Читать книгу Seewölfe Paket 8 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 30
8.
ОглавлениеEs stimmte: Vom Obergeschoß des Hauses führte eine kurze Stiege bis unter das Dach, und dort baumelten von dicken Balken die Schinken und Würste, von denen Pinho Brancate so schwärmerisch gesprochen hatte. Hasard kletterte hinter Josea die Sprossen der Stiege hinauf und hatte Gelegenheit, ihre schwingenden Hüften zu bewundern. Er hätte einigermaßen beruhigt sein können, als sie jetzt auf dem Dachboden-Speicher verharrte und im Schein eines Talglichtes, das das Mädchen hielt, zu der Pracht schauten, die da aufgehängt worden war. Aber er wurde das dumpfe Gefühl nicht los, daß man sie überwältigen wollte.
„Suchen Sie sich den schönsten aus“, sagte Josea, als sie auf die Schinken zutraten. „Mein Vater will, daß Sie aufs beste bedient werden.“
„Und Sie, Senorita?“
Ihr Blick traf seine eisblauen Augen. Ihre Züge waren weich, unbeschreiblich weich und ebenmäßig – und voller Verheißung. „Ich tue, was der Padre sagt.“
„Dann beraten Sie mich.“
„Man muß ein Geschenk kosten, um zu wissen, wie es schmeckt“, erwiderte sie leise. „Ist Ihnen das nicht bekannt – Capitán?“
„Ich heiße Philip mit Vornamen.“
Sie blieb dicht vor ihm stehen und wandte sich ganz zu ihm um. „Vater würde mich schlagen, wenn er wüßte, daß Sie Josea zu mir sagen.“
„Noch habe ich es nicht getan.“
„Sind alle Iren so – so zurückhaltend?“
Verdammte Koketterie, dachte Hasard, raffiniertes Biest, aber ich lasse mich von dir nicht einwickeln.
„Iren sind Hitzköpfe voller Temperament“, antwortete er verhalten. „Hat dir noch keiner gesagt, daß sie den Portugiesen ähneln, Josea?“
„Nein. Von dir könnte ich viel lernen, oder?“
„Das kommt ganz darauf an.“
„Du bist ein kluger Mann, Philip.“ Sie legte ihm die Hände auf die Schultern. „Es spricht aus deinen Worten, aus deiner Art, dich zu bewegen, daß du weit herumgereist bist und viele Erfahrungen gesammelt hast.‘“
„Ein Narr wird höchst selten Schiffskapitän.“
„Ich mag kluge Männer, und wenn sie zudem noch so gut aussehen wie du, verliere ich den Verstand“, wisperte sie. Sie schloß die Augen. Ihre Hände schoben sich um seine Schultern herum, glitten tiefer, ihr Mund näherte sich seinen Lippen. Stille umgab sie. Man konnte nicht hören, was unten im Haus gesprochen und getan wurde. Sie schienen sich jetzt in einer völlig anderen Welt zu befinden. Hasard erwiderte den Kuß des Mädchens. Weich, warm und verlangend waren diese Lippen – und für einen Augenblick ließ er sich doch von ihren Reizen und Liebkosungen gefangennehmen.
Die Rechnung für seine Leichtfertigkeit kriegte er sofort präsentiert.
Joseas rechte Hand fuhr an seinen Gurt. Sie tat aber nicht, was die meisten Mädchen in dieser Situation nun zweifellos getan hätten – sie verhielt sich völlig anders. Plötzlich hatte sie seine doppelläufige Reiterpistole gezückt, entschlüpfte seiner Umarmung und wich zwei Schritte zurück.
O ja, sie konnte mit der Waffe umgehen. Schnell spannte sie beide Hähne des Radschlosses und zielte auf Hasards Brust.
„Philip Drummond“, zischte sie. „Zwinge mich nicht, auf dich zu schießen. Glaub mir, ich tue es, falls du Widerstand leistest.“
Der Seewolf hatte sich in der Gewalt. Hatte er nicht die ganze Zeit über fest damit gerechnet, daß die Brancates hinter dem Mantel der Herzensgüte und Hilfsbereitschaft ganz bestimmte Absichten verbargen? War dies nicht endlich der Beweis dafür? Die Schleier der Scheinheiligkeit waren gefallen, aber trotzdem erschütterte es ihn, daß ein Mädchen wie Josea an diesem Komplott teilnahm. Er mußte doch um seine Fassung kämpfen.
