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Freitag, 17. Jänner

im Roten Affen

Ich mag den Roten Affen vulgo Potex Rubens nicht, obwohl es die einzige Spelunke mit einem lateinischen Untertitel ist. Irgendwann nannte Hans dieses Loch „Syntheke“, was keiner verstand, aber letztlich ist es egal. Die Saure Wiese und die Hopfenklause sind mir jedenfalls lieber. Vor allem sind mir die Wirte Blues und Monk lieber als Götz, der Wirt im Potex, den alle nur „Pavi“ nennen. Er hat tatsächlich etwas von einem Affenarsch. Sein Gesicht ist ständig rot, er ist leicht beschränkt, ständig geil wie Pasak, und er erzählt mit Begeisterung schlechte Witze. Nichts gegen Witze, Gott bewahre, auch nichts gegen Witze aus der unteren Schublade, aber die sollten erst nach Mitternacht und nicht unter 1 Promille Ethanol im Blut erzählt werden.

Schon als wir hereinkamen, legte er los: „Der Weg von der Kabine zum Ring ist aber weit, beschwert sich der Boxer. Der Trainer tröstet ihn: Das macht nichts, zurück wirst du sowieso getragen.“

Ich klinkte mich mit einer Bauernregel ein und unterdrückte dabei meine schlechte Stimmung: „Liegt der Bauer unterm Tisch, war der Karpfen nicht mehr frisch.“ Es dauerte gezählte fünf Sekunden, bis Pavi kapiert hatte, dass das ein Witz war. Danach brüllte er vor Lachen und spendierte mir zum Einstieg ein Honigbier, seine neueste Errungenschaft auf der Bierkarte. Das Honigbier schmeckte komisch, aber immerhin war es Bier.

Auch Hans versuchte sein Glück: „Was ist Männerromantik? … Ein Fußballspiel bei Kerzenlicht.“ Mich erinnerte das nur an ein Zitat von Klaus Kinsky, der einmal meinte, wenn er Romantik wolle, dann zündet er ein Teelicht an – beim Kacken.

Pasak meinte, mein Witz sei etwas besser, aber einen Gin sei das schon wert. Ich bevorzuge Bier und Weißwein. Schnäpse weniger. Außerdem sind Pavis Schnäpse billiges Gesöff aus dem Diskonter. Gewinnspanne geschätzte 1.000 % oder mehr.

Pasak umkreiste wie immer Block Jane, was Che wie immer störte. Hans und ich packten unsere Bücher aus.

Nach einigen anzüglichen Bemerkungen von Pavi, Pasak und dem Knochenbrecher wurde Block Jane äffig. Sie kramte in ihrer Tasche und holte einen Zeitungsartikel vom letzten Wochenende heraus. Sie hielt ihn triumphierend in die Höhe und verkündete, dass jetzt alle Machos, also fast alle im Raum, zuhören sollten. Während ich darüber nachdachte, was sie mit den gedankenlos hingeworfenen Worten „fast alle“ meinte, legte sie los. Niemand wagte es, sie zu unterbrechen.

Manche Leute sind von der unstillbaren Begierde durchdrungen, ihrem Leben oder zumindest ihrer Gesundheit ein rasches und spannendes Ende zu bereiten. Die Supermänner des 20. Jahrhunderts hüpfen – natürlich mit Fallschirmen – von einer Klippe oder springen über dem Südpol aus einem Flugzeug. Andere wiederum stürmen mit Spezialgeräten einen Gebirgsbach hinunter oder springen mit Gummibändern an den Beinen von Brücken oder Staumauern. Diese Tapferkeit vor den feindlichen Naturgesetzen bedarf einer Begründung, und diese ist immer die gleiche. Man müsse eben diesen Kick, diesen unvergleichlichen Adrenalinschub haben. Andere philosophieren von Grenzerfahrungen und Ähnlichem, aber das Destillat der Supermanngesellschaft ist und bleibt das Hormon Adrenalin.

