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7.

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Von nun an umgab sich der Kutscher mit einer geheimnisvollen Atmosphäre. Ein bißchen Brimborium gehörte nun einmal zu einem solchen Ritual, das wurde fast erwartet. Der Medizinmann der Arawaks war sicher auch einer von der geheimnisvollen Sorte, warum sollte er da als weißer Medizinmann nicht nachziehen?

In diesem Fall war der Kutscher ein guter Psychologe. Von ihm erwartete man große Medizin. Sollen sie haben, dachte er.

Natürlich würde er nicht einbeinig herumhüpfen und beschwörende Lieder singen oder Zaubersprüche aufsagen. Er würde die Burschen ganz anders beeindrucken.

„Zunächst einmal“, sagte er, „müssen die Gaffer verschwinden, die stören mich bei der Arbeit nur. Ich mag keine Zuschauer. Selbstverständlich schließt das dich und die Mutter des Jungen aus.“

Als der Kleine wieder halb erstickt zu wimmern anfing, scheuchte Coanabo die Gaffer weg und schickte sie zu jener Stelle, wo die Mangrovenwälder begannen. Von dort aus konnten sie zusehen.

Ausnahmslos alle gehorchten sofort und verschwanden.

„Jetzt brauche ich meine beiden Assistenten“, sagte der Kutscher.

„Was sind Assistenten?“ fragte der Häuptling unsicher.

„Meine Helfer, die jungen Medizinmänner.“ Der Kutscher deutete auf Philip und Hasard, die sich eisern das Grinsen verbissen, als sie zu „jungen Medizinmännern“ ernannt wurden.

Was der Kutscher damit bezweckte, war auch den anderen klar. Wenn Hasards Söhne, jung, wie sie waren, ihm zur Hand gingen und assistierten, wurde der Häuptling sehr erstaunt sein.

Aber der Kutscher bezweckte auch noch etwas anderes damit. Die beiden waren pfiffig und bewahrten kühle Köpfe, auch in sehr heiklen Situationen, wie diese eine war. Oft genug auch hatten sie ihm assistiert, wenn er Verletzungen versorgt hatte. Die Burschen kannten keine Angst, und sie rannten auch nicht weg, wenn einmal Blut floß. Sie waren genau die richtigen für ihn.

Coanabo glaubte tatsächlich, sich verhört zu haben, als der Kutscher auf die Zwillinge deutete. Diese jungen Burschen hatten schon vorhin sein Interesse erregt, denn einer sah aus wie der andere. Zudem hatten sie solche eisblauen Augen, wie er sie noch nie an einem Menschen gesehen hatte.

„Das sind deine Helfer?“ fragte er ungläubig.

„Ja, sie lernen noch, aber ohne sie komme ich nicht aus, denn es wird sehr schwierig werden.“

Die Worte brachten Coanabo erstaunlich schnell in die Wirklichkeit zurück. Hier ging es um das Leben seines Enkelkindes, und da durfte er nicht länger zögern, wenn der weiße Medizinmann seine Helfer dringend brauchte.

Ohne zu zögern, nahm Coanabo das Messer, schritt auf die Bäume zu und zerschnitt die Fesseln von Philip, wobei er ihn neugierig musterte.

Dann war Hasard an der Reihe, und alle beide rieben sich die Handgelenke. Sie waren noch nicht richtig frei, als sie auch schon die Holzkiste mit den Instrumenten holten.

Die junge Frau hielt immer noch den Jungen. Weit im Hintergrund standen reglos die Indianer und sahen aus der Ferne zu, was da am Strand geschah. Auch Coanabo stand da, hoch aufgerichtet überblickte er mit einer gewissen Neugier die Szene. Auf den Zwillingen blieb sein Blick immer wieder hängen.

Aber er ließ auch den Kutscher nicht aus den Augen, den schmalbrüstigen, energischen Mann, der ein so sicheres Auftreten hatte. Das beeindruckte ihn am meisten. Dieser Mann war nicht hitzig, sondern blieb meist kühl, bis auf das Gebrüll, das er veranstaltet hatte, als ihm seine Instrumente entwendet worden waren. Da hatte er einen Tobsuchtsanfall gekriegt.

Coanabo sah das jetzt jedoch ganz anders. Der weiße Medizinmann brauchte diese funkelnden Geräte, um damit das Leben seines Enkels zu retten und das vieler anderer Menschen. Das war etwa so, als würde man seinem Medizinmann das Rauchpulver, die Knochenstücke oder die anderen – Gerätschaften wegnehmen, um damit zu spielen.