„Wenn das deine persönliche Art zu scherzen ist, dann hör sofort damit auf“, sagte er leise. „Gib die Pistole her.“
„Nein. Wir gehen jetzt zu Segura und Franca. Sie werden dich fesseln und knebeln, und ich rate dir, nicht zu schreien, um deine Leute zu warnen. Ich will dich nicht töten, aber in dem Fall wäre ich dazu gezwungen, wie gesagt.“
„So ist das also.“ Hasard lächelte hart. „Ich hatte also wirklich recht mit meinen Ahnungen.“
„Versuche nicht, mich zu überlisten“, wisperte sie drohend. „Gehen wir jetzt. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
„Drei hübsche Mädchen, eins davon noch ein Kind, spielen die Lockvögel“, sagte der Seewolf unbeirrt. „Das habt ihr euch fein ausgedacht. Normalerweise gebt ihr den Gästen, die ihr ausplündern wollt, wohl von eurem Wein zu trinken, nicht wahr? Nur, damit habe ich insgeheim gerechnet …“
„Womit?“
„Daß ein Schlafmittel darin ist. Als ich vor einigen Jahren von einer Preßgang an Bord eines Schiffes verschleppt wurde, hatte man vorher auch versucht, mir einen Schlaftrunk einzutrichtern. Es klingt absurd, aber in gewisser Weise kann man von Nathaniel Plymson, diesem Schlitzohr, doch auch was lernen. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer, Josea. Mein Profos ist leider darauf hereingefallen und schlummert nun selig. Warum gebt ihr euren ‚lieben Freunden‘, die euch besuchen, nicht gleich Gift zu trinken?“
„Schweig“, raunte sie mit wütend verzerrter Miene. „Wir sind keine Mörder. Die Abuela bereitet den Schlaftrunk zu, wir betäuben die Leute, denen wir etwas von ihrem Besitz abnehmen, und setzen sie später einige Meilen von hier entfernt aus, damit sie nie zurückfinden.“
„Wer das glaubt, wird selig.“
Josea rückte unwillkürlich näher auf ihn zu. „Nie würde ich einen Menschen umbringen, nie, hörst du?“ sagte sie leidenschaftlich. „Und das gleiche gilt für meine Eltern, Schwestern und Brüder. Im übrigen handeln wir aus Notwendigkeit, wenn wir hin und wieder jemanden um sein Hab und Gut erleichtern. Wir wollen nie wieder Hunger leiden, nie wieder. Du weißt nicht, wie grausam das ist.“
„Jeder rechtfertigt sich auf seine Weise“, erwiderte er so ruhig wie möglich. „Aber der wirkliche Schurke ist euer Vater, der euch zu Dieben und Strandräubern erzogen hat.“
„Schweig!“
„Woher willst du eigentlich wissen, daß es bei uns etwas zu holen gibt?“
„Segura und Franca haben uns bei Tisch Zeichen gegeben. Wir haben eine geheime Gestensprache.“
„Ziemlich ausgekocht.“
„An Bord eures Schiffes müssen Segura und Franca Wertvolles gesehen haben. Gold, Silber und Juwelen.“
„In meiner Kammer. Dachte ich es mir doch, daß sie diese Entdeckung so schnell wie möglich weiterverraten würden.“
„Ich wette, daß ihr kein Getreide befördert, Capitán“, flüsterte sie. „Ihr habt etwas ganz anderes an Bord.“
„Und wenn es so wäre?“
„Wir werden eure Kameraden dazu zwingen, uns das Schiff zu überlassen. Sie werden es nicht wagen, das Leben ihres Kapitäns und vier seiner besten Seeleute aufs Spiel zu setzen. Während sie sich in den Beibooten aus der Bucht entfernen, werden wir die Galeone von oben bis unten durchsuchen und uns nehmen, was uns gefällt. Später könnt ihr euer Schiff wiederhaben, aber dich, Philip, und deine vier Kameraden lassen wir natürlich an einem anderen Platz wieder frei …“
Es war weniger der Gedanke an den Schatz in den Frachträumen der „Isabella“, der Hasard zum Handeln trieb. Vielmehr bangte er um das Leben seiner Männer, denn Josea konnte ihm viel über ihre „Diebesehre“ erzählen, er glaubte einfach nicht daran, daß Pinho, Charutao und Iporá Ben Brighton, Ferris Tucker, Shane und den Profos mit Samthandschuhen anfaßten.
Unvermittelt tat er einen Schritt auf das Mädchen zu. Ehe sie es sich versah, hatte er ihren Arm mit der Reiterpistole gepackt und halb herumgedreht. Er entriß ihr die Waffe, die Gott sei Dank nicht losging, packte Josea grob mit der freien Hand und zerrte sie zu sich heran.
