Читать книгу Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 30
6.
ОглавлениеCoanabo war sehr beeindruckt von dem, was der schmalbrüstige Mann hier zum besten gab: Gerade eben war er doch noch von beeindruckender Freundlichkeit gewesen, und jetzt legte er los, daß er nicht mehr wiederzuerkennen war.
Völlig unberechenbar sind diese Weißen, dachte Coanabo. Erst sind sie friedlich, gleich darauf gebärden sie sich wie toll.
Was war nur in den freundlichen Mann gefahren – ein Geist oder Dämon?
Coanabo trat näher an den Kutscher heran und blickte forschend in das wutverzerrte Gesicht. Er sprach wieder Spanisch.
„Was erregt dich so, weißer Mann?“
„Was mich erregt?“ brüllte der Kutscher. „Diese verfluchten Kerle regen mich auf! Sie sollen ihre dreckigen Pfoten gefälligst von meinem Besteck lassen, sonst schneide ich ihnen die Hälse durch. Verklar ihnen das, sonst ist hier der Teufel los.“
„Besteck?“ fragte Coanabo verwirrt. „Was ist Besteck?“
„Ich bin Arzt!“ brüllte der Kutscher in der alten Lautstärke, als hätte er einen Schwerhörigen vor sich. „Ich Arzt, verstanden? Kapiert? Medizinmann! Ich Medizinmann! Und deine Kerle haben nicht das Recht, mit den kostbaren Geräten herumzuspielen, verdammt noch mal. Sie sollen die Sägen, Messer und Scheren liegen lassen und nicht damit wie die Blödmänner herumfuchteln.“
Coanabo trat wieder einen Schritt zurück.
„Der wird dir jetzt den Hals durchschneiden“, raunte Carberry, „du hast ihn schwer beleidigt.“
„Einen Scheiß habe ich!“ tobte der Kutscher. „Und wenn, dann ist es mir auch egal.“
Carberry schwieg beeindruckt und fassungslos. Aber er hatte das Gefühl, als bahne sich hier etwas Schreckliches an.
Der Häuptling wurde hellhörig. Er blickte den Kutscher nachdenklich an und musterte ihn. Kurz darauf kräuselten sich seine Lippen verächtlich nach unten.
Arzt, Medizinmann, überlegte er. Sicher war das ein Medizinmann für die Minen der Spanier, in denen er als Sklave hatte schuften müssen. Da war auch ein weißer Medizinmann zuständig gewesen, doch das war einer, der die Indianer nicht heilte, sondern umbrachte, wenn sie krank und geschwächt waren. Dieser weiße Medizinmann in den Minen hatte sich nur um seine eigenen Landsleute gekümmert. Die wurden bei dem kleinsten Wehwehchen umhätschelt und versorgt, während sich der Halunke um die Sklaven überhaupt nicht gekümmert hatte.
Dreißig Jahre war das jetzt schon her, aber Coanabo hatte das nicht vergessen, und er würde es auch sein Lebtag nicht vergessen, wie man sie damals behandelt hatte – wie das letzte Vieh.
Bitterkeit stieg in ihm auf, aber da war auch etwas, was ihn an diesem Mann beeindruckte. Schön, dann sollte er unter Beweis stellen, was für ein großer Medizinmann er war. Coanabo hatte einen schwerkranken Enkel, einen kleinen Jungen.
Aus harten Augen sah er den Kutscher an, aber der gab den Blick wutentflammt zurück und maß zornig die Kerle, die immer noch Scheren, Knochensägen und andere Instrumente in den Händen hielten und damit Löcher in die Luft stachen.
Ruckartig wandte sich der Häuptling ab. Er blickte in Richtung der Pfahlbauten und rief mit lauter Stimme ein paar Worte über das Wasser.
Aus einer der Hütten trat eine junge Frau auf die Plattform hinaus. Sie hielt einen kleinen braunhäutigen und schmalen Jungen an der Hand, der leise vor sich hin wimmerte. Das leise Klagen war bis an den Strand zu hören.
Coanabo sagte wieder etwas zu einem der Arawaks. Der nickte hastig, stieg in ein Kanu und paddelte schnell hinüber.
Die Männer der „Empress“ sahen sich an und wußten nicht, was sie von der Sache halten sollten.
„Was haben die vor?“ fragte Sven Nyberg leise.
„Frag mich was Leichteres“, maulte der Kutscher, „bin ich vielleicht ein Indianer?“
„Nein, aber großes weißes Medizinmännchen“, sagte Sven grinsend.
