Читать книгу Seewölfe Paket 8 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 25

3.

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Der Seewolf hatte an Land drei Doppelposten aufziehen lassen, die nach jeweils acht Glasen abgelöst wurden. Er wollte in jeder Hinsicht die Gewißheit haben, daß die Portugiesen oder die Spanier ihn nicht von Land her überraschen konnten. Nach dem Überfall auf Cadiz mußten die Dons geradezu versessen darauf sein, Drake und dessen Mitstreiter zu jagen. Und auch sonst war es klug, keine Vorsichtsmaßnahme auszulassen. Während ihrer Fahrten um den Erdball hatten die Seewölfe immer wieder erleben müssen, welch unglaubliche Überraschungen in unbekannten Gegenden auftreten konnten.

Matt Davies und Dan O’Flynn hatten freiwillig den ersten Doppelposten übernommen, der den nördlichen Bereich des Buchtufers kontrollierte. Sie hockten in einer Felsennische knapp unterhalb des höchsten Punktes der Klippen und unterhielten sich gedämpft, während die Brandung gegen die Küste donnerte und das Seewasser in der Bucht gischtete und rauschte.

Dan O’Flynn hob plötzlich den Kopf. „Matt, da war etwas.“

„Wie meinst du das? Kriegen wir jetzt etwa auch noch ein Gewitter aufs Haupt?“ fragte der Mann mit der Hakenhand verdutzt.

„Nein, glaube ich nicht. Ich habe ein Krachen gehört, als ob Holz zerbricht.“

„Was denn, mitten im Sturm?“

„Matt, wer gute Augen hat, hat auch gute Ohren.“

„Meistens ja, und es ist bekannt, daß deine fünf Sinne geschärft sind“, entgegnete Matt Davies. „Aber wie du diesen – diesen Laut durch dieses elende Getöse hindurch mitgekriegt haben willst, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel.“

„Und da war noch etwas anderes – ein Schrei.“

„Teufel, und das soll mir entgangen sein?“

„Matt“, sagte der junge O’Flynn. „Du warst eben doch wohl mehr auf unser Gespräch konzentriert.“

Der Hakenmann holte tief Luft. „Und ich sage, du täuschst dich, Dan. Weißt du was? Im Sturm glauben manche Leute, die Meersirenen singen und den Wassermann grölen zu hören – angefangen bei deinem Alten.“

„Jetzt hör aber auf“, entrüstete sich Dan.

Sie waren drauf und dran, sich in die Haare zu kriegen, aber Dan O’Flynn bog den Streit auf seine Art ab, indem er sagte: „Hör zu, Matt, ich steige jetzt kurz auf die Klippfelsen und sehe oben nach dem Rechten, klar?“

„Einverstanden. Du hast ja selber schuld, wenn du naß wirst.“

Dan beachtete Matts griesgrämige Miene nicht weiter. Er grinste sich eins, als er die Nische verlassen hatte und Matt ihn nicht mehr sehen konnte.

Beim Aufstieg in die höhergelegene Felsenregion mußte Dan darauf achtgeben, nicht auszurutschen und schneller auf den schmalen Streifen Kiesstrand zurückzukehren, der rund zwanzig Yards unter ihm lag, als ihm dies zu Fuß möglich gewesen wäre. Wind und Regen erschwerten das Klettern, der rauhe Untergrund war naß und glitschig.

Dans Haare waren durchnäßt, als er auf dem kleinen Plateau anlangte, das gleichsam einen natürlichen Aussichtspunkt auf den Klippfelsen darstellte. Matt und Dan hatten diesen Platz entdeckt, als sie das Terrain inspiziert hatten. Etwas später hatten sie sich dann in die trockene Nische zurückgezogen, von wo aus sie immer wieder Erkundungsgänge in die nähere Umgebung unternehmen wollten.

Dan richtete sich auf. Zu seinen Füßen erstreckte sich die Bucht, in der er mit Mühe die „Isabella VIII.“ liegen sehen konnte. Das Beiboot, mit dem Matt, er und die anderen Wachen auf dem Kiesstrand gelandet waren, war von hier aus schon nicht mehr zu erkennen.

