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Walter Kempowski – Gibt’s da Honorar?
ОглавлениеVor einigen Jahren fotografierte ich zahlreiche greise Hamburger im Alter zwischen neunzig und hundert Jahren. Voraussetzung war, dass sie alle noch selbst für sich sorgten und keine Pflegefälle waren. Eine Jugendfreundin von mir, die Lyrikerin Anna Weiß, verfasste für mich zu jedem dieser Menschen ein Gedicht. Ich hatte die Absicht, aus alledem einen Fotoband zu machen. Mein guter Bekannter Wilfried Weber, der Inhaber der Hamburger Bücherstube Felix Jud & Co., gab mir den Rat, einen namhaften Autor für ein Vorwort zu finden.
Der bedeutende Schriftsteller und Chronist Walter Kempowski schien mir für dieses Projekt sehr geeignet. Ich schrieb ihm einen Brief, worin ich mein Anliegen kundtat. Es verging ein halbes Jahr, es verging ein Dreivierteljahr. Nichts passierte. Ich begann, mich auf die Suche nach einem anderen geeigneten Kandidaten für das Vorwort zu begeben. Kempowski hatte ich schon fast vergessen. Da bekam ich eine Postkarte aus Nartum, Haus Kreienhoop, Walter Kempowskis Anwesen, mit der Aufforderung, ich möge ihn doch anrufen. Große Freude!
Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine kläglich klingende, kränkelnde Stimme: »Ja, ich habe Ihren Brief bekommen. Ich hatte einen Schlaganfall und konnte mich nicht eher melden, aber gibt’s da Honorar?« Leider konnte ich das in diesem Moment nicht positiv beantworten. Wir hörten nichts mehr voneinander.
Viele Jahre später kam Walter Kempowski des Öfteren mit seiner bezaubernden Frau Hildegard am frühen Abend in den Jahreszeiten-Grill, um Seezunge Müllerinart zu essen. Seezungen sollten eine bestimmte Größe haben, damit ihr Fleisch die richtige Festigkeit und den optimalen Geschmack hat. Eine Seezunge von etwa 600 bis 700 Gramm ist für eine Person im fortgeschrittenen Alter möglicherweise zu viel. Somit riet ich dem Ehepaar Kempowski, sich doch eine Portion zu teilen, es wäre sicher genug. Schließlich gab es auch noch Blattspinat und Kartoffelpüree dazu – das Püree mit brauner Butter begossen, eines der bevorzugten Kartoffelgerichte des »Professors«. So nannte ich ihn immer. Ich glaube, er hörte es sehr gern. Es stellte sich heraus, dass diese Mahlzeit genau nach Walter Kempowskis Gusto war.
Im Laufe der Jahre freundeten wir uns ein wenig an – soweit es mit Kempowski und zwischen Gast und Kellner möglich war. Mit der Zeit lernte ich alle seine Wünsche und Vorlieben kennen, und er meinte, bei mir Gast zu sein sei »wie zu Hause, nur zu Hause ist es nicht so teuer«. Gut möglich.
Eines Tages, es war wieder kurz nach 18 Uhr, die Kempowskis kommen ins Restaurant, nehmen am bevorzugten Tisch Platz, und er meint: »Wir brauchen gar nix zu bestellen, Sie wissen ja ganz genau, was wir möchten.« Natürlich – einmal Seezunge auf zwei Tellern. Kurz nachdem ich serviert habe, wendet sich Frau Kempowski an mich: »Herr Nährig, mein Mann schreibt ein neues Buch, und er möchte Sie darin namentlich nennen, darf er das?«
»Ja, gerne«, antworte ich prompt, »aber nur wenn’s nix kostet.« (In meiner Erinnerung schwingt dabei noch sein Satz nach: »Gibt’s da Honorar?«) Doch die Geschichte mit dem Vorwort hatte er längst vergessen. Ich habe ihn auch nicht daran erinnert. Wozu auch.
Das Buch, in dem er mich namentlich nannte, heißt Alkor. Die Erwähnung fällt allerdings sehr dürftig aus. Ich zitiere: »Abendessen in den Vierjahreszeiten, von Nährig, dem freundlichen Oberkellner, laut mit: ›Herr Professor!‹ begrüßt.« Na, »Herr Nährig« hätte er ja schon schreiben können. In jedem Wiener Kaffeehaus, sei es noch so einfach, wird der Ober stets mit »Herr Franz«, »Herr Josef« oder »Herr Leopold« angesprochen. Das ist ehernes Gesetz. Aber Schwamm drüber.
Anlässlich eines seiner Besuche bekam ich das Buch auch geschenkt. Es kostete im Buchhandel immerhin 39 Euro. Sparsamkeit ist nicht mit Geiz zu verwechseln. Nein, geizig war er nicht, aber sparsam. Bei all dem heutigen Protzgehabe eine durchaus angenehme Tugend. Die Barriere zwischen Gast und Bedienendem war allerdings immer da. Und selbst als er im Laufe der Jahre irgendwann registriert hatte, dass auch ich ein wenig über Literatur Bescheid weiß, tat er es immer mit einem ironischen »Hat er ja alles nur angelesen« ab.
Ja, natürlich. Zu Schillers und Goethes, Nestroys und Raimunds Zeiten habe ich noch nicht gelebt. Und so konnte ich alles auch nur aus Büchern »angelesen« und mir in Theateraufführungen »angehört« haben. Wie dem auch sei: Die Begegnungen mit den Kempowskis habe ich immer in vollen Zügen genossen.