Gespannt verfolgten sie, was weiter geschah. Nur der Kutscher warf immer noch zornige und empörte Blicke auf die Kerle, die mit seinem kostbaren Besteck spielten. Es wurmte ihn auch mächtig, daß der Häuptling sie mit keinem Wort aufgefordert hatte, die Sachen wegzulegen. Sie staunten die blitzenden Instrumente immer noch an.
Die Frau und der Junge stiegen Hand in Hand in das Kanu. Das kleine Kerlchen wimmerte immer noch leise vor sich hin, während die Mutter ihm offenbar beruhigend zuredete. Schon von hier aus war zu erkennen, daß die Frau ausnehmend hübsch war.
Als das Kanu auf den Strand lief, sprang die Frau leichtfüßig heraus. Dann nahm sie wieder den Jungen an der Hand und ging zu Coanabo, der den beiden entgegensah.
Carberry starrte auf die Frau, dann auf den Jungen. Dann wechselte seine Blickrichtung vom Häuptling auf den Kutscher, dessen heiliger Zorn immer noch nicht verraucht war.
Die Indianerin war gut gebaut, hatte ein sanftes, weiches Gesicht und kohlschwarze Augen. Sie schenkte den Männern an den Bäumen nur einen flüchtigen Blick. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Jungen, der wie ein Häufchen Elend am Strand stand und den Kopf tief gesenkt hielt.
Coanabo musterte den Kleinen mitleidig, strich ihm über die Haare und sagte etwas zu ihm. Der Kleine wimmerte jetzt etwas leiser.
Dann drehte der Häuptling sich um, sah sich die Messer an, die immer noch im Sand lagen, hob eins auf und näherte sich dem Kutscher. Seine Augen glitzerten kalt.
Der Profos hat anscheinend doch recht, dachte der Kutscher. Sieht so aus, als will der Kerl mir den Hals durchschneiden. Aber das ergab wiederum keinen Sinn, und etwas völlig Sinnloses tat ein Häuptling wie dieser Coanabo nicht.
Der Profos wand sich in seinen Fesseln. Er sah seine Theorie bestätigt und glaubte, daß es dem Kutscher wegen seiner üblen Flucherei jetzt ernsthaft an den Kragen gehe. Aber sosehr er auch zerrte und sich wand – die Stricke hielten eisern. Trotz seiner Bärenkräfte konnte er sie nicht einmal lockern.
Coanabo trat einen schnellen Schritt vor. Das Entermesser blitzte im Sonnenlicht, als es auf den Kutscher zufuhr. Der verzog keine Miene und schloß nicht einmal vor Entsetzen die Augen.
Zwei rasche Schnitte, und schon fielen die Fesseln, die den Kutscher am Baumstamm hielten.
Die anderen stießen tief die Luft aus und sogen sie gleich darauf wieder gierig ein.
Der Kutscher lebte noch und erfreute sich bester Gesundheit. Trotzdem lag eine unheilschwangere Atmosphäre über dem Strand. Jeder spürte das überdeutlich, als sei die Luft wie vor einem Gewitter geladen.
„Sieh dir den Jungen an!“ befahl Coanabo dem Kutscher. Er schob das wimmernde Kerlchen einen Schritt auf den Kutscher zu.
Der Kutscher rieb sich erst einmal die Hände und massierte seine Gelenke, damit das Blut wieder besser zirkulierte.
Jeder andere hätte den Befehl sofort befolgt, aber der Kutscher konnte auch eigensinnig und sehr bockig sein, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Und das war immer noch der Fall. Es ging ihm verdammt gegen den Strich, daß die Instrumente noch nicht in der Kiste lagen und die Kerle auch weiter damit spielten.
Er wußte, daß er sehr hoch reizte, trotzdem setzte er alles auf eine Karte. Er war nicht nur ein guter Feldscher, er war auch ein guter Psychologe, wie sich noch herausstellen sollte.
Daher schüttelte er zum Entsetzen der anderen Männer den Kopf.
Der Profos stöhnte unterdrückt. Himmel, was fiel dem Kerl eigentlich ein, sich ausgerechnet jetzt wie ein störrischer Esel aufzuführen, jetzt, da alles auf der Kippe stand!
Er warf dem Kutscher einen erbitterten Blick zu, aber der Kerl zuckte nur mit den Schultern und blieb kalt bis in die Knochen.