Dan drehte sich im heulenden Wind und blickte nach Nordwesten auf die offene See hinaus. Er versuchte zu ergründen, welche Ursache die Geräusche gehabt haben mochten. Sie schienen aus jener Richtung herübergedrungen zu sein, aber er erspähte nichts. Eine Wand aus Gischt und Regen baute sich vor ihm auf.

Unvermittelt erstarrte seine Gestalt. Wieder hatte ihn etwas stutzig gemacht – ein Laut hinter seinem Rücken.

Das Zusammenschlagen zweier Steine mochte es gewesen sein, vielleicht durch den Sturmwind hervorgerufen. Aber Dan war auf der Hut. Plötzlich fuhr er herum. Er strauchelte fast, weil der Wind ihn aus dem Gleichgewicht warf, fing sich aber wieder und zog die Pistole aus dem Ledergurt seiner Hose.

Zwischen den Felsen, die etwas weiter landeinwärts lagen, erkannte er die Umrisse einer menschlichen Gestalt.

Nein, Matt Davies war das nicht, und auch keiner der anderen beiden Doppelposten, soviel war Dan sofort klar. Erstens kroch kein Seewolf einem Kameraden hinter dem Rücken herum, ohne sich zu erkennen zu geben. Und zweitens handelte es sich bei dieser Gestalt – Dan sah es ganz deutlich – um eine ausgesprochen schlanke, fast schmächtige Person.

Ähnlichkeit damit hätte allenfalls der Kutscher aufweisen können. Oder Bill, der Schiffsjunge. Aber die befanden sich an Bord der „Isabella“ und rührten sich garantiert nicht von dort fort.

Dan hob die Pistole und spannte den Hahn.

„Halt, stehenbleiben!“ rief er.

Die Gestalt war zwischen den Felsen verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Dan war nicht nur neugierig geworden, mit wem er es wohl zu tun haben konnte, er witterte jetzt auch Gefahr und nahm die Verfolgung auf. Mit einem Satz war er zwischen den Felsen, die das kleine Plateau säumten, und hetzte geduckt auf nassem Geröll dahin.

Er stolperte und fiel, hatte sich aber schnell wieder aufgerappelt. Fluchend hastete er weiter.

Mit einemmal hatte er die mysteriöse Gestalt wieder vor sich, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Schlagartig tauchte sie wieder hinter mächtigen Steinquadern unter. Da nutzte es nichts, daß er seine Aufforderung wiederholte, der Wind trug seine Worte fort und zerstreute sie, mit seinem Heulen schien er sich über den jungen Mann lustig zu machen.

Dan beschloß, dem Fremden einen Warnschuß über den Kopf zu jagen, sobald dieser sich wieder zeigte. Im Sturm konnte das Krachen nur ein paar Yards weit zu hören sein. Dan wollte ein gewisses Risiko, weiter im Landesinneren vernommen zu werden, eingehen. Hauptsache, er konnte diesen rätselhaften Beobachter einschüchtern und stoppen.

Doch es kam anders.

Die Bewegung über seinem Kopf registrierte er etwas zu spät. Von einem der Quader schwebte die Gestalt plötzlich auf ihn nieder, und ehe er die Pistole auf sie richten konnte, hatte sie ihn erreicht, warf ihn mit ihrem Gewicht nieder und begrub ihn unter sich.

Sie lagen auf dem Gestein ineinander verkeilt und balgten sich. Dan hatte die Pistole aus der Hand verloren. Er hätte sich für seinen Leichtsinn und für seine Unachtsamkeit selbst ohrfeigen können.

Durch den Regen, der in sein Gesicht prasselte, konnte er erkennen, daß sein Gegner ein Junge war. Vielleicht war er ein oder zwei Jahre älter als Bill, der Moses. Seine Züge waren jedoch erheblich weicher als die von Bill, der im Laufe der Zeit schon ein richtig harter Seemann geworden war.

Was, und von so einem Milchgesicht läßt du dich unterkriegen? schoß es dem jungen O’Flynn durch den Kopf. Er fühlte es heiß in sich aufsteigen, seine Ohren schienen plötzlich zu glühen. Er war in seiner Ehre berührt – das ließ er nicht auf sich sitzen.

Mit einem Ruck befreite er sich, als der Knabe ihm gerade einen Fausthieb verpassen wollte. Dan setzte nach, packte zu und erwischte die Handgelenke des Gegners. Er warf die schlanke Gestalt von sich ab, richtete sich halb auf und preßte den Gegner mit dem Rücken gegen die nächste Felswand, ehe dieser noch irgend etwas unternehmen konnte.