Das Adrenalin wird in den Nebennieren produziert. Diese sind kleine Drüsen, die auf der Niere aufsitzen. 1855 hatte man erstmals von diesen Drüsen gehört, als der britische Arzt Thomas Addison zeigte, dass eine Erkrankung der Nebennierenrinde zu schrecklichen Symptomen führt. Bis heute spricht man von der „Addison-Krankheit“. Zu den Kennzeichen zählen eine Störung des Mineral-, Wasser- und Säurehaushaltes, Kohlenhydrat-Störungen, niedriger Blutzucker und vieles mehr. Die Patienten fühlen sich müde und schwach, es treten Hautverfärbungen, Herzrhythmusstörungen und Muskelkrämpfe auf.

Der britische Physiologe Edward Albert Sharpey-Schafer entdeckte, dass eine in den Nebennieren gebildete Substanz den Blutdruck eines Versuchstieres erhöht, wenn man dieses Sekret injiziert. Diese Eigenschaft erschien so bemerkenswert, dass der amerikanische Pharmakologe John Jacob Abel die von Schafer untersuchte Substanz isolierte und wissenschaftlich genauer überprüfte. 1898 nannte Abel den von Sharpey-Schafer untersuchten Stoff „Epinephrin“. Erst einige Jahre später erhielt das Epinephrin die weitere Bezeichnung Adrenalin. Beide Namen bezeichnen im Wesentlichen das Gleiche und sind heute noch gebräuchlich.

Adrenalin wird durch einen stressbedingten Nervenimpuls ausgeschüttet. Es wirkt sofort auf den sogenannten Sympathicus, einem Teil des autonomen Nervensystems. Die Pulsfrequenz steigt, der Blutdruck steigt und damit auch das Herzminutenvolumen. Die Pupillen erweitern sich, die Bronchien dehnen sich aus, und der Energieumsatz steigt durch höheren Sauerstoffverbrauch. Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts isolierte Adrenalin war das erste entdeckte Hormon. Heute ist es unentbehrlich für die modernen Supermänner.

Block Jane lächelte uns triumphierend an.

Pasak grinste schief: „Was ist schon das öde Adrenalin gegen mein Testosteron.“

Jetzt meldete sich Pumpe zu Wort. Für ihn war Testosteron eine Art Religion: „Wenn du, geliebte Jane, jetzt noch einen Artikel über Testosteron bei dir hast, spendiere ich dir ein Glas Rheinriesling und zwanzig Liter Benzin für deinen Boliden.“

Block Jane griff in ihre Tasche, fischte einen zweiten Zettel heraus und lächelte so verführerisch, dass jedem normalen Mann der Testosteronspiegel bis an die Schädeldecke knallte: „Ja, lieber Pumpe. Ich habe da noch was, es passt genau zu dir.“

Jetzt hörten alle zu, sogar Hans und ich.

Block Jane faltete den Zettel auseinander und merkte an, dass sie den Artikel seit Jahren herumschleppte.

Der Chef des größten Währungsfonds der Welt, der immerhin über tausend Milliarden Dollar verwaltet, wurde in New York der Vergewaltigung einer Hotelangestellten beschuldigt. Ein Schweizer Fernsehstar, der jahrelang seinen Wetterbericht im deutschsprachigen Fernsehen präsentiert hat, soll eine seiner zahlreichen Lebensgefährtinnen vergewaltigt haben. Ein österreichischer Hollywoodstar, der einst in eine prominente amerikanische Politikerfamilie eingeheiratet hatte, musste nach seiner Karriere als Gouvernator ungeplanten außerehelichen Nachwuchs zugeben, worauf er prompt den Kosenamen Sperminator erhielt. Das vor allem auch deshalb, weil Insider berichten, dass der nicht minder lebensfrohe Golfchampion mit Spitznamen Tiger vergleichsweise als Jungfrau zu bezeichnen wäre.

Geld, Macht und Sex waren immer schon Folgen eines Phänomens Testosteron. Es handelt sich um ein Sexualhormon, das bei beiden Geschlechtern vorkommt, aber in unterschiedlicher Menge und mit unterschiedlicher Wirkung.

