Читать книгу Seewölfe Paket 8 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 28
6.
ОглавлениеReto, der Erste, schlief zuerst ein. Er hatte sich an den Tisch gesetzt und von dem Brot und dem Schinken gekostet. Mit der berückend schönen Josea hatte er noch ein Gespräch beginnen wollen, aber dann waren ihm die Augen zugefallen. Er ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken, legte die Arme auf und begann sanft zu schnarchen.
„Es war zuviel für ihn“, sagte Traquinho. „Er hätte nicht soviel Wein trinken sollen.“
„Ja, das ist ein süffiger Tropfen“, sagte Pinho Brancate lächelnd. „Wir bauen selbst keinen Wein an, weil er am Meer nicht gedeiht, aber weiter im Landesinnern habe ich einen guten Companhero, der mir jedes Jahr einige Fässer davon für wenig Geld verkauft.“
„Ehrlich gesagt, ich bin auch sehr müde“, sagte Tulio, der Soldat. „Auf dein Angebot, bis zum Morgen in einem eurer Gästezimmer auszuruhen, würde ich jetzt nicht verzichten, Brancate.“
Josefe, der Decksmann, gähnte hinter der vorgehaltenen Hand. „Gleichfalls. Himmel, ich fühle mich so schwer, als hätte ich Blei in den Gliedern.“
„Senor Capitán“, sagte Tarquinho, dem jetzt auch die Augen zufielen. „Dürfen wir uns ein paar Stunden hinlegen, oder ist es vermessen, darum zu bitten?“
Alvaro Monforte schaute auf. Der Wein, die Wärme des Kaminfeuers – Herrgott, ihm war der Kopf auch schon halb nach vorn gesunken, und er hatte schon gar nicht mehr richtig verstanden, was gesprochen worden war. Ein wirrer Traum hatte in seinem Geist Gestalt angenommen. Jäh verblaßte jedoch das Produkt seiner bewegten Phantasie, er blinzelte seinen Decksältesten an. „Tarquinho, wir fünf haben den Schlaf bitter nötig, nehme ich an.“
Pinho Brancate stand auf und winkte seinen Söhnen und den Frauen zu. „Los, bewegt euch. Josea, richte die Zimmer her. Emilia, zünde die Öllampen im Obergeschoß an, damit unsere Freunde sich nicht die Köpfe stoßen. Senores, wir haben eine wunderschöne Kammer mit vier Betten und eine mit einem Bett – ich schlage vor, Sie schlafen separat, wie es Ihrem Dienstgrad zusteht, Capitán.“
„Einverstanden“, sagte Monforte mit schwerer Zunge. „Tarquinho und Josefe, ihr kümmert euch um den Ersten.“
„Das erledigen wir schon“, sagte nun Charutao und schritt mit seinem Bruder auf den schlafenden Ersten zu. Sie packten ihn unter den Armen, zogen ihn von seinem Platz hoch und hoben ihn offenbar mühelos so weit an, daß seine Füße den Holzfußboden nicht mehr berührten.
Josea hatte eine Tür geöffnet und war vorausgeeilt. Emilia folgte ihr über die Stufen der Treppe ins Obergeschoß. Sie entfachte mittels eines glimmenden Dochtes die Öllampen, die in eisernen Halterungen an den Wänden des oberen Flures angebracht waren.
Den Schluß der Prozession bildeten die Männer. Charutao und Iporá schritten hinter ihrem Vater, dem Kapitän, Tarquinho, Tulio und Josefe. Geschickt hoben sie die Beine des tief schlafenden ersten Offiziers über jede Stufe. Sie konnten sich ein Grinsen jetzt nicht mehr verkneifen.
Vom Flur des Obergeschosses führten vier oder fünf Türen in dahinter befindliche Räume, soviel stellte der Kapitän Monforte in seinem tranceartigen Zustand noch fest. In einem rechts liegenden Raum war das schöne junge Mädchen verschwunden. Emilia schlüpfte jetzt ebenfalls hinein. Wenig später konnten die Männer eintreten. Sie befanden sich in dem Vier-Betten-Raum. Emilia und ihre Tochter hatten durch eine Verbindungstür bereits das nächste Zimmer aufgesucht, das für Monforte bestimmt war.
Charutao und Iporá betteten Reto mit größter Behutsamkeit auf eins der Grasmatratzenlager. Tarquinho, Tulio und Josefe konnten nun auch nicht länger widerstehen, sie sanken jeder auf eine Ruhestatt.
Alvaro Monforte wankte auf die Verbindungstür zu. Er glaubte, jeden Augenblick in den Knien einzusakken. Pinho Brancate war neben ihm, stützte ihn und redete auf ihn ein. Monforte verstand nicht mehr, was der Mann sagte. Er entfloh in seine Traumwelt, diesmal endgültig.