„So, jetzt ist das Spiel aus“, sagte Dan grimmig. „Hast du dir eingebildet, du könntest mich niederschlagen? Da mußt du früher aufstehen, Freundchen.“

Der Junge musterte ihn aus großen, dunklen Augen. Angst flackerte in diesen ausdrucksvollen Pupillen auf.

„Ich verstehe nicht“, antwortete er auf portugiesisch.

„Richtig, in meiner Wut habe ich englisch gesprochen“, sagte Dan nun auf spanisch. Portugiesisch konnte er nicht, zwischen beiden Sprachen bestanden doch ganz erhebliche Unterschiede. Er fixierte sein Gegenüber. „Kapierst du jetzt, was ich sage?“

„Sir. Du bist – ein Inglés?“

„Ire“, behauptete Dan der Vorsicht halber. Er konnte nicht wissen, was sich aus dieser Begegnung noch ergab, bestimmt war es besser, sich von vornherein nicht als Feind zu erkennen zu geben. Irland, auch ein erbitterter Gegner Englands, unterhielt beste Beziehungen zu dem Vereinigten Königreich Spanien-Portugal.

„Ich habe Angst vor dir“, sagte der Jüngling mit erstaunlich heller Stimme. Er sprach jetzt ein nicht akzentfreies Spanisch.“

„Warum hast du mich angegriffen?“ wollte Dan wissen.

„Ich dachte, du würdest auf mich schießen.“

„Du hättest dich von Anfang an anders verhalten können“, erwiderte Dan. „Warum hast du mich bespitzelt? Warum bist du davongelaufen? Ich mußte ja mißtrauisch werden. Was hast du hier überhaupt verloren, noch dazu bei einem solchen Wetter?“

„Es ist Zufall, daß ich hier bin.“

Dan lächelte spöttisch. „Hör mal, das mußt du jemandem erzählen, der sich die Hose mit der Kneifzange anzieht. Junge, ich glaube, ich nehme dich mit auf unser Schiff. Da kannst du unserem Kapitän deine Lügen auftischen.“

„Ich bin kein Junge …“

Was dann? wollte Dan O’Flynn aufgebracht fragen, aber er verkniff es sich, denn plötzlich war es ja offensichtlich. Mit einemmal fiel ihm auf, daß sich die Brustpartie des „Knaben“ erstaunlich hervorwölbte und daß „der Portugiese“ erheblich mehr Haar unter seiner Mütze tragen mußte, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.

Sie standen sich im Regen gegenüber, zwei triefend nasse Gestalten, und ihre Blicke verfingen sich ineinander.

Dan räusperte sich, dann meinte er: „Das wird ja immer schöner. Was hat denn ein Mädchen in einer Sturmnacht wie dieser auf den Klippfelsen zu suchen?“

„Ich werde es dir sagen, ganz bestimmt.“

„Weißt du was? Du scheinst ein hübsch ausgekochter Satansbraten zu sein, Querida.“

„Ich heiße Segura.“

„Also schön, Segura. Mein Name ist Dan. Wollen wir jetzt mit offenen Karten spielen oder nicht?“

„Du bist kein Pirat?“ fragte sie zaghaft.

„Nein. Soll ich es dir schwören?“

„Nicht nötig“, erwiderte sie in kindlich wirkender Weise. „Laß mich jetzt meine Schwester rufen. Ich glaube, sie kommt um vor Angst.“

„Was? Deine Schwester?“

„Franca – sie hat sich zwischen den Felsen versteckt.“

„Meinetwegen“, sagte Dan O’Flynn, der plötzlich doch daran glaubte, zuviel von dem von Hasard spendierten Whisky in sich hineingegossen zu haben. „Ich hoffe, dein Schwesterlein schießt mich nicht über den Haufen und sticht mir auch kein Messer in den Leib“, fügte er hinzu.

Segura steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen grellen Pfiff aus. Keine halbe Minute verstrich, und eine noch zierlichere Gestalt löste sich aus der Dunkelheit und aus dem Grauschwarz der häßlichen Felsen.

Eine kindliche Schönheit, die Segura stark ähnelte, aber noch nicht ihre weiblichen Reize hatte. Franca trat neben ihre Schwester, richtete ihren feindseligen Blick auf den jungen Mann und hielt sich an Seguras Arm fest.

