte regelrecht zusammen, als das Kreischen begann.

Die Luft war brühwarm und stickig, und jeder sehnte sich insgeheim danach, wieder frischen Seewind zu spüren.

Zielstrebig glitt das große Kanu über den See. Die anderen folgten in Kiellinie. Jetzt lag Südostkurs an, wie der Profos nach einem Blick auf die Sonne feststellte. Die Reiherinsel blieb an Steuerbord zurück, und dann ging es wieder in eine kaum sichtbare Einfahrt hinein. Sie war so eng und schmal, daß die Kanus nur hintereinander fahren konnten.

Dieser Kanal war scheinbar fast zugewachsen. Er war von Mangrovenästen so überwuchert, daß sie sich alle bücken mußten.

„In den wären wir nicht hineingepaddelt“, sagte Hasard junior, „weil das von vornherein aussichtslos erschienen wäre.“

Die Männer wunderten sich nur noch, als es durch unzählige Windungen weiterging. Manchmal waren die Kanus achteraus nicht mehr zu sehen.

Es war wirklich kein Wunder, daß sie ständig in die Irre gepaddelt oder in toten Gewässern gelandet waren, wo sie immer wieder umkehren mußten.

Dieser Stamm der Arawaks hatte sich eine Siedlung geschaffen, die kein Fremder jemals erreichen würde.

Der Kutscher war fast ein bißchen neidisch auf dieses grandiose Versteck, aber für sie selbst hatte es den Nachteil, daß es nicht mit Dreimastern oder Karavellen zu befahren war. Auf diesen Bachläufen, Kanälen und Seen konnte man sich nur mit kleinen Booten bewegen.

Am frühen Nachmittag war die Reise beendet. Sie befanden sich jetzt auf jenem Creek, der nördlich der Sandbank, wo die „Empress“ aufsaß, in die North Bight mündete.

Als sie die Stelle erreicht hatten, stießen wie aus dem Nichts drei weitere Kanus zu ihnen.

„Diese Männer bewachen die Einfahrt in den Creek“, erklärte Coanabo. „Es ist die einzige Einfahrt, die unter vielen Umwegen zu unserem Dorf führt. Außerdem ist diese Einfahrt immer bewacht, und die Männer lösen sich regelmäßig ab. Ihr seht also, daß uns kein Fremder beehren kann, ohne daß wir es sofort erfahren.“

Die Männer nickten beeindruckt. Ihre Blicke richteten sich auf die „Empress“, die still und einsam auf der Sandbank ruhte.

„Das gute alte Stück“, murmelte Old O’Flynn. „Hoffentlich haben sich in der Zwischenzeit keine Chickcharnies eingenistet.“

„Und wenn, dann sind sie in die Rumbuddel gekrochen“, meinte der Profos grinsend.

Coanabo grinste ebenfalls ein bißchen. Er hatte schon mitgekriegt, daß dieser holzbeinige und kauzige Alte vor Geistern Furcht empfand und sehr abergläubisch war. Aber viele seiner Leute glaubten ja auch an die Chickcharnies und Flugdrachen, da konnte man es einem Fremden nicht verübeln, der zum erstenmal auf Andros war.

„Wenn ihr uns wieder besucht“, sagte Coanabo, „dann könnt ihr mit eurem Schiff etwa hundert metros in den Creek lavieren und dort hinter der Biegung ankern. Dann sieht niemand das Schiff.“

„Können wir von der North Bight bis zur Westseite der Insel durchsegeln?“ fragte der Kutscher.

„Ja, aber nur im mittleren Fahrwasser. Dann müßt ihr allerdings gut aufpassen, denn diese Strecke ist sehr tückisch und kann nur lotend durchquert werden. Ich werde euch das auf der Karte noch genauer zeigen und erklären.“

Die Kanus legten an. Die Mannen enterten auf, auch Coanabo und einige seiner Leute.

Der Kutscher holte die Karte, die sie hatten, auf der aber viele Untiefen und Tücken nicht eingezeichnet waren.

Diese Karte interessierte den Häuptling, und er beugte sich gespannt darüber, als der Kutscher sie ihm erklärte.

„Ja, ich finde mich schon zurecht“, sagte Coanabo. Sehr sorgfältig studierte er nochmals die Karte.