Charutao und Iporá sahen ihrem Vater und dem Kapitän nach, dann blickten sie auf die vier Männer der „Sao Sirio“ hinunter.
„Sie schlafen“, sagte Charutao. „Diese Narren.“
„Still“, zischte Iporá Er trat neben die Betten, beugte sich über jeden Mann und hob prüfend die Augenlider an. Erst dann nickte er bestätigend. „In Ordnung, sie schlummern wirklich fest.“
Charutao verzog den Mund zu einem hämischen Grinsen. „Hör mal, glaubst du denn, das Gebräu der Abuela verfehlt seine Wirkung? Mutter hat doch genug davon in den Wein gekippt.“
„Aber die Abuela will kein Schlafmittel mehr zubereiten.“
„Vater zwingt sie dazu.“
„Du glaubst, sie könnte eines Tages einen Trick versuchen und statt des Kräuterelixiers eine harmlose Brühe kochen, von dem kein Kind einschläft?“
„Das wagt sie nicht“, sagte Charutao. Er tat einen Schritt auf den Ersten zu, griff an den Gurt und zückte einen Dolch, den er unter dem Hemd versteckt in den Hosenbund geschoben hatte. „Ich schätze, der Capitán, dieser verdammte Trottel, pennt inzwischen auch selig. Besorgen wir es diesen Hunden also. Je eher wir es erledigt haben, desto besser.“
Iporá stürzte auf ihn und griff nach seinen Handgelenken. „Bist du wahnsinnig? Du weißt doch, daß wir hier im Haus niemanden umbringen sollen. Wenn Josea das sieht …“
„Josea, Segura, Franca werden sich daran gewöhnen. Eines Tages müssen sie ja doch die Wahrheit erfahren. Warum sollen wir uns solange mit diesen fünf Figuren aufhalten? Zu holen gibt es bei ihnen ja doch nichts, zum Teufel. Nur ihre Waffen können wir in bare Münze umsetzen. Ein Hungerlohn.“
„Sei still“, sagte Iporá gedämpft. „Denk doch daran, daß wir die Kanonen ihres Schiffes bergen und verscherbeln können. Das bringt uns etwas ein.“
„Der Aufwand lohnt nicht. Einmal haben wir Schiffsgeschütze vom Grund des Riffs heraufgeholt, aber das war eine wahnsinnige Arbeit, und das Entgelt dafür war spärlich. Hast du das vergessen?“
„Nein“, antwortete ihm eine Stimme von der Verbindungstür zwischen den beiden Kammern her. Pinho Brancate war zu ihnen zurückgekehrt. Er blickte seinen ältesten Sohn so drohend an, daß dieser den Dolch sofort in den Hosenbund zurückschob.
Der bärtige Riese trat dicht vor seine Söhne hin. „Du hast Recht, Charutao“, raunte er. „Aber deswegen dürfen wir diese fünf Dummköpfe noch lange nicht ermorden. Laß dir so was nie wieder einfallen, verstanden? Oder du nimmst ein Bad im Brunnen.“
Charutao war bleich geworden. „Jawohl, Padre. Nur – was geschieht jetzt mit den Kerlen?“
„Ein Mißgeschick wird ihnen widerfahren. Sie treten zu nah an den Rand der Klippen und stürzen ab. Sie brechen sich den Hals, die Ebbe trägt sie in die See hinaus, und kein Hahn kräht mehr nach ihnen. Wer aufs Riff läuft, ersäuft, das ist doch klar. Ich glaube, der Handkorb von Monfortes Degen ist aus Silber. Dafür kriegen wir doch ein hübsches Sümmchen, und wieder halten wir uns für eine Weile über Wasser.“
„Über Wasser“, zischte Charutao. „Aber das große Geld verdienen wir nie, Padre.“
Pinho Brancates dunkle Augen begannen gefährlich zu glimmen. „Unzufrieden, Söhnchen?“
„Ich – nein, Padre.“
„Dann schweig. Wer aufsässig wird und das Maul zu weit aufreißt, erhält von mir eine Lektion, merk dir das.“
Er wollte weiterreden, den Zeitpunkt für die „Aktion Klippfelsen“, festlegen und Einzelheiten mit seinen Söhnen durchsprechen, da ertönte aus dem Erdgeschoß des Hauses anhaltendes, dumpfes Klopfen.
„Das ist die Abuela“, stieß der Bärtige aus. „Zum Teufel mit ihr. Sie ahnt natürlich, daß wir dabei sind, diese fünf traurigen Gestalten auszuplündern und zu beseitigen. Wartet hier, ich beruhige sie schon.“
Er verließ den Raum mit den vier Betten, hastete den Flur entlang und nahm die Treppe mit ein paar Sätzen. Unten angelangt, schob er den Riegel vor der Kammer seiner Mutter zurück und öffnete die Tür. Er schob sich in den Raum, ehe sie sich in das Kaminzimmer zwängen und womöglich nach oben laufen konnte.