„Das wird ja immer besser“, stammelte Dan O’Flynn. Verdammt, warum stammelst du eigentlich? fragte er sich ärgerlich. Er leckte sich die Lippen, um das trockene Gefühl loszuwerden, das plötzlich in seinem Mund spürbar wurde. Er suchte nach Worten, aber Segura und Franca wichen jetzt einen Schritt zurück. Sie hatten sein hastiges Zungenspiel völlig falsch ausgelegt.

„Du gieriger Hund“, stieß die halbwüchsige Franca aus. „Bilde dir ja nicht ein, du könntest uns mißbrauchen. Zu zweit sind wir stark, verstanden?“

Sie sprach reines Protugiesisch, aber Dan hatte trotzdem keine Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Er holte tief Luft, fuhr sich mit der Hand übers Kinn und rief dann: „Ihr habt sie wohl nicht mehr alle! Glaubt ihr, ich sei derart heruntergekommen und verwildert, daß ich mich an – an zwei Bohnenstangen wie euch vergreife?“

Bohnenstangen, das Wort beleidigte die hübsche schwarzhaarige Segura zutiefst. Sie blickte zu Boden, während ihre kleine Schwester den Fremdling weiterhin zornig anfunkelte.

„Wie alt seid ihr eigentlich?“ erkundigte sich Dan.

„Dreizehn und siebzehn“, gab Franca zurück. „Aber das geht dich einen Dreck an.“

„Warum verrätst du es mir dann?“ Dans Mundwinkel zuckten amüsiert.

„Ich könnte mir auf die Zunge beißen, daß ich es getan habe“, zischte die kleine Amazone. „Aber mehr erfährst du nicht, du Hundesohn. Komm her und kämpfe, wenn du Mut hast. Wir verteidigen unsere Ehre, nicht wahr, Segura, unsere Ehre …“

„Hör auf“, sagte Segura.

Dan wollte energisch werden, aber in diesem Moment ertönte hinter ihm Matt Davies’ Stimme.

„Dan, wo steckst du Himmelhund denn bloß? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Hölle und Teufel, wie kannst du so ganz allein durch den Sturm krauchen und dich so weit von unserem Stützpunkt entfernen? Weißt du, was ich glaube, Dan O’Flynn?“

Dan drehte sich um und sagte: „Sag’s mir, Matt.“

Matt Davies blieb wie vom Donner gerührt zwischen zwei Felsblöcken stehen. Er hatte jetzt die Sicht frei auf Dan und die beiden Mädchen. „Ich, äh – ich bin der Meinung, du hast zuviel Whisky gesoffen“, stieß er verblüfft hervor.

„Ja, ich fühle mich auch so richtig betrunken, Matt.“

„Das da – ist das eine Hallu … eine Hallu …“

„Nein, es ist keine Halluzination“, entgegnete Dan. Er sah sich wieder zu den Mädchen um und stellte fest, daß Segura sich jetzt ihrer Mütze entledigt hatte – trotz des Regens. Langes schwarzes Haar fiel in lockiger Pracht auf ihre Schultern hinab.

„Ich verstehe nicht, was ihr auf englisch redet“, sagte sie mit verkniffener Miene. „Aber ich bin bereit, dir zu zeigen, was die ‚Bohnenstange‘ zu bieten hat, Fremder. Ich lasse mich von dir nicht beleidigen.“

„Allmächtiger“, stotterte Matt, der wie jeder Seewolf des Spanischen mächtig war. „Himmel, nein, bei allem, äh – Wohlwollen, laß deine Bluse auf dem Leib, Senorita.“

„Also, das wird ja immer verzwickter“, sagte Dan. „Segura und Franca, wollt ihr jetzt endlich mit der Wahrheit rausrücken, was ihr hier tut, oder müssen wir tatsächlich zu drastischeren Mitteln greifen?“

Segura sah zu Matt. „Ihr seid keine Piraten, Ire?“

Matt schaute Dan an, verstand dessen Zeichen und schüttelte den Kopf. „Kauffahrer aus Dublin, die zwar dem Teufel ein Ohr absegeln, sonst aber nichts Arges tun.“

„Bringt uns zu eurem Kapitän“, sagte das Mädchen.