Der Kutscher holte Feder und Papier, denn das wollte er gleich und endgültig festlegen. Diese Karte war Gold wert denn sie hatten ja selbst erlebt wie schnell man hier aufbrummen konnte, auch ohne daß Old Donegal an der Buddel hing.

„Das und das hier“, sagte Coanabo, „sind ganz besonders gefährliche und tückische Stellen – hier um Andros herum, einschließlich der North, Middle und South Bight.“

Der Kutscher hatte die Zunge zwischen die Zähne geklemmt, die Feder ergriffen und machte sich eifrig Notizen. Sehr genau und sorgfältig zeichnete er alles auf, was Coanabo erklärte.

„Hier bei den Korallenriffen müßt ihr ganz besonders vorsichtig sein“, sagte er, wobei er auf eine Stelle der Karte zeigte, die der Kutscher ebenfalls gleich markierte.

„Diese Korallenriffe ziehen sich entlang der Ostküste von Süd-Andros. Von der Südspitze verlaufen sie viele Meilen weiter und setzen sich bis zu den Wolf Rocks fort. Wer hier strandet, ist verloren und hat keine Aussicht mehr, jemals freizukommen.“

„Ich habe alles notiert und aufgezeichnet“, sagte der Kutscher. „Ich danke dir für deine Hilfe, Coanabo.“

Der Häuptling nickte und deutete auf die „Empress“.

„Ihr habt unwahrscheinliches Glück gehabt, daß ihr nur auf einer Sandbank aufsitzt. Es hätte euch sonst mit Sicherheit an einer anderen Stelle erwischt, und da wäret ihr in die Korallen gelaufen, die so scharf sind, daß sie den Rumpf zerfetzt und aufgeschlitzt hätten.“

Old O’Flynn grinste ein bißchen. Das hörte er gern.

„Da war die Rumbuddel doch was wert“, meinte er schlitzohrig. „Wenn ich nicht daran genuckelt hätte, säßen wir jetzt in den Korallen, und mein schönes Schiffchen wäre ein Wrack.“

„Womit du wieder mal eine feine Ausrede hast“, sagte der Profos sarkastisch. „Old Donegal hat uns alle vor Schiffbruch bewahrt. Er ist wirklich ein einsamer Held.“

„Habe ich auch“, erklärte der Alte schlicht, „das ist schon so gut wie bewiesen. Ohne mich und die Rumbuddel würden wir mit Sicherheit als Leichen in der See treiben, und die Haie hätten uns längst gefressen und dicke Bäuche gekriegt.“

„Mit absoluter Sicherheit“, bestätigte der Profos. „Du hast ein sagenhaftes Talent, deine Dösigkeit in eine Heldentat umzufummeln, wobei du wieder mal den glorreichen Lebensretter gespielt hast.“

„Ich hol’ vorsichtshalber mal die Rumbuddel“, sagte Old O’Flynn eifrig. „Hauptsächlich, damit der Häuptling und seine Leute das Zeug mal kennenlernen.“

„Wir kennen Rum“, sagte Coanabo lächelnd.

Aber das hielt Old O’Flynn nicht davon ab, doch die Rumbuddel zu holen. Mochte ja sein, daß der Häuptling diesen Rum noch nicht kannte. Na ja, und er selbst wollte natürlich auch einen Kleinen weggluckern, sozusagen zur Feier des Tages und weil sie nicht mit der „Empress“ in die Korallen gedonnert waren.

Als er mit einer vollen Buddel zurückkehrte, nahm der Profos sie ihm aus der Hand und grinste. Dann hielt er sie hoch und musterte sie neugierig von allen Seiten.

„Was gibt’s da zu glotzen?“ fragte Old Donegal erstaunt.

„Hier muß man immer in die Rumbuddel glotzen“, erklärte der Profos.

„Und warum?“

„Kann ja sein, daß sich da wirklich ein paar Chickcharnies eingeschlichen haben. Vor denen ist man ja bekanntlicherweise nirgendwo sicher.“

„Du meinst wirklich?“ fragte Old O’Flynn entsetzt.

Der Profos nickte ernsthaft.

„Du hast ja selber welche gesehen, nachdem du kräftig die Buddel gelenzt hast. Oder nicht?“

„Das stimmt“, sagte Old O’Flynn unsicher. „Klar, ich habe sie sogar ganz deutlich gesehen.“

„Na also! Dann laß mal erst die anderen trinken, damit du kein Risiko eingehst.“

Carberry reichte dem Häuptling die Flasche. Der nahm auch ungeniert einen langen Zug und leckte sich die Lippen. Dann ging die Buddel reihum weiter.