„Das hier ist eine verdammt ernste Sache“, erklärte der Kutscher, „und auf euch beide kommt es wesentlich an, das habe ich nicht nur so zum Spaß gesagt. Entzündet jetzt zuallererst einmal ein Feuerchen. Das brauche ich, um das lange Skalpell zu erhitzen, damit es sauber ist. Flint und alles andere findet ihr bei dem Zeug, das die Burschen uns geklaut haben. Holz liegt auch genügend herum. Es soll nur ein kleines Feuerchen werden. Alles klar?“

„Alles klar, Kutscher, Sir“, sagten beide.

Dann holten sie das Zeug und sammelten ein paar Holzstücke zusammen.

Coanabo stand da und beobachtete mit großen Augen, wie flink die Jungen zu Werke gingen.

Aber auch die anderen sahen zu, alle mit besorgten Gesichtern.

„Weißt du, was uns blüht, wenn der Kutscher es nicht schafft?“ raunte Old O’Flynn dem Profos zu.

„Sicher. Sie werden zuerst dich in den Boden rammen und warten bis dein Holzbein ausschlägt und Blumen darauf wachsen. Rosen vielleicht oder Orchideen, können auch Mangroven sein. Dann siehst du selbst wie ein vertrockneter Busch aus.“

„Die schneiden uns die Hälse durch“, wisperte der Alte, „oder sie schicken uns zu den Chickcharnies in die Sümpfe.“

„Dich vielleicht, an dir ist ja nicht viel dran. Die anderen wandern in die Fleischtöpfe.“

„Mir ist verdammt mulmig zumute“, sagte Old Donegal.

„Mir überhaupt nicht, ich habe mich selten so gefreut und amüsiert, hauptsächlich über deine Dusseligkeit.“

„Dir werden die blöden Witze schon noch vergehen.“

Das glaubte der Profos unbesehen. Er hatte schließlich gehört, was der Häuptling gesagt hatte. Er hatte nicht offen gedroht, nur dem Kutscher verklart, daß im Falle eines Mißlingens die Wünsche oder Forderungen nicht erfüllt werden würden. Mehr hätte der Häuptling auch gar nicht zu sagen brauchen, das sagte eh alles.

Inzwischen flackerte am Strand ein kleines Feuerchen, das die Zwillinge in erstaunlich kurzer Zeit angezündet hatten. Auch darüber war der Häuptling verblüfft.

„Feuer brennt, Sir“, meldete Philip.

„Sehr gut. Jetzt müßt ihr ein paar Tupfer bereitlegen, ebenfalls die Tinktur in der braunen Flasche. Damit werden die Tupfer getränkt und der Abszeß bepinselt. Das ist eine Lösung, die zugleich heilt und auch entzündungshemmend wirkt. Dazu brauche ich noch die große Pinzette. Bringt das alles hierher und breitet es auf dem Stück Segeltuch aus. Danach wird es dann etwas schwieriger.“

Die Zwillinge flitzten, kramten in der Kiste, brachten das Segelleinen und breiteten darauf alles das aus, was der Kutscher angefordert hatte.

Viele Augenpaare musterten sie bei ihrem geschäftigen Treiben.

„Jetzt hört mir gut zu“, sagte der Kutscher. „Wir setzen das Kerlchen da drüben an den Baumstamm. Ihr baut euch rechts und links von ihm auf und haltet seinen Kopf fest. Unter fest verstehe ich, daß ihr ihn so in die Klemme nehmt, daß der Kleine sich absolut nicht rühren und bewegen kann. Er darf auf keinen Fall zucken, wenn ich die Eiterbeule aufschneide. Es liegt also viel an euch, ob alles gut verläuft.“ Sehr freundlich fügte er noch hinzu: „Falls das Kerlchen doch mit dem Kopf ruckt, wenn ich das Messer in seinem Hals habe, dann sind wir alle im Arsch. Das hört sich drastisch an, aber die Sprache versteht ihr ja. Alles klar, Leute?“

„Aye, aye, Sir, du kannst dich auf uns verlassen. Das Kerlchen wird denken, es stecke in einer Schraubzwinge.“

Die beiden blieben äußerst kühl und gelassen, als sie das sagten. Nicht die geringste Erregung war ihnen anzumerken.

Jetzt wandte sich der Kutscher freundlich lächelnd an den Häuptling und die Mutter des Jungen.

„Erschreckt nicht, wenn gleich etwas Blut fließen wird. Der Kleine wird Blut und Eiter spucken, aber das gehört nun mal dazu. Er wird euch aber auch bestätigen, daß es ihm danach sofort wieder bessergeht. Er kann dann wieder schlucken und wird Erleichterung verspüren. Die Mutter soll auch dem Kleinen sagen, er möge keine Angst haben und es werde alles gut, weil der große Medizinmann aus dem Land sehr weit im Osten extra angereist ist, um ihn zu heilen. Würdest du das der Mutter bitte übersetzen, Häuptling?“

Coanabo hörte genau zu, und er nickte immer wieder, als der Kutscher ihm das sagte.

