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Verflixte Welt, wo ist mein Geld?

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Volles, rotes Haar, eine blumenübersäte Wiese von Sommersprossen im Gesicht. Ein breites Gewinnerlachen und vierzig Jahre jung. Glitzer und Gleiß an Ohren, Hals, Armen und Händen. Glamourös. Meine erste grobe Einschatullung: Da kann nichts schiefgehen. Wer so freundlich, so bezaubernd aussieht, so aus vollem Herzen lacht, kann nur guten Sinnes sein. Alles deutet auf eine angenehme Routinebegegnung hin. Kein raffiniertes Zahlenrätsel. Doch auch für den abgebrühtesten Oberkellner gibt’s Überraschungen. Gleich der erste verbale Kontakt verblüfft. Ich: »Guten Tag.« Sie: »Wer’s mag.« Sie weiter: »Ich hätte gern einen Platz, bitte einen schönen, ich bin ein Schatz, das wird Sie versöhnen.« Die Dame spricht in Reimen. Es handelt sich um die Dichterin Michaela Victoria Hoepffner, aber das erfahre ich erst später.

Jedes Individuum schickt Zeichen voraus, die auf seine Besonderheiten verweisen. Akustisch oder visuell oder beides. Hier waren die visuellen überaus erfreulich und die akustischen ausgesprochen unerwartet. Zu jedem Wort gab es ein Synonym, einen Reim oder sonst einen ähnlich klingenden Begriff. Auf Gaststätte folgte Raststätte, Roststätte, Moststätte, Kompoststätte. Meine Empfehlung des Tagesgerichts: Bœuf à la mode, sprich »Böfflamott«. Darauf sie: »Den Schamott aufs Schafott, Bankrott.« Mit dem Menü kommt eine Suppe. Sie: »Ich bin keine Puppe, keine Putte in der Kutte.« Oh, wo will sie hin? Welchen Weg schlägt sie ein? Ich bin völlig aus der Bahn geworfen. Meine Einschätzungen bestätigen sich nicht, ihre Reaktionen sind nicht wie erwartet, gehen in verblüffend andere Richtungen. Sie fragt: »Haben Sie Lamm, ohne Kamm? Und keine Bohnen, sind Kanonen.«

Erinnerte mich an Mozarts Bäsle-Briefe: »Jetzt wünsch ich eine gute Nacht, scheißen Sie ins Bett, dass es kracht. Schlafen’s gesund, recken’s den Arsch zum Mund.« Ist sie das, was der Volksmund unter »verrückt« versteht? Nein, das wäre zu schnell und zu einfach ge- und verurteilt. Mache also das Spiel mit. Mal sehen, wie es ausgeht. Bin neugierig und auf »die Katze aus dem Sack« gespannt.

Jetzt ist Konzentration erforderlich. Es kommt der Nachtisch: »Das Dessert, geben Sie her, da will ich mehr.« Die Reime werden glatter und platter. Wünschen Sie Kaffee? »Nee, bin eine süße Fee, nur Pralinen, dann dank ich Ihnen.«

Der Grill ist leer. Sie der letzte Gast, sonst niemand mehr. Meine Frage: »Darf ich Ihnen die Rechnung bringen?« Sie: »Dazu will ich Sie nicht zwingen.« Sie sucht in ihrer Handtasche, in den Kleidertaschen, überall und findet – nichts. »Verflixte Welt, wo ist mein Geld, hab’s vergessen, hätte ich bloß nicht gegessen. Geh mir was borgen und zahle übermorgen.« Alles aus dem Stehgreif. Mit beachtlicher Leichtigkeit.

Jetzt spiele ich behände das Spiel mit ihr zu Ende. »Das geht nicht, da gehe ich morgen vors Gericht.« Sie: »Das ist mir gleich und einerlei, holen Sie doch gleich die Polizei.« Ich: »Das mach ich nicht, was ist’s, was an Sie ficht, gehen Sie flugs nach Haus, ich lad Sie ein auf diesen Schmaus.«

Aber siehe da – bei einem erneuten Griff in die Jackentasche wird sie doch noch fündig. »Oh nein«, entgegnet sie, »so nicht mit mir, ich zahl wie immer, sofort und hier.« Ein kurzes Aufleuchten ihrer wunderschönen, grünlich glänzenden Augen folgt. »Das hat schon mein Vater so gehalten, das will ich anders nicht gestalten.« Dann hält sie mir stolz die Hand mit den Scheinen hin und sagt: »Bitte nehmen Sie das Geld und meinen Dank, der Rest für Sie – jetzt bin ich blank.« Dabei dreht sie die leeren Handflächen mehrmals von außen nach innen.

Keine Ursache – ich hätte sie auch gerne eingeladen. Das wäre mir das dilettantische verbale Amüsement wert gewesen. Dennoch: Dem Oberkellner Skřivánek aus dem »Hotel Paris« in Prag wäre so etwas nicht passiert. Der hätte sie vermutlich gleich in Reimen begrüßt. Ich habe noch zu üben.

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