„Daran solltet ihr bei eurem nächsten Besuch vielleicht auch denken“, sagte Coanabo lächelnd. „Bei den Spaniern half es immer gegen Schmerzen aller Art. Und falls bei uns mal jemand krank wird und der große Medizinmann nicht da ist, können wir uns solange mit dem Rum behelfen.“

„Richtig“, sagte Old Donegal begeistert. „Eine feine Idee ist das. Deshalb bin ich auch noch nie krank gewesen.“

„Nur öfter mal stockbesoffen“, kommentierte der Profos leise.

„Das mußt gerade du sagen“, knurrte Old O’Flynn. „Du mußt es ja auch am besten wissen.“

Er mußte noch eine zweite Flasche holen, denn von der ersten hatte er nichts abgekriegt, die gleich leer war.

Inzwischen deutete der Kutscher wieder auf die Karte. Er malte ein paar kleine Kreuze auf und zeigte sie Coanabo.

„Hier haben wir uns niedergelassen“, sagte er. „Dann wißt ihr immer, wo ihr uns finden könnt. Geniert euch nicht, falls ihr Hilfe braucht. Wir sind immer für euch da.“

Coanabo nickte dankend. Er hatte sich die Stelle sehr gut gemerkt und würde sie auch nicht mehr vergessen.

„Jetzt sollten wir mal langsam damit beginnen, unser Schiffchen von der Sandbank zu ziehen“, meinte Old Donegal. „Das kann noch ein hartes Stück Arbeit werden.“

„Wir spannen alle dreizehn Kanus davor“, sagte der Häuptling, „dann wird es nicht so schwierig werden.“

„Und wir bringen zusätzlich den Anker aus und holen ihn über die Winsch wieder ein“, sagte Martin. „Mit ein bißchen Hauruck und allen Kräften schaffen wir es bald.“

Das war etwas später der Fall. Die Arawaks halfen fleißig mit, den Anker weit vor der „Empress“ auszubringen und in den Sand zu setzen.

Dann wurden die Kanus vorgespannt.

„Setzt auch gleich die Segel“, sagte Old O’Flynn. „Der Wind steht günstig, und dann kriegen wir mehr Druck.“

Auch die Segel wurden gesetzt und ausgebaumt.

Der Profos spuckte in die Hände, und unter Hauruckgebrüll ging es an die Arbeit. Das Ankertau straffte sich, die Männer begannen um das Spill zu traben. Gleichzeitig zogen die Kanus. Die Indianer begannen mit allen Kräften zu paddeln.

Nach einer Weile ging ein unmerklich sanfter Ruck durch die Karavelle, und der Schiffsrumpf begann leise zu ächzen.

„Sie bewegt sich!“ rief Philip.

Sie bewegte sich tatsächlich, wenn auch nur sehr langsam. Die Kanus zerrten weiter an ihr, die Männer legten sich mit allen Kräften ins Spill, bis ein erneuter Ruck erfolgte.

Dann kam sie übergangslos frei und schwamm auf.

„Hurra, wir segeln!“ brüllte Old O’Flynn. „Wir haben es geschafft.“

Auch die Indianer brüllten ihre Freude hinaus, als sich die Karavelle vom sandigen Untergrund löste.

Die Leinen wurden gelöst. Die Kanus verteilten sich rings um die „Empress“ wie Küken um eine Glucke.

„Bis bald!“ rief Old O’Flynn. „Und nehmt unseren Dank. Beim nächstenmal bringen wir alles mit, was ihr braucht.“

Coanabo stand aufrecht in dem großen Kanu und hob die Hand zum Gruß. Die anderen winkten.

„Auch wir danken euch und freuen uns auf euren Besuch!“ rief er herüber.

Die „Empress“ kreuzte aus der North Bight und ging auf Ostkurs.

Die Kanus begleiteten sie bis zur See und drehten dann ab.

Ein letztes Winken, ein paar freundliche Worte, dann trennten sie sich.

Aber es würde keine sehr lange Trennung sein, denn alle beide hatten neue Freunde gefunden …

ENDE

Seewölfe Paket 24

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