Alvaro Monforte hatte wieder das Bewußtsein verloren. Innerlich hatte er mit seinem Dasein abgeschlossen, als er sich der neuen Situation bewußt wurde, in der er sich befand.

Die Nässe umgab ihn, hüllte ihn ein, ließ ihn zittern. Irgendwo weiter unten war das Donnergrollen der Brandung. Als der Kapitän den Kopf hob und Augen und Mund öffnete, stob Gischt in seinen Mund. Er spuckte aus, schüttelte sich, klammerte sich dann aber entsetzt fest, weil er abzurutschen drohte.

Verzweifelt schaute er sich um.

Er lag bäuchlings auf einem gewaltigen Felsen, einem Brocken mitten in der Sturmbrandung unweit des eigentlichen Ufers. Mächtig und drohend ragten die Klippen in die Nacht auf. Sie waren stumme Riesen, die sich jeden Augenblick auf den Schiffbrüchigen stürzen konnten.

Trugbilder gaukelten an Monfortes geistigem Auge vorbei. Sie zehrten an den Nerven des zerschundenen Mannes und ließen ihn aufstöhnen. Aber dann besann er sich darauf, daß er der Capitán eines portugiesischen Kriegsschiffes war, ein Mann der Armada, ein Seemann ohne Furcht und Tadel – solange er noch lebte, konnte ihn nichts in die Knie zwingen.

Der Balken seines zerstörten Schiffes war fort, er konnte sich an nichts mehr festklammern. Wo Reto, der erste Offizier, steckte, wußte Monforte nicht, er wagte nicht, über das Schicksal des Mannes weiter nachzudenken.

Wie ein Wunder mutete es an, daß der gewaltige Brecher Monforte auf den Felsen gespült hatte, ohne ihm sämtliche Knochen im Leib zu brechen und seinem Leben ein Ende zu bereiten. Nein, er sollte noch nicht sterben. Seine Stunde war noch nicht gekommen.

Mit dieser Erkenntnis vollzog Monforte seine nächsten Handlungen. Die Gewißheit, ein Wunder erfahren zu haben, verlieh ihm Kraft und seelischen Auftrieb.

Er wagte es, sich von dem Felsen ins Wasser gleiten zu lassen, und brachte es fertig, die restliche Distanz zum Ufer durch Schwimmen zu überbrücken. Er blieb auf grobem grauen Kies liegen und atmete heftig. Wogen leckten über seinen Rükken, umspülten seinen ganzen Körper und schienen ihn noch jetzt ertränken zu wollen.

Endlich richtete Monforte sich wieder auf. Er taumelte in Gischt und Schaum an den steil aufragenden Klippfelsen entlang und suchte nach einem Einstieg, nach einem Weg ins Landesinnere. Immer wieder blickte er auch zudem Platz, an dem sich seiner Überzeugung nach das Riff befinden mußte. Aber er konnte weder die tückische Felsenbarriere noch die Reste seiner Galeone entdecken.

Er verharrte, als er eine Männerstimme hörte.

„Capitán!“

„Reto!“ stieß Monforte aus. „Heilige Mutter Gottes, er lebt …“

„Capitán, hierher!“

Alvaro Monforte strebte auf den Klang der Stimme zu. Er fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und stieß ein trockenes Schluchzen aus, bevor er den ersten Offizier der „Sao Sirio“ erreichte. So fühlte er sich freier, etwas von der Tonnenlast, die auf seinen Schultern und auf seinem Gemüt zu liegen schien, löste sich auf.

Die Gestalt des Ersten schälte sich jetzt aus der Dunkelheit. Mitten im Fels stand Reto, und erst beim Näherkommen stellte der Kapitän fest, daß der Mann in eine Art Bresche getreten war, die in das zerklüftete Gestein hinaufführte.

„Zu Ihren Diensten, Kapitän“, sagte Reto. „Bei mir sind noch drei Männer, die etwas weiter oben auf dem Pfad stehen.“

Monforte blieb dicht vor ihm stehen. „Dios – wir können also noch hoffen. Vielleicht – vielleicht haben sich alle retten können. Ich meine, die – die noch lebten, als wir über Bord gingen.“

„Begraben Sie diese Hoffnung, Kapitän“, sagte der Erste.