Die Zwillinge blickten zum Mangrovengestrüpp hinüber, weil sich da etwas bewegt hatte. Dort schob sich gerade ganz gemächlich ein Kaiman aus dem Wasser und kroch an Land, um sich zu sonnen. Er platschte sich in den seichten Morast und riß weit den Rachen auf.

Keiner der Krieger kümmerte sich um das Tier, obwohl es sich in ihrer unmittelbaren Nähe befand. Aber auch die Riesenechse ließ sich durch die Männer nicht stören.

Hasard und Philip sahen sich an. Beide dachten daran, daß sie heute nacht in diesem See geschwommen waren, um das Kanu zu holen. Also gab es hier doch Krokodile, und sie fühlten sich etwas unbehaglich.

Inzwischen übersetzte Coanabo der Mutter alles das, was der Kutscher ihm erzählt hatte. Auch sie hörte sehr aufmerksam zu, bückte sich dann zu dem Kleinen, zeigte auf den Kutscher und sprach längere Zeit mit ihm.

Der Kleine blickte den Kutscher aus seinen schwarzen Knopfaugen ziemlich ernst an und nickte zaghaft.

„Sag ihm auch, es wird für einen kleinen Augenblick etwas weh tun, aber danach ist es auch schon vorbei. Es ist besser, wenn der Junge das vorher weiß.“

Auch das wurde wieder sofort übersetzt. Der Kleine nickte tapfer.

Inzwischen hatte Hasard das Skalpell ins Feuer gehalten. Die anderen brachten den Jungen zum Baum hinüber, wo er auf dem Boden Platz nahm.

Hasard kehrte zurück und überreichte dem Kutscher das scharfe und lange Skalpell so, daß es der Kleine nicht mitkriegte. Dann bauten sie sich rechts und links vor dem Kerlchen auf und hielten ganz behutsam seinen Kopf fest. Der Druck wurde immer stärker, bis der Kleine sich nicht mehr rühren konnte.

„Fertig?“ fragte der Kutscher. „Habt ihr ihn absolut fest?“

„Absolut, Sir. Es kann losgehen.“ Die beiden zeigten immer noch Gelassenheit und blickten das Kerlchen freundlich an.

Dem Kutscher standen ganz feine Schweißperlen auf der Stirn, als er sich auf den Boden kniete und in den offenen Mund des Kleinen sah.

Himmel, ist das ein Ding, dachte er.

Vorsichtig führte er das Skalpell ein. Seine Hände zitterten nicht, er blieb ganz ruhig, denn er wußte, was von diesem Eingriff abhing, nämlich ihr Leben und das Leben des Jungen. Er mochte sich nicht vorstellen, daß etwas schiefgehen könnte.

Der eisenharte Profos blickte zur Seite, während Old Donegal vorsichtshalber die Augen schloß. Martin, Nils und Sven stand der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn.

Die Mutter des Jungen hatte sich abgewandt, nur der Häuptling stand aufrecht da und sah mit ernstem Gesicht der Prozedur zu.

Das Kerlchen selbst hielt die Augen krampfhaft geschlossen und den Mund weit geöffnet. Es zuckte nicht einmal, und es bewegte den Kopf um keinen Deut, denn die Zwillinge hielten es eisern fest.

Die Prozedur dauerte nur wenige Minuten, dann spuckte der Kleine Eiter und Blut.

Du meine Güte, dachte der Kutscher, das schießt ja nur so heraus! Er ließ den Kleinen spucken, bis er aufhörte, erst dann betupfte er sehr vorsichtig die Wunde.

Innerhalb von drei Minuten war alles vorbei. Dem Bürschchen rann eine Träne aus dem Auge. Jetzt öffnete er sie langsam, sah den Kutscher an und grinste zaghaft und etwas scheu.

Der Kutscher legte ihm die Hand auf die Schulter und grinste ebenfalls sehr erleichtert. Die Zwillinge ließen los, und da konnte das Kerlchen wieder aufstehen.

Der Kleine schluckte einmal kräftig und sah dann seine Mutter mit strahlenden Augen an. Dann schnatterte er etwas mühsam drauflos.

Coanabo lachte plötzlich. Über sein Gesicht glitt ein Schimmer der Freude. Auch die Mutter strahlte.

„Er sagt“, übersetzte der Häuptling, „er kann jetzt wieder schlucken und es tut auch nicht mehr so weh. Es kratzt nur ein wenig im Hals.“

„Das gibt sich bald. Der Kleine darf jetzt aber bis morgen mittag nichts essen, damit alles gut verheilt. Das ist sehr wichtig. Und er soll auch nicht herumtollen, sondern ruhig bleiben.“

Auch das wurde der überglücklichen Mutter übersetzt. Daraufhin griff der Kleine nach der Hand des Kutschers und grinste wieder.

