Читать книгу Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 39

6.

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Ihre Schritte hallten auf den Steinstufen der steilen Treppe, als sie in den Festungskerker hinunterstiegen. Renke Eggens und Jean Ribault waren ganz vorn, an der Spitze der Gruppe, den Schluß bildete Jonny, der jüngste Mann der Crew.

De Zavallo und seine Seesoldaten hielten die Männer nach wie vor mit Musketen in Schach. Es gab keine Chance zur Flucht. Die Männer der „Goldenen Henne“ waren ihrem Schicksal ausgeliefert.

Aber dann ging das große Theater los: Die Gefangenen wurden an einer großen Kerkerzelle vorbeigeführt, in der zerlumpte, heruntergekommene Gestalten hockten. Die Gestalten erhoben sich, traten näher und umklammerten mit abgemagerten, klauenartigen Händen die Gitterstäbe. Neugierige Blicke richteten sich auf die neuen Gefangenen.

Plötzlich stieß jemand einen Schrei aus: „Das sind sie! Die Bastarde!“

„Maul halten!“ fuhr de Zavallo die Zelleninsassen an.

„Die Bastarde! Ich erkenn’ sie wieder!“ brüllte der Kerl in der Zelle.

Erst jetzt ging es auch Renke Eggens, Jean Ribault und der Crew auf, daß die Gefangenen mit den „Bastarden“ keineswegs die spanischen Soldaten meinten.

Ein Finger richtete sich auf die Männer der „Goldenen Henne“. Es war derselbe Kerl, der eben geschrien hatte. Jetzt brüllte er: „Die haben sich die ‚Lady Anne‘ unter den Nagel gerissen! Samt der Goldbeute!“

Jean Ribault spürte, wie es ihn siedendheiß durchlief. Herrgott, dachte er, das kann nicht wahr sein. Und doch begriff er: Ausgerechnet die Kerle des Sir John Killigrew waren es, die da in der Zelle standen und sie wie Wesen von einem anderen Stern angafften. Es war kaum zu fassen, aber wahr: ausgerechnet hier, in St. Augustine, traf man wieder aufeinander!

Beim näheren Hinsehen stellte sich heraus, daß der Schreihals keinesfalls abgemagert war, sondern im Gegenteil wohlgenährt. Trotz des Bartes, den er inzwischen trug, erkannte Jean Ribault ihn wieder: Es war O’Leary, der brutale Bootsmann der ehemaligen „Lady Anne“.

Ihm schien es am besten von allen zu gehen. Außer den Kerlen der Sir-John-Crew entdeckten Ribault und seine Freunde nun auch die sieben Hochwohlgeborenen, darunter Sir James Sandwich. Die erweckten den derangiertesten Eindruck. Kein Wunder, denn sie hatten den rohen Patronen von der „Lady Anne“ ja nichts entgegenzusetzen.

O’Leary, das war auf Anhieb klar, regierte in der Zelle – und er frißt sich auf Kosten der feinen Gentlemen dick und rund, klarer Fall, dachte Jean Ribault. Ihre Blicke trafen sich, und O’Leary stieß einen wüsten Fluch aus.

Als die Seesoldaten die neuen Gefangenen hereingeführt hatten, hatte O’Leary geglaubt, ihn müsse der Schlag treffen. Natürlich, das waren sie: die Bastarde, die die „Lady Anne“ entführt hatten. Er hatte nicht den geringsten Zweifel. Kerle, die zu dem verfluchten Seewolf und der schwarzhaarigen Hexe gehörten!

Na, das war vielleicht ein Ding!

„He!“ grölte O’Leary. „Ich will sofort den Kommandanten sprechen!“ Er rüttelte mit den Fäusten an den Gitterstäben. „Zum Henker! Ich habe ihm etwas Wichtiges mitzuteilen!“

Jean Ribault zuckte mit keiner Wimper, aber noch einmal durchfuhr es ihn siedendheiß. Und er war sich sofort darüber im klaren, was jetzt los sein würde. Die Folgen waren unausdenkbar – auch in Verbindung zu Arne von Manteuffel!