Che konnte sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: „Wenn das mit dem Geld, der Macht und dem Sex stimmt, dann liegt der Testosteronspiegel bei Pasak nahe null. Pasak ist ein richtiger Ninja. No income, no job, no assets.“ Pasak wollte gerade zu einem antischwulen Rundumschlag ausholen, da brachte ihn ein Blick von Block Jane zum Verstummen. Sie las weiter:

Hormone sind Substanzen, die an einer Stelle im Körper gebildet werden und an einer anderen Stelle eine Wirkung erzeugen. Am bekanntesten dürfte das Adrenalin sein. Es wird, wenn das Hirn bei Stress Alarm schlägt, in einer Drüse über den Nieren gebildet, um Herzschlag und Atmung zu beschleunigen. Die meisten Hormone in unserem Körper haben auch eine Wirkung auf unser Gehirn und damit auch auf unsere Wahrnehmung. Manche Leute entwickeln sogar eine Sucht. Es gibt sie tatsächlich, die so genannten Hormonjunkies.

Der Begriff Testosteron kommt von Testes (Hoden) und Steroid. Letzteres Wort bezeichnet eine Stoffgruppe, die mit den Fetten verwandt ist. Die Testosteronproduktion nimmt beim Mann in der Pubertät zu und erreicht um das dreißigste Lebensjahr den Höhepunkt.

Pasak machte eine obszöne Handbewegung: „Bei mir hält der Höhepunkt seit zehn Jahren an.“ Er wollte weiterreden, aber Block Jane warf ihm einen strengen Blick zu und fuhr fort:

Dann geht die Produktion zurück, allerdings individuell unterschiedlich. Testosteron ist nicht nur für die Zeugungsfähigkeit, sondern zusätzlich für eine ganze Menge anderer Eigenschaften verantwortlich. Testosteron ist die Antriebsmaschine des Mannes, eine Turbodroge, gegen die das Adrenalin geradezu unschuldig wirkt. Testosteron ist ein hormoneller Übeltäter, der vor allem junge, aber auch ältere Männer einigen Blödsinn machen lässt …“

Pasak hatte sein iPhone an die Stereoanlage angestöpselt. Dann dröhnte „Jump“ von Van Halen aus den Lautsprechern.

Im Potex gibt es auch ein eng beschriebenes Gästebuch, trotzdem sind auch die Klowände so bekritzelt, dass kaum noch etwas zu lesen ist. Pasak schrieb einen seiner blöden Sprüche hin: „Here I sit and meditate, shall I piss or masturbate.“

Fat Lot schrieb hin: „Cave Pasak!“ Pasak dachte, das sei Englisch und grübelte nach, was Fat Lot mit der Höhle gemeint haben könnte. Wir sagten ihm nicht, dass das Latein war und „Hüte dich vor Pasak!“ hieß.

Hans und ich blätterten in unseren Büchern herum, und ein Bier folgte auf das andere.

Es ging schon auf 3 Uhr zu, als die Letzten von uns die Jacken holten, um nach Hause zu gehen. Nur Pasak nicht. Er machte noch einen Abstecher, wie er es nannte, ins Stiff Bones, wo er hoffte, seine Lieblingsnutte Daisy zu treffen. Block Janes Vortrag über das Testosteron habe ihn so richtig schön scharf gemacht.

Auf der Theke lag eine Zeitung. Hans fragte mich, was ich von der Virenkrise in China halte. Ich zuckte mit den Schultern und meinte nur, dass uns das nicht kümmern müsse. Pavi sagte, das sei nur eine verrückte Geschichte, außerdem erwischt es, wenn es hart kommt, eh nur die Chinesen, und von denen gibt es über eine Milliarde. Also, keep cool!

Pavi drehte alle Lichter ab, und wir gingen, obwohl es erst zehn Minuten nach 3 Uhr war.

Theke, Antitheke, Syntheke

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