Die Pistole, deren Hähne immer noch gespannt waren, stopfte er sich in den Gurt zurück. Dann hielt er Josea die rechte Hand vor den Mund und preßte ihn zu, bevor sie einen Schrei von sich geben konnte.
„Du hast dich selbst verraten“, raunte er ihr ins Ohr. „Und eigentlich bin ich froh, daß du es nicht fertigbringst, wirklich auf jemanden zu feuern und ihn zu töten. Vorwärts, gehen wir jetzt zu Segura und Franca. Sie warten auf uns.“
Er drängte sie zur Stiege, verhielt aber, bevor er mit ihr nach unten stieg.
„Wo halten die Mädchen sich auf?“ fragte er sie leise. „Im Obergeschoß? Rede!“ Er riß ihren Kopf ein Stück weiter in den Nacken zurück. Sie wertete es als offene, brutale Drohung und nickte ängstlich.
„Führe mich zu der Kammer, in der sie stecken“, befahl Hasard.
Segura und Franca hatten in einer der Kammern bereits Stricke und einen Knebel zurechtgelegt, mit denen sie den Seewolf in ein „kunstgerechtes Paket“ verwandeln wollten. Franca hielt überdies einen hölzernen Hammer in der rechten Faust – auf Anweisung ihres Vaters hin sollte sie das Opfer damit ins Reich der Träume schicken. Da der Trick mit dem gepanschten Wein ja nur bei dem einen Kerl halbwegs funktioniert hatte, mußte man sich eben einer drastischeren Methode bedienen, um die Männer des Schiffes außer Gefecht zu setzen.
Jemand drückte die Türklinke herunter, und Segura sagte: „Tritt ein, Josea, es ist alles soweit fertig.“
Keine Sekunde zweifelten Segura und Franca daran, daß Josea Erfolg gehabt hatte. Die List mit dem Speicher, der voller Schinken und Würste hing, hatten die Brancates schon oft ausgeführt, und Joseas Reizen war dabei noch jeder Narr erlegen.
Nur: Ein solcher Narr war der Seewolf eben nicht.
Er trat mit seiner Gefangenen in den Raum, drückte die Tür hinter sich ins Schloß und sagte: „Segura und Franca, ihr wollt doch sicher nicht, daß eurer Schwester etwas geschieht. Ich warne euch. Wenn ihr schreit oder sonstwie Alarm schlagt, vergesse ich mich.“
Segura und Franca fuhren zu ihm herum.
Sie sahen, daß der schwarzhaarige Mann mit den kühnen eisblauen Augen Josea fest im Griff hatte. Er preßte sie fest an sich, hielt ihr den Mund zu und drückte ihr die Schneide eines großen, furchterregenden Messers an die Gurgel.
Segura und Franca standen mit stockendem Atem da. Niemals hätten sie mit einer solchen Überraschung gerechnet. Segura taumelte und mußte sich auf den Rand des einfachen Bettes setzen, das zur Ausstattung des Zimmers gehörte.
„Tu das nicht“, flüsterte sie entsetzt. „Laß sie in Ruhe – bitte.“
„Laß sie frei“, flehte Franca, der der Schock aus den weit aufgerissenen Augen abzulesen war.
„Segura“, sagte der Seewolf. „Du fesselst und knebelst jetzt deine kleine Schwester. Danach tust du das gleiche mit Josea. Na los, beeil dich, oder soll ich meine Drohung ausführen?“
Segura nickte verstört und ging an die Arbeit. Keinen Augenblick dachte sie ernsthaft daran, etwas gegen den Seewolf zu unternehmen. Ihre Furcht, Josea könnte etwas zustoßen, war viel zu groß. Der familiäre Zusammenhalt der Brancates war tatsächlich groß, vor allem zwischen den Schwestern. Sie hatten sich geschworen, sich gegenseitig zu beschützen.
Dieses feierliche Gelübde gipfelte nun darin, daß Segura die beiden Schwestern tatsächlich mit den Stricken band, ihnen Knebel in die Münder stopfte und sie auf das Bett verfrachtete.
Hasard stand mit leicht abgespreizten Beinen im Raum, das Messer hielt er immer noch in der Faust, um Segura abzuschrecken. Nie hätte er es sich einfallen lassen, den Mädchen auch nur die Haut zu ritzen, aber er wußte nicht, welches andere Mittel er anwenden sollte, um sie einzuschüchtern und am Schreien zu hindern.