Mein Gott, dachte Ribault, daß ausgerechnet diese Hundesöhne überlebt haben und jetzt hier hocken! Natürlich kannte er die ganze Geschichte mit Sir Johns „Crew von Lumpen“, die Freunde hatten ihm hinterher alles erzählt. Seinerzeit war er bereits mit der „Lady Anne“ und der Goldladung zur Schlangen-Insel gesegelt. Danach hatten die Geschehnisse um Sir John und dessen Crew ihre fatale Wende genommen. Doch wer hatte ahnen können, daß die Überlebenden ausgerechnet hierher, nach St Augustine, verschlagen werden würden?

Don José de Zavallo war stehengeblieben. Er befahl seinen Soldaten, ebenfalls anzuhalten. Der Zug verharrte.

De Zavallo trat zu Ribault, blickte zu O’Leary, und fragte barsch: „Was gibt es hier zu schreien?“

O’Leary wies auf Ribault. „Der da! Der gehört zu dem Piratenpack!“

Sir John Killigrews Ferkelsöhne Simon Llewellyn und Thomas Lionel waren mittlerweile hinter den Bootsmann getreten.

„Ja“, bestätigten sie wie aus einem Mund. „Das stimmt!“

„Ich verstehe kein Wort“, sagte de Zavallo. Er wandte sich an Jean Ribault. „Du vielleicht Deutscher?“

„Ich spreche Deutsch und Spanisch“, entgegnete Ribault so ruhig wie möglich.

„Einen Dolmetscher holen!“ rief de Zavallo einem seiner Soldaten zu. Der Mann, der ganz am Ende der Gruppe stand, drehte sich um und verschwand über die Steintreppe nach oben.

Seine hastigen Schritte verklangen. Schweigen war eingetreten. Nur das Scharren von Füßen auf dem harten Fußboden war zu vernehmen. O’Leary, die Killigrew-Brüder, die Überlebenden der „Lady Anne“-Crew und die sieben „Gentlemen“ sahen die „Deutschen“ mit unverhohlenem Haß an.

„Ihr kennt euch?“ fragte de Zavallo.

„Nein“, erwiderte Ribault.

„Piraten“, sagte O’Leary. „Piraten.“

Dieses Wort verstand der Teniente, und er sprach wieder Jean Ribault an. „Der Kerl behauptet, ihr seid Piraten?“

Ribault sah de Zavallo gelassen in die Augen.

„Was schert es mich, was dieses Subjekt behauptet, Teniente?“ fragte er in seinem – absichtlich – gebrochenen Spanisch zurück.

Schritte näherten sich und trappelten die Treppe herunter. Der Soldat erschien mit dem Dolmetscher, einem etwas untersetzten, mittelgroßen Spanier.

O’Leary begann sofort wieder zu brüllen und deutete mit dem Finger auf Jean Ribault. „Der! Der gehört zu dem Piratenpack des Philip Hasard Killigrew! Ich kann’s beschwören! Ich halte meine Hand dafür ins Feuer!“

Der Dolmetscher übertrug seine Worte ins Spanische. Don José de Zavallo rieb sich nachdenklich das Kinn und musterte wieder Jean Ribault. Doch der verzog keine Miene – und auch seine Kameraden zeigten keinerlei Reaktion.

Die Ferkel-Brüder Simon Llewellyn und Thomas Lionel stimmten wieder mit ein: „Jawohl, sie sind englische Piraten! Auch wir können das bezeugen!“

„Was sagen diese Säcke?“ wollte der Teniente von dem Dolmetscher wissen.

„Daß sie es bezeugen können, Señor.“

„Gut.“ De Zavallo blickte wieder Ribault an. „Es ist, wie ich eben schon vermutet habe. Der Kerl scheint dich zu kennen. Und er sagt, du seist kein deutscher Handelsfahrer, sondern ein englischer Pirat.“

Ribault war jetzt völlig ruhig und antwortete kaltblütig: „Ich kenne diese Subjekte nicht, Teniente.“ In seiner Stimme lag ein verächtlicher Unterton, und – o ja – er konnte schauspielern, wenn es darauf ankam. „Sieht man ihren Visagen nicht bereits an, wer sie sind?“

„Sie behaupten, daß du zu Killigrew gehörst“, sagte der Teniente.

„Wer ist denn dieser Killigrew?“ fragte Renke Eggens.