„Nein“, sagte er klar und fest. „Erst sollen die Kerle mein kostbares Besteck sauber und vorsichtig in die Kiste legen. Wenn sie das getan haben, werde ich mir den Jungen anschauen. Sonst läuft hier überhaupt nichts.“
Der Häuptling sah aus, als habe ihn der Schlag getroffen. Er wurde aus diesem Mann einfach nicht mehr schlau. Kaum war er von den Fesseln befreit, da stellte er Ansprüche. Vielleicht war er wirklich ein so guter Medizinmann, daß er sich das erlauben konnte.
Der Kutscher blieb stocksteif stehen und sah Coanabo fest und unnachgiebig in die Augen.
Carberry hätte sich jetzt gar zu gern den Schweiß von der Stirn gewischt, doch die Fesseln verhinderten das. So blies er sich nur eine Haarsträhne aus der Stirn, und auch die blieb kleben, weil auf seiner Stirn Schweißperlen standen.
Einen Moment verharrte der Häuptling unentschlossen. Dann fiel sein Blick auf den wimmernden Jungen, und er schluckte trocken.
Er drehte sich erneut um und bellte zwei, drei Worte in die Gegend.
Die Autorität, die er hier genoß, zeigte sich sofort. Jene Arawaks, die noch das Besteck des Kutschers in den Händen hielten und sich kaum von den glitzernden Sachen trennen konnten, gehorchten augenblicklich.
Einer nach dem anderen trat an die Kiste und legte Messer, Schere, Säge oder Skalpell sehr behutsam hinein. Auch der Kerl mit den Salbentöpfen hatte es verdammt eilig, Töpfe und Pinzetten loszuwerden.
Der letzte, der das Verbandszeug in den Pranken hielt, überschlug sich fast vor Eifer. Auch er packte alles fein säuberlich und sehr vorsichtig hinein und schloß sogar noch den Deckel der Kiste.
„Zufrieden?“ fragte der Häuptling knapp.
„Sehr zufrieden“, erwiderte der Kutscher höflich. In seine Mundwinkel hatte sich ein Grinsen eingegraben, aber das sahen nur die, die ihn ganz genau kannten. Die Indianer bemerkten es nicht.
„Dann sieh dir jetzt den Jungen an.“
Diesmal klingt der Ton schon anders, dachte der Kutscher. Das waren fast die lieblichen Klänge von Schalmeien, es klang auch mehr bittend und nicht mehr so fordernd.
„Du bist ein weiser Mann, Coanabo“, sagte der Kutscher noch. „Auf dieser Basis werden wir uns sicher gut verständigen.“
Dem Profos gingen ob solcher Töne fast die Haare aus. Am liebsten hätte er sie sich gerauft, doch auch das war unmöglich.
Verdammt, dem Kutscher müßte man direkt einen Orden verleihen, dachte er, der hat wirklich einen verdient. Vielleicht den Orden vom großen Medizinmann mit der übergroßen Klappe, der demnächst noch hier im Urwald regieren würde.
Der Kutscher hätte jedenfalls seine Grenzen genau abgesteckt und war eiskalt dabei geblieben. Beklommen dachten die anderen, daß es auch anders hätte laufen können.
Jetzt beugte sich der Kutscher mitleidig zu dem kleinen Jungen hinunter, legte ihm freundlich die Hand auf die schmale Schulter und sah ihn an.
Das Kerlchen stand bibbernd vor ihm, als es berührt wurde. Es hatte zwar keine Angst aber die Berührung durch den fremden, so ganz andersfarbigen Mann machte ihn doch beklommen.
Der Kutscher blieb ruhig und redete auf den Kleinen ein, obwohl der kein Wort verstand. Darauf kam es aber auch nicht an – seine Stimme allein wirkte beruhigend.
Das Kerlchen hörte auf zu bibbern und sah den Kutscher aus großen, fiebrig wirkenden Augen an. Der Kutscher ahnte bereits etwas, als er das verquollene Gesicht sah.
Durch Gesten bedeutete er dem Kleinen, den Mund zu öffnen, wobei er eine Hand liebevoll auf den fiebrigen Kopf legte.
Ja, der Kleine hatte Fieber, auch fiebrige, glanzlose und matt scheinende Augen, die wie verschleiert wirkten.
Dann öffnete er vorsichtig den Mund, und der Kutscher drückte ihm ebenso vorsichtig die Zunge nach unten. Dann sah er in den Rachen.
Heiliger Himmel, dachte er. Das kleine Kerlchen hatte einen eitrigen Abszeß im Hals. Da war alles dick, verquollen, entzündet. Kein Wunder, daß der Junge ständig wimmerte. Er konnte auch nicht mehr essen und kaum noch schlucken. Selbst das Trinken mußte für ihn eine Qual sein.