„Großer Medizinmann“, lobte der Häuptling. „Du bist ein sehr guter Medizinmann. Wir alle danken dir aus ganzem Herzen.“

Verlegen grinsend wehrte der Kutscher den Dank ab und sah sich um. Er hatte gar nicht gewußt, daß er so viele Zuschauer bei seinem Eingriff gehabt hatte. Jetzt erst sah er sie ganz bewußt. Auf den Plattformen der Hütten standen sie – junge und alte, Frauen und Kinder, die jetzt die Arme hochrissen und jubelten, als Coanabo verkündete, daß der große Medizinmann aus dem fernen weiten Land den Jungen geheilt hätte.

Da strömten auch die Krieger herbei, die der Kutscher vorhin weggescheucht hatte. Kutscher und Zwillinge wurden umringt und angestaunt. Ein unglaubliches Palaver und Geschnatter setzte ein.

„Ich werde ab und zu nach dem Jungen sehen und mich um ihn kümmern“, versprach der Kutscher, doch das hörte Coanabo schon gar nicht mehr. Er nahm sein Enkelkind in die Arme, setzte es dann wieder auf den Boden, ging zu den Gefangenen hinüber und schnitt ihnen die Fesseln durch. Augenblicke später waren alle frei.

„Ihr seid keine Feinde“, verkündete Coanabo. „Ihr seid Freunde, die anderen helfen!“

Damit war der Kutscher der Mann des Tages. Er mußte ein endloses Händeschütteln über sich ergehen lassen und wehrte immer wieder sehr verlegen ab.

Auch der Profos rückte an, strahlend, über das ganze narbige Gesicht grinsend. Er griff mit seinen riesigen Pranken nach den schmalen Händen des Kutschers und drückte sie herzhaft.

„Prächtig hast du das hingekriegt“, tönte er. „Ich habe doch immer gewußt, daß du ein prachtvoller Kerl bist, auf den man sich in jeder Lage verlassen kann. Du bist wirklich ein großer Medizinmann.“

„Kein verlauster Entenarsch?“ fragte der Kutscher trocken.

Der Profos rieb sich etwas verlegen die Hände.

„Keine Rede davon, um Himmels willen! Einen verlausten Entenarsch hat dich doch nur Sir John genannt, und der hat doch keinen …“

„… Verstand, nicht wahr?“

„Der Geier hat wirklich keine Manieren, was, wie? Jetzt hockt er da oben und traut sich nicht herunter. Gelobt sei der große Medizinmann. Ohne dich wären wir ziemlich beschissen dran.“

Auch die anderen bedankten sich bei dem Kutscher. Old O’Flynn setzte ihm gerührt sein Holzbein auf den Stiefel und umarmte ihn.

„Kann ich Plymmie wieder holen?“ fragte Philip.

Das wurde ausdrücklich erlaubt, und so stieß Philip drei kurze scharfe Pfiffe aus. Für Plymmie war das das Zeichen, daß die Welt wieder in Ordnung sei.

Irgendwo aus dem Mangrovengestrüpp brach die Hündin hervor, ganz in der Nähe des Kaimans. Der Riesenechse klappte das Maul vor Schreck zu, als die Hündin an ihr vorbeifegte und laut bellte. Da der Kaiman solche Töne offenbar noch nie gehört hatte, floh er verstört und rasend schnell ins Wasser und tauchte ab.

Niemand kümmerte sich hier um die Echse. Sie gehörte ganz einfach zum täglichen Leben.

Inzwischen legten weitere Kanus von den Hütten ab, und immer mehr Indianer kamen herüber. Auch etliche Kinder waren dabei, die aufgeregt mit dem Kleinen palaverten. Der stand jetzt auch im Mittelpunkt und fühlte sich sichtlich wohl dabei.

Die Frauen schürten das Feuer und schleppten Früchte herbei. Als der Profos das sah, lief ihm das Wasser im Mund zusammen, und der Magen rutschte ihm bis in die Kniekehlen.

Coanabo ließ durch einen Krieger kühles Wasser an die durstigen Männer verteilen.

„Wir veranstalten einen Festschmaus“, sagte er zum Kutscher. „Ihr seid alle herzlich eingeladen. Sicher habt ihr Hunger.“

„Allerdings“, gab der Kutscher zu. „Seit unserer überstürzten Abreise haben wir nichts mehr gegessen. Vielen Dank.“

Immer mehr Frauen erschienen jetzt. Sie brachten noch mehr leckere Sachen, auch Geflügel wurde gerupft, Langusten, Krabben, Muscheln, Bananen, Kokosnüsse und Papayas wurden in die Nähe des Feuers getragen und dort ausgebreitet.