„Ruhe“, sagte de Zavallo. „Ich will kein Wort hören. Ich spreche mit diesem Mann hier.“ Wieder sah er Ribault herausfordernd an. „Nun?“

„Ich kenne keinen Philip Hasard Killigrew“, entgegnete Jean Ribault. „Denn ich fahre seit Jahren als Erster Offizier für das deutsche Handelshaus der von Manteuffels. Mit Piraten habe ich nie etwas zu tun gehabt. Das überlasse ich zum Beispiel den Spaniern, die sich ja auch nicht scheuen, ein deutsches Handelsschiff zu beschlagnahmen und die Mannschaft in einen Kerker zu sperren.“

De Zavallo brauste wieder auf. „Ich verbitte mir derartige Reden! Zur Hölle mit euch Deutschen! Du lügst!“

„Was sagt er?“ fragte O’Leary den Dolmetscher.

„Daß diese Männer Deutsche sind und lügen“, erwiderte der Dolmetscher.

„Was?“ brüllte O’Leary. „Deutsche? Da lachen ja die Hühner! Das sind Killigrew-Schnapphähne! Piraten!“

„Ruhe!“ schrie Don José de Zavallo ihn an. Mit einer herrischen Gebärde bedeutete er auch dem Dolmetscher, zu schweigen.

„Ich lüge nicht“, sagte Jean Ribault. „Und ich verbitte mir solche Anschuldigungen, Teniente.“

„Basta!“ brüllte de Zavallo. „Das reicht! Genug! Sperrt diesen Mann in eine Einzelzelle!“ Er griff nach Ribaults Arm und stieß ihn auf zwei der Soldaten zu. „Weg mit ihm!“

Jean Ribault war versucht, den Mann niederzuschlagen. Er konnte in diesem Moment nur mit äußerster Beherrschung an sich halten. Doch er durfte keinen Fehler begehen. Widerstandslos ließ er sich abführen.

Die Soldaten schubsten ihn an Renke Eggens vorbei, und er konnte Renke gerade noch zuflüstern: „Keine Sorge! Auch, wenn sie mich foltern, gebe ich nichts zu! Lieber verrecke ich!“

„Halte durch, Jean!“ zischte Renke.

„Steckt die anderen in die große Sammelzelle!“ ordnete de Zavallo an.

So wurden auch Renke Eggens, Hein Ropers, Hanno Harms, Karl von Hutten und die übrigen Männer der „Goldenen Henne“ eingesperrt. Ein Wärter öffnete eine große Eisentür. Die Soldaten richteten ihre Musketen auf die Crew. Schweigend betraten die Männer ihr Verlies.

Es war gut doppelt so groß wie das Mannschaftslogis der „Goldenen Henne“ und bot ihnen genug Platz. Stroh war auf dem harten Steinboden ausgestreut.

Von Hutten ließ sich als erster darauf nieder und sagte: „So, dann dürfen wir uns wohl auf einen längeren Aufenthalt einrichten.“

Renke hockte sich neben ihn. „Das findest du wohl witzig, was?“

„Nein“, erwiderte von Hutten grimmig. „Absolut nicht. Es ist nur eine gewisse Portion Galgenhumor.“

„Hört euch das an“, sagte Hein Ropers.

Im Kerker war der Teufel los. O’Leary hörte nicht auf, zu brüllen und zu toben. Er rüttelte an den Gitterstäben seines Verlieses.

„Piraten! Sie sind Piraten!“ schrie er. „Der eine gehört zu Killigrew! Hängt ihn auf!“

„Aufhängen!“ heulten auch die Killigrew-Brüder.

Da begannen auch die anderen Männer der „Lady Anne“ zu schreien und zu lärmen. Don José de Zavallo nahm die Neunschwänzige vom Gurt und drohte damit. Aber das Drohen nutzte nichts. Er hieb wütend nach O’Leary, doch der wich gedankenschnell aus. Die Peitsche traf Simon Llewellyn und Thomas Lionel, und die Ferkel-Brüder heulten auf wie Straßenköter.

Jetzt wurde es auch in den benachbarten Zellen lebendig. Die Kerkerinsassen tobten und brüllten und schlugen mit ihrem Eßgeschirr gegen die Gitter und die Wände.

De Zavallo schaute sich nach Verstärkung um. Ein paar Wärter, grobschlächtige Kerle, rückten an, und der Teniente befand, daß es besser war, ihnen die Angelegenheit zu überlassen. Sie würden schon für Ruhe sorgen.

Im Kerker von St. Augustine schien ein wahres Inferno ausgebrochen zu sein. Der Höllenlärm drang bis nach draußen und ließ die Spanier aufhorchen – in der Festung und am Hafen.