Er dachte im Bruchteil einer Sekunde an seine Zeit bei Doc Freemont in England zurück. Sehr lange war er nicht mehr mit einem eitrigen Abszeß im Rachenraum konfrontiert worden. Etliche Jahre lag das schon zurück. Aber er wußte noch genau, was in diesem Fall getan werden mußte. Aufstechen, den Eiter abfließen lassen, sonst erstickte das arme Kerlchen bald.
„Was ist los?“ fragte Old O’Flynn neugierig. „Was hat er?“
„Einen eitrigen Abszeß im Hals“, erklärte der Kutscher gelassen. „Da hilft alles nichts – ich muß schneiden.“
Old O’Flynn wurde sichtlich blaß und rang nach Fassung. Er spürte, daß ihm eine Gänsehaut über den Rücken kroch.
„Himmel, wenn das nur gutgeht“, murmelte er beklommen. „Wenn nicht, dann läßt uns der Kerl die Köpfe absäbeln.“
„Damit rechne ich auch. Es muß eben gutgehen. Du kannst mir ja den Daumen halten.“
„Sicher, sicher“, versprach Old O’Flynn, „alles, was du willst. Bau bloß keinen Mist, Kutscher.“
„Verschlimmert wird die Sache dadurch, daß der Kleine ein Enkelchen vom Häuptling ist“, sagte der Kutscher lässig. „Das zählt natürlich gleich zehnfach.“
Old O’Flynn begann noch mehr zu bibbern. Teufel, Teufel auch, dachte er, da hatten sie sich ja was Feines eingebrockt.
Laß den alten Rutschensauser nur ein bißchen zittern, überlegte der Kutscher. Schließlich hatten sie das alles seiner Dösigkeit zu verdanken.
Der Kutscher drehte sich zu Coanabo um, zeigte in den Hals des Jungen und erklärte ihm kühl und lässig, was ihm fehlte.
„Ist das sehr schlimm?“ fragte der Häuptling.
„Sehr schlimm“, bestätigte der Kutscher. „Und dazu brauche ich die Instrumente, mit denen die Kerle herumgespielt haben. Du siehst also, daß so etwas über Leben und Tod entscheiden kann. Daher war meine Wut auch berechtigt.“
„Kannst du ihn heilen?“
„Ich werde es versuchen. Natürlich ist das sehr kompliziert. Ich frage mich nur, warum euer Medizinmann das nicht tut. Oder habt ihr etwa keinen?“
Der Kutscher registrierte kühl, daß Coanabo etwas verlegen wurde.
„Er hat es versucht, aber es ist nicht besser geworden. Außerdem ist der Medizinmann zur Zeit selbst sehr krank.“
„Aha“, sagte der Kutscher höflich. Der Kerl wollte nur nicht zugeben, daß er nicht helfen konnte, und so spielte er vorsichtshalber den kranken Mann.
„Da ist noch etwas“, meinte der Kutscher so nebenbei. „Eine Hilfe ist die andere wert, wie man so schön sagt. Da es ein äußerst komplizierter Fall ist, verlange ich, daß meine Kameraden befreit werden, wenn es mir gelingt, den Kleinen zu heilen.“
„Deine Kameraden werden befreit werden“, versprach Coanabo feierlich und nickend.
„Die geklauten Sachen müssen aber auch zurückgegeben werden. Das gehört sich so.“
„Ich verspreche auch das.“ Diesmal klang die Stimme nicht mehr so feierlich, eher etwas säuerlich.
„Und noch etwas, Häuptling: Wenn mir das alles gelingt, dann möchte ich dich bitten, daß du uns mit deinen Leuten hilfst, das aufgelaufene Schiff von der Sandbank abzubergen.“
Coanabo schluckte hart. Er sah sein Enkelchen an und nickte wieder.
„Was ist, wenn es dir nicht gelingt?“ fragte er dann.
„Dann weiß ich auch nicht weiter“, sagte der Kutscher. „Aber ich werde mir die größte Mühe geben.“
„Falls es nicht gelingt“, sagte Coanabo drohend, „wird keiner deiner Wünsche erfüllt werden. Ich hoffe, du hast mich verstanden.“
„Ich hoffe, wir haben uns verstanden“, erwiderte der Kutscher, wobei er auf das Wörtchen „wir“ eine ganz besondere Betonung legte.
Coanabo gab keine Antwort. Aber er nickte zustimmend.