Segura drehte sich zu ihm um. „Jetzt bin ich dran, nicht wahr, Capitán?“
„Du hast es erraten.“
Sie blickte ihn durchdringend an, etwas in ihren Zügen veränderte sich. Plötzlich begann sie, an ihrer grobleinenen Bluse herumzunesteln.
„Du kannst mich haben, Philip“, flüsterte sie. „Ich sträube mich vor dir nicht. Du gefällst mir, und wenn du endlich das Messer wegsteckst, können wir in eins der Nebenzimmer gehen und uns auf angenehmere Weise die Zeit vertreiben.“ Sie lächelte unendlich verführerisch. „Falls es dich nicht stört, daß Josea und Franca uns zusehen, können wir es aber auch gleich hier erledigen.“
„Segura“, sagte er. „Ich verpasse dir zwei Ohrfeigen – zwei, nicht nur eine, wenn du jetzt nicht augenblicklich parierst.“
Sie wich vor ihm zurück, nahm die restlichen Stricke vom Fußboden auf und ließ es sich dann mit angstgeweiteten Augen gefallen, daß er sie fesselte und knebelte. Der letzte Versuch, den Seewolf zu umgarnen und hereinzulegen, war gescheitert.
Hasard verließ die Kammer, pirschte aber zu den anderen Zimmern des Obergeschosses weiter, ehe er nach unten zurückkehrte. Einem inneren Antrieb folgend, durchsuchte er auch diese Räume.
Fast hätte er einen Pfiff der Verwunderung ausgestoßen, als er in den letzten beiden auf den Flur mündenden Kammern die fünf gefesselten Männer entdeckte. Sie hatten Knebel zwischen den Zähnen stekken, aber sie hätten auch ohnedem nicht geschrien, denn sie lagen im tiefsten Schlaf.
Portugiesischer Landwein, dachte Hasard grimmig, na warte, du Hund von einem Banditenwirt!
Der Profos lag auf dem Rücken und schnarchte.
Wenn ich an der Koje horche, pflegte er gelegentlich zu den Männern der „Isabella“ zu sagen, dann könnt ihr mich wegtragen, dann kann der Kahn absaufen und die ganze Welt untergehen – dann wache ich nicht auf.
Im Grunde stimmte das auch: Matt Davies behauptete, Carberry schnarche und grunze wie ein Walroß und es sei eine Zumutung, in seiner Nähe zu schlafen. Auch das entsprach im Prinzip der Wahrheit, und doch gab es eine Möglichkeit, den Profos abrupt aus dem Reich der Träume hochzuscheuchen und sein gräßliches Schnarchen mit einem Schlag abreißen zu lassen.
Diese Möglichkeit hieß Sir John. Der karmesinrote Arancanga krabbelte dem Profos auf dem Bauch herum, erklomm dann seine Brust und seinen Hals und anschließend das mächtige Rammkinn, das wie ein Amboß in das Dunkel des Raumes aufragte.
Sir John begann nun, seinem Herrn an der Nase herumzuknabbern. Als auch das nichts nutzte und der Profos sich nicht rührte, zwackte Sir John ihm zweimal kräftig in den unteren Teil der Nase. Böse Zungen bezeichneten die Profos-Nase als eine „Kartoffel“ oder als eine „Gurke“, aber „Rüssel“ schien doch am treffendsten zu sein, denn wenn man einem Elefanten in den Rüssel biß, wurde er garantiert fuchsteufelswild.
Nicht anders erging es nun dem Profos. Der Schmerz reichte aus, um ihn aus den finsteren Sphären seiner Träume auf die Welt mit all ihrem Elend und ihren Ungerechtigkeiten zurückzubefördern. Unter Normalumständen wäre Ed Carberry hochgefahren, hätte einen Schwall übelster Wörter losgelassen und versucht, Sir John zu greifen. Da er aber nach wie vor benommen von dem „vorzüglichen portugiesischen Landwein“ war, schlug er vorerst nur verdattert die Augen auf, ließ ein wölfisches Knurren vernehmen und richtete sich schwerfällig mit dem Oberkörper auf.
Sir John schlug mit den Flügeln und gurrte begeistert. Er hüpfte auf die gewaltige Profos-Brust zurück und freute sich mächtig darüber, daß er seinen Herrn zum Leben erweckt hatte.