Selbst Don Lope de Sanamonte, der Kommandant, schaute von seinem Schreibpult auf. Er stand auf, schritt durch sein Arbeitszimmer und öffnete die Tür.

„Was ist da los?“ fragte er den Posten, der auf dem Flur Wache hielt. „Das hört sich nach einem Aufstand im Gefängnis an.“

„Ob es mit den Gefangenen von dem requirierten Schiff zu tun hat, Señor?“

„Sehen Sie nach“, sagte Don Lope. „Ich erwarte Ihre Meldung.“ Mit diesen Worten zog er sich wieder in seinen Raum zurück.

O’Leary tobte unterdessen wie ein Besessener in seiner Zelle herum. Es hatte wirklich den Anschein, als wolle er zur Rebellion aufrufen.

„An den Galgen mit dem Hund!“ brüllte er. „Er ist ein Pirat! Sie sind alle Piraten! Ich will zum Kommandanten!“

„Jawohl, zum Kommandanten!“ heulte Thomas Lionel, der sich von den Peitschenhieben einigermaßen wieder erholt hatte.

„Man höre uns an!“ schrie sein Bruder Simon Llewellyn mit spitzer Stimme.

Die Wärter rückten an. Sie bauten sich vor den Zellentüren auf, stießen wüste Drohungen aus und ließen ihre Peitschen durch die Luft pfeifen. Aber auch das nutzte nichts.

O’Leary witterte eine Chance, sich gewissermaßen freikaufen zu können, wenn er Jean Ribault als Kumpan des Seewolfs belastete. Diesen Plan verfolgte er und ließ nicht mehr davon ab. Was waren schon ein paar Hiebe der Wärter? Er brüllte weiter und heizte damit nicht nur die Aufruhrstimmung bei seinen eigenen Kumpanen an, sondern auch bei den Gefangenen in den anderen Zellen des Kerkers.

So wirkte die Toberei gleichsam ansteckend auf die Hafenstrolche, die Langfinger und Beutelschneider, die im Gefängnis von St. Augustine einsaßen. Sie sprangen in ihren Zellen herum, fluchten, schrien und schlugen mit ihren Näpfen und Bechern gegen die Gitter.

Das erzeugte einen wahren Teufelslärm. Die Kerle ließen ihrer dumpfen Wut, im Kerker wegen irgendwelcher „Lappalien“ gefangen zu sein, freien Lauf. Mit ihrer Brüllerei brachten sie die Kerkerwände zum Zittern.

Die Wärter rissen die Zellentüren auf und droschen mit Peitschen auf die Gefangenen ein. Soldaten rückten nach und verstärkten sie.

Aber O’Leary leistete erbitterten Widerstand. Er packte eine der Peitschen, zerrte daran und riß den Wärter, der ihn verprügelte, auf diese Weise dicht zu sich heran.

„Bring mich zum Kommandanten!“ brüllte er. „Ich hab’ ihm was zu melden, du Hund!“

Aber zwei andere Wärter, bullige Kerle mit Stöcken, fuhren dazwischen. Sie befreiten ihren Dienstkollegen und hieben auf O’Leary ein. O’Leary brach unter einem Hagel von Schlägen zusammen.

„Ihr Schweine!“ heulte Thomas Lionel.

Einer der Wärter drosch ihm seinen Stock auf die Schulter, und Thomas Lionel brach jammernd zusammen. Er fiel auf seinen Bruder, der sich vorsorglich schon hingeworfen hatte.

Dann waren die anderen Kerle der Sir-John-Crew an der Reihe. Sie warfen sich zwar den Wärtern entgegen, doch sie hatten gegen Stöcke und Peitschen nicht die geringste Chance.

Ganz in die eine Ecke der Zelle zurückgewichen waren Sir James und die sechs anderen hochwohlgeborenen Nichtstuer. Als die Wärter drohend auf sie zumarschierten, hob Sir James mahnend den Zeigefinger.

„Ich weise Sie darauf hin, daß wir an dieser Revolte nicht teilgenommen haben, meine Herren“, sagte er mit bebender Stimme.

„Was quatscht der Kerl?“ fragte einer der Wärter.

„Ich versteh’ nichts“, entgegnete sein Nebenmann. „Aber ich glaube, die brauchen wir nicht zu vertrimmen. Die haben sowieso schon die Hosen voll.“

Ein letzter Sir-John-Kerl brach unter einem wuchtigen Stockhieb zusammen, dann herrschte in dieser Zelle Ruhe. In den Nachbarzellen ertönten immer noch Flüche, Schreie und Hiebe, aber auch dort schien es allmählich stiller zu werden. Die Wärter rückten ab, warfen die Türen krachend zu und riegelten sie ab.