„Wir sind die einzigen Überlebenden“, fügte der hinter ihm stehende Mann hinzu. Er war ein einfacher Soldado, der, um nicht in die Tiefe der See gezogen zu werden, seinen Eisenhelm und seinen Brustpanzer aufgegeben hatte. Noch bevor er das auseinanderbrechende Schiff verlassen hatte, hatte er sich dieser schweren Teile seiner Montur entledigt, und nur so war er dem schrecklichen Schicksal entgangen, das seine Kameraden getroffen hatte.

Etwas weiter oben in der Felsenpassage befanden sich die anderen beiden Männer der Galeone. Einer von ihnen stieg jetzt zwei, drei Schritte nach unten in die unmittelbare Nähe des Ersten und des Soldados. Monforte erkannte das Gesicht des Decksältesten der „Sao Sirio“. Der vierte Überlebende des Unglücks war einer der einfachen Decksleute, wie der Kapitän nun ebenfalls feststellte.

„Senor“, sagte der Decksälteste. „Wir haben wie die Besessenen gesucht, als wir hier ans Ufer gespült worden sind. Aber wir haben nur angetriebene Leichen gefunden. Die Leichen unserer Kameraden. Es werden immer mehr, Senor, nach und nach finden sie sich an dieser elenden Küste ein. Alle.“

Alvaro Monforte geriet ins Wanken. Sein verwirrter Geist hatte sich den erschütternden Tatsachen verschlossen, aber jetzt traf ihn die Wahrheit mit unnachgiebiger Härte.

Alle waren sie tot – bis auf fünf Mann. Mehr als zwei Dutzend Mann stark war die Besatzung der „Sao Sirio“ gewesen. Über zwanzig Männer hatten ihr Leben in den Fluten gelassen.

Über zwanzig!

Monfortes Hände ballten sich zu Fäusten. Er stand vor den kalten, nassen Felsen und schlug plötzlich auf sie ein. Er hielt inne, preßte die flachen Hände gegen das Gestein und traf Anstalten, in seiner ohnmächtigen Verzweiflung und Hilflosigkeit die Stirn dagegenzurammen.

Reto erkannte das Vorhaben seines Kapitäns. Er stellte sich hinter ihn und hielt ihn an den Schultern fest.

„Capitán“, sagte er eindringlich. „Was nutzt es, wenn Sie sich selbst umbringen? Wem bringt das etwas ein?“

„Niemandem“, sagte der Decksälteste, dessen etwas komplizierter Name Tarquinho lautete. „Seien Sie vernünftig, Capitán. Wir vier wissen, daß Sie keinerlei Schuld tragen an dem, was geschehen ist. Sie haben Ihr Bestes getan, um uns vor dem bitteren Ende zu bewahren.“

Monforte stand eine Weile wie gelähmt da, dann ließ er endlich von dem Felsen ab. Sein Blick war fest, als er die letzten Männer seiner Besatzung der Reihe nach ansah.

„Sie haben Recht“, erwiderte er langsam. „Und ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie trotz allem noch zu mir halten. Ich sehe das durchaus nicht als selbstverständlich an. Meuterer hätten aus Ihnen werden können, Deserteuere der spanisch-portugiesisichen Marine – und doch bleiben Sie der Krone treu. Ich danke Ihnen.“ Er drehte sich um und blickte auf die See hinaus. Regen und Sturmwind fuhren heftig in sein hartes Gesicht, aber er kümmerte sich nicht darum.

„Eines schwöre ich“, sagte Monforte. „Wenn wir je wieder mit dem Kommandanten Lucio do Velho zusammentreffen, ziehe ich ihn für sein unverantwortlidhes Verhalten zur Rechenschaft. Wahrscheinlich werde ich mich der Insubordination schuldig machen, aber das nehme ich in Kauf. Hundertmal. Im Gedenken an die toten Männer der ‚Sao Sirio‘.“

„Und wir schwören, daß wir Ihnen dabei beistehen, Capitán“, entgegnete Reto, der Erste Offizier. „Koste es, was es wolle.“

„Koste es, was es wolle“, murmelten die anderen drei im Chor.

„Laßt uns die Toten bestatten“, sagte Monforte.