„Du verlauste Vogelscheuche“, lallte Carberry. „Hätte ich dich doch nie vom Amazonas mitgebracht. O Hölle und Teufel, was ist das doch alles für ein verdammter Mist hier!“
Umständlich erhob er sich von dem einfachen Lager, schaute sich um und wurde aus der Situation immer noch nicht schlau. In seinem Kopf wühlte und wirbelte es, als bewegten sich dort Mühlsteine. Immerhin war es schon eine beachtliche Leistung, sich unter der Wirkung des Schlafmittels einfach auf der Pritsche aufzusetzen. Carberry dachte darüber nach, allmählich ging ihm ein ganzer Kerzenleuchter auf, aber er drohte doch immer wieder auf die Liege zurückzusinken.
Sir John krächzte empört, als sich plötzlich eine Tür öffnete.
Carberrys Körper straffte sich. Eine Glocke in seinem Hirn schien Alarm zu schlagen. Er tastete nach seinen Waffen. Sie waren fort, man hatte sie ihm abgenommen, aber immerhin konnte er noch von Glück sagen, daß man ihn nicht gefesselt hatte. Offenbar hatte Brancate dies nicht für notwendig erachtet.
Die Tür schien nicht die zu sein, durch die er, Carberry, in diesen Raum gelangt war, soviel wurde ihm bewußt – und, in der Tat, es war wirklich die Verbindungstür zwischen diesem Raum und der Kammer, in der die Abuela von ihrem Sohn gefangengehalten wurde.
Carberry sah eine schmale Gestalt, die sich in sein Zimmer schob.
„Wer da?“ brummte er unruhig. Er erhielt keine Antwort. Sir John flog von der Pritsche auf, Carberry erhob sich ganz und stand schwankend wie eine Pappel im Sturmwind. Dann vernahm er eine flüsternde Frauenstimme.
„Fremder, hab keine Angst vor mir!“
Josea, dachte Carberry sofort, Himmel, dieses Prachtstück von einem Frauenzimmer ist zu Besuch aufgekreuzt. Habe ich’s mir doch gedacht! Na, die Weiber wissen eben, wo die größten Qualitäten verborgen sind!
Sie verharrte neben dem einzigen niedrigen Fenster des Raumes. Carberry schob sich auf sie zu. Er beugte sich mit verzückter Miene zu ihr hinunter und wollte irgend etwas Unsinniges, völlig Unangebrachtes sagen, das ihm gerade einfiel – da erstarrte er.
Statt in das zarte Antlitz Joseas zu blicken, hatte er das zerknitterte Gesicht einer Greisin vor sich. Ein abgemagertes Gesicht war das, faltige, ledrige Haut spannte sich über die Knochen und erfüllte die Höhlungen mit schlaffen Runzeln.
„Hol’s der Henker“, entfuhr es dem Profos, „des Teufels Großmutter höchst persönlich!“
„Fremder“, zischte die Alte. „Ich will dir helfen und dich retten, denn unter diesem Dach darf kein weiteres Unheil geschehen. Verstehst du mich?“
„Mit Ach und Krach.“
„Hör mir gut zu. Einer deiner Freunde ist mit Charutao in den Keller hinuntergestiegen. Du mußt ihn als ersten niederschlagen.“
„Wen?“ fragte Carberry verwirrt.
„Charutao natürlich, wen denn sonst?“ sagte die Abuela ärgerlich. „Anschließend solltest du ins Freie gehen und den beiden beistehen, die gerade von Pinho und Iporá, diesen schmutzigen Bastarden, zum Brunnen begleitet werden. Dort wollen sie Wasser holen, aber Pinho und Iporá werden sie niederknüppeln, das schwöre ich dir. Und wenn sich deine Freunde zu sehr wehren, werden meine Leute nicht zögern, sie im Brunnen zu ersäufen.“
„Ja, da hört sich doch alles auf“, murmelte Carberry, der sich jetzt schon sehr viel nüchterner und wacher fühlte.
„Schließlich wäre da noch der Schwarzhaarige, der mit Josea zum Dachboden hinaufgestiegen ist“, wisperte die Alte. „Um ihn bereite ich mir aber die wenigsten Sorgen.“
„Ich auch. Hasard kann sich am besten von uns allen helfen, und von dem Mädchen läßt er sich nicht um den Finger wickeln.“
„Vorwärts, ich zeige dir jetzt eine Treppe, die in den Keller führt“, sagte die Abuela. „Beeil dich. Und tu mir einen Gefallen, Ja? Im Stall liegt ein Boot, eine lächerliche, häßliche Nußschale. Zerstör sie. Zerschlag das elende Ding, verstanden, mein starker Freund?“
„Ja, Rose von Portugal“, antwortete der Profos. „Wir schaukeln das schon. Ich verspreche es dir. Ich habe jetzt nämlich die Nase voll.“