Sir James Sandwich atmete auf und strich sich mit der Hand durch die Haare.

„Freunde, das habt ihr nur meinem mutigen Einsatz zu verdanken“, sagte er. „Sonst hätten uns diese gräßlichen Menschen nämlich auch gezüchtigt.“ Voll Verachtung, aber auch mit Schadenfreude blickte er auf O’Leary, die Crew und die Ferkel-Brüder, die am Boden lagen. O’Leary und einige andere waren ohnmächtig und bluteten aus Platzwunden.

Die Männer um Renke Eggens indes blieben ungeschoren, weil sie sich ruhig verhielten. Auch Jean Ribault wurde nicht behelligt. Er hockte in seiner Einzelzelle und überlegte, wie er sich bei dem Verhör, zu dem er sicherlich bald abgeholt werden würde, am besten verhalten sollte.

Don José de Zavallo hastete die Treppe hinauf und stieß auf den oberen Stufen mit dem Posten des Kommandanten zusammen.

„Verdammter Idiot!“ schrie er ihn an. „Kannst du nicht aufpassen?“

„Verzeihung, Señor Teniente“, sagte dieser.

„Also, was hast du hier zu suchen?“

„Der Kommandant will wissen, was los ist“, erwiderte der Soldat.

„Das werde ich ihm melden“, sagte de Zavallo.

Er stieg die letzten Stufen hoch, trat ins Freie und marschierte über den Festungsinnenhof. Der Soldat folgte ihm.

Selbstverständlich ging es dem Teniente nicht nur darum, Don Lope de Sanamonte über die Hintergründe der Kerkerrevolte aufzuklären. Er wollte auch seine eigene Rolle ins rechte Licht rücken. Natürlich war es sein, de Zavallos, Verdienst, daß sofort wieder Ruhe und Ordnung eingekehrt waren.

Don Lope de Sanamonte blickte Don José de Zavallo an, als dieser vor ihn hintrat.

„Nun reden Sie schon“, sagte er. „Wen haben Sie mir da eigentlich angeschleppt? Verrückte?“

Alles, was die Sicherheit von St. Augustine bedrohte, mußte seiner Ansicht nach beseitigt werden. Es durfte keine Risikofaktoren geben. Nach dem Überfall des gefürchteten Schnapphahns Mardengo war de Sanamonte im übrigen dazu übergegangen, die Festungsarbeiten voranzutreiben.

Dazu benutzte er unentgeltliche Arbeitskräfte, nämlich die im Kerker einsitzenden Gefangenen. An diesem Morgen waren sie wegen des Neuzugangs der deutschen Seefahrer noch nicht zur Arbeit abgerückt, anderenfalls wären sie längst draußen beim Graben gewesen.

Zur Zeit war es die Aufgabe der Gefangenen, die Landseite, die nach Westen zu den Sümpfen wies, auszuheben. Dort sollte ein breiter und tiefer Wehrgraben ausgeschachtet werden, so daß St. Augustine zur Inselfestung wurde. Das war eine mörderische Arbeit, weil der Boden zum größten Teil sumpfig und morastig war. Aber wen kümmerte schon, wenn der eine oder andere bei der üblen Schufterei sein Leben ließ? Es war letztlich doch eine gerechte Strafe.

De Zavallo berichtete – de Sanamonte lauschte aufmerksam. Als der Teniente ihm erklärte, daß einer der englischen Gefangenen, der frühere Bootsmann O’Leary, in einem Mann des Neuzuganges einen Kumpan des Piraten Killigrew erkannt hätte, horchte er auf.

„Und wie äußert sich der neue Gefangene dazu?“ fragte er.

„Er streitet die Beschuldigung ab und behauptet, seit Jahren als Erster Offizier für ein deutsches Handelshaus zu fahren“, erwiderte der Teniente. „Als solcher ist er allerdings auch an Bord der beschlagnahmten deutschen Karavelle gewesen. Nun, wie dem auch sei, es hat wegen O’Learys Brüllerei fast einen Aufstand gegeben. Wer weiß, was die Kerle noch alles angestellt hätten, wenn ich nicht sofort dazwischengegangen wäre.“

„Ja, schon gut. Wem darf man nun Glauben schenken, dem Deutschen oder dem Engländer?“

„Señor“, sagte de Zavallo. „Ich erlaube mir den Vorschlag, den O’Leary noch einmal verhören zu lassen und diesem Ersten Offizier der ‚Goldenen Henne‘ auf den Zahn zu fühlen.“

„Wie heißt der Mann?“ fragte der Kommandant.