„Sie scheinen völlig unabhängig zu sein“, sagte der Kutscher erstaunt. „Und sie haben offenbar alles im Überfluß. Aber wo bringen sie das Zeug nur her?“

„Das weiß ich auch nicht“, sagte Carberry ratlos. „Sie tauchen wie aus dem Nichts auf und schleppen Zeug herbei. Aber wenn ich das so sehe, wird mein Hunger immer schlimmer.“

„Keine Sorge, für dich wird schon genügend abfallen, wir sind ja eingeladen worden. Ich werde mich mal ein bißchen umsehen und den Frauen in die Töpfe gucken. Man lernt immer etwas dazu.“

Die indianischen Frauen waren regelrecht entzückt, daß sich der große Medizinmann für ihre Kochkünste interessierte. Ein bißchen stolz waren sie auch, einen so weitgereisten Mann bei sich zu haben, und so war der Kutscher bald Hahn im Korb bei allen.

Schildkrötensuppe wurde zubereitet, Krabben, Langusten und Muscheln gekocht, Jams- und Kassavewurzeln wanderten in die Töpfe, und schon bald hing ein lieblicher Duft über dem Strand.

Hier scheint die Welt in Ordnung zu sein, dachte der Kutscher, denn diese Leutchen lebten zufrieden und anscheinend sorglos.

Eine knappe Stunde später begann der Festschmaus.

Der Profos sah wie ein hungriger Wolf in die Runde und konnte es kaum noch erwarten. Er ließ sich auch nicht lange bitten, als er zum Essen aufgefordert wurde. Er zeigte den staunenden Indianern, was so ein Profosmagen mengenmäßig alles vertrug.

Der Kutscher war neugierig darauf, die Geschichte dieses Stammes zu erfahren, und fragte Coanabo danach, der auch sofort bereitwillig erzählte.

„Diese Gegend hier war früher nicht besiedelt, es gab keine Menschen auf dieser Insel.“

„Aber man nennt euch Inselleute, genauer gesagt – Lucayaner.“

„Weil wir immer auf den Inseln lebten. Daher rührt der Name. Wir sind ein Stamm der reinblütigen Arawak-Indianer.“

„Dann habt ihr vorher auf einer anderen Insel gelebt?“

„Ja, auf Gigatio Gatas Gotas, wie die Spanier es nennen. Wir haben dort friedlich gelebt, bis die Spanier uns entdeckten. Sie nahmen uns gefangen und verschleppten uns nach Hispaniola. Dort mußten wir wie Tiere in einem Bergwerk für sie schuften. Zwei Jahre lang haben wir es ausgehalten. In dieser Zeit lernte ich die Spanier hassen, denn sie behandelten uns wie den letzten Dreck. Sie versorgten uns kaum, und kein Medizinmann kümmerte sich um uns, wenn wir krank waren. Viele meiner Brüder fanden in dem spanischen Bergwerk den Tod, viele andere kümmerten dahin.“

Obwohl das jetzt dreißig Jahre zurücklag, funkelte wieder Zorn in den Augen des Häuptlings auf, wenn er an die Schmach dachte, die man ihm und seinen Brüdern angetan hatte.

„Wir kämpfen gegen die Spanier“, sagte der Kutscher, „und wir fügen ihnen Verluste zu, wo immer es geht. Es ist ein jahrelanger und harter Kampf. Auf den Kopf unseres Kapitäns hat der spanische König eine hohe Summe ausgesetzt. Ihr hieltet uns also für Spanier, als ihr uns auf der Sandbank entdecktet. Mich würde interessieren, was ihr mit uns vorhattet.“

Der Zorn aus den Augen des Häuptlings verschwand wieder. Jetzt lächelte er unmerklich.

„Das will ich euch ehrlich sagen. Wir wollten euer Schiff ausschlachten und euch als Sklaven nehmen. Ich dachte mir, daß es mir Genugtuung bereiten würde, einmal umgekehrt zu verfahren. Wir haben für die Dons geschuftet, jetzt sollten sie einmal für uns schuften.“

Er kennt auch den Ausdruck „Dons“, dachte der Kutscher amüsiert.

Der Profos lachte und hieb sich auf die Schenkel.

„Das ist gut“, röhrte er, „das ist wirklich gut! Aber was hätten die Dons denn bei euch arbeiten sollen?“

„Wir hätten gute Verwendung für sie gehabt. Wir haben im Innern des nördlichen Inselteils große Felder angelegt, wo wir Mais, Gemüse, Jams und Früchte anbauen. Da gibt es immer Arbeit.“

„Dann seid ihr völlig unabhängig?“ fragte der Kutscher.