Aus haßlodernden Augen blickte die alte Frau ihren Sohn an. Sie wollte mit den Fäusten gegen seine Brust trommeln, aber er hielt sie fest und drängte sie mit sanfter Gewalt tiefer in den Raum.
„Madre, Madre“, sagte er. „Was ist denn nur in dich gefahren?“
„Das weißt du!“
„Abuelita, ich schwöre dir …“
„Schwöre nicht! Versündige dich nicht! Ihr habt sie umgebracht, habt sie erstochen, nicht wahr?“
„Aber, aber“, sagte er mit erzwungenem Lachen. „Wer wird denn so etwas tun?“
„Lüg mich nicht an!“ schrie sie.
„Hör zu, ich habe wirklich keine Ahnung, wovon du sprichst.“
Sie senkte den Kopf und versuchte sich zu befreien. Sie trampelte auf der Stelle, aber es hatte alles keinen Zweck. Sie war ein schwaches, gebrechliches Etwas im Klammergriff des Riesen, dessen Geburtstag sie mehr als einmal verflucht hatte.
Sie beruhigte sich. „Du willst allen erzählen, ich sei nicht mehr ganz richtig im Kopf“, zischelte sie. „Aber nicht alle werden es glauben, nicht alle, hörst du? Ich bin nicht verrückt, ich bin ganz normal.“
„Aber sicher doch, Abuelita“, erwiderte er freundlich. „Sonst könntest du uns den Trank doch gar nicht mehr richtig zusammenbrauen.“
„Ich braue nichts mehr, darauf kannst du dich verlassen“, zürnte sie.
Pinho Brancate wurde stockernst. „Ich versichere dir, daß die bei uns Einkehrenden, die wir um ihre Habseligkeiten erleichtern, nicht schlecht von uns behandelt werden. Wir schleppen sie nur fort und setzen sie irgendwo aus. Wenn sie aufwachen, wissen sie nicht mehr, wo sie gewesen sind und was passiert ist. Zufrieden, Madre? Sieh mich nicht so strafend an. Ich bin doch dein treusorgender Sohn, der sich bislang aufopfernd um dich gekümmert hat.“ Er beugte sich leicht vor und fuhr leise und eindringlich fort: „Und wenn du jetzt noch länger tobst und dich nicht endlich brav verhältst, mache ich meine alte Drohung wahr.“
Ihre Augen weiteten sich. „Du Schuft! Das – das würdest du tun?“
„Ich setze dich in das kleine Boot, das in unserem Keller liegt, und schicke dich aufs Meer hinaus, jawohl. Dann holen dich die bösen Seedämonen und Wassergeister, und du kehrst nie mehr zu uns zurück.“
Er ließ sie los. Sie setzte sich auf ihren Stuhl und barg das Gesicht in den Händen.
Im Freien näherten sich plötzlich Schritte. Pinho Brancate trat neben das engbrüstige Fenster im Zimmer seiner Mutter, lehnte sich mit der Schulter gegen das Mauerwerk und spähte hinaus.
Gestalten näherten sich dem Haus – Männer. Der bärtige Riese zuckte kaum merklich zusammen. Angestrengt blickte er zu den Fremden, die genau auf die Eingangstür zusteuerten. Wer waren diese fünf Kerle? Woher stammten sie und was wollten sie?
Seine Züge glätteten sich erst wieder, als er im Gefolge der fünf Unbekannten seine zwei Töchter erkannte. Segura und Franca – sie hatten die Männer also gebracht!“
„Ein Schiff“, murmelte Brancate. „In der geschützten Bucht muß ein Schiff liegen, seine Besatzung hat sich auf diese Weise vor dem Sturm gerettet. Vielleicht schickt der Himmel uns diesen Kahn, vielleicht gibt es dort mehr zu holen als bei den Männern der ‚Sao Sirio‘.“
Er wandte sich vom Fenster ab, pirschte auf Zehenspitzen durch den Raum und glitt durch den Türspalt wieder in das Kaminzimmer. Die Tür riegelte er zu, dann lief er zur Treppe, hetzte die ersten Stufen hoch und rief: „Emilia! Zur Hölle, Emilia, wo steckst du denn bloß wieder?“
Schritte polterten von oben heran, das Gesicht seiner Frau schob sich über das Treppengeländer. „Was ist? Was willst du?“
„Fesselt und knebelt die fünf Männer, wir können sie jetzt nicht fortschaffen. Sperrt die Kammertüren zu, damit keiner hinein kann“, raunte der bärtige Mann ihr zu. „Es sind neue ‚Kunden‘ im Anmarsch, meine Liebe, und wir wollen sie gebührend empfangen und darauf achten, daß sie Monforte und seine Leute nicht entdecken.“
„Gut, ich kümmere mich darum“, sagte Emilia. Sie hastete zu den Schlafzimmern zurück und rieb sich zufrieden die Hände.