„Der Deutsche? Jan Rebau – oder so ähnlich. Ich kenne mich mit dieser verflixten Sprache ja nicht aus.“

De Sanamonte hob den Kopf. „Wie war das? Ribau? Ribo? Ribault?“

De Zavallo konnte nur mit den Schultern zucken.

„Das ist verdächtig“, sagte Don Lope de Sanamonte. „Jean Ribault – das ist kein deutscher, sondern ein französischer Name. Besteht die Besatzung dieser Karavelle nicht ausschließlich aus Deutschen?“

„Bis auf den Bastard.“

„Welchen Bastard?“

„Den Indianermischling“, erwiderte de Zavallo. „Der Kapitän behauptet, er sei der Lotse, aber das glaube ich nun wieder nicht. Ja, Sie haben recht, Señor, es ist einiges faul an diesen Deutschen.“

Don Lope brauchte im übrigen nur den Namen Killigrew zu vernehmen, und schon sah er rot. Innerlich war er aufgewühlt genug. Was steckte hinter diesen Vorgängen? Bereiteten irgendwelche Schnapphähne unter dem Oberkommando des Killigrew-Halunken neue Anschläge vor? Auf St. Augustine? Das mußte er herausfinden – mit allen Mitteln.

„Gut“, sagte der Kommandant. „Holen Sie mir als ersten diesen O’Leary, Teniente. Aber denken Sie daran, ihn schwer bewachen zu lassen. Er ist bekannt für seine Gewalttätigkeiten.“

„Ja, Señor“, sagte de Zavallo. Er zeigte klar und verließ den Raum. Hatte er das nicht prächtig hingekriegt? Der Kommandant hatte sogar den Verdacht bestätigt, den er, de Zavallo, von Anfang an gegen diese deutschen Kauffahrer gehegt hatte.

Wenn sich jetzt noch herausstellte, daß sie in Wirklichkeit Piraten waren – nicht auszudenken! Er, der Teniente, hatte dann ein Komplott verhindert, einen Angriff auf St. Augustine!

Diese und ähnliche Gedanken begleiteten Don José de Zavallo bei der Rückkehr in den Kerker. Er gab seine Befehle und ließ O’Leary aus der Zelle holen. Noch war der Kerl bewußtlos. Aber ein Kübel eiskalten Wassers, das ihm einer der Wärter ins Gesicht klatschte, beendete seine Träume.

O’Leary fuhr hoch und verzog wegen der Schmerzen sein Gesicht.

„Was ist?“ fragte er dumpf.

„Das wirst du gleich sehen“, entgegnete de Zavallo. Er bedeutete seinen Soldaten mit einer Geste, daß sie O’Leary aufrichten sollten. Die Männer packten ihn und stellten ihn auf die Beine, dann zerrten und stießen sie ihn fort – vier Soldaten und drei Wärter, die ihn keinen Moment aus den Augen ließen.

De Zavallo schritt hinter ihnen her, seine Miene war überheblich und triumphierend. Jetzt würde man ja erfahren, was es mit der Behauptung des Engländers auf sich hatte.

Und sollte die Wahrheitsfindung schwierig werden, dann würde das peinliche Verhör den Hunden die Zunge lösen, entweder diesem O’Leary oder dem deutschen Ersten Offizier, der vielleicht doch kein richtiger Deutscher, sondern möglicherweise ein Franzose war. Oder ein englischer Pirat? Wie auch immer, es mußte sich jetzt herausstellen.

Don Lope de Sanamonte empfing den ganzen Trupp in seinem Arbeitsraum. Die Wärter und Soldaten nahmen O’Leary in die Mitte, damit er ja nicht auf den Gedanken verfiel, dem Kommandanten etwa an die Gurgel zu springen. De Zavallo stand breitbeinig da und hatte die Hand auf dem Griff seiner im Waffengurt steckenden Steinschloßpistole liegen.