„So ist es. Es weiß kaum jemand, daß wir existieren. Wir haben so gut wie keine Kontakte zur Außenwelt. Alles, was wir zum Leben brauchen, bauen wir selbst an oder stellen es her.“

„Ihr betreibt keinerlei Tauschhandel?“

„Nein, mit den Spaniern wollen wir nichts zu tun haben, obwohl uns Werkzeuge, Stoffe, Waffen oder Töpfe fehlen. Das können wir leider nicht selbst herstellen.“

„Wir haben jahrelang Tauschhandel mit einem Stamm der Timucuas getrieben und uns immer prächtig verstanden“, erzählte der Kutscher. „Aber leider ging dieser Stamm bei einem Seebeben unter. Wir haben vor, uns auf einer der Inseln anzusiedeln, weil auch unsere vorherige Insel bei der Katastrophe zerstört wurde.“

Da wurde nicht nur der Häuptling hellhörig, auch die Arwenacks spielten bereits mit dem Gedanken, hier Kontakte anzuknüpfen, falls die Arawaks das wünschten. Der Kutscher traute sich nur noch nicht so richtig mit der Sprache heraus.

Doch Coanabo nahm den Gedanken sofort auf, als er hörte, daß sich die weißen Männer auf einer der Inseln ansiedeln wollten.

„Wir sind Freunde geworden“, sagte er ernst, „obwohl das vor ein paar Stunden noch nicht so aussah. Aber jetzt hat sich alles grundlegend geändert. Wenn ihr einverstanden seid, können auch wir Tauschhandel betreiben. Wir geben euch das, was ihr braucht, und ihr gebt uns das, was uns fehlt. So ist jedem geholfen.“

Alle waren von dieser Idee begeistert, und so wurde das gleich per Handschlag bekräftigt und besiegelt.

„Da wird Hasard staunen, wenn er das erfährt.“

„Da ist noch etwas“, meldete sich Old O’Flynn etwas zaghaft. „Ich wollte doch eine Kneipe bauen, und hier könnte man genau studieren, wie so eine Pfahlhütte richtig ins Wasser gesetzt wird. Wenn ich mir das mal anschauen könnte, hätte ich es später viel leichter.“

Coanabo verstand zwar anfangs nicht, was es mit der „Rutsche“ auf sich hatte, aber dann begriff er und versprach dem Alten, ihm genau zu erklären, wie so eine Hütte gebaut würde.

„Wie seid ihr den Spaniern entkommen?“ fragte der Kutscher nach einer Weile gespannt.

„Das Bergwerk, in dem wir uns fast zu Tode schufteten, war eines Tages nicht mehr ergiebig. Daher trieb man uns an Bord eines spanischen Sklavenseglers, der uns nach Kuba bringen sollte. Von Bord dieses Schiffes gelang es mir mit ein paar Stammesbrüdern zu fliehen. Wir haben eins der spanischen Beiboote gestohlen und sind damit nach Gigatio geflohen.“

„Und wir haben ein indianisches Kanu geklaut“, sagte der Profos lachend, „und wollten ebenfalls damit fliehen. Aber uns ist es nicht gelungen.“

Der Häuptling lachte ebenfalls und schüttelte den Kopf. Offenbar schien er sich sehr zu amüsieren.

„Die Flucht konnte auch nicht gelingen“, sagte er. „Ich werde euch nachher sagen, weshalb das unmöglich war. Aber zunächst möchte ich das andere zu Ende erzählen. Als wir mit der Jolle oder dem Beiboot die Insel erreichten, fanden wir dort noch ein paar Überlebende unseres Stammes, die den Spaniern entkommen waren. Es waren hauptsächlich Frauen und Kinder. Wir hatten aber Angst daß die Dons wieder auftauchten. Daher beschlossen wir, eine andere Insel zu suchen. So gelangten wir nach Andros und fanden im Norden dieser Insel eine neue Heimat. Der Stamm der Arawaks vermehrte sich langsam wieder, und ich wurde der Häuptling. Das ist jetzt dreißig Jahre her.“

„Und die Spanier haben euch nicht mehr belästigt?“

„Nein, sie haben sich hier nie blicken lassen. Sie nennen dieses Land die ‚Insel des Heiligen Geistes‘ und meiden es. Vielleicht sind sie abergläubisch oder haben Angst, in die Mangrovenwälder und Dschungel vorzudringen. Ich weiß es nicht. Es gibt viele und auch schreckliche Geschichten über diese Insel.“

Old O’Flynn nickte eifrig. O ja, da konnte er mitreden. Chickcharnies, kleine bärtige Elfen, Feuerteufelchen und was hier noch alles heimlich herumkrebste. Aber das mit den Chickcharnies wollte er doch genau wissen, und so fragte er den Häuptling danach.