Tarquinho antwortete: „Wir haben es bereits versucht, aber es gibt an diesem Ufer nicht genug Steine, um die Leichen ausreichend zu beschweren. Wir finden hier nur große Brokken und den Kies, aus dem die Leichname aber wieder freigeschwemmt werden, wenn wir sie darin eingraben. In der See können wir unsere toten Kameraden auch nicht beisetzen, nicht bei diesem Wetter, nicht ohne ein Boot.“

„Wir würden selbst dabei draufgehen“, fügte Reto hinzu. „Capitán, es gibt hier vorläufig nichts mehr für uns zu tun.“

Monforte, der um Jahre gealtert wirkte, nickte langsam. „Das sehe ich ein. Verlassen wir jetzt diesen Ort und sehen wir zu, daß wir irgendwo einen trokkenen Platz zum Verweilen finden. Morgen, so hoffe ich, läßt der Sturm nach. Dann werden wir unsere Toten mit allen seemännischen Ehren bestatten. Anschließend werden wir versuchen, in die nächste größere Ortschaft zu gelangen und von dort aus eine Depesche nach Lissabon weiterzuleiten, in der wir der Admiralität von unserem Unglück berichten.“

„Vielleicht finden wir auch ein Schiff oder wenigstens eine Schaluppe, mit der wir heimwärts segeln können“, meinte Tarquinho.

„Möglich auch, daß der Comandante im Abklingen des Sturmes umzukehren versucht und nach uns fahndet“, sagte der Soldat.

Monforte musterte ihn. „Ich glaube nicht daran, aber ich würde dem Senor do Velho einen gebührenden Empfang bereiten, das versichere ich dir, Soldado.“

Er schritt an den Männern vorbei und übernahm die Führung der Gruppe. Vorsichtig klomm er in der mit Geröll gefüllten Felsspalte nach oben. Reto, Tarquinho, der Soldat und der Decksmann folgten ihm schweigend. Ihr Respekt vor dem Kapitän war größer denn je. Sie wußten, daß er es mit seinen Ankündigungen ernst meinte. Sich jedoch offen gegen einen do Velho aufzulehnen, bedeutete nicht nur ein jähes Ende der Karriere von Alvaro Monforte, es war auch mit Meuterei gleichzusetzen. Und darauf stand das Todesurteil. Lucio do Velho würde nicht zögern, für den Kapitän die Höchststrafe zu fordern, die die militärischen Gesetze vorsahen.

Monforte war also bereit, sich für seine Männer zu opfern. Er fühlte sich mit ihnen verbunden und hatte sie nie als die „Chusma“, das gemeine, primitive Schiffsvolk, betrachtet, sondern die gesamte Besatzung menschlich behandelt – ohne dabei jedoch an Autorität zu verlieren. Sogar zwischen Soldaten und Seeleuten hatte es unter Monforte eine größere Verständigung gegeben als auf anderen spanischen oder portugiesischen Seglern. Monforte, der alles andere als ein sturer Vorgesetzter war, war in diesem Punkt seiner Zeit voraus.

Seine vier Begleiter empfanden Hochachtung für ihn. Ohne große Absprache waren sie sich einig, daß sie für ihren Kapitän durchs Feuer gehen würden, falls das nötig war.

Der Aufstieg endete hinter einem Durchlaß, der so schmal war, daß sich der breit gebaute Tarquinho nur mit Mühe hindurchzwängen konnte. Dann aber standen die fünf Männer auf der Höhe der Klippfelsen und schauten sich um.

„Wir wandern landeinwärts“, entschied Monforte. „Nach Osten scheint das Felsland etwas abzufallen, und wahrscheinlich gibt es dort auch Vegetation. Wenn wir schon kein Dorf und keine Hütte finden, in der wir bis morgen früh unterkriechen können, können wir uns doch wenigstens im Wald ein einfaches Lager herrichten.“

Die bis auf die Haut durchnäßten Männer strebten weiter voran. Sie erreichten schon nach wenigen Minuten die ersten geduckten Pinien, die am Fuß des Hanges wuchsen, den sie nun hinter sich gebracht hatten. Von diesen knorrigen Nadelbäumen aus sah Reto als erster das Licht, das nordöstlich versetzt in der Dunkelheit schimmerte.

„Capitán“ sagte er. „Sehen Sie doch. Sollten wir nicht doch lieber unsere Marschrichtung ändern?“

„Einverstanden“, erwiderte Monforte kurz entschlossen.

Seewölfe Paket 8

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