Doch der ehemalige Bootsmann der „Lady Anne“ schien keine kämpferischen Absichten zu hegen. Nachdem ihm die Wärter in der Mangel gehabt hatten, sah er reichlich zerbeult und zerschrammt aus. Mit etwas gesenktem Kopf stand er da und musterte sein Gegenüber.

Auch der Dolmetscher war eingetroffen. Er mußte jedes Wort übersetzen, da O’Leary ja des Spanischen nicht mächtig war und Don Lope wiederum kein Englisch konnte.

„O’Leary“, sagte Don Lope, nachdem er den Bootsmann eingehend betrachtet hatte. „Du hast versucht, eine Gefängnisrevolte anzuzetteln. Weißt du, welche Strafe darauf steht?“

„Ich kann mir das denken“, erwiderte O’Leary, als der Dolmetscher für ihn ins Englische übersetzte, was der Kommandant sagte. „Aber ich habe keine Meuterei anzetteln wollen. Das ist nicht wahr. Ich will nur meine Rechte geltend machen.“

„Rechte?“ wiederholte Don Lope höhnisch. „Was für Rechte hat ein gefangener Engländer auf spanischem Herrschaftsgebiet?“

„Das Recht, die Wahrheit über alle Hundesöhne und Piraten auszusagen, die diese Küsten bedrohen“, entgegnete O’Leary. „Dieser eine Kerl, den die Soldaten heute früh angeschleppt haben – ich hab’ in ihm einen Kumpan des Killigrew wiedererkannt, jawohl, des Seewolfs. Ich schwöre Stein und Bein, daß es die Wahrheit ist, Herr Kommandant.“

„Also ist er kein deutscher Handelsfahrer?“ fragte Don Lope.

„Daß ich nicht lache!“ stieß O’Leary höhnisch hervor. „Der und ein harmloser Kauffahrer? Ich werd’ nicht wieder! Er ist ein Galgenstrick, ein skrupelloser Pirat! Er ist sogar derjenige gewesen, der als Kapitän mit der gekaperten ‚Lady Anne‘, dem Schiff des erschossenen Sir John, davongesegelt ist, wahrscheinlich zum Schlupfwinkel dieser Piratenstrolche. Sie kennen ja unsere Geschichte, nicht wahr, Herr Kommandant?“

„Ja, ja, schon gut“, sagte Don Lope. Er hatte diese Geschichte der „Schiffbrüchigen und Versprengten“ der „Lady Anne“ ja oft genug vernommen, insbesondere aus dem Mund des Sir James. Er hatte keinerlei Interesse, sie schon wieder zu hören. „O’Leary“, sagte er. „Ich höre das sehr gern. Aber wo sind die Beweise? Behauptungen kann jeder aufstellen.“

„Es sind keine Behauptungen“, sagte O’Leary. „Es ist die reine Wahrheit, nichts als die Wahrheit.“

„Du lügst nicht, um Vorteile für dich herauszuschinden?“ fragte Don Lope lauernd.

„Das würde ich nie tun!“ stieß O’Leary empört hervor. „Ich weiß, was ich sage. Und jeder aus der Crew kann meine Aussage bestätigen! Selbst unter der Folter könnte ich nichts anderes aussagen!“

„Gut“, sagte Don Lope. Er hob die Hand und gab dem Teniente einen Wink. „Abführen. Er wird in den Nebenraum gesperrt und streng bewacht.“

„Ja, Señor“, sagte de Zavallo.

„Und Sie holen mir den anderen Mann“, sagte der Kommandant. „Diesen Ribo oder Rebau oder wie er heißt.“

O’Leary frohlockte, als die Wärter und Soldaten ihn in den fensterlosen Nebenraum sperrten. Don Lope glaubte ihm – er wollte ihm glauben. Und sehr schnell würde er herausfinden, daß er, O’Leary tatsächlich die Wahrheit gesprochen hatte. Dann war Ribault geliefert.

Und für O’Leary gab es vielleicht eine Vergünstigung. Vielleicht ließen die Spanier, diese Hunde, ihn sogar frei. Als Gegenleistung wäre das durchaus angemessen gewesen, denn über Ribault konnten die Spanier in Erfahrung bringen, wo sich der Schlupfwinkel des Seewolfs befand.

Und wenn Ribault auf der Folterbank nicht zu singen begann, sondern lieber verreckte, würde schon einer seiner Kumpane zwitschern – ganz gewiß sogar.

Seewölfe Paket 24

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