„Viele meiner Brüder haben Elfen gesehen“, sagte er, „auch Chickcharnies haben schon ihren Schabernack mit ihnen getrieben. Aber mir selbst sind noch keine begegnet.“

„Vermutlich, weil du der Häuptling bist“, sagte Old O’Flynn. „Vor dir haben sie mehr Respekt, und deshalb zeigen sie sich nicht.“

„Mag sein“, sagte Coanabo. Dann erzählte er noch mehr über die Insel, die immer interessanter zu werden schien.

Zwischendurch wurde immer wieder gegessen und getrunken. Den herrlichen Speisen konnte niemand widerstehen, ganz besonders der Profos nicht, der einen gewaltigen Appetit entwickelte.

Der Kutscher kam noch einmal auf die Spanier zurück.

„Es ist auch möglich“, sagte er, „daß die Dons hier auf Andros bereits Landeversuche unternommen haben. Aber sie konnten nicht weiter vordringen, weil sie sich in dem Labyrinth aus Bächen, Flüssen und Seen nicht zurechtfanden. Da sie nichts Ergiebiges vermuteten, zogen sie wieder ab und erzählten den anderen, daß hier absolut nichts zu holen sei.“

„Das mag der Fall gewesen sein“, sagte Coanabo nachdenklich, „und daher können wir uns glücklich schätzen, dieses Fleckchen gefunden und besiedelt zu haben.“

Martin Correa hatte nun auch die Neugier gepackt, warum ihnen die Flucht nicht gelungen war, und so fragte er jetzt: „Du sprachst vorhin davon, daß es für uns ganz unmöglich wäre, zu fliehen. Warum war das ausgeschlossen? Wir haben uns zwar ein paarmal verirrt, aber vielleicht hätten wir doch einen Weg zum Meer und damit zur North Bight gefunden.“

Coanabo schüttelte amüsiert den Kopf. Sein Lächeln wirkte fast etwas schadenfroh.

„Das wäre möglich gewesen. Einen Weg hättet ihr sicherlich gefunden. Aber zu dem Zeitpunkt war die Bight bereits abgeriegelt, denn ich habe am frühen Morgen, als eure Flucht entdeckt wurde, sofort vier Kanus an die Mündung des Creeks geschickt. Und diese Krieger hätten euch erwartet und umzingelt.“

„Wir haben keine Kanus gesehen“, sagte der Kutscher erstaunt. „Wir haben auch nichts gehört.“

Das Lächeln in dem schmalen Gesicht verstärkte sich noch. Coanabo lachte leise.

„Wir kannten zu jeder Zeit euren genauen Standort“, erklärte er.

„Dann habt ihr uns Späher nachgeschickt.“

„Nein, wir haben keine Späher ausgeschickt. Aber wir haben unsere Wächter, die für uns pausenlos im Einsatz sind.“

Die Männer sahen sich verwundert an. Carberry kratzte sich das Kinn. Das Gesicht des Kutschers war nachdenklich geworden.

„Wächter?“ sagte er überlegend. „Ich versuche schon die ganze Zeit das zu erraten, aber ich komme nicht dahinter.“

Als Coanabo etwas zu seinen Unterhäuptlingen sagte, lachten auch die sehr amüsiert und freuten sich, daß die weißen Männer die Wächter nicht gesehen hatten.

Schließlich gab der Kutscher die Raterei auf.

„Unsere Wächter sind die Vögel, die Reiher und Flamingos“, erklärte der Häuptling. „Wir brauchten nur dahin zu schauen, wo auf einmal Vogelschwärme aufstiegen. Diese Tiere fliegen sofort auf, wenn sich Menschen zeigen. So konnten wir in aller Ruhe euren Weg genau verfolgen, ohne daß wir jemanden ausschickten. Ihr seid den Wächtern ständig begegnet, ohne es zu ahnen.“

„Himmel“, sagte der Kutscher und schlug sich gegen die Stirn. „Daran hat keiner von uns gedacht. Natürlich flogen die Tiere sofort auf, wenn sie uns sahen. Grandios! Demnach kündigen sie auch sofort an, falls jemand in die Gewässer eindringt.“

„Deshalb sind sie unsere verläßlichen Wächter.“

„Dann habt ihr ja ganz schön über uns gelacht“, meinte der Kutscher kläglich.

Die Kerle lachten auch jetzt noch, denn sie fanden es einfach köstlich, daß sie immer wußten, wo sich die nichtsahnenden Flüchtlinge befanden. Das freute sie wie kleine Kinder, denen eine Überraschung gelungen war.

Das üppige Mahl war beendet. Es ging jetzt auf den Spätnachmittag zu. Die Frauen räumten die Essensreste ab, und einige Indianer verschwanden, um noch einmal nach den Feldern zu sehen.

„Wann immer ihr uns verlassen wollt“, sagte Coanabo, „es steht euch frei. Ihr könnt so lange bleiben, wie ihr wollt.“

„Wir wollten morgen früh aufbrechen“, sagte der Kutscher, „denn wir wollen die Gewässer um die Inseln noch genauer erkunden, damit wir nicht wieder auflaufen.“

„Das war ein Rumbuddelauflauf“, sagte der Profos trocken und warf Old O’Flynn einen bezeichnenden Blick zu, der darauf allerdings nicht reagierte.

„Wir werden euch Hilfe leisten“, versprach Coanabo, „wie ich es versprochen habe. Wir weisen euch in die Gewässer um diese Insel genau ein. Aber jetzt werde ich dir die Hütten zeigen“, sagte er zu Old O’Flynn.

Der Alte war von der Idee begeistert und nahm auch noch die Zwillinge mit, weil sechs Augen mehr sähen als zwei, wie er sagte. Dann fuhren sie mit dem Häuptling und einem weiteren Indianer im Kanu auf den See hinaus, wo Old O’Flynn alles bestaunen, beklopfen und betasten konnte.

Der Kutscher wandte sich jetzt mit einem süffisanten Grinsen an den Profos, der gedankenverloren auf den See starrte.

„Wie war denn das Essen, Ed?“

„Himmlisch, ganz phantastisch“, schwärmte der Profos. „Das Geflügel war ganz besonders knusprig und herrlich gewürzt.“

„Geflügel?“ Der Kutscher tat erstaunt. „Ich habe das für Menschenfleisch gehalten.“

„Na, hör mal“, brauste Carberry auf, „du wirst doch wohl Geflügel- von Menschenfleisch unterscheiden können.“

„Letzteres habe ich noch nicht versucht“, sagte der Kutscher, „aber bei diesen Kannibalen habe ich nicht damit gerechnet, Hühnerfleisch vorgesetzt zu kriegen.“

„Kannibalen? Wie kannst du diese liebenswerten Leute als Kannibalen bezeichnen? Die tun doch keiner Fliege etwas zuleide.“

„Dann muß ich mich geirrt haben“, sagte der Kutscher. „Mir war immer so, als hätte ich etwas von Kesselkochern, Fleischhackern oder Oberfressern gehört. Hm, daß die uns nicht geschmort haben, was?“

„Na ja, das war ein bißchen voreilig von mir“, gab Carberry zu, „aber jetzt habe ich meine Meinung geändert.“

„Das freut mich aber wirklich. Dann sei in Zukunft nicht wieder so voreilig.“

„Aye, aye, Sir“, brummte der Profos.

„Gehst du mit – ich will mal nach dem Kleinen sehen. Es muß ihm ja wieder bessergehen.“

Als ein Kanu sie zu der Pfahlhütte hinüberbrachte, war die junge Mutter ganz entzückt. Der Kleine hatte allen erzählt, daß ihn der weiße Medizinmann geheilt hätte und er morgen auch wieder richtig essen könne.

Der Junge schlummerte friedlich und hatte wieder eine gesunde Gesichtsfarbe. Der Kutscher legte ihm die Hand auf die Stirn.

„Kein Fieber mehr“, stellte er fest. „Bis morgen abend hat er das alles wieder vergessen.“

Später, bevor es auf den Abend zuging, zeigte der Häuptling ihnen auch noch die Felder, die sie bewirtschafteten. Alles war sauber angelegt und grünte. Der Mais trug Früchte, zwei andere Felder standen in voller Blüte. Da gab es ganze Haine, in denen Papayas wuchsen, dann Felder, auf denen die Jamswurzel gepflanzt wurde, und andere, auf denen Gemüse aller Art angebaut wurde.

„Davon haben wir im Überfluß“, sagte Coanabo. „Diese Insel hat sich fast als ein Paradies erwiesen. Wir leben unbehelligt von den Spaniern und können gut existieren. Es wäre wünschenswert, wenn wir untereinander handeln und tauschen könnten. Erzählt mir von euren Problemen.“

Das tat der Kutscher lange und ausführlich, und er hatte in Coanabo einen sehr aufmerksamen Zuhörer.

Sie hatten wirklich neue Freunde gewonnen.

In dieser Nacht schliefen sie im Pfahlbaudorf der Arawaks und genossen ihre Gastfreundschaft. Diesmal waren sie keine Gefangenen mehr. Vor vierundzwanzig Stunden hatte das noch ganz anders ausgesehen.

Seewölfe Paket 24

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