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Die Gunst des Giftzwergs

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Eines geschulten, sperberscharfen Blickes bedurfte es auch bei Menschen von kleinem Wuchs. Es gibt im Grunde nur wenige Varianten dieser Gattung: lieb oder bös, mild oder scharf, süß oder giftig. Das Feld dazwischen ist sozusagen ein leeres Blatt. Die Gesichtszüge sind, je nach Alter und Geschlecht, eine wertvolle, um nicht zu sagen die wertvollste Aussage. Bei Betreten des Restaurants war blitzschnelles Erfassen und eine Sofortanalyse zwingende Notwendigkeit. War das Gesicht offen, für seinen Jahrgang eher wenig faltig, der Habitus entsprechend, die Haltung des kurz geratenen Körpers bescheiden, so dass sie auch auf eine bescheidene Geisteshaltung schließen ließ, war auch eine positive Erwartungshaltung gerechtfertigt. Präsentierte sich aber ein verbittertes Gesicht mit Faltenwurf, dazu der ganze Körper hoch gen Himmel gereckt und die Kleidung außer der Norm, dann deuteten die Zeichen auf Schlechtwetter. Eine große Hilfe ist ein rascher Blick auf die Schuhe. Sind sie, bei Herren, mit etwas höheren Absätzen versehen als modeüblich, steigt auch die Alarmstufe entsprechend. Bei der Klassifikation »bös« und »giftig« ist eine verbale Demonstration domestikenhafter Unterwerfung die einzig erfolgversprechende Antwort.

Dieses Mittel ließ ich, wenn ich im Zweifel war, stets zumindest so lange in Anwendung kommen, bis ich mich in Sicherheit wähnen konnte. Doch war auch die Lust am Wagnis immer gegenwärtig. So hat ein kleiner, etwa fünfzigjähriger italienischer Gast (er war bei einer großen Hamburger Zigarettenfabrik beschäftigt) meine Befürchtungen einmal positiv enttäuscht. Er hatte dunkelblondes, rötlich schimmerndes Haar, ein zerknittertes, verbittertes Gesicht, und jeder Mitarbeiter hatte größten, mit Furcht gepaarten Respekt vor ihm.

Die Sache ist viele Jahre her. Ich war noch jung und ein kleiner Kommis. Wenn er das Restaurant betrat, flüchtete, wer konnte. Ich ging unerschrocken aufs Ganze, blieb mitten im Raum stehen und begrüßte ihn mit seinem Namen. Das erstaunte ihn und er sagte: »Sie kennen meinen Namen? Sie haben ein gutes Gedächtnis.« Ich antwortete: »Ich merke mir nicht viel, nur das Wichtigste.« Damit war das Eis gebrochen. Im Geiste warf ich mich vor ihm zu Boden, bot ihm den schönsten Platz an, gab ihm zu verstehen, dass er allein der einzige Gast von Größe sei und weit über die Würde unseres Hauses erhaben. Das war diesem kleinen Mann Balsam für Seele, Auge und Ohr. Das war ein Blattschuss. Beim Weggehen gab er mir die Hand und noch dazu ein dickes Trinkgeld – was er zuvor nie getan hatte. Der Gunst des »Giftzwergs« war ich nun sicher – der Missgunst meiner mutlosen Kollegen auch.

Herr Skřivánek hätte es nicht